Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 03.07.2024, RV/3100470/2023

1. Auslegung des Parteienvorbringens 2. Antrag auf Wiederaufnahme: Neu erstellte Bilanzen bilden keinen Wiederaufnahmegrund

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden ***Ri***, den Richter Dr. ***1*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***2*** und
***3*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***4***, ***5***, in der Verhandlung vertreten durch ***Vertreter***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer der Jahre 2013 bis 2016, Steuernummer ***BF1StNr1***, in Anwesenheit der Schriftführerin ***6***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Trotz entsprechender Aufforderungen wurden von der beschwerdeführenden Partei (kurz: bP) keine Umsatzsteuerjahreserklärungen und Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2013 bis 2016 abgegeben.
Am (betreffend 2013), am (betreffend 2014), am (betreffend 2015) und am (betreffend 2016) ergingen daher Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide, bei denen die Bemessungsgrundlagen vom Finanzamt im Schätzungswege ermittelt wurden.

2. Nur gegen die Bescheide vom betreffend das Veranlagungsjahr 2016 wurde am Beschwerde erhoben.
In der Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid wurde ausgeführt:
"Die (Gesellschaft) hat im Jahr 2016 die Vermietung des einzigen Bestandobjektes an Studenten aufgrund eines anhängigen Streites mit einem Gesellschafter nicht mehr fortgesetzt. Die Beschwerdeführerin übt keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr aus, sondern verwaltet lediglich Grundstücksbesitz. Es wird daher beantragt, den Bescheid aufzuheben und die sich aus dem Bescheid ergebende Zahlungspflicht bis zur rechtskräftigen Erledigung auszusetzen."


  • In der Beschwerde gegen den Körperschaftsteuerbescheid wurde ausgeführt:
    "Die (Gesellschaft) erzielte im Jahr 2016 keinen bilanziellen Gewinn. Dass die Gesellschaft keine bilanziellen Gewinne erzielte ist aus den beim Firmenbuch eingereichten Bilanzen ersichtlich. Die belangte Behörde hat nicht sämtliche, ihr zugänglichen Dokumente für eine Schätzung der zukünftigen Einnahmen der Beschwerdeführerin verwendet und ist somit zu einem falschen Ergebnis gekommen.
    Bei Berücksichtigung aller bekannten Informationen, insbesondere den Bilanzen aus der Vergangenheit als auch der Bilanz aus dem Jahr 2016 in Verbindung mit den bekannten Informationen, dass die Beschwerdeführerin lediglich Grundstücksbesitz verwaltet, hätte die belangte Behörde zur Erkenntnis kommen müssen, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2016 einen Verlust in Höhe von 56.702,44 Euro erzielte."

3. Nach verfahrensrechtlichen Zwischenschritten (Mängelbehebungsauftrag, Beschwerdevorentscheidung vom , mit der die Beschwerde als zurückgenommen erklärt wurde, Vorlageantrag und Erkenntnis des , mit dem die Beschwerdevorentscheidungen vom aufgehoben wurden) ergingen die Beschwerdevorentscheidungen vom : Die Umsatzsteuer 2016 wurde mit 280,63 Euro festgesetzt und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 8.044,70 Euro angesetzt. Dies erfolgte nicht entsprechend dem Beschwerdebegehren vom , sondern entsprechend dem vom Beschwerdebegehren abweichenden Anbringen der bP vom (Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens).

4. Mit Schreiben vom , eingelangt beim Finanzamt am , wurde ein Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer der Jahre 2013 bis 2016 gestellt.
Als Wiederaufnahmegrund wurde angegeben:
"Im Rahmen der Aufarbeitung der Buchhaltung welche vor zwei Monaten begonnen wurde und schließlich am abgeschlossen werden konnte, wurde festgestellt, dass die vom Finanzamt geschätzten Werte wesentlich vom tatsächlichen Wert abweichen."
Beantragt wurde "die jeweiligen Verfahren wieder aufzunehmen und die jeweiligen Bescheide entsprechend der Begründung abzuändern".

