Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.07.2024, RV/7102830/2022

Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes ins Inland

Beachte

Revision eingebracht (Amtsrevision).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Katharina Deutsch LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom gab der Bf. seine Erklärung betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 beim Finanzamt ab und beantragte ua. Kosten für Familienheimfahrten iHv. EUR 3.672,- und doppelte Haushaltsführung iHv. EUR 3.000,-.

Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt Einkommensteuer iHv. EUR -201,- fest und anerkannten die oben genannten Kosten für Familienheimfahrten und doppelte Haushaltsführung nicht an. Es begründete dazu wie folgt: "(…)Wir haben die Kosten für Familienheimfahrten von der Wohnung am Arbeitsort zum Familienwohnsitz nicht als Werbungskosten berücksichtigt. Folgende Gründe sind ausschlaggebend: Eine Wohnsitzverlegung kann zugemutet werden. Bei verheirateten oder in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Personen gibt es eine zeitliche Begrenzung von 2 Jahren für die Berücksichtigung der doppelten Haushaltsführung.(…)"

Mit Schreiben vom erhob der Bf. das Rechtsmittel der Beschwerde, beantragte die Berücksichtigung der Kosten für Familienheimfahrten und der doppelten Haushaltführung und legte ein Fahrtenbuch, die Heiratsurkunde, Ausweise von sich und seiner Gattin, eine Bestätigung des Dienstgebers und die Steuerbescheide von sich und seiner Gattin bei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Sie begründete wie folgt: "Im Ersuchen um Ergänzung vom wurde auch nach den Gründen, warum die Verlegung des Familienwohnsitzes (FWS)in die Nähe des Beschäftigungsortes unzumutbar sein soll. Nicht gemeint ist damit, dass der Familienwohnsitz so weit vom Dienstort entfernt ist, so dass die arbeitstägliche Rückkehr zum FSW nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist. Gründe, warum die Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe des Beschäftigungsortes unzumutbar sind: pflegebedürftige Angehörige, die am selben Familienwohnsitz leben; fremdenrechtliche Vorschriften, die den Nachzug der Familienmitglieder ausschließen; Unterhalts- und betreuungsbedürftige Kinder, die am gemeinsamen Familienwohnsitz leben und eine Mitübersiedlung der gesamten Familie aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist. Im Antwortschreiben vom haben Sie nur bekannt gegeben, dass der Familienwohnsitz in ***1*** so weit entfernt ist, dass Sie eine arbeitstägliche Rückkehr dorthin nicht möglich ist. Auf Gründe, warum die arbeitstägliche Rückkehr nicht zumutbar sein soll, wird nicht eingegangen d.h. diese werden nicht bekannt gegeben. Eine berufliche Veranlassung der Familienheimfahrten und der damit in Zusammenhang stehenden Kosten der doppelten Haushaltsführung liegt nicht vor, weshalb die geltend gemachten Werbungskosten nicht zuerkannt werden können und die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden muss."

Mit Schreiben vom beantragte der Bf. die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht. Er begründete wie folgt: "Sehr geehrte Damen und Herren, ich stelle innerhalb offener Frist gegen den Bescheid einen Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde (Vorlageantrag) durch das Bundesfinanzgericht. Das Finanzamt hat meiner Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid nicht stattgegeben. Ich bitte sie, die beantragten Kosten berücksichtigen. Ich bin jede Woche allein mit meinem eigenen PKW zwischen meinem Familienwohnsitz in ***1*** (Adresse: ***2***, Eigentumswohnung) und meinem Quartier am Arbeitsort in Österreich (Adresse: ***3***, Mietwohnung) hin und her gefahren. Der Familienwohnsitz in ***1*** liegt von meinem Beschäftigungsort so weit entfernt (368 km), dass eine tägliche Rückkehr nicht möglich ist. Mein Arbeitgeber hat die Fahrtkosten nicht vergütet. In ***1*** lebt meine Ehefrau am Familienwohnsitz.Das Behalten des bisherigenWohnsitzes ist auch damit begründet, dass der Verkauf unseres Eigenheims zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde und nicht die Kosten für ein neues Haus im Arbeitsort deckt. Aus diesen Gründen ist die Beibehaltung des Wohnsitzes in ***1*** nicht privat veranlasst, die Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe meines Arbeitsortes ist nicht zumutbar. Deshalb können die Aufwendungen für die Familienheimfahrten und für die doppelte Haushaltsführung meines Erachtens als Werbungskosten anerkannt werden. Aus diesen Gründen stelle ich den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht. Ich ersuche, die Bescheide des Finanzamtes zu ändern und im neuen Bescheid die beantragten Werbungskosten zu berücksichtigen. Ich bitte Sie darum, in meiner Angelegenheit als Härtefall angemessen zu verfahren und eine positive Entscheidung zu treffen.(…)"

