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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.07.2024, RV/7102169/2024

Keine res iudicata bei fehlendem Sachbescheid nach Aufhebung gem. § 299 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Maria Daniel über die Beschwerde von Bf***, Bf-Adr*** vertreten durch Victoria Ramstorfer, Bruno-Marek-Allee 5 Tür 10/5, 1020 Wien, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Zurückweisung des Antrags auf Familienbeihilfe vom , eingebracht am zu Recht:

Der Zurückweisungsbescheid vom wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrenslauf

Mit Bescheid vom forderte die belangte Behörde die Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum Februar 2019 bis September 2022 von der Beschwerdeführerin zurück. Gegen diesen Bescheid wurde kein Rechtsmittel eingebracht.

Am übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde zusätzlich zu einem ausgefüllten Formular (Beih 100) ein Schreiben, in welchem sie auf ihre finanzielle und persönliche Situation hinweist und abschließend darum bittet, ihr die Schulden zu erlassen.

Das ausgefüllte und unterfertigte Formular beinhaltet einen Eigenantrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab .

Mit diesem Schreiben versuche die Beschwerdeführerin darzulegen, dass sie ihr Studium zu jeder Zeit ernst genommen habe und immer noch zielstrebig auf den Abschluss hinarbeite. Diesem Schreiben waren folgende Beilagen angeschlossen: Studienblatt, Bestätigung des Studienerfolges mit Angabe der bisher erreichten ECTS-Punkte, Rechnung der JKU vom , Home-Klausur aus Übung Strafrecht II vom , Multiple Choice Test am aus Arbeitsgemeinschaft Materielles Strafrecht.

Mittels Eingabe vom übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde weitere Unterlagen für den Nachweis ihres Studienerfolgs und nimmt im Begleitschreiben auf ihren "Antrag auf Familienbeihilfe in komplexem Kontext" vom Bezug.

Die belangte Behörde wies den Antrag auf Familienbeihilfe vom , eingebracht am , mit Bescheid vom als unzulässig zurück, da bereits mit Bescheid vom rechtskräftig über diesen Zeitraum abgesprochen worden sei.

Gleichzeitig erließ die belangte Behörde einen Aufhebungsbescheid gem § 299 BAO, wonach der Bescheid vom betreffend Rückforderung der Familienbeihilfe und Kindeabsetzbeträge für den Monat Februar 2019 aufgehoben wurde, da der Anspruch für diesen Monat zu Recht bestanden habe.

Zwar wurde eine neue Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe am ausgestellt, jedoch kein neuer Rückforderungsbescheid erlassen.

Mit Eingabe vom brachte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid vom fristgerecht ein.

Nach Ansicht der steuerlichen Vertretung stelle der Antrag der damals unvertretenen Beschwerdeführerin vom auf Gewährung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge nach seinem objektiven Erklärungswert einen Antrag auf Aufhebung nach § 299 BAO dar.

Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Begleitschreiben ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen ihre Ansprüche auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge im relevanten Zeitraum noch bestanden hätten und drücke damit aus, dass der Spruch des Bescheides vom unrichtig sei. Es komme klar zum Ausdruck, dass die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Rückforderungsbescheides begehre.

Die Beschwerdeführerin sei seit dem Wintersemester 2018 durchgehend für das Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität in *** inskribiert gewesen. Dieser Studiengang sei dadurch gekennzeichnet, dass die umfangreichen Fachprüfungen einer monatelangen Vorbereitung durch Selbststudium und das Besuchen von Lehrveranstaltungen bedürften, was den Nachweis von regelmäßigen Prüfungserfolgen erschwere.

Im Studienjahr 2019 habe die Beschwerdeführerin 20,5 ECTS-Punkte in Form von positiv abgeschlossenen Prüfungen erreicht. Zwei Prüfungen aus dem Bereich Strafrecht habe sie nicht bestanden. Während des Jahre 2019 habe sie regelmäßig weitere Lehrveranstaltungen besucht.

Im Sommersemester 2020 habe sie zwei weitere Prüfungen mit insgesamt 9 ECTS-Punkten erfolgreich abgeschlossen.

In der Folge habe sie sämtliche Lehrveranstaltungen, die während des pandemiebedingten Lockdowns online im Bereich Strafrecht angeboten wurden, besucht und sei im Jänner und März 2021 zu insgesamt 4 Prüfungen angetreten. Sie habe jedoch lediglich zwei Prüfungen positiv abgeschlossen.

Im April und Juni 2021 sei die Beschwerdeführerin zu den Übungsklausuren "Übung Strafrecht II" angetreten. Die Prüfung im September 2021 habe sie jedoch nicht bestanden.