5. Am ergingen die Bescheide, mit denen der Antrag vom auf Wiederaufnahme der Verfahren abgewiesen wurde.
Als Begründung wurde jeweils angegeben:
"Eine Wiederaufnahme auf Antrag setzt voraus, dass die geltend gemachten Tatsachen oder Beweismittel dem Antragsteller im abgeschlossenen Verfahren noch nicht bekannt waren. RA 2014/15/0058, , Ro 2016/15/0036, , Ro 2015/13/0011).
Im gegenständlichen Fall wurde die Besteuerungsgrundlage aufgrund Nichtabgabe der Steuererklärung geschätzt. Aus Sicht des Antragstellers ergeben sich somit keine neuen Tatsachen oder Beweismittel, siehe oben genannte Höchstgerichtliche Entscheidungen. Mangels tauglichem Wiederaufnahmegrund war der Antrag somit zwingend aus Rechtsgründen abzuweisen."

6. Am wurde, nach zwei Fristverlängerungsanträgen, fristgerecht über FinanzOnline Beschwerde gegen die Abweisungsbescheide vom erhoben.
Die Begründung lautet:

"A) Entgegen der Rechtsmeinung der belangten Behörde ist der Antrag berechtigt, schon allein aufgrund des von der Behörde selbst festgestellten Umstandes, dass in den bisherigen Verfahren die Einkünfte lediglich geschätzt worden sind und daher im Wiederaufnahmeverfahren vorgelegten Bilanzen zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus hat die belangte Behörde die Verpflichtung in Kenntnis des vom Schätzungsergebnis deutlich abweichenden Bilanzergebnisses bereits von Amts wegen eine Wiederaufnahme der Verfahren vorzunehmen.

Weiters waren die Anträge auf Bescheidaufhebung binnen Jahresfrist der bezugnehmenden Steuerbescheide beantragt worden, wodurch diese auch nach §299 BAO aufgrund der objektiven Unrichtigkeit jedenfalls zu korrigieren waren, sowohl durch den Antrag selbst als auch von Amts wegen, wodurch die Behörde seit jedenfalls säumig ist, das Verfahren von Amts wegen wiederaufzunehmen.

  • Hierbei darf ausdrücklich auf die Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen verwiesen werden, dass - ungeachtet der Richtigkeit der Feststellung der Behörde im Abweisungsbescheid - (sic)
    ´Der Bescheidspruch ist nicht nur bei unzutreffender Auslegung von Rechtsvorschriften inhaltlich rechtswidrig. Er ist auch rechtswidrig, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt wurden; dies auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung auf mangelnde Kenntnis der Abgabenbehörde (zB als Folge mangelnder Offenlegung durch die Partei) zurückzuführen ist. Ebenso wie etwa bei Verfügungen der Wiederaufnahme des Verfahrens (
    § 303 Abs. 4 BAO) hat die Ermessensübung insbesondere den Vorrang des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Rechtsrichtigkeit) vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu beachten.'

  • Die Behörde war daher jedenfalls verpflichtet, da spätestens mit und somit binnen Jahresfrist in Kenntnis der Unrichtigkeit, die Bescheide jedenfalls von Amts wegen aufzuheben und mit einem dem Antrag entsprechenden Bescheid zu ersetzen.

  • Schließlich ist auch anzumerken, dass sämtliche Wiederaufnahmeanträge der ebenfalls hiervon betroffenen Gesellschaften bzw. verbundenen Unternehmen entsprochen worden ist und daher eine Wiederaufnahme bereits aus diesem Grund zur Beachtung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Amts wegen zu erfolgen hat.

  • B) Es wird daher beantragt die gegenständlichen Bescheide aufzuheben, dem ursprünglichen Antrag stattzugeben und die betreffenden Bescheide antragsgemäß aufzuheben / abzuändern. Weiters wird im Falle der Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragt:
    1) die Entscheidung mittels Dreier-Senat zu treffen
    2) eine mündliche Verhandlung abzuhalten
    Als Zeuge im Verfahren und zur mündlichen Verhandlung wird
    ***Vertreter***, ***Bf1-Adr***
    angeboten, insbesondere hinsichtlich der Fragen, ob ein Wiederaufnahmegrund und den dafür erforderlichen Tatsachen besteht."

7. Am verfasste das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen werden sollte, allerdings erfolgte keine ordnungsgemäße Zustellung an die Geschäftsführerin der bP und wurde die Beschwerdevorentscheidung dem Finanzamt nach der Hinterlegung beim Postamt rückübermittelt.

8. Nach Säumnisbeschwerde vom erging am eine inhaltsgleiche Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen wurde.