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde zur Entscheidung dem Bundesfinanzgericht vor und führte aus wie folgt: "(…) Strittig sind im Kalenderjahr 2020 die Kosten der doppelten Haushaltsführung und Familienheimfahrten zum Familienwohnsitz in ***1*** (…). Der Bf. wurde im Ergänzungsersuchen vom betreffend Arbeitnehmerveranlagung 2020 nach den Gründen für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe des Beschäftigungsortes gefragt. Im Antwortschreiben vom ist der Bf. darauf nicht eingegangen d.h. die Frage wurde nicht beantwortet. Im Ergänzungsersuchen vom wurde ein Nachweis betreffend das Vorbringen, dass die Verlegung des Familienwohnsitzes zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde, angefordert. Im Antwortschreiben vom wurde dazu mitgeteilt, dass mit dem Verkauf des Familienwohnsitzes ein Verkaufserlös von umgerechnet rund EUR 186.000.- zu erzielen sei, womit der Ankauf einer Eigentumswohnung von ungefähr 75 m² zu finanzieren bzw. möglich ist. Beweismittel: siehe eingescannte Aktenteile Stellungnahme: (…) Ad doppelte Haushaltsführung (2020): In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist es bei den Kosten der doppelten Haushaltsführung Sache des Steuerpflichtigen, der Abgabenbehörde die Gründe zu nennen, aus denen er die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort der Beschäftigung als unzumutbar ansieht. Die Abgabenbehörde ist in einem solchen Fall nicht verhalten, nach dem Vorliegen auch noch anderer als der vom Steuerpflichtigen angegebenen Gründe für die behauptete Unzumutbarkeit zu suchen (VwGH 27.Feber 2008, 2005/13/0037 mwN). Der Bf. hat erhebliche Vermögenseinbußen gegen eine Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe des Beschäftigungsortes geltend gemacht. Die aktenführende Dienststelle des Finanzamtes Österreich beantragt die Abweisung der Beschwerde, da der behauptete Grund für die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes - die erhebliche Vermögenseinbuße - nicht vorliegt, weil der Ankauf einer angemessenen Eigentumswohnung am Beschäftigungsort möglich und eine Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe des Beschäftigungsortes zumutbar ist. Auch in Ansehung dieses Veranlagungsjahres beantragt das Finanzamt, die Beschwerde abzuweisen. Anmerkungen: Die Einkünfte des Bf. sind bei weitem ausreichend, um einen Familienwohnsitz am Beschäftigungsort finanzieren zu können. Mit dem Verkaufserlös wäre eine zweckentsprechende Wohnung in der Nähe des Beschäftigungsortes finanzierbar (gewesen). Das Unterlassen der Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe des Beschäftigungsortes erfolgte ausschließlich aus persönlichen Gründen (Beibehalten der Liegenschaft***7***) (…)." Darüber hinaus brachte die belangte Behörde vor, dass die vom Bf. vorgelegten Fahrtenbücher nicht zu berücksichtigen wären, ua. da "Google Maps" pro Strecke um 5 Km weniger ausweisen würde.

In seiner Stellungnahme vom gibt der Bf. Folgendes an: "Die Wohnung wurde auf Basis einer Schätzung bewertet. Wir möchten nicht ausziehen, das würde zu einer Scheidung führen, außerdem könnten wir von dem Geld aus dem Verkauf der Immobilie hier nicht eine ähnliche Wohnung in Österreich kaufen, das ist gar nicht zumutbar."