Kurz darauf sei die Beschwerdeführerin an Covid-19 erkrankt und habe aufgrund von Long-Covid-Symptomen nur eingeschränkt Studienerfolge erzielen können.

Die Behörde gehe in ihrem Aufhebungsbescheid davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihr Studium bis Februar 2019 noch ernsthaft und zielstrebig betrieben habe. Diese von der Behörde angenommene "innere Umkehr" könne jedoch nicht bereits ab März 2019 eingetreten sein, da die Beschwerdeführerin, motiviert durch ihre Prüfungserfolge Anfang 2019, bestärkt gewesen sei ihr Studium abzuschließen. Zu dieser Einschätzung sei auch die Stipendienstelle der Studienbeihilfebehörde gelangt, da der Beschwerdeführerin bis Februar 2023 Studienbeihilfe gewährt worden sei.

Das Studium habe im relevanten Zeitraum die gesamte Zeit der Beschwerdeführerin in Anspruch genommen. Es könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie ihren Betreuungspflichten für ihren minderjährigen Sohn nachgekommen sei.

Die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe dürften nicht derart überspannt werden, dass diese nur von Personen mit keinerlei anderen Verpflichtungen erfüllt werden könnten. Ferner hätten die Auswirkungen der Pandemie die Beschwerdeführerin als "quasi alleinerziehende Mutter" unverschuldet besonders getroffen. Sie habe kaum Unterstützung durch ihre Familie bzw den Kindesvater erhalten. Es sei in dieser Zeit besonders schwierig für die Beschwerdeführerin gewesen, ausreichend Zeit für ihr Studium zu schaffen.

Seit Oktober 2020 sei die Beschwerdeführerin wegen einer neurologischen Erkrankung in ärztlicher Behandlung, die sich durch eine Covid-19-Infektion im Oktober 2021 verschlechtert habe. Die Beschwerdeführerin sei dennoch fest entschlossen, ihr Studium in absehbarer Zeit abzuschließen.

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.

Der Vorlageantrag wurde mittels Finanzonline fristgerecht eingebracht. Es sei nach wie vor unklar, wie die belangte Behörde zu dem Schluss gelangt sei, dass die Beschwerdeführerin ihr Studium ab April 2019 nicht mehr ernsthaft und zielstrebig betrieben habe bzw lasse die Beschwerdevorentscheidung sowie der bekämpfte Bescheid diesbezügliche Feststellungen vermissen.

Mit Eingabe vom reichte die steuerliche Vertretung einen Antrag auf Aufhebung gem § 299 BAO betreffend Rückforderungsbescheid vom ein. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen. Die diesbezüglich eingebrachte Beschwerde wurde mittels Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Ein Vorlageantrag wurde nicht eingebracht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Im gegenständlichen Fall ist strittig, ob der am bei der belangten Behörde mittels Formular eingebrachte Antrag auf Familienbeihilfe als solcher zu werten ist oder in Verbindung mit dem Begleitschreiben einen Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO darstellt bzw ob bezüglich des streitgegenständlichen Zeitraums durch die belangte Behörde bereits rechtskräftig entschieden wurde.

Sachverhalt

Gegen den Rückforderungsbescheid vom betreffend Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum Februar 2019 bis September 2022 wurde keine fristgerechte Bescheidbeschwerde eingebracht.

Die Beschwerdeführerin reichte bei der belangten Behörde am das Formular "Beih 100" ein, in welchem sie durch Ankreuzen im Punkt 3 die Zuerkennung der Familienbeihilfe ab beantragte. Gleichzeitig legte sie im Begleitschreiben zum Nachweis der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit den Ablauf ihres bisherigen Studiums mit diversen abgelegten Prüfungen bzw Prüfungsantritten dar und weist auf ihre schwierige finanzielle, persönliche und gesundheitliche Lage hin. Im letzten Satz ihres Schreibens bittet sie um Erlass der Schulden. Ein Antrag auf Aufhebung des Bescheides wurde nicht gestellt und ist daraus auch nicht ableitbar.

Der Rückforderungsbescheid vom wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom aufgehoben. Es wurde eine neue Mitteilung über den Bezug der Familie ausgestellt. Ein neuer Sachbescheid (Rückforderungsbescheid) wurde nicht erlassen.

Beweis wurde erhoben durch die bereits im Verfahrensverlauf zitierten vorgelegten Aktenteile der belangten Behörde und Einsicht in den elektronischen Akt.

