Grenzgänger: 45-Tage-Regelung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch G & S Steuerberatungs GmbH, Uferstraße 18, 5110 Oberndorf b.Sbg., über die Beschwerden vom und vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 bis 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer mit, dass die österreichische Finanzverwaltung aufgrund einer internationalen Kontrollmitteilung die Information erhalten habe, dass er ausländische Einkünfte bezogen habe. Es möge bekannt gegeben werden, seit wann der Beschwerdeführer diese ausländischen Einkünfte beziehen würde bzw. wie hoch sie seien. Es mögen die diesbezüglichen Unterlagen und gegebenenfalls (berichtigte) Abgabenerklärungen vorgelegt werden.
Mit Schreiben vom gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er seit mehr als 25 Jahren im öffentlichen Dienst im Krankenhaus ***Ort1*** arbeiten würde. In all den Jahren sei er in ***Ort2*** wohnrechtlich gemeldet.
In den ersten Jahren habe er am Jahresanfang eine Lohnsteuerabzugsbestätigung beim Finanzamt ***Ort3*** beantragt und diese an das Finanzamt ***Ort4*** weitergeleitet.
Als vor einigen Jahren der komplette Lohnsteuerabruf digitalisiert worden sei, sei ihm vom Lohnbüro mitgeteilt worden, dass der Abruf der Lohnsteuerdaten nur noch elektronisch erfolgen könne. Damit habe der Beschwerdeführer keinen schriftlichen Beleg mehr gehabt und sei der Meinung gewesen, dass auch der Austausch mit dem österreichischen Finanzamt auf elektronischem Weg funktionieren würde.
Da er auch jahrelang vom österreichischen Finanzamt diesbezüglich nicht gemahnt worden sei, sei für ihn die Sache in Ordnung gewesen.
Der Beschwerdeführer habe alle Abgaben in Deutschland bezahlt.
Dem Schreiben angeschlossen war eine Kopie des Arbeitsvertrages vom abgeschlossen zwischen dem Beschwerdeführer und dem Krankenhaus in ***Ort1***.
Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer mit, dass er aufgrund seiner Tätigkeit unter die Grenzgänger falle und somit Österreich das Besteuerungsrecht habe. Es seien für die Jahre 2016 bis 2019 Arbeitnehmerveranlagungen mit dem vom Dienstgeber ausgefüllten und unterzeichneten L17 Formular für diese Jahre abzugeben.
Nach mehrmaliger Fristverlängerung gab die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers mit Schreiben vom bekannt, dass der Beschwerdeführer im Kreisklinikum ***Ort1*** arbeiten und in ***Ort5*** einen Betriebssitz unterhalten würde. Das Haus in ***Ort5*** würde seiner Mutter gehören und habe eine Wohnfläche von 130 m². Davon würden 16 m² betrieblich (Labor bzw. Büro) genutzt.
Die restliche Fläche werde von der Mutter des Beschwerdeführers und auch von ihm selbst bewohnt. Der Haushalt werde von ihm und seiner Mutter gemeinsam geführt.
Der Beschwerdeführer arbeite in ***Ort5*** im Rahmen seiner Selbständigkeit und mache an Tagen, an denen er in ***Ort5*** übernachten würde, zusätzlich auch Besorgungen für seine Mutter und Tätigkeiten im Haus und im Garten, welche seine Mutter aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr selbst erledigen könne bzw. besitze sie keinen Führerschein.
Der gemeinsame Familienwohnsitz der Ehegatten ***Bf1*** und ***Ehefrau*** befinde sich in Österreich.
Der Beschwerdeführer fahre sowohl vom Wohnsitz in Österreich als auch von ***Ort5*** zu seinem Arbeitsort in ***Ort1***.
Er kehre dabei nicht arbeitstäglich nach Österreich zurück, sondern übernachte durchschnittlich 1 x pro Woche, in manchen Wochen 2 x in ***Ort5***, je nachdem wie das Erfordernis betrieblicher Natur oder wegen der Betreuungstätigkeit seiner Mutter sei.
Die sogenannte Grenzgängerregelung des Art. 15 DBA-Österreich sei nicht anwendbar, da die 45-Tages-Grenze überschritten werde. Somit bleibe das Besteuerungsrecht in Deutschland. Der Sachverhalt sei auch mit dem deutschen Finanzamt ***Ort3*** so kommuniziert worden.
Mit Schreiben vom forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer neuerlich zur Vorlage beweiskräftiger Unterlagen auf und zwar der deutschen Einkommensteuerbescheide 2016 bis 2019, Aufzeichnungen über die Aufenthalte in ***Ort5*** bzw. Heimfahrten, Fahrtkostenaufstellung, Betriebssitz in ***Ort5*** (welcher selbständigen Arbeit wird nachgegangen?), Nachweise, Einkünfte, Anmeldung des Betriebs.
Mit Schreiben vom legte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers die deutschen Einkommensteuerbescheide 2016 bis 2019 vor. In den Veranlagungsjahren 2016 bis 2019 seien in Deutschland jeweils 60 Tage pauschal Fahrten von ***Ort5*** zum Arbeitgeber angeführt worden, für die restlichen Tage seien die Fahrtkosten von Österreich aus geltend gemacht worden. Diese 60 Tage seien auch im Einkommensteuerbescheid auf Seite 2 angeführt.
Der Betriebssitz bestehe laut Gewerbeanmeldung seit 11/2008 in ***Ort5*** (liege dem Schreiben bei).
Unternehmensgegenstand: Service und Consulting für Labors, Firmenberatung, allgemeine Dienstleistungen für medizinische Labors, Vorträge halten, Artikel in Fachzeitschriften verfassen usw.
Der Beschwerdeführer führe kein eigenes Labor, sondern sei ausschließlich in der Beratung von Labors tätig.
Mit den Bescheiden vom veranlagte das Finanzamt die Einkommensteuer 2016 bis 2019.
Begründend wurde jeweils ausgeführt, dass die Steuerpflicht in Österreich festgestellt worden sei. Es sei dreimal ein Auskunftsersuchen veranlasst worden, es seien keine aussagekräftigen Nachweise vorgelegt worden, es seien pauschale Fahrten von 60 Tagen angenommen worden und die deutschen Einkommensteuerbescheide seien allesamt am erlassen worden.
Trotz diesbezüglicher Verpflichtung und Erinnerung habe der Beschwerdeführer keine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung übermittelt. Das Finanzamt habe daher mit den vorliegenden Informationen die Arbeitnehmerveranlagungen durchgeführt. Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen seien dem Finanzamt nicht bekannt und daher unberücksichtigt.
60 Euro als Topf-Sonderausgaben seien berücksichtigt worden.
Mit den Schreiben vom bzw. , jeweils beim Finanzamt eingelangt am , wurde gegen die Arbeitnehmerveranlagungen 2016 bis 2019 das Rechtmittel der Beschwerde eingebracht.
In den für die Jahre 2016 bis 2019 gleichlautenden Schriftsätzen wurde vorgebracht, dass eine Steuerpflicht in Österreich nicht vorliege.
Der Beschwerdeführer arbeite seit über 20 Jahren im Kreisklinikum in ***Ort1*** und unterhalte in ***Ort5*** einen Betriebssitz. Einkünfte aus Gewerbebetrieb würden seit 2002 in Deutschland versteuert. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ebenfalls. Die Mutter des Beschwerdeführers würde ein Haus in ***Ort5*** (Bayern) mit einer Wohnfläche von 130 m² besitzen. Davon würden 16 m² (Labor bzw. Büro) betrieblich genutzt. Die restliche Fläche werde von der Mutter des Beschwerdeführers, dessen Sohn ***S1*** und von ihm selbst bewohnt. Der Haushalt werde dort gemeinsam geführt. Der Beschwerdeführer arbeite in ***Ort5*** im Rahmen seiner Selbständigkeit und erledige an den Tagen, an denen er dort übernachte, zusätzlich Besorgungen für seine Mutter. Zudem würden Tätigkeiten im Haus und Garten verrichtet, welche von seiner Mutter aufgrund des fortgeschrittenen Alters nicht mehr selbst erledigt werden könnten. Zudem würde sie keinen Führerschein besitzen.
Der gemeinsame Familienwohnsitz des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau befinde sich in Österreich. Der Beschwerdeführer würde sowohl vom Wohnsitz in Österreich als auch von ***Ort5*** aus zu seinem Arbeitsort in ***Ort1*** fahren. Er kehre dabei nicht arbeitstäglich nach Österreich zurück, sondern würde durchschnittlich 1 x pro Woche, in manchen Wochen 2x, in ***Ort5*** übernachten und pendle dann nicht nach Österreich zurück. Wann er in ***Ort5*** übernachten würde, werde anhand des Outlook-Kalenders des Beschwerdeführers dokumentiert (Beilage). Hier sei die Regelmäßigkeit seiner Nichtrückkehr erkennbar. Wie bereits erwähnt würde der Beschwerdeführer das eingerichtete Büro/Labor im Wohnhaus seiner Mutter nutzen. Die Regelmäßigkeit seiner Nichtrückkehr könne auch damit begründet werden, dass er für seine selbständige Tätigkeit regelmäßig Zeit in seinem Labor/Büro verbracht habe, um hier neben seiner nichtselbständigen beruflichen Tätigkeit dieser Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vorzugsweise bleibe der Beschwerdeführer von Donnerstag bis Freitag in ***Ort5***, da er sich auch gerne mit Stammtischfreunden treffen würde, mehrmals aber auch zusätzlich an anderen Tagen, je nach Erfordernis für seine Mutter bzw. sein selbständiges Unternehmen.
Wie auch im deutschen Einkommensteuerbescheid ersichtlich kehre der Beschwerdeführer in der Regel an 60 Arbeitstagen nicht nach Österreich zurück. Die sogenannte Grenzgängerregelung gemäß Artikel 15 DBA Österreich-Deutschland sei somit nicht anwendbar, da die 45 Tage Grenze überschritten werde. Das Besteuerungsrecht verbleibe somit in Deutschland. Dieser Sachverhalt sei auch mit dem deutschen Finanzamt so kommuniziert und bei den Werbungskosten (Entfernungspauschale 60 Tage ***Ort5*** und 180 Tage Fahrten nach ***Ort2***) berücksichtigt und so veranlagt worden. Diese 60 Tage seien anhand des Kalenders nachgewiesen und würden sich in den geltend gemachten Arbeitsfahrten im deutschen Einkommensteuerbescheid wiederspiegeln. Die Bescheidbegründung, dass keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt worden seien, könne nicht nachvollzogen werden. Von einer Pauschalgeltendmachung könne auch nicht gesprochen werden, es seien tatsächlich 60 Tage gewesen.
Als Grenzgänger würden Arbeitnehmer verstanden, die im angrenzenden Ausland wohnen würden, im Inland ihren Arbeitsort hätten und sich in der Regel nach jedem Arbeitstag zum Wohnort ins Ausland zurückbegeben würden. Nach dem Wortlaut des DBA müsse der Grenzgänger täglich vom grenznahen inländischen Arbeitsort zum grenznahen ausländischen Wohnsitz zurückkehren. Mit Deutschland sei allerdings eine Toleranzregel von maximal 45 Arbeitstagen vereinbart worden, in dem der Steuerpflichtige nicht zurückkehren müsse. Mit 60 Tagen (Übernachtungen in ***Ort5***/Deutschland), an denen der Beschwerdeführer nicht zurückgekehrt sei, sei diese Toleranzregel überschritten worden und die Besteuerung falle dem Tätigkeitsstaat (in diesem Fall Deutschland) zu.
Mit Schreiben vom wurde der Beschwerdeführer vom Finanzamt aufgefordert folgende Unterlagen vorzulegen: Fahrtkostenaufstellung über die Aufenthalte in ***Ort5*** bzw. Heimfahrten (Fahrtenbuch), Aufzeichnungen über die selbständige Tätigkeit in ***Ort5*** (Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, Bilanz ...), Arbeitsaufzeichnungen über die selbständige Tätigkeit, Arbeitsaufzeichnungen über die nichtselbständige Tätigkeit im Kreisklinikum ***Ort1*** (bestätigt vom Dienstgeber)
Mit Schreiben vom wurde von der beschwerdeführenden Partei die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für die Jahre 2016 bis 2019 für die selbständige Tätigkeit sowie die Arbeitsaufzeichnungen für die nichtselbständige Tätigkeit im Kreisklinikum ***Ort1*** vorgelegt. Ein konkretes Fahrtenbuch über alle Heimfahrten und Aufenthalte in ***Ort5*** könne nicht vorgelegt werden. Es werde auf den Kalender über die Übernachtungen in ***Ort5*** verwiesen, welcher dem Finanzamt bereits vorliege. Fahrtenbuch zu führen, wenn jemand überwiegend einer Anstellung nachgehe und das KFZ keiner betrieblichen Nutzung unterliege, sei nicht üblich. Arbeitsaufzeichnungen über die selbständige Tätigkeit würde es nicht geben. Diese würden üblicherweise von keinem Unternehmer geführt. Der Nachweis der Tätigkeit werde aus der Übermittlung der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung abzuleiten sein. Konkrete Zeitnachweise von Unternehmen würden sich aus den gestellten Rechnungen ergeben.
Mit den Beschwerdevorentscheidungen vom wurde den Beschwerden jeweils teilweise stattgegeben und die Bescheide geändert. Es wurden sonstige Werbungskosten iHv 12.027,50 €, 12.425,33 €, 12.560,94 € und 12.440,56 € berücksichtigt.
Begründend wurde Folgendes ausgeführt:
"Sie arbeiten im Kreisklinikum in ***Ort1*** und unterhalten in ***Ort5*** (D) ein Labor (16m2) im Haus Ihrer Mutter mit einer Wohnfläche von ca. 130m2. Dieses bewohnen Sie an Ihren Nichtrückkehrtagen nach Österreich mit Ihrer Mutter, führen dort den gemeinsamen Haushalt, erledigen dort bei Übernachtung zusätzlich Besorgungen für Ihrer Mutter. Tätigkeiten im Haus und Garten werden von Ihnen verrichtet, welche von Ihrer Mutter aufgrund des fortgeschrittenen Alters nicht mehr selbst erledigt werden können bzw. diese keinen Führerschein besitzt.
Der gemeinsame Familienwohnsitz mit der Ehegattin ***Ehefrau*** befindet sich in Österreich. Sie fahren sowohl von Ihrem Wohnsitz in Österreich als auch von ***Ort5*** zu Ihrem Arbeitsort in ***Ort1*** und übernachten dabei durchschnittlich 1x pro Woche - in manchen Wochen 2x pro Woche - in ***Ort5***. Vorzugsweise bleiben Sie von Donnerstag bis Freitag in ***Ort5***, da Sie sich da mit Freunden treffen.
Die Entfernung vom Familienwohnsitz nach ***Ort1*** beträgt 23 km, von ***Ort5*** nach ***Ort1*** sind es ca. 17 km und vom Familienwohnsitz nach ***Ort5*** ca. 32 km.
Die Eigenschaft als Grenzgänger erfordert grundsätzlich eine tägliche Rückkehr zum Wohnort im Ansässigkeitsstaat in der Grenzzone.
Die Grenzgängereigenschaft im Sinne von Artikel 15 Absatz 6 des Abkommens setzt voraus, dass die abgabenpflichtige Person "täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt". Kehrt ein Arbeitnehmer nicht täglich an seinen Wohnsitz zurück, so geht die Grenzgängereigenschaft nicht verloren,
-) Wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und in dieser Zeit höchstens an 45 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt.
Im neuen DBA werden Grenzgänger definiert als Arbeitnehmer, die grundsätzlich täglich pendeln. 45 Tage pro Jahr sind sie aber von der Verpflichtung zur täglichen Rückkehr befreit; dies allerdings nur, wenn berufliche Gründe vorliegen.
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist unter dem Mittelpunkt der Lebensinteressen der Ort (in jenem Staat) zu verstehen, zu dem der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Entscheidend ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen. Darunter sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei die Ausübung des Berufes, die Gestaltung des Familienlebens sowie Betätigungen religiöser und kultureller Art sowie andere Tätigkeiten zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (). Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist (vgl. Wassermeyer, aaO, Rn 70; VwGH 2011/15/0193 v. ; vgl. Doralt, EStG9, § 1 TZ 10 - 15, 54; RV/0400-F/08; ; ; ). Dabei ist regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Zeitraum abzustellen (vgl. Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht, Z 4 Tz 11; ).
Die stärkste und in der Regel maßgebliche persönliche Beziehung besteht im Regelfall zu dem Ort, an dem jemand regelmäßig mit seiner Familie lebt.
Unstrittig ist, dass sich sowohl der Familienwohnsitz bzw. der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich und die Arbeitsstätte in der Bundesrepublik Deutschland befinden.Bei Ihnen war die Nichtrückkehr überwiegend privat durch die Betreuung der Mutter und Treffen mit Freunden veranlasst. Somit fehlt es an den beruflichen Gründen für die Nichtrückkehr nach Österreich. Bei Ihrer Tätigkeit im Labor wird von Liebhaberei ausgegangen (Verlust über Jahre).Weiters wurden keine glaubhaften Unterlagen zur Übernachtung in ***Ort5*** vorgelegt (Outlook Kalender widerspricht sich mit Arbeitsaufzeichnungen). Außerdem entspricht es nicht den Erfahrungen im täglichen Leben, dass bei einer Entfernung zwischen Familienwohnsitz und Arbeitsstätte von rund 23 km und einer durchschnittlichen Fahrtzeit von 25 Minuten regelmäßig bei der Mutter genächtigt wird am Tätigkeitsort. Im Erwerbsleben nehmen die überwiegende Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Österreich wesentlich mehr Aufwand auf sich, um täglich vom Arbeitsort zum Familienwohnsitz zurückzukehren. Weiters ist anzumerken, dass auch vom Familienwohnsitz nach ***Ort5*** nur eine Entfernung von 32 km und einer durchschnittlichen Fahrzeit von ca. 35 Minuten vorliegt. Somit ist von einer Steuerpflicht in Österreich auszugehen. Die Berechnung dafür stützt sich auf das von Ihnen übermittelte Formular L17."
Im Vorlageantrag vom für die Jahre 2016 bis 2019 wurde das Beschwerdevorbringen wiederholt.
Am legte die beschwerdeführende Partei eine Stellungnahme des Finanzamtes ***Ort3*** vom vor. Daraus geht im Wesentlichen hervor, dass der Beschwerdeführer laut seinen Angaben (Einkommensteuererklärung 2016 - 2020) an 60 Arbeitstagen in ***Ort5*** übernachten würde und an diesen Tagen von ***Ort5*** aus der Arbeit nachgehe. Laut dem vorliegendem Schriftverkehr und dem Einkommensteuerbescheid 2016 aus Österreich seien die Übernachtungen im Inland auch mit privaten und sozialen Aspekten verbunden, zB Betreuung der Mutter (kein Führerschein), verbunden mit Einkaufen und Besorgungsfahrten, Tätigkeiten im Haus und Garten, sowie Treffen mit Freunden. Auch die gewerbliche Tätigkeit habe der Beschwerdeführer im Inland ausgeübt, wenn auch in geringem Umfang.
Angaben in der Steuererklärung hätten wahrheitsgemäß zu erfolgen. Dass Übernachtungen im Inland im o.g. Umfang erfolgt seien, habe der Beschwerdeführer gegenüber dem Finanzamt erklärt. Dass der Beschwerdeführer an diesen Arbeitstagen aufgrund der geringen Entfernung auch heimfahren hätte können, sei zutreffend. Tatsächlich habe der Beschwerdeführer laut seinen Angaben an seinem weiteren Wohnsitz im Inland übernachtet. Ein weiterer Nachweis zu den Übernachtungen im Inland seien seitens des Finanzamtes ***Ort3*** nicht für erforderlich erachtet worden.
Ein Wohnsitz iSd § 8 Abgabenordnung erfordere nicht das Innehaben einer abgeschlossenen Wohnung. Mit Wohnung seien stationäre Räumlichkeiten gemeint, die mindestens im Sinne einer bescheidenen Bleibe zur Verfügung stehen würden. Die Wohnungsnutzung müsse weder regelmäßig noch über eine längere Zeit erfolgen. Erforderlich sei aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte bzw. unregelmäßige kurze Aufenthalte zu Erholungszwecken hinausgehe.
Die Voraussetzungen des § 8 AO seien erfüllt. Der Beschwerdeführer habe einen Wohnsitz iSd § 8 AO im Inland. Deshalb sei unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG gegeben.
In Zusammenhang mit der Prüfung der Grenzgänger-Regelung gem. Art. 15 DBA Österreich wurde darauf hingewiesen, dass der Wohnsitz in Österreich (Familienwohnsitz) innerhalb der Grenzzone liege. Der weitere Wohnsitz in Deutschland liege ebenfalls innerhalb der Grenzzone. Der Arbeitsplatz (Krankenhaus ***Ort1***) liege auch innerhalb der Grenzzone. Ansässigkeitsstaat iSd Art. 4 DBA Österreich sei Österreich. Der Beschwerdeführer sei an 60 Arbeitstagen pro Jahr von Deutschland aus der Arbeit nachgegangen bzw. nicht an seinen Wohnsitz in Österreich zurückgekehrt.
Gem. Konsultationsvereinbarung vom zum DBA Deutschland-Österreich zu Zweifelsfragen hinsichtlich der Auslegung der Grenzgängerregelung Tz. 3 müsse der Hauptwohnsitz innerhalb der Grenzzone des Ansässigkeitsstaates liegen (hier: Österreich). Ein weiterer Zweitwohnsitz im Ansässigkeitsstaat, ebenfalls innerhalb der Grenzzone, wäre für die Anwendung der Grenzgänger-Regelung unschädlich, bei arbeitstäglicher Rückkehr in den Ansässigkeitsstaat. Auch ein Zweitwohnsitz außerhalb der Grenzzone im Tätigkeitsstaat (hier: Deutschland) wäre unschädlich, wenn sichergestellt sei, dass dieser nicht in der Art und Weise genutzt werden kann, dass hierdurch Zweifel an der arbeitstäglichen Rückkehr in den Ansässigkeitsstaat auftreten würden (zB bei sehr weit entferntem weiteren Wohnsitz/Ferienwohnung, welche nicht täglich erreichbar sei).
Im Umkehrschluss sei jedoch der weitere Wohnsitz innerhalb der Grenzzone des Tätigkeitsstaates schädlich, denn dieser sei dem Beschwerdeführer uneingeschränkt zur Verfügung gestanden, die Nutzung wäre aufgrund der geringen Entfernung möglich und der Wohnsitz im Tätigkeitsstaat sei laut Erklärung des Beschwerdeführers tatsächlich an 60 Arbeitstagen/Jahr für Übernachtungen genutzt worden.
Lt. Tz. 9 der Konsultationsvereinbarung sei es unerheblich, aus welchen Gründen der tägliche Grenzübertritt nicht stattfinden würde. Den Ausführungen im österreichischen Steuerbescheid, dass der Abreitnehmer an maximal 45 Tagen von der Verpflichtung zur täglichen Rückkehr befreit sei, dies allerdings nur, wenn berufliche Gründe vorliegen würden, werde nicht gefolgt.
Grundlage für die Berechnung der sogenannten Nichtrückkehrtage seien allein die beruflichen Tage (Arbeitstage), an welchen keine Rückkehr in den Ansässigkeitsstaat erfolgen würde. Die Gründe für den Verbleib im Tätigkeitsstaat seien unerheblich.
Der Beschwerdeführer sei an 60 Arbeitstagen/Jahr nicht an seinen Wohnsitz im Ansässigkeitsstaat Österreich zurückgekehrt. Unschädlich für die Anwendung der Grenzgänger-Regelung seien lediglich 45 sogenannte Nichtrückkehrtage. Diese seien laut den vorliegenden Steuererklärungen in den Jahre 2016 bis 2020 überschritten worden.
Die Grenzgänger-Regelung gem. Art. 15 Abs. 6 DBA Österreich komme daher für diese Jahre nicht zur Anwendung. Es seien die allgemeinen Regelungen gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA anzuwenden. Die Tätigkeit sei in Deutschland ausgeübt worden.
Das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn habe der Tätigkeitsstaat = Deutschland. Der Arbeitslohn sei zutreffend im Inland (Tätigkeitsstaat) besteuert worden.
Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerdesache dem Bundesfinanzgericht vor und wiederholte die Begründung der Beschwerdevorentscheidungen.
Mit Schreiben vom hielt die zuständige Richterin des Bundesfinanzgerichtes dem Finanzamt Folgendes vor:
"Der Sachverhalt ist insofern unbestritten, als der Beschwerdeführer seinen Familienwohnsitz in Österreich hat, im Kreisklinikum ***Ort1*** einer nichtselbständigen Tätigkeit nachgeht und 1x pro Woche, manchmal auch 2x pro Woche, in ***Ort5*** nächtigt. Dort besitzt seine Mutter ein Haus mit einer Wohnfläche von 130 m². Wenn der Beschwerdeführer in ***Ort5*** nächtigt, hilft er seiner Mutter in Haus und Garten, erledigt Einkäufe und trifft sich gelegentlich mit Freunden.
Für das gegenständliche Beschwerdeverfahren ist nunmehr ausschlaggebend, dass die Grenzgängereigenschaft nicht verloren geht, wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und in dieser Zeit höchstens an 45 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, aus welchen Gründen der tägliche Grenzübertritt nicht stattfindet (vgl. ).
Der Beschwerdeführer gibt bekannt, dass er pro Kalenderjahr an 60 Arbeitstagen in ***Ort5*** nächtigt. Die deutsche Finanzverwaltung ging von der Richtigkeit dieser Angaben aus und führte die entsprechenden Veranlagungen durch.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach er regelmäßig seiner Mutter zur Hand geht und sich gelegentlich mit Freunden in ***Ort5*** trifft, entsprechen nach ho Ansicht durchaus den Erfahrungen des täglichen Lebens. In Hinblick auf das Alter des Beschwerdeführers (58 Jahre), kann davon ausgegangen werden, dass seine Mutter bei der Bewirtschaftung eines Hauses auf Hilfe angewiesen ist. Zudem bewohnt auch der Sohn des Beschwerdeführers das Haus in ***Ort5***, sodass der Beschwerdeführer, wenn er in ***Ort5*** nächtigt, auch die Möglichkeit hat, seinen Sohn zutreffen.
Wenn das Finanzamt im Vorlagebericht darauf hinweist, dass der Beschwerdeführer keine glaubhaften Unterlagen zur Übernachtung in ***Ort5*** vorgelegt hat, ist dem Folgendes zu entgegnen: Es ist richtig, dass der Beschwerdeführer nicht an allen Tagen, an denen er lt. Outlook-Kalender in ***Ort5*** genächtigt hat, auch Dienst in der Klinik ***Ort1*** hatte. Offensichtlich hat er gelegentlich auch im Haus seiner Mutter genächtigt, wenn er nicht vom Dienst kam bzw. am nächsten Tag nicht in den Dienst musste. Dies war im Jahr 2016 9 x so, 2017 11 x, 2018 12 x und im Jahr 2019 11 x. Das bedeutet, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2016 an 51 Arbeitstagen, 2017 an 49 Arbeitstagen, 2018 an 48 Arbeitstagen und im Jahr 2019 an 49 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückgekehrt ist. Der Beschwerdeführer hat also in jedem der beschwerdegegenständlichen Jahren an mehr als 45 Arbeitstagen nicht seinen Wohnsitz aufgesucht."
Mit Schreiben vom gab das Finanzamt bekannt:
"Betreffend die von Ihnen als glaubhaft bezeichneten Unterlagen wird ausgeführt, dass iZm dem Outlook-Kalender offensichtlich ein Donnerstag als fortlaufender "Dauertermin" eingetragen wurde und fallweise ein weiterer Wochentag im Ausdruck aufscheint. Noch dazu genau abgestimmt auf 60 Tage im jeweiligen Kalenderjahr (wie bereits in der Beantwortung zum Ergänzungsersuchen vom angeführt).
Korrekt ist die von Ihnen angeführte Nichtrückkehr im Jahr 2016 von 9 Tagen und 2017 mit 11 Tagen. Im Jahr 2018 handelt es sich allerdings um 13 Tage und im Jahr 2019 um 15 Tage die nicht iZm den Dienstverrichtungen von ***Bf1***stehen. Schon aus diesem Grund ist der Ausdruck aus dem Outlook-Kalender nicht als Nachweis für den Nichtrückkehr geeignet und mit 2019 werden die Nichtrückkehrtage auch nicht überschritten.
Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers kann nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass dessen Mutter auf Hilfe bei der Bewirtschaftung angewiesen ist; noch dazu wenn der Sohn des Beschwerdeführers vor Ort ist.
Aus der Lebenserfahrung ist eine notwendige Unterstützung von Eltern im höheren Alter auch nicht auf primär "Donnerstag" planbar, sondern es bedarf einer individuellen Zeitanpassung für Hilfeleistungen und Unterstützung.
Der Auszug aus dem Outlook-Kalender widerspricht sich daher auch mit den Ausführungen aus der Beschwerde, denn sowohl etwaige Hilfeleistungen als auch Beratungstätigkeiten werden wohl eher an Tagen erbracht, an denen die Dienstzeit nicht erst mit 17.30h endet (zB bis 13.00h, ab 8.00h; ebenso bis 13.00h; ab 8.00h; usw). An diesen Tagen wurde keine Nichtrückkehr im Outlook-Kalender erfasst.
Es entspricht auch eher der Erfahrung des täglichen Lebens, dass nach längeren Dienstverrichtungen eine kürzere Wegstrecke gewählt wird, bevor am nächsten Tag um 8.00h die nächste Dienstverrichtung erfolgt. So hat zB am die Dienstzeit erst um 19.00h geendet, am Folgetag begann der Dienst bereits wieder um 8.00h. Ebenso zB am Dienstzeit bis 19.00h, am Folgetag begann der Dienst bereits um 8.00h. Am wurde Dienst bis 20.00h verrichtet, am Folgetag begann der Dienst bereits um 8.00, usw. An keinem der "längeren" Dienstverrichtungen wurden im Outlook-Kalender eine Nächtigung in ***Ort5*** erfasst.
Unbestritten hatte Hr. ***Bf1*** im betroffenen Zeitraum seinen Hauptwohnsitz in Österreich (Grenznähe) und übte seine nichtselbständige Tätigkeit im Kreisklinikum ***Ort1*** aus. Hr. ***Bf1*** ist daher grundsätzlich als Grenzgänger zu beurteilen.
Aus oben angeführten Gründen ist der "Outlook-Kalender" allerdings nicht glaubhaft und damit als Nachweis für das Überschreiten der Nichtrückkehrtage nicht geeignet."
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer hat seinen Hauptwohnsitz gemeinsam mit seiner Ehefrau in ***Ort2*** (Österreich).
23 km vom Hauptwohnsitz entfernt, in ***Ort1*** (Deutschland), geht er im Kreisklinikum ***Ort1*** einer nichtselbständigen Tätigkeit nach.
In ***Ort5*** (Deutschland) besitzt die Mutter des Beschwerdeführers ein Haus mit einer Wohnfläche von 130 km². In diesem Haus hat der Beschwerdeführer ein Labor mit einer Größe von 16 m². Der Unternehmensgegenstand umfasst Service und Consulting für Labors, Firmenberatung, allgemeine Dienstleistungen für medizinische Labors, Vorträge halten, Artikel in Fachzeitschriften verfassen usw.
1 bis 2 x pro Woche übernachtet der Beschwerdeführer im Haus seiner Mutter in ***Ort5***, wo auch sein Sohn ***S1*** wohnt. Der Beschwerdeführer hilft dann seiner Mutter in Haus und Garten, erledigt Besorgungen (Mutter hat keinen Führerschein) und geht auch seiner gewerblichen Tätigkeit nach. Wenn er von Donnerstag auf Freitag in ***Ort5*** nächtigt, trifft er sich gelegentlich auch mit Freunden.
Insgesamt hat der Beschwerdeführer in den beschwerdegegenständlichen Jahren jeweils 60 mal in ***Ort5*** genächtigt. Allerdings standen nicht alle Nächtigungen in ***Ort5*** mit einer Dienstverrichtung in ***Ort1*** in Zusammenhang, aber der Beschwerdeführer hat jedenfalls an mehr als 45 Arbeittagen in ***Ort5*** genächtigt.
Die Entfernung von ***Ort5*** nach ***Ort1*** beträgt 17 km und von ***Ort2*** nach ***Ort5*** 32 km.
2. Beweiswürdigung
Unbestritten ist, dass sich der Hauptwohnsitz und somit der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers in Österreich und ein weiterer (Neben-)Wohnsitz sowie die Arbeitsstätte in der Bundesrepublik Deutschland befinden. Beide Wohnsitze und die Arbeitsstätte befinden sich innerhalb der Grenzzone. Die Grenzzone umfasst einen Grenzstreifen entlang der Grenze zwischen Österreich und Deutschland von 30 Kilometern.
Strittig ist, wie oft der Beschwerdeführer im Haus seiner Mutter in ***Ort5*** genächtigt hat. Das Finanzamt hält es für unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer bei einer Entfernung zwischen Familienwohnsitz und Arbeitsstätte von rund 23 km und einer durchschnittlichen Fahrtzeit von 25 Minuten regelmäßig bei der Mutter nächtigen würde.
Dem ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes entgegenzuhalten, dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass die Mutter des Beschwerdeführers (der Beschwerdeführer ist 58 Jahre alt) bei der Bewirtschaftung eines Hauses mit einer Wohnfläche von 130 m² und Garten auf Hilfe angewiesen ist.
Dem Finanzamt ist zuzustimmen, dass aufgrund des Alters des Beschwerdeführers nicht automatisch und zwingend auf die Hilfsbedürftigkeit der Mutter geschlossen werden kann. Das Alter des Beschwerdeführers (58 Jahre) lässt jedoch den Schluss zu, dass die Mutter mindestens 75 Jahre alt ist. Bei einer 75-jährigen Dame mit Haus und ohne Führerschein ist die Aussage des Beschwerdeführers, dass er ihr beispielsweise bei größeren Einkäufen helfen muss, durchaus mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang zu bringen. Dabei handelt es sich um eine Hilfeleistung, die durchaus zeitlich planbar ist, ebenso die vom Beschwerdeführer durchgeführte Gartenarbeit.
Zudem entspricht es den allgemeinen Lebenserfahrungen, dass sich der Beschwerdeführer gelegentlich mit seinen Freunden in ***Ort5*** trifft und deshalb dort nächtigt.
Das Finanzamt weist im Vorlagebericht darauf hin, dass der Outlookkalender den Arbeitsaufzeichnungen widersprechen würde. Es ist richtig, dass der Beschwerdeführer nicht an allen im Outlookkalender verzeichneten Nächtigungen auch Dienst im Kreisklinikum ***Ort1*** verrichtet hat. Darin sieht das Bundesfinanzgericht jedoch keinen Widerspruch. Das bedeutet lediglich, dass der Beschwerdeführer gelegentlich (in den beschwerdegegen-ständlichen Jahren zwischen 9 und 12 Mal) auch in ***Ort5*** genächtigt hat, wenn er nicht vom Dienst kam oder dorthin fuhr. Der Beschwerdeführer nächtigte also auch an "Nichtarbeitstagen" in ***Ort5***, was ein Nächtigen an manchen "Arbeitstagen" umso glaubhafter macht, weil er dann von einer etwas geringeren Fahrtstrecke profitiert.
Dem Finanzamt ist zuzustimmen, wenn es meint, eine tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz wäre aufgrund der geringen Entfernung möglich gewesen. Allerdings gibt es keine Indizien dafür, dass dies der Beschwerdeführer auch tatsächlich getan hat.
Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer laut seinen Aufzeichnungen in den Jahren 2016, 2017 und 2018 an mehr als 45 Arbeitstagen nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist. Wenn das Finanzamt behauptet, der Beschwerdeführer sei im Jahr 2019 an nicht mehr als 45 Arbeitstagen nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt, so ist diese Aussage nicht nachvollziehbar. Es waren 11 Arbeitstage an denen er in ***Ort5*** nächtigte und nicht vom Dienst kam bzw. am nächsten Tag nicht in den Dienst fuhr, wobei relevant nur jene Tage sind, an denen er bei seiner Mutter genächtigt hat, obwohl er an diesem Tag nicht in der Klinik gearbeitet hat (also an "Nichtarbeitstagen"). Dies war am 18.04., 22.04., 30.05., 20.06., 01.08., 15.08., 05.09. und am 03.10. Diese acht Nächtigungen sind von den 60 Nächtigungen in ***Ort5*** abzuziehen, weil es sich dabei um keine Arbeitstage gehandelt hat. Daher hat der Beschwerdeführer 2019 an 52 Arbeitstagen in ***Ort5*** genächtigt bzw. ist nicht an seinen Wohnsitz in Österreich zurückgekehrt.
Im Schreiben vom weist das Finanzamt darauf hin, dass der Beschwerdeführer an keinem Tag, an dem er kürzer als bis 17:30 Uhr gearbeitet hat, in ***Ort5*** genächtigt hat und andererseits an keinem Tag, an dem er länger als bis 17:30 Uhr gearbeitet hat, in ***Ort5*** gearbeitet habe. Die erste Feststellung würde gegen die Durchführung von Hilfeleistungen und Beratungstätigkeit sprechen (würden eher an Tagen erbracht, an denen die Dienstzeit nicht erst um 17:30 Uhr endet), die zweite Feststellung würde gegen die Richtigkeit der Aufzeichnungen sprechen, weil nach der Lebenserfahrung die kürzere Wegstrecke gewählt werde, wenn die Dienstzeit erst um 19:00 bzw. 20 Uhr endet.
Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Bei weitem überwiegend endet die Arbeitszeit des Beschwerdeführer um 17:30 Uhr. Ein früheres oder späteres Arbeitsende ist in den vier beschwerdegegenständlichen Jahren die Ausnahme. Die zweite Feststellung des Finanzamtes widerspricht den vorliegenden Aufzeichnungen, da der Beschwerdeführer am und am in ***Ort5*** genächtigt hat und seine Arbeitszeit laut Anwesenheitsübersicht bis 18:30 bzw. 19:00 Uhr gedauert hat. Zuzustimmen ist dem Finanzamt, dass die Strecke vom Arbeitsort noch ***Ort5*** (= 17 km) kürzer ist als jene vom Arbeitsort zum Familienwohnsitz (= 23 km). Allerdings ist der Unterschied von 6 km so gering, dass er nicht unbedingt ausschlaggebend dafür sein wird, ob der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz aufsucht oder bei seiner Mutter nächtigt.
Zur ersten Feststellung des Finanzamtes (keine Nächtigung bei früherem Arbeitsende) ist auszuführen, dass bei einem Dienstende um 17:30 Uhr jedenfalls noch Besorgungen gemacht werden können (zahlreiche Supermärkte schließen erst um 20:00 Uhr). Gartenarbeit fällt in erster Linie in den Sommermonaten an. In dieser Zeit ist es abends länger hell, sodass Arbeiten im Freien jedenfalls bis 21:00 Uhr verrichtet werden können.
Insgesamt betrachtet wurden vom Finanzamt keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür angeführt, dass die Angaben des Beschwerdeführers, er sei jährlich an mehr als 45 Arbeitstagen nicht an seinen Wohnsitz in Österreich zurückgekehrt, nicht der Wahrheit entsprechen würden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig iSd § 1 EStG 1988 ist und im Inland seinen Lebensmittelpunkt iSd Art. 4 Art. des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Deutschland), BGBl. III Nr. 182/2002, hat.
Beschwerdegegenständlich ist die Frage, ob auf den Beschwerdeführer die Grenzgänger-regelung des Art. 15 Abs. 6 DBA-Deutschland anzuwenden ist.
Gemäß § 16 Abs. 1 Z 4 lit. g EStG 1988 sind Grenzgänger im Inland ansässige Arbeitnehmer, die im Ausland ihren Arbeitsort haben und sich in der Regel an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnort dorthin begeben.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Deutschland dürften Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.
Anlässlich der Unterzeichnung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Österreich wurde im Protokoll (Anl. 1 zum DBA-Deutschland) unter Pt. 8 vereinbart, dass als Nähe zur Grenze die Lage in einer Zone von je 30 Kilometern beiderseits der Grenze gilt.
Dass Wohnort und Arbeitsort des Beschwerdeführers innerhalb der Grenzzone liegen, ist unstrittig.
Gemäß Art. 15 Abs. 6 DBA-Deutschland gilt Abs. 1 nicht, wenn die Person
1. in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort hat und
2. täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Grenzgänger).
Art. 15 Abs. 6 DBA-Deutschland enthält also eine Sonderregelung zur Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Tätigkeit von Grenzgängern, die "zur Wahrung der bisherigen Verhältnisse" wörtlich aus dem vorherigen DBA-Deutschland aus 1954 übernommen wurde. Sie geht als lex specialis Art. 15 Abs. 1 DBA-Deutschland vor. Einkünfte von Genzgängern aus einer im Tätigkeitsstaat ausgeübten unselbständigen Tätigkeit werden demnach nicht nach dem Prinzip des Tätigkeitsortes im Quellenstaat, sondern grundsätzlich im Ansässigkeitsstaat des Grenzgängers besteuert (vgl. ).
Die Grenzgängerregelung des DBA-Deutschland enthält im Hinblick auf das Erfordernis des (arbeits)täglichen Pendels ihrem Wortlaut nach ("täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt") keine explizite Toleranzgrenze.
Zu Auslegungsfragen iZm Art. 15 Abs. 6 DBA-Deutschland haben Deutschland und Österreich auf Basis von Art. 25 Abs. 3 DBA-Deutschland (betr. Verständigungsverfahren) bereits mehrfach Konsultationsvereinbarungen geschlossen. So kam man betreffend "tägliche Rückkehr" (vgl. Art. 15 Abs. 6 Z. 2 DBA-Deutschland) überein, dass die Grenzgängereigenschaft dann nicht verloren geht, wenn die Person während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und in dieser Zeit höchstens an 45 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt. Diese Vereinbarung wurde zwar betreffend das alte DBA-Deutschland (1954) getroffen, beim Neuabschluss des DBA im Jahr 2002 hat man sich darauf verständigt, dass diese Regelung auch weiterhin Anwendung finden soll.
Kehrt also der Arbeitnehmer nicht täglich an seinen Hauptwohnsitz zurück, dann geht die Grenzgängereigenschaft nicht verloren, wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und in dieser Zeit höchstens an 45 Tagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der angeführten Konsultationsvereinbarung unerheblich ist, aus welchen Gründen der tägliche Grenzübertritt nicht stattfindet (vgl. ; vgl auch Loukota/Jinousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, Internationales Steuerrecht I/1, Einkommen aus unselbständiger Arbeit, Stand , rdb.at).
Zum Sachverhalt wurde im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, dass der Beschwerdeführer in den beschwerderelevanten Jahren jeweils an mehr als 45 Arbeitstagen nicht an den Hauptwohnsitz in Österreich zurückgehrt ist. Er hat von 2016 bis 2019 jeweils an mehr als 45 in ***Ort5*** (Deutschland) genächtigt.
Da die Anzahl der Nichtrückkehrtage die Toleranzgrenze von 45 Tagen/Jahr übersteigt, ist die Sonderregel des Art. 15 Abs. 6 DBA-Deutschland nicht anzuwenden. Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-D steht das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland zu, weil der Beschwerdeführer seine nichtselbständige Tätigkeit dort ausübt.
Österreich steht damit kein Besteuerungsrecht zu.
3.2. Zu Spruchpunkt II.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Rechtsfolgen ergeben sich aus dem DBA-D. Diese Rechtsanwendung berührt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Zudem hing die Entscheidung im Wesentlichen von einer einzelfallbezogenen Sachverhaltsfrage ab, die im Wege der freien Beweiswürdigung beurteilt wurde. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.
Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | Art. 4 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002 Art. 15 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002 § 16 Abs. 1 Z 4 lit. g BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100573.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at