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, ist seit dem Jahr 2007 bei der ***5*** GmbH in ***6*** als Montagearbeiter vollzeitbeschäftigt, wobei er im Beschwerdezeitraum an mehreren Baustellen im In- und Ausland tätig war. Zwischen seinem Wohnort am Beschäftigungsort und der Anschrift seiner Arbeitsstätte verkehrt kein öffentliches Verkehrsmittel, wobei er diese Strecke mehrmals die Woche zurücklegt. Seinen Familienwohnsitz, eine Eigentumswohnung im Geburtsort seiner Gattin, ***7***, bewohnt er gemeinsam mit seiner Gattin und seinem Sohn. Die Eltern der Gattin wohnen ebenfalls ***7***. Der Familienwohnsitz liegt vom Beschäftigungsort des Bf. so weit entfernt (368 km), dass eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann. Sowohl in persönlicher Hinsicht - eine Wohnsitzverlegung des Bf. würde zu einer Scheidung der Eheleute führen - als auch in wirtschaftlicher Hinsicht - eine ortsübliche Wohnung in der Umgebung des Beschäftigungsortes würde zu einer erheblichen Vermögenseinbuße und Erhöhung der Lebenserhaltungskosten führen, kann die Verlegung des Familienwohnsitzes nicht zugemutet werden.

2. Beweiswürdigung

Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass es Sache des Steuerpflichtigen ist, der die Beibehaltung des in unüblicher Entfernung vom Beschäftigungsort gelegenen Familienwohnsitzes als beruflich veranlasst geltend macht, der Abgabenbehörde die Gründe zu nennen, aus denen er das Aufgeben des Familienwohnsitzes als unzumutbar ansieht. Der Bf. hat sowohl persönliche Gründe als auch wirtschaftliche Gründe für das Vorliegen einer Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung vorgebracht: In seiner Stellungnahme vom gibt der Bf. Folgendes an: "(…) Wir möchten nicht ausziehen, das würde zu einer Scheidung führen, außerdem könnten wir von dem Geld aus dem Verkauf der Immobilie hier nicht eine ähnliche Wohnung in Österreich kaufen, das ist gar nicht zumutbar." Dieses Vorbringen des Bf. ist glaubwürdig, da mit der langfristigen Übung seit zumindest dem Beschäftigungsbeginn im Jahr 2007, die Wohnortbeibehaltung im Ausland mit Ausübung der Beschäftigung im Inland, von einem besonderen persönlichen Grund (die Gefahr einer Scheidung und damit das Zerbrechen des Familienlebens) auszugehen ist, der die Verlegung des Familienwohnsitzes unzumutbar macht. Auch das Vorbringen des Bf. im Vorlageantrag, dass wirtschaftliche Gründe gegen die Wohnsitzverlegung ins Inland sprechen, ist glaubwürdig. Die Berechnungen der belangten Behörde und die fehlenden Nachweise zu den vorgebrachten Immobilienpreisen, trotz Aufforderung durch das Bundesfinanzgericht und das Fehlen vorliegender Kaufangebote, führen im konkreten Fall nicht zu einer wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Im Gegenteil, die belangte Behörde ist nämlich fälschlicherweise vom Umzug eines Zweipersonen- statt eines Dreipersonenhaushaltes ausgegangen. Die höheren Lebenserhaltungskosten im Inland wurden von der belangten Behörde gänzlich unberücksichtigt gelassen. Dass der Bf. vorgebracht hat, dass er Montagedienste sowohl im Inland als auch im Ausland für seinen Dienstgeber erbracht hat, hat die belangte Behörde in Bezug auf die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung gänzlich nicht berücksichtigt. Auch die Verkäuflichkeit der Immobilie im Ausland zum angegebenen Preis ist als nicht erwiesen anzunehmen. Die Differenz von fünf Kilometern bei einer Strecke von mehreren hundert Kilometern macht die Angaben des Bf. nicht weniger glaubwürdig. Es ist aber als erwiesen anzunehmen, dass die tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann, wobei die belangte Behörde darüber hinaus keine Angaben gegen die Erfüllung des objektiven Tatbestands des Vorliegens der Familienheimfahrten und doppelten Haushaltsführung vorgebracht hat. Die Angabe der belangten Behörde, die Einkünfte des Bf. "seien bei weitem ausreichend" und "mit dem Verkaufserlös wäre eine zweckentsprechende Wohnung in der Nähe des Beschäftigungsortes finanzierbar" ergeben sich jedoch nicht aus den Unterlagen des Vorlageberichtes. Aus diesem Grund ist vom Vorliegen einer erheblichen Vermögenseinbuße bei Verlegung des Familienwohnsitzes für den Bf. und somit von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit auszugehen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Gemäß § 16 Abs. 1 erster Satz EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind.