9. Am wurde, nach Fristverlängerung, fristgerecht über FinanzOnline ein Vorlageantrag eingebracht und vorgebracht:
"Ergänzend wird erwähnt, dass den von der Behörde vorgeworfenen fehlenden steuerlichen Wohlverhaltens ebenso entgegen gehalten wird, dass diese sowohl den Wiederaufnahmeantrag (aus dem Jahre 2018 !!!) erst nach ausdrücklicher Aufforderung durch den Abgabepflichtigen überhaupt nach Monaten der Einbringung überhaupt im System angemerkt hatte, diesen aber nicht weiter bearbeitete, sodass bereits hinsichtlich des Antrages selbst eine Säumnisbeschwerde erfolgen musste und dass in weiterer Folge trotz einer Beschwerde hinsichtlich der Abweisung des Wiederaufnahmeantrages erneut der Abgabepflichtigte eine Säumnisbeschwerde einbringen musste, sodass die Finanzbehörde sich nach mehr als FÜNF JAHREN überhaupt mit dem Sachverhalt beschäftigte. Folglich muss auch der Behörde ein eindeutig fehlendes Wohlverhalten nachgesagt werden, insbesondere da diese Verzögerungen nicht beim gegenständlichen Verfahren vorliegen, sondern bei zahlreichen weiteren, und zwar ausschließlich jenen, die den Abgabepflichtigen begünstigen würden. Im Übrigen hat die Behörde den Grundsatz der Abgabenrichtigkeit vorzuziehen, zumal die Behörde bereits Ihre Schätzungen in grober Abweichung zu den aus den Vorjahren sich ergebenden Einkünften und Umsätzen ermittelt hat, und somit bereits bei der Schätzung sich der Unrichtigkeit der vorgenommenen Schätzung bewusst sein musste. Überdies hat die Behörde bei der Schätzung nicht einmal die Vorjahresverluste berücksichtigt, wodurch die Schätzergebnisse in einem weiteren Punkt nicht nachvollziehbar sind. Schließlich übersieht die Behörde, dass sich Abänderungsantrag hilfsweise auch auf §299 BAO stützte (und stützt) und folglich ausschließlich die sachliche Unrichtigkeit des Bescheides relevant ist."

10. Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor, beantragte die Abweisung und nahm ergänzend Stellung.
Der bP seien die Unterlagen bzw. zumindest die Grundlagen für die Erstellung der Bilanzen bereits bekannt gewesen. Die Erstellung von auf bereits vorhandenen und bekannten Belegen beruhenden Buchhaltungen, Jahresabschlüssen sowie Steuererklärungen bewirken nicht das Hervorkommen neuer Beweismittel/Tatsachen im Sinne des § 303 BAO.
Der Inhalt des Antrags vom sei nach dem objektiven Erklärungswert ein Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren und kein Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO.
Eine amtswegige Aufhebung gemäß § 299 BAO sei wegen des Ablaufes der für eine solche Maßnahme maßgebenden Jahresfrist des § 302 Abs 1 BAO zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht in Betracht gekommen.
Jeder Schätzung sei eine gewisse Ungenauigkeit immanent. Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt (insbesondere wie bei der im vorliegenden Fall wiederholten nicht erfolgten Abgabe von Steuererklärungen trotz - mehrfacher - entsprechender Aufforderungen; Nichtbeantwortung des Vorhalts vom trotz gegenteiliger Ankündigung), muss diese mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen. Erschwerend komme hinzu, dass mittlerweile seit dem Jahr 2018 bis einschließlich 2021 wieder keine Steuererklärungen abgegeben worden seien und Schätzungen erfolgten -Rechtsmittel wurden hierzu jeweils bereits eingebracht.

11. Mit Beschluss vom wurde ***Vertreter*** vom Bundesfinanzgericht zur schriftlichen Zeugenaussage binnen vier Wochen aufgefordert. Dieser Beschluss wurde ordnungsgemäß zugestellt, aber es erfolgte keine Zeugenaussage.

12. Mit Beschluss vom wurde die bp aufgefordert mitzuteilen, welche konkreten Tatsachenbehauptungen im Einzelnen durch den als Zeugen angebotenen ***Vertreter*** erwiesen werden sollen. Der erste Zustellversuch scheiterte wegen Ortsabwesenheit der bP bis .
Der zweite Zustellversuch war erfolgreich. Die Geschäftsführerin teilte mit Schreiben vom , dass der als Zeuge beantragte ***Vertreter*** die Parteienvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung übernehmen werde. ***Vertreter*** habe die Buchhaltung und Jahresabschlüsse erstellt und könne detailliert berichten.

