Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.07.2024, RV/7101009/2024

Keine Gewährung der Familienbeihilfe wenn (ohne weitere Berufsausbildung) keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen besteht

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Maria Daniel über die Beschwerde von Bf***, Bf-Adr*** vertreten durch Dr. Anton Markus Pirringer, Hauptplatz 16/4/6, 2460 Bruck/Leitha, vom gegen den abweisenden Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Antrag auf Familienbeihilfe vom zu Recht:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Eingabe vom (Formular Beih 100) stellte die Beschwerdeführerin einen Eigenantrag auf rückwirkende Zuerkennung der Familienbeihilfe.

Gleichzeitig beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (paranoide Schizophrenie) ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.

Der Antrag vom auf Gewährung der Familienbeihilfe wurde mit Bescheid des Finanzamtes Österreich vom abgewiesen, da laut Bescheinigung des Sozialministeriums vom kein Behinderungsgrad festgestellt werden konnte.

Die Beschwerde vom richtet sich gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom .

Der Erwachsenenvertreter bringt darin vor, dass bei der Beschwerdeführerin eine nicht vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im geistigen und psychischen Bereich in Form einer paranoiden Schizophrenie sowie einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vorliege.

Aus der Anamnese des Entlassungsberichts der "pro mente Reha GmbH" vom gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin schon vor ihrem 21. Lebensjahr psychisch sehr beeinträchtigt gewesen wäre.

Die Beschwerdeführerin sei in diversen Krankenhäusern stationär in Behandlung und bei diversen Ärzten in Therapie gewesen.

Am sei die Beschwerdeführerin beim Sozialministerium für eine Untersuchung zur Bestimmung über das Ausmaß der Behinderung vorstellig gewesen.

Der Sachverständige habe in seinem Gutachten angegeben, dass die Befunde vom Sachwalter bis zur Befundausfolgung nicht nachgeschickt worden wären. Die Kanzlei des Erwachsenenvertreters habe am telefonisch angefragt, welche Befunde zur Bescheinigung benötigt bzw fehlen würden. Mit Schreiben vom an das Sozialministerium Landesstelle Wien wurde erneut angefragt, welche Befunde zur Bescheinigung benötigt würden. Dieses Schreiben sei unbeantwortet geblieben.

Hätte die Behörde dem Erwachsenenvertreter mitgeteilt welche Befunde fehlen bzw die Möglichkeit gegeben, diese Befunde vorzulegen, wäre eine Ausstellung über eine Bescheinigung über das Ausmaß der Behinderung möglich gewesen. Der Sachverständige hätte festgestellt, dass eine Behinderung von zumindest 50 % vorliege, die Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und die Behinderung nicht nur vorübergehend, sondern mehr als drei Jahre bestehe.

Der Sachverständige hätte zum Schluss kommen müssen, dass der Grad der Behinderung schon vor dem 21. Lebensjahr vorhanden gewesen wäre.

Mit der Beschwerde wurden folgende Beweismittel vorgelegt:

  • Bescheinigung (Sachverständigengutachten) vom

  • Urkunde - Bestellung Erwachsenenvertreter vom

  • Schreiben an Sozialministerium Landesstelle Wien vom samt Eingangsbestätigung

  • Letzter Befund Dr. GB*** vom

  • Ärztlicher Entlassungsbericht pro mente Reha GmbH vom

  • Untersuchung und Befund AKH Wien vom

  • Stationärer Patientenbrief AKH Wien vom

Der Erwachsenenvertreter stellt in der Beschwerde den Antrag, die Beschwerdeführerin in einer mündlichen Verhandlung persönlich zu vernehmen sowie ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin einzuholen.

Es wird ferner beantragt, dem bestellten Sachverständigen aufzutragen, die erforderlichen medizinischen Unterlagen der Krankengeschichte der Beschwerdeführerin aus diversen Einrichtungen abzuverlangen (Landesklinikum Mauer, Landesklinikum Neunkirchen, AKH Wien, Landesklinikum Baden, pro mente Reha GmbH, Dr. GB***, Dr. ES***) sowie ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich Berufskunde einzuholen (zum Beweis dafür, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer geistigen und psychischen Krankheit voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen).