Art 4 Abs 3 EUV lautet: "Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben."

Art 45 AEUV regelt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union und lautet: "(1) Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. (2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. (3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht, a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben; b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen; c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben; d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt. (…)"

Artikel 48 Abs 1 AEUV lautet: "Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führen sie insbesondere ein System ein, das zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert: a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen; b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen."

Art 288 Abs 2 AEUV lautet: "Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat."

Art. 7 Abs. 1 VO 492/2011 (Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des europäischen Parlaments und Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union) mit der Überschrift: "Ausübung der Beschäftigung und Gleichbehandlung" bestimmt auszugsweise: "Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten (…) nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer."

Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 bestimmt, dass auf einen Arbeitnehmer gem. Art. 7 Abs. 1 VO 492/2011 Folgendes zutreffend ist: "Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer."

Art. 8 EMRK lautet: "Artikel 8 - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens:(1)Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.(2)Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen hat, ist die Beibehaltung des Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch die Erwerbstätigkeit selbst, sondern stets durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Eine berufliche Veranlassung der mit einer doppelten Haushaltsführung verbundenen Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen und deren daraus resultierende Qualifizierung als Werbungskosten liegt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort seiner Beschäftigung nicht zuzumuten ist, wobei die Unzumutbarkeit unterschiedliche Ursachen haben kann (, ; , ).

Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten sind als Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften abzuziehen, da sie so lange als durch die Einkunftserzielung veranlasst gelten, als dem Steuerpflichtigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit kann auch ihre Ursache insbesondere in der privaten Lebensführung des Bf. haben (; ; ). Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursachen auch in der privaten Lebensführung (…) des (Ehe-) Partners haben (, ). Somit ergibt sich das auch das Recht aus persönlichen Gründen der Ehegattin des Bf. in ihrem Geburtsort, wo ihre Eltern wohnen und im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Sohn und dem Bf. wohnhaft zu bleiben. Dabei handelt es sich nicht um unbedenkliche soziale Gründe, sondern um das Recht auf Beibehaltung der eigenen Wohnung und des Schutzes des Familienlebens.

Die sich aus der Bestimmung des Art. 7 Abs. 2 der VO 492/2011 ergebende Verpflichtung des Beschäftigungsstaates, nicht staatsangehörigen Arbeitnehmern die "gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen" wie inländischen Arbeitnehmern zu gewähren, spricht entscheidend dafür, dass die belangte Behörde einem nicht staatsangehörigen und damit idR nicht ansässigen Arbeitnehmer die persönlichen Steuervergünstigungen entsprechend der Proportion der in seinem Hoheitsgebiet bezogenen Einkünfte zukommen lassen muss. Der Bf. ist ausschließlich im Inland beschäftigt und geht darüber hinaus keiner weiteren Erwerbstätigkeit nach, weshalb demnach im konkreten Fall der volle Anspruch gem. § 16 Abs. 1 EStG 1988 zusteht.