13. Die Ladung zur Verhandlung erfolgte mit Zustellung durch Hinterlegung (nicht behoben).
Am erfolgte darüber hinaus eine persönliche Übergabe der Ladung durch den Senatsvorsitzenden an der Zustelladresse an ***Vertreter***.

14. Die mündliche Senatsverhandlung fand am statt.
Der Vertreter der bP brachte ergänzend vor, dass der streitgegenständliche Antrag von der Geschäftsführerin selbst gestellt worden sei. Die Jahresabschlüsse und Abgabenerklärungen würden seit Jahren von ihm, einem ausgebildeten Betriebswirt, erstellt.
Die Unterlagen für die Unternehmensbilanzen seien, soweit erinnerlich, bereit gewesen, wurden aber nicht abgegeben.
Die verspätete Abgabe der betreffenden Abgabenerklärungen beruhe auf einem existenzbedrohenden Rechtsstreit mit einem Mitgesellschafter. Dieser Rechtsstreit sei im Sommer 2018 beendet worden.
Bezüglich der Schätzung des Finanzamtes wurde vorgebracht, dass die Vorsteuer deutlich zu niedrig geschätzt worden sei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Das Anbringen der bP vom hat im Wesentlichen folgenden Inhalt:

"Betreff: Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer der Jahre 2013 bis 2016

Hiermit beantragt die Bauerrichtung Dr. Stumpfstr. 46 GmbH die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der oben genannten Bescheide.

Begründung:

Im Rahmen der Aufarbeitung der Buchhaltung welche vor zwei Monaten begonnen wurde und schließlich am abgeschlossen werden konnte, wurde festgestellt, dass die vom Finanzamt geschätzten Werte wesentlich vom tatsächlichen Wert abweichen.

Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurden im Veranlagungsjahr 2013 vom Finanzamt Innsbruck im Schätzungswege ermittelt. Dabei ermittelte das Finanzamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von 10.000 Euro. Tatsächlich betrugen die Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Veranlagungsjahr gemäß der am neu erstellten Steuerbilanz -5.419,74 Euro.

(…)

[Anmerkung Richter: Es folgen gleichlautend die Begründungen für die anderen Verfahren. Es wird dabei jeweils auf eine "neu erstellte Steuerbilanz" verwiesen]

Antrag:
Es wird daher beantragt, die jeweiligen Verfahren wieder aufzunehmen und die jeweiligen Bescheide entsprechend der Begründung abzuändern."

Dem Antrag beigelegt waren die "neu erstellten" Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der betreffenden Jahre 2013 bis 2016. Es waren keine steuerliche Mehr-Weniger-Rechnungen oder Steuererklärungen beigelegt.

Im Wiederaufnahmeantrag wird nicht dargetan und auch im Beschwerdeverfahren nicht behauptet, dass der bP die Existenz von Belegen oder Geschäftsfällen, die neu hervorkommende Tatsachen oder Beweismittel im Sinne des § 303 BAO bilden könnten, nicht bekannt gewesen wäre.

Die Jahresabschlüsse und Abgabenerklärungen werden seit Jahren von ***Vertreter*** erstellt. Dieser ist ausgebildeter Betriebswirt. Die Unternehmensbilanzen waren zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits erstellt.
Den streitgegenständlichen Antrag hat die Geschäftsführerin ***4*** selbst gestellt, diese ist ausgebildete Juristin.
Die beiden Personen sind verheiratet und wohnen im selben Haushalt am ***5***.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Akten.
Die persönlichen Angaben zu den Gesellschaftern der bP ergeben sich aus dem Vorbringen von ***Vertreter*** in der mündlichen Verhandlung.

Der Inhalt des Anbringens der bP vom ist unstrittig.

Einem Abgabepflichtigen sind in der Regel am Ende eines Veranlagungsjahres sämtliche Geschäftsfälle bekannt und verfügt er über sämtliche Beweismittel, die für die steuerliche Veranlagung maßgeblich sind.
Das Bundesfinanzgericht geht daher davon aus, dass die den Jahresabschlüssen zugrundeliegenden Geschäftsfälle der bP im Zeitpunkt der Erlassung der Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2016 bereits bekannt waren.
Diese Annahme wird bekräftigt durch die Angabe von ***Vertreter*** in der mündlichen Verhandlung. Er teilte mit, dass er die Bilanzen vorbereitet und die Unterlagen bereit gewesen seien, aber die Bilanzen nicht abgegeben wurden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

3.1.1. Beurteilung des Parteianbringens

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss.