Die Beschwerdeführerin wurde erneut am in der Landesstelle des Sozialministeriumservice begutachtet. Im Vergleich zum Vorgutachten konnte aufgrund vorgelegter medizinischer Fachbefunde ein Grad der Behinderung im Ausmaß von 60 % mit einer voraussichtlichen Dauer von mehr als 3 Jahren festgestellt werden. Laut Gutachten liege der Grad der Behinderung seit März 2021 vor.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen. Durch das Sozialministerium sei mit Bescheinigung vom eine dauernde Erwerbsunfähigkeit und der Gesamtgrad der Behinderung von 60 % rückwirkend ab festgestellt worden. Eine Erwerbsunfähigkeit vor diesem Datum könne aufgrund diesbezüglich fehlender medizinischer Unterlagen nicht bestätigt werden. Die vom Rechtsbeistand in Aussicht gestellten Spitalsbriefe und Behandlungsbestätigungen seien bis dato nicht eingelangt.

Mit Eingabe vom beantragt der Erwachsenenvertreter die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen (unter Aufrechterhaltung sämtlicher Anträge und Ausführungen aus der Beschwerde vom ).

Laut erneuter BSB-Bescheinigung vom wurde der Grad der Behinderung mit 60 % sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab festgestellt.

Mit Schreiben vom wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde um Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert (Versicherungsdatenauszug, Nachweis aller ab Mai 2016 betriebenen Berufsausbildungen, Gerichtsurteil und Nachweis über evtl. geleistete eigene Beiträge zur Unterbringung in der Justizanstalt Korneuburg).

Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung vom durch die belangte Behörde abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wurde kein Rechtsmittel eingebracht.

Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am durch die belangte Behörde vorgelegt.

Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom wurde die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen aufgefordert darzulegen, ob bzw inwiefern sie eigenberechtigt für den Bezug der Familienbeihilfe sei.

Mit Schreiben vom gab der Erwachsenenvertreter bekannt, dass die Beschwerdeführerin von bis alleine in der von ihr gemieteten Wohnung an der Adresse Straße*** gewohnt habe.

Von bis habe sie bei ihrer Mutter in deren Mietwohnung gelebt. Im Zeitraum bis habe die Beschwerdeführerin alleine an zwei verschiedenen Adressen gelebt.

Seit September 2023 sei die Beschwerdeführerin zudem auch in einem forensisch-therapeutischen Zentrum im Landesklinikum Mauer wohnhaft gewesen. Seit sei sie an dieser Adresse auch hauptwohnsitzgemeldet.

Die Mutter der Beschwerdeführerin habe dieser nicht überwiegend Unterhalt geleistet. Zudem sei der Vater der Beschwerdeführerin im Jänner 2022 verstorben und habe im relevanten Zeitraum ebenfalls keinen Unterhalt an die Beschwerdeführerin geleistet. Es sei auch keine andere Person für die Familienbeihilfe anspruchsberechtigt.

Der Unterhalt der Beschwerdeführerin werde weder zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe noch zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs getragen.

Die Beschwerdeführerin leide an einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen geistigen Behinderung und sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. In diesem Zusammenhang wird auf die Ausführungen der Beschwerde und des Vorlageantrages verwiesen.

Dem Schreiben sind folgende Dokumente und Beweismittel angeschlossen:

  • Bestätigung ÖGK (Rehabilitationsgeld) vom

  • Bescheid PVA Pension vom

  • Bescheid PVA Kinderzuschuss vom

  • Verständigung der PVA über die Leistungshöhe Invaliditätspension Jänner 2023

  • Verständigung der PVA über die Leistungshöhe Invaliditätspension Jänner 2024

  • Beschluss des BG Bruck an der Leitha zu GZ 1*** vom

  • Beschluss des LG Korneuburg zu GZ 2*** vom

  • Urteil des LG Korneuburg zu GZ 3*** vom

  • Nichtigkeitsbeschwerde vom

  • Mietvertrag vom samt Kündigungsbestätigung vom

  • Bestätigung der Meldung vom

  • E-Mail GEBÖS an EVN vom

  • Mietvertrag vom

  • Ablehnung Wohnbeihilfe vom

  • Gutachten Dr. H*** vom

  • Meldebestätigung aktuell vom

Gleichzeitig mit diesem Schreiben zog der Erwachsenenvertreter die beantragte mündliche Verhandlung zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist die Tochter von MS*** und hat am tt.mm.2015 das 21. Lebensjahr vollendet.