Die Beschwerdeführerin führte in ihrem am eingebrachten Schreiben aus, dass sie ihr Studium zu jeder Zeit ernst genommen habe und noch immer zielstrebig auf den Abschluss hinarbeite. Sie schilderte in der Folge ihren bisherigen Studienablauf mit Angabe der Teilnahme an diversen Prüfungen und Lehrveranstaltungen und bat abschließend um Erlass der Schulden. Dabei äußerte sie nicht die Meinung, dass der Rückforderungsbescheid vom zu Unrecht ergangen sei.

Die Ansicht des Bundesfinanzgerichtes, wonach es sich nicht um einen Antrag gem § 299 BAO handelt, wird durch das weitere Anbringen der Beschwerdeführerin vom bestärkt, in welchem auf den am eingebrachten "Antrag auf Familieneihilfe in komplexem Kontext" Bezug genommen wurde.

Darüber hinaus hat die steuerliche Vertretung mittels Eingabe vom einen expliziten Antrag auf Aufhebung gem § 299 BAO betreffend Rückforderungsbescheid vom eingebracht. Auch daraus ist für das Bundesfinanzgericht ableitbar, dass es sich bei dem am bei der belangten Behörde eingebrachten Antrag gerade nicht um einen Antrag auf Aufhebung des Bescheides vom gehandelt hat.

Rechtliche Würdigung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Allerdings kann auch bei rechtsschutzfreundlicher Interpretation von Parteienerklärungen nicht die Befugnis oder Pflicht der Behörde abgeleitet werden, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nichterstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (vgl ; , 2011/13/0082; , Ra 2019/15/0005).

Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, nach außen hin auch nur andeutungsweise nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (vgl , mwN). Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Behörde gehalten, die Absicht der Partei zu erforschen (vgl ; , 2012/15/0071; , Ra 2018/15/0108).

Die steuerliche Vertretung bringt mittels Beschwerde vor, die Eingabe der Beschwerdeführerin vom sei nicht als Antrag auf Familienbeihilfe zu werten, sondern als Antrag auf Bescheidaufhebung gem § 299 BAO.

Weder dem objektiven Erklärungswert der Eingabe mittels Formular noch des beigefügten Schreibens vom ist zu entnehmen, dass mit dieser Eingabe ein Antrag auf Aufhebung des Bescheides gestellt werden sollte. Im Schreiben wird auch nicht die Ansicht vertreten, dass der Rückforderungsbescheid zu Unrecht ergangen sei. Dem objektiven Erklärungsinhalt des Schreibens kann jedoch im letzten Satz entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin (zusätzlich) einen Schuldenerlass wie folgt begehrt: "Ich bin wirklich verzweifelt da diese hohen Schulden für uns wirklich existenzbedrohend sind und ich bitte Sie inständig sie mir zu erlassen."

Diese eindeutige Formulierung auf Erlass der Schulden kann nicht auf einen Antrag auf Aufhebung gem § 299 BAO umgedeutet werden, da die Bitte auf Schuldenerlass die Anerkennung der Schulden seitens des Schuldners bzw der Schuldnerin und somit die Rechtmäßigkeit der Forderung ausdrückt.

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid vom ausgesprochen, dass der Antrag zurückzuweisen sei, da bereits mit Bescheid vom seitens der Behörde rechtskräftig über diesen Zeitraum abgesprochen worden sei.

Allerdings wurde der Bescheid vom nachträglich mit Bescheid vom gem § 299 BAO aufgehoben und kein neuer Rückforderungsbescheid erlassen.

Gem § 299 Abs 2 BAO ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. "Diese Bestimmung folgt dem Vorbild des für die Wiederaufnahme des Verfahrens geltenden § 307 Abs 1. Ebenso wie nach § 307 Abs 1 liegen rechtlich zwei Bescheide vor, die jeder für sich einem Rechtsmittel zugänglich sind bzw der Rechtskraft teilhaftig werden können" (Ritz, BAO6, § 299 Rz 44 ff).

Dadurch, dass die belangte Behörde lediglich den Bescheid vom am (gleichzeitig mit dem Zurückweisungsbescheid) aufgehoben und keinen neuerlichen Rückforderungsbescheid erlassen hat, handelt es sich beim (neuerlichen) Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Familienbeihilfe vom nicht (mehr) um eine Sache über die bereits rechtskräftig entschieden wurde.

Eine Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe hat keinen Bescheidcharakter. Der Zurückweisungsbescheid vom ist daher aufzuheben.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, da die Rechtsfrage der entschiedenen Sache bereits im Gesetz eindeutig gelöst ist. Im Übrigen hängt der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehender Sachverhaltsfragen ab, die einer ordentlichen Revision nicht zugänglich sind.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 299 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102169.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at