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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.08.2024, RV/7100576/2024

Kein Vorliegen von Wiederaufnahmegründen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Stanek in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über dessen Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom hinsichtlich Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist als Waldarbeiter nichtselbständig beschäftigt.

Mit über FinanzOnline eingebrachten Antrag vom begehrte der Bf. die Wiederaufnahme des mit Einkommensteuerbescheid 2019 abgeschlossenen Verfahrens vom mit der Begründung, das Finanzamt möge die für seine vier Kinder entrichteten Alimente bei der Einkommensteuer 2019 berücksichtigen.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Österreich den Antrag des Bf. im Wesentlichen mit dem Fehlen von Wiederaufnahmegründen gemäß § 303 Abs. 1 BAO als unbegründet ab.

"… [Der Bf. hatte] die Möglichkeit, den Unterhaltsabsetzbetrag für [seine] Kinder in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019 geltend zu machen und [hat] davon auch Gebrauch gemacht. Der Unterhaltsabsetzbetrag konnte jedoch nicht berücksichtigt werden, da Sie die Ergänzungsersuchen dazu nicht (vollständig) beantwortet haben. Der Vollständigkeit halber wird auf die Begründung im Einkommensteuerbescheid 2019 vom verwiesen. Weiters bestand die Möglichkeit im Wege einer Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid oder im Zuge eines Antrages gemäß § 299 (1) Bundesabgabenordnung die noch fehlenden Unterlagen vorzulegen. Beide Fristen haben Sie versäumt.
Die Beseitigung der Folgen der Unterlassung der Geltendmachung kann nicht durch die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgen. Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (vgl. ). …
"

Mit über FinanzOnline eingebrachter Beschwerde vom ersuchte der Bf.

"… um nochmalige bearbeitung und auszhalung meiner ansprüche da ich zu dem Zeitpunkt NICHT wusste und es sehr wohl eine neue tatsache ist und nun meine ansprüche richtig stelle."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt Österreich die Beschwerde mit der Begründung als unbegründet ab, weil

" … [N]eue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - keine Tatsachen [sind]. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen. Auch hat das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen …"

Mit Schreiben vom beantragte der Bf. seine Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen und führte dabei aus, dass "[… er für seine] kinder die alimente bezahlt und den familienbonus plus beantragt der zuerst vom gericht als gehaltsvorschuss [Anm. BFG: Unterhaltsvorschuss] bezahlt wurde und deshalb laut ihrer meinung ich keinen anspruch habe. ..."
Der vom Gericht geleistete Unterhaltsvorschuss sei vom seinem Gehalt gepfändet und zur Gänze dem Gericht zurückgezahlt worden. Somit bestehe der Anspruch auf den Familienbonus plus zu Recht.

Mit Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragte die belangte Behörde mangels Vorliegen von Wiederaufnahmegründen die Abweisung derselben.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Am reichte der Bf. seine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019 (Formular L1) samt den Beilagen (L1K), den Anträgen zur Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen für seine nicht haushaltszugehörigen Kinder - beim Finanzamt Österreich ein (BFG-Akt AS 25 - 34).

Mit Ergänzungsersuchen vom (BFG-Akt AS 19) ersuchte das Finanzamt um Vorlage einer amtlichen Unterhaltsvereinbarung (Jugendamt/Bezirksgericht) sowie um eine Bestätigung über die geleisteten Alimente für 2019 (monatliche Zahlungsbelege) (BFG-Akt AS 19).
Diesem Ersuchen entsprechend legte der Bf. Unterlagen vor, aus denen im Wesentlichen hervorgeht, dass die Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, Exekutionsverfahren zur Hereinbringung der aus der Unterhaltsvorschussgewährung resultierenden Forderungen gegen den Bf. betrieb (BFG-Akt AS 39 - 73).

Mit weiterem Ergänzungsersuchen vom (BFG-Akt AS 74) ersuchte das Finanzamt um Bestätigung ab wann der Unterhalt vom Lohn einbehalten werde sowie um die monatlichen Zahlungsbestätigungen für den Unterhalt (Bankauszug bzw. Bestätigung vom Arbeitgeber über einbehaltene Unterhaltsleistungen).
Nunmehr übermittelte der Bf. dem Finanzamt die Bewilligung der Gehaltsexekution vom sowie eine Bestätigung seines Dienstgebers über die im Wege der Gehaltsexekution einbehaltenen Unterhaltsleistungen von seinem Lohn für 2019 und 2020 (BFG-Akt AS 75 - 80).

Mit Bescheid vom führte das Finanzamt die Arbeitnehmerveranlagung 2019 durch. Der Unterhaltsabsetzbetrag und infolgedessen auch der Familienbonus Plus blieben bei der Steuerfestsetzung unberücksichtigt, da nach Dafürhalten des Finanzamtes die erforderlichen Unterlagen betreffend Unterhaltsabsetzbetrag auch nach neuerlicher Aufforderung nicht vorgelegt wurden (BFG-Akt AS 35 - 37).

Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit Antrag vom begehrte der Bf. nunmehr die Wiederaufnahme des mit Einkommensteuerbescheid 2019 abgeschlossenen Verfahrens vom mit der Begründung, das Finanzamt möge die für seine vier Kinder entrichteten Alimente bei der Einkommensteuer 2019 berücksichtigen (BFG-Akt AS 81).
Auch in der Bescheideschwerde vom beantragte der Bf. die nochmalige Bearbeitung und Auszahlung seiner Ansprüche (BFG-Akt AS 6).
Den Vorlageantrag vom ausführend hält der Bf. fest, dass der Unterhalt für seine Kinder vom Gericht zuerst als Unterhalsvorschuss und sodann von ihm im Wege der Gehaltsexekution entrichtet wurde (BFG-Akt AS 9).

Auch aus den im Beschwerdeverfahren erstatteten Schriftsätzen des Bf. sind keine Wiederaufnahmegründe ersichtlich.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich nach Dafürhalten des Bundesfinanzgerichts aus dem vorgelegten Akt des Abgabenverfahrens. Für das Bundesfinanzgericht ergeben sich in freier Beweiswürdigung keine Anhaltspunkte an der Richtigkeit des festgestellten Sachverhalts zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildet nunmehr die Frage, ob das Vorbringen des Bf. als tauglicher Wiederaufnahmegrund für das Einkommensteuerverfahren (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 zu beurteilen ist.

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann gemäß § 303 Abs. 1 BAO idF FVwGG 2012 auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtliche strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116 BAO) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 303 Abs. 2 BAO hat der Wiederaufnahmeantrag zu enthalten:
a) Die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantrag wird;
b) die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird.

Einen Wiederaufnahmegrund bilden lediglich "neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel". Damit wird die Möglichkeit geschaffen, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung tragen zu können (vgl. Stoll, BAO Kommentar 2931).

Der Ausdruck "neu hervorkommen" bedeutet, dass der Wiederaufnahmegrund eine zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsache bzw. Beweismittel gewesen sein muss.

Nur neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel - das sind solche, die schon vor Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides bestanden haben, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt wurden (nova reperta) - kommen als tauglicher Wiederaufnahmegrund iS des Neuerungstatbestandes (§ 303 Abs. 1 lit. b) in Betracht. Erst nach Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides entstandene Tatsachen oder Beweismittel (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO³ § 303 RZ 14). Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten.

Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente sind keine Tatsachen (vgl. ). Diese Tatsachen müssen auch neu hervorkommen, das heißt es muss sich um solche Tatsachen handeln, die bereits vor Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens bestanden haben, aber erst nach rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens der Behörde bekannt geworden sind. Tatsachen im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei entsprechender Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis, als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten.

Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ).

Mit dem Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 (FVwGG) erfolgte eine Harmonisierung der Wiederaufnahme von Amtswegen mit jener auf Antrag. Demnach hat ein Antrag auf Wiederaufnahme bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorkommen sind". Aus dem klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Der Wiederaufnahme wohnt somit konzeptiv eine Antragsteller-Perspektive inne, zumal auch der Antragsteller bestimmt, welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch welchen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen werden und daher Sache des Wiederaufnahmeverfahrens sind. Nur wenn die neue Tatsache für den Antragsteller neu hervorgekommen ist und ihm somit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht bekannt war, kann sie von ihm zum Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens gemacht werden (, Ellinger/Sutter/Urtz, BAO³ § 303 RZ 17).

Betrachtet man den gegenständlichen Sachverhalt unter dem Blickwinkel obiger Ausführungen, so ist nach Dafürhalten des Bundesfinanzgerichtes offensichtlich, dass keine die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigenden Gründe vorliegen.

Weder legt der Bf. mit seinen Anträgen und Vorbringen neue Tatsachen und Beweise vor noch zeigt der Bf. im Wiederaufnahmeantrag, der Beschwerde sowie dem Vorlageantrag auf, welche neuen Tatsachen im Zeitpunkt der Bescheiderlassung - Arbeitnehmerveranlagung 2019 vom - vorhanden und ihm unbekannt waren.

Der Bf. stützt seinen Wiederaufnahmeantrag vom offensichtlich darauf, dass er über seine Ansprüche nicht (ausreichend) Bescheid wusste. Nach Dafürhalten des Bundesfinanzgerichtes wollte der Bf. mit seinen Schriftsätzen die Rechtswirkungen der Arbeitnehmerveranlagung 2019 vom rückgängig machen. Damit wird jedoch ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des Gesetzes nicht aufgezeigt. Das Wiederaufnahmeverfahren hat nämlich nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO³ § 303 RZ 19; ; , 96/15/0148; ). Dieser Judikatur folgend sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, einerlei, ob die späteren Erkenntnisse nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden, keine Wiederaufnahmegründe bzw. Tatsachen.

Die Beschwerde war sohin als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Sie folgt vielmehr der dargestellten Rechtsprechung (vgl. ).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7100576.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at