Für den Zeitraum bis bezog die Mutter Familienbeihilfe für die Beschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführerin hat im Zeitraum 2010 bis 2014 die Ausbildung zur Köchin erfolgreich abgeschlossen. Über diesen Zeitraum hinaus wurde keine weitere Berufsausbildung absolviert.

Laut Versicherungsdatenauszug ist sie in folgenden Zeiträumen einer Beschäftigung nachgegangen: - (bei CH***), - (bei MR***), - (bei L*** GmbH).

Die Beschwerdeführerin war seit Juni 2016 laut ZMR-Abfrage an folgenden Wohnadressen mit Hauptwohnsitz gemeldet:

  • bis - Adresse1*** (Unterkunftgeber: WAV)

  • bis - Adresse2*** (Unterkunftgeberin MS***)

  • bis - Adresse3*** (Unterkunftgeber GEBÖS)

  • bis - Adresse2*** (Unterkuftgeberin MS***)

  • bis - Adresse4*** (Unterkunftgeber GEBÖS)

Ab hat sich die Beschwerdeführerin in der Justizanstalt Korneuburg (Nebenwohnsitz) aufgehalten. Seit ist sie im Landesklinikum Mauer wohnhaft.

Für die Zeit von bis wurde vom Landesgericht Korneuburg aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr die vorläufige Anhaltung betreffend die Beschwerdeführerin angeordnet. Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom wurde für die Beschwerdeführerin die Unterbringung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum ausgesprochen.

Die Stadtgemeinde M*** (vertreten durch die GEBÖS) vermietete der Beschwerdeführerin ab einen Innenraum der Wohnung im Hause Adresse3***, bestehend aus 1 Zimmer, 1 Raum mit Badnische und WC am Gang mit einer Nutzfläche im Ausmaß von 40,99 m2. Der vereinbarte Mietzins betrug monatlich 117,45 Euro zuzüglich Betriebskosten, laufenden Abgaben und Umsatzsteuer.

Die Beschwerdeführerin kündigte das Nutzungsverhältnis mit Schreiben vom . Es wurde ihr aufgetragen, die Wohnung bis spätestens geräumt zu übergeben.

Ab war die Beschwerdeführerin bei ihrer Mutter hauptwohnsitzgemeldet. Laut festgestelltem Sachverhalt im Beschluss des BG Bruck an der Leitha zu GZ 1*** ist die Beschwerdeführerin am aus dem Haushalt ihrer Mutter ausgezogen.

Laut E-Mail der Baugenossenschaft GEBÖS vom an die EVN wurde das leerstehende Objekt Adresse5*** von der Beschwerdeführerin neu bezogen. In diesem E-Mail wird auf einen Mietvertrag ab verwiesen.

Am schloss die Stadtgemeinde M*** einen weiteren Mietvertrag für den Innenraum der Wohnung im Hause Adresse4*** (bestehend aus 1 Zimmer, Küche, Bad und WC) mit der Beschwerdeführerin. Der Mietzins betrug monatlich 164,09 Euro zuzüglich Betriebskosten, laufenden Abgaben und Umsatzsteuer.

Die Beschwerdeführerin hat laut vorliegender Unterlagen jedenfalls von April 2018 bis Jänner 2021, von September 2021 bis November 2021 sowie ab Jänner 2022 einen eigenen Haushalt geführt. Von bis war sie an der Adresse Adresse1*** (somit nicht bei ihrer Mutter) gemeldet.

Die Beschwerdeführerin hat von bis von der Österreichischen Gesundheitskasse ein tägliches Rehabilitationsgeld iHv rund 30 Euro netto erhalten. Seit erhält die Beschwerdeführerin neben einer Invaliditätspension, Kinderzuschuss und Ausgleichszulage iHv insgesamt rund 1.130 Euro netto monatlich.