Ebenso sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes in die Nähe der Arbeitsstätte auf die Umstände zu achten, wie zB. wenn (…) die Verlegung des Familienwohnsitzes mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden wäre. Eine Unterkunft, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird, im Raum Linz zu finden, würde dazu führen, dass die Kosten der Unterkunft und der Unterhalt für die Familie im Inland wesentlich höher sind als die im Wohnort des Bf. Der Verwaltungsgerichthof hat in mehreren Erkenntnissen - ; ; ; - die wesentlich niedrigeren Lebenshaltungskosten als wesentlichen Umstand, der einem Nachzug der Familie zum Beschäftigungsort entgegenstehe und eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten rechtfertige, angesehen. Im konkreten Fall ist die (Mit)Übersiedlung der gesamten Familie aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar (; ).

Im konkreten Fall ist entscheidend, dass die Aufrechterhaltung des zweiten Haushaltes ausschließlich beruflich veranlasst ist (), da der Familienwohnsitz vom Beschäftigungsort des Bf. so weit entfernt ist, dass ihm eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann. Darüber hinaus stehen auch wechselnde Arbeitsstätten des Bf. an Montagestätten im In- und Ausland, die vom Firmenquartier mehr als 100 km entfernt sind, einer Verlegung des Familienwohnsitzes entgegen (RV/1876-W/07-RS1).

Gem. dem 7. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist darauf Bedacht zu nehmen, dass der Familienwohnsitz bzw. die Wohnsitze der einzelnen Familienangehörigen grundsätzlich partnerschaftlich zwischen den Eheleuten festzulegen sind, wobei ein Eingriff bzw. ein steuerlicher Nachteil durch die belangte Behörde untersagt ist (Guide on Article 8 of the European Convention on Human Rights, Right to respect for private and family life, home and correspondence, Updated on ). Gemäß der in Art. 8 EMRK normierten Interessenabwägung, sind die starken familiären Bindungen des Bf. und seiner Gattin ***7***, zB. zum gemeinsamen Sohn, zu den Eltern der Gattin des Bf., sowie die Bindung der Eheleute zueinander (EGMR , X, Y and Z/ UK, Rn 36) und das Führen eines Familienlebens im Ausland, geschützt (). Ein besonderes öffentliches Interesse, dass einer Berücksichtigung des Familienlebens zugunsten des Bf. in einer Gesamtbetrachtung entgegenstünde, hat die belangte Behörde nicht begründet, zumal dieses nach der Judikatur des EuGHs ohnedies im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 45, 48 AEUV eng auszulegen ist (, Kommission/Deutschland, Rn 42). Auch gem. § 16 EStG 1988 ist diesbezüglich kein besonderes öffentliches Interesse normiert, das diesen Schutz des Familienlebens aufhebt.

Umstände des Einzelfalles, wie im konkreten Fall, das bestehende Familienleben des Bf. mit seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Sohn im Ausland seit dem Jahr 2007, können langfristig die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung mit sich bringen. Der Bf. konnte somit nachweisen, dass besondere Gründe vorliegen, warum eine Verlegung des Familienwohnsitzes im konkreten Einzelfall - aus wirtschaftlichen sowie aus persönlichen Gründen - unzumutbar ist (), weshalb - und gemäß dem Antrag der belangten Behörde nach Abzug der vom Arbeitgeber gewährten Zuschüsse - der Abzug von Werbungskosten vorzunehmen ist.

Aus den oben genannten Gründen ist spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Dieses Erkenntnis folgt der in diesem Erkenntnis zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung (Verwaltungsgerichtshof, Europäische Gerichtshöfe) und den angeführten Normen. Die Tatsachenfeststellungen ergeben sich aufgrund der Anwendung der Grundsätze zur freien Beweiswürdigung. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 16 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 4 Abs. 3 EUV, EU-Vertrag, ABl. Nr. C 202 vom S. 1
Art. 45 AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 202 vom S. 47
Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 48 Abs. 1 AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 202 vom S. 47
Art. 8 EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958
Art. 7 Abs. 1 VO 492/2011, ABl. Nr. L 141 vom S. 1
Art. 288 Abs. 2 AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 202 vom S. 47
Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011, ABl. Nr. L 141 vom S. 1
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102830.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at