Im gegenständlichen Fall ist der Antrag nicht nur im Betreff als "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens" bezeichnet, sondern wird noch zwei Mal im Text ausdrücklich die "Wiederaufnahme der Verfahren" beantragt. Als Wiederaufnahmegrund wird zu den jeweiligen Verfahren insgesamt acht Mal die "neu erstellte Steuerbilanz" angegeben.
Es findet sich im Anbringen vom kein (sei es auch nur sinngemäßer) Hinweis, der eine Deutung des Anbringens als Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO zulassen würde.

Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Allerdings kann auch bei rechtsschutzfreundlicher Interpretation von Parteienerklärungen nicht die Befugnis oder Pflicht der Behörde abgeleitet werden, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nichterstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (vgl ; ; , je mwN).
Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, nach außen hin auch nur andeutungsweise nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (vgl , mwN; vgl auch - zu § 13 AVG - ).

Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts besteht kein Zweifel am objektiven Erklärungswert des Anbringens.
Auch wenn das strittige Anbringen in der Jahresfrist gestellt wurde und damit ein Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO möglich gewesen wäre, kann dem Anbringen kein anderer Inhalt als dem eines Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren beigemessen werden.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Jahresabschlüsse und Abgabenerklärungen von einer rechtskundigen Person verfasst wurden. Die Gesellschafter der bP haben eine betriebswirtschaftliche bzw. juristische Ausbildung und verfügen aufgrund vieler Rechtstreite in den vergangenen Jahren über eine reiche Erfahrung mit dem relevanten Abgaben- und Beschwerdeverfahren.

3.1.2. Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. , mwN).
Neu hervorkommen können als Beweismittel (§ 166 BAO) etwa Urkunden (§ 168 BAO) und Aufzeichnungen (zB solche gem § 124 BAO).

Wie schon wiederholt vom Verwaltungsgerichtshof, ausgesprochen, ist Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. ; ). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ).

Bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen. Die bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existierenden Tatsachen oder Beweismittel müssen also aus Sicht des Abgabenpflichtigen später neu hervorgekommen sein. Hatte der Abgabenpflichtige im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits Kenntnis von diesen Tatsachen oder Beweismitteln, ist ein Antrag auf Wiederaufnahme als unbegründet abzuweisen (vgl. ; ).

Umstände, die der Partei im Zeitpunkt der Entscheidung zwar bekannt, jedoch (etwa aufgrund einer Verletzung der Offenlegungs- und Wahrheitspflicht) bei der Bescheiderlassung nicht berücksichtigt werden konnten, bilden keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund für eine Wiederaufnahme auf Antrag der Partei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 88/14/0113, bereits ausgesprochen, dass eine Bilanz, die erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens hergestellt worden ist, aus Sicht des Antragstellers weder eine neu hervorgekommene Tatsache noch ein neu hervorgekommenes Beweismittel iSd § 303 BAO darstellt, weil sie erst nach dem Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstanden ist; als neu hervorgekommen könnten nur Belege beurteilt werden, deren Existenz der Revisionswerberin nicht bekannt gewesen ist.

Schon nach der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (zB ; , 2008/15/0209) hatte das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern es soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen.

Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren wurde wie folgt begründet:
"Im Rahmen der Aufarbeitung der Buchhaltung welche vor zwei Monaten begonnen wurde und schließlich am abgeschlossen werden konnte, wurde festgestellt, dass die vom Finanzamt geschätzten Werte wesentlich vom tatsächlichen Wert abweichen."
Es wurde außerdem mehrmals auf die "neu erstellten Steuerbilanzen" hingewiesen.

Im Wiederaufnahmeantrag wird nicht dargetan und auch in der Beschwerde nicht behauptet, dass der bP die Existenz von Belegen oder Geschäftsfällen, die neu hervorkommende Tatsachen im Sinne des § 303 BAO bilden könnten, nicht bekannt gewesen wäre.
Die Erstellung von auf bereits vorhandenen und bekannten Belegen beruhenden Buchhaltungen, Jahresabschlüssen, Bilanzen sowie Steuererklärungen bewirkt nicht das Hervorkommen neuer Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (vgl. nochmals ).
Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren war daher zu Recht vom Finanzamt abzuweisen.

3.1.3. Besteht eine Verpflichtung der Behörde zur Wiederaufnahme der Verfahren von Amts wegen oder zur Bescheidaufhebung nach § 299 BAO von Amts wegen?

Die bP wendet in der Beschwerde Folgendes ein:
"Darüber hinaus hat die belangte Behörde die Verpflichtung in Kenntnis des vom Schätzungsergebnis deutlich abweichenden Bilanzergebnisses bereits von Amts wegen eine Wiederaufnahme der Verfahren vorzunehmen.
Weiters waren die Anträge auf Bescheidaufhebung binnen Jahresfrist der bezugnehmenden Steuerbescheide beantragt worden, wodurch diese auch nach §299 BAO aufgrund der objektiven Unrichtigkeit jedenfalls zu korrigieren waren, sowohl durch den Antrag selbst als auch von Amts wegen, wodurch die Behörde seit jedenfalls säumig ist, das Verfahren von Amts wegen wiederaufzunehmen.
(Verweise auf Erlässe des Bundesministeriums für Finanzen)
Die Behörde war daher jedenfalls verpflichtet, da spätestens mit und somit binnen Jahresfrist in Kenntnis der Unrichtigkeit, die Bescheide jedenfalls von Amts wegen aufzuheben und mit einem dem Antrag entsprechenden Bescheid zu ersetzen.
"

Dazu ist festzustellen, dass § 303 BAO entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Partei kein subjektives Recht auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens einräumt (vgl. die Erkenntnisse des , mwN; und ; vgl. auch die Beschlüsse des , und vom , 2013/13/0078).
Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass die Partei eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens durch die Weigerung der Behörde, von Amts wegen die Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen, in ihren Rechten oder rechtlich geschützten Interessen nicht verletzt wird (vgl. das Erkenntnis des , VfSlg. 9141).

Selbst wenn das strittige Anbringen vom als Anregung einer amtswegigen Wiederaufnahme gedeutet würde, wäre für die bP daraus nicht zu gewinnen, weil eine solche Anregung keine Entscheidungspflicht der Behörde begründet (vgl. und ).
Ebenso steht eine amtswegige Bescheidaufhebung nach § 299 BAO im Ermessen der Behörde und besteht kein subjektives Recht der Partei darauf.

Nach Vorbringen der belangten Behörde war eine amtswegige Bescheidaufhebung zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung auch deshalb nicht mehr möglich, weil die Jahresfrist gem. § 302 Abs. 1 BAO bereits abgelaufen war.

Soweit die bP im Vorlageantrag der belangten Behörde vorwirft, die Schätzung in grober Abweichung zu den aus den Vorjahren sich ergebenden Einkünften und Umsätzen ermittelt zu haben und somit bereits bei der Schätzung sich der Unrichtigkeit bewusst sein hätte müssen, ist zu entgegnen, dass die Schätzung der Umsätze in den Umsatzsteuererklärungen den Angaben der bP im Antrag vom sehr nahe kommt. Die Umsätze für 2013 wurden sogar geringer eingeschätzt:


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Jahr
Schätzung Umsätze 10%
Antrag
2013
75.000
78.465
2014
80.000
78.148
2015
90.000
75.312

Unverständlich ist für das Bundesfinanzgericht der Vorwurf der bP im Vorlageantrag, wonach Vorjahresverluste nicht berücksichtigt worden seien, wodurch die Schätzungsergebnisse in einem weiteren Punkt nicht nachvollziehbar seien.
Die belangte Behörde hat sehr wohl in allen Jahren den Verlustabzug, der gemäß § 8 Abs. 4 Z 2 lit. a KStG 1988 mit 75% beschränkt ist, vorgenommen. Dies ist eindeutig auf den Körperschaftsteuerbescheiden erkennbar. Im Übrigen wurde die Körperschaftsteuer für die betreffenden Jahre auch nicht über der Höhe der Mindestkörperschaftsteuer festgesetzt.
Soweit in der mündlichen Verhandlung von der bP gerügt wird, dass die Vorsteuern deutlich zu niedrig geschätzt worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass jeder Schätzung eine gewisse Ungenauigkeit immanent ist (zB. ). Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen (zB ).
Eine grobe Fehlerhaftigkeit der Schätzungen der belangten Behörde ist für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar.

Ergänzend wird angemerkt, dass dem Begehren der bP bezüglich der Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer des Jahres 2016 bereits mit den Beschwerdevorentscheidungen vom voll entsprochen wurde.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die vertretbare Auslegung eines Antrags geht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und vermag sohin keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen. Auch der Frage, ob besondere Umstände des Einzelfalles eine andere Auslegung einer Erklärung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. , mwN).
Bei den zu lösenden Rechtsfragen richtet sich das gegenständliche Erkenntnis nach der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung.
Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100470.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at