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung eines Wohnzuschusses beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung wurde mit Schreiben vom abgelehnt.

Laut Auskunft des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung hat die Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum und auch darüber hinaus keine Wohnzuschüsse erhalten.

Mit Beschluss des BG Bruck an der Leitha vom wurde Dr. Anton Pirringer (Rechtsanwalt) zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für die Beschwerdeführerin bestellt.

Laut Beschluss des BG Bruck an der Leitha vom wurde die Mutter der Beschwerdeführerin verpflichtet, einen monatlichen Unterhaltsbetrag für den Zeitraum bis iHv 63 Euro zu Handen des Vertreters zu zahlen. Der darüberhinausgehende Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung eines weiteren Unterhaltsbetrages von 240 Euro monatlich ab wurde abgewiesen.

Die Mutter der Beschwerdeführerin (geboren 1958) bezog im Jahr 2022 eine monatliche Pension iHv 977,94 Euro netto und war bereits in den Jahren zuvor (jedenfalls ab 2016) in Pension.

Der Vater der Beschwerdeführerin ist im Jänner 2022 verstorben.

Die Beschwerdeführerin hat während der Zeit, in welcher sie einen eigenständigen Haushalt geführt hat, keine Unterhaltszahlungen von ihren Eltern bzw ihrer Mutter erhalten bzw sind diese im streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht überwiegend für deren Unterhalt aufgekommen.

Bei der Erstellung des zweiten Gutachtens vom wurden folgende relevante Befunde bzw Unterlagen von diversen Einrichtungen bzw Ärzten berücksichtigt:

  • Sonnenpark, Rehab-Aufenthalt vom 25.8.-

  • Bestätigung Bezug Rehab-Geld seit

  • Aufnahme AKH Wien,

  • AKH Wien, testpsychologische Untersuchung vom

  • Dr. GB***, FA für Psychiatrie ()

  • Entlassungsbericht pro mente,

Ein erneutes Sachverständigengutachten vom vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ergab, dass der Grad der Behinderung im Ausmaß von 60 % rückwirkend seit Juni 2017 bestanden hat.

Dabei wurden folgende Unterlagen und Diagnosen berücksichtigt:

  • Arztbrief LK Mauer Psychiatrie (-) - Diagnose: Akute Psychose, posttraumatische Belastungsstörung

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: Emotional instabile Persönlichkeit

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: emotional instabile Persönlichkeitsstörung

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: akute polymorphe Psychose, undifferenzierte Schizophrenie

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen () - Diagnose: undifferenzierte Schizophrenie

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: paranoide Schizophrenie

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, emotional instabile Persönlichkeitsstruktur

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: paranoide Schizophrenie, emotional instabile Persönlichkeitsstruktur, schädlicher Gebrauch von Cannabinoiden

  • Arztbrief Psychiatrie LK Neunkirchen (-) - Diagnose: paranoide Schizophrenie, emotional instabile Persönlichkeit, CBD Abusus

  • Ambulanzkarte LK Baden Orthopädie/Traumatologie ()

  • Konsiliarbefund Psychiatrie LK Baden ( - Zuweisung)

  • OP Bericht LK Baden Trauma ()

  • Nervenfachärztliches Gutachten Dr. H*** an Arbeits- und Sozialgericht Korneuburg ()

  • Ambulanzbefund Psychiatrie LK Baden ()

  • Arztbrief Psychiatrie Klinik Donaustadt (-)

  • Psychiatrisches Gutachten Dr. K*** ()

Demnach leidet die Beschwerdeführerin laut diversen Befunden an paranoider Schizophrenie und weist eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung auf.

Bei der Beschwerdeführerin wurde erstmals bei einem stationären Aufenthalt am KH Mauer eine akute Psychose im Juni 2017 definitiv diagnostiziert. Aus dem Befund des KH Mauer ist nicht zu entnehmen, ab wann die Einnahme von Psychopharmaka zuvor erforderlich war.

Im nervenfachärztlichen Gutachten wird davon ausgegangen, dass zum Eintritt in das Erwerbsleben keine gravierenden Beeinträchtigungen - insb auch keine psychotischen Symptome - bestanden haben, da es der Beschwerdeführerin gelungen ist, die Schule erfolgreich abzuschließen. Erhärtet wird diese Annahme laut Gutachten dadurch, dass die Beschwerdeführerin eine Berufsausbildung als Köchin erfolgreich abgeschlossen hat. Es liegen auch keine nervenfachärztlichen Befunde für den Zeitraum 2015 vor.

Demnach wird im Gutachten festgestellt, dass eine Arbeitsunfähigkeit nachweislich ab dem ersten stationären Aufenthalt im Juni 2017 bestanden hat.

Beweiswürdigung:

Die Aussagen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergeben sich aus diversen im Verfahrenslauf zitierten Befunden und Arztbriefen im Zeitraum 2017 bis 2023.

Die übrigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich unstreitig aus den vorliegenden Unterlagen und Einsichtnahme in die Grunddaten (ZMR-Abfrage, Versicherungsdatenauszug, im Verfahrensverlauf zitierte Eingaben des Erwachsenenvertreters und der belangten Behörde, E-Mail-Auskunft vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Abfragen in den Finanzanwendungen).

Die Beschwerdeführerin ist von März bis August 2016 sowie von Jänner bis Juni 2017 einer bezahlten Beschäftigung nachgegangen. Sie hat im Zeitraum Mai 2018 bis Juli 2022 ein tägliches Rehabilitationsgeld iHv rund 30 Euro erhalten. Seit August 2022 bezog die Beschwerdeführerin monatliche Zahlungen iHv netto rund 1.130 Euro.

Ausgehend von den Angaben des Erwachsenenvertreters, den der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, der geringen Pension der Mutter, der Unterhaltsklage sowie den geringen Mietvorschreibungen, sieht es das Bundesfinanzgericht als erwiesen an, dass die Eltern bzw die Mutter im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls nicht den überwiegenden Teil des Unterhalts für ihre Tochter aufgebracht haben bzw hat.

Rechtliche Würdigung

Die Beschwerdeführerin beantragt die Gewährung der Familienbeihilfe (Eigenanspruch) verbunden mit einem Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe rückwirkend für fünf Jahre ab Antragstellung, somit ab Juni 2016.

Gem § 8 Abs 4 FLAG 1967 steht für erheblich behinderte Kinder eine erhöhte Familienbeihilfe zu.

§ 8 Abs 3 bis 6 FLAG 1967 normiert unter welchen Bedingungen der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zusteht.

§ 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 sowie § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 (bezüglich des Eigenanspruches) regeln, unter welchen Voraussetzungen bei Behinderungen der Grundbetrag an Familienbeihilfe gewährt werden kann.

Dieser steht für volljährige Kinder bzw volljährigen Vollwaisen zu, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Hierbei ist auch eine Behinderung im psychischen Bereich als geistige Behinderung anzusehen (vgl. ). Für die Verlängerung der Frist bis zum 25. Lebensjahr ist entscheidend, dass eine Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b oder lit h vorliegt (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage (2020), § 8 II. Erhebliche Behinderung, Rz 17).

"Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu." (Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage (2020), § 8 II. Erhebliche Behinderung, Rz 19).

Gem § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe zunächst die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Anspruch auf Familienbeihilfe haben gem § 6 Abs 2 FLAG 1967 volljährige Vollwaisen sowie gem § 6 Abs 5 FLAG 1967 volljährige Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten, unter den dort normierten Voraussetzungen.

Gem § 6 Abs 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Erheblich behinderte Kinder iSd § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Nach § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

§ 6 Abs 1 FLAG 1967 bestimmt:

"Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist."

"Führt die erheblich behinderte Vollwaise keinen eigenständigen Haushalt, ist für einen Eigenanspruch ab nur mehr schädlich, wenn der Unterhalt zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird. Führt die erheblich behinderte Vollwaise einen eigenständigen Haushalt, ist - bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen - stets ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe gegeben" (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke, 2. Auflage (2020), § 8 II. Erhebliche Behinderung, Rz 28).

Die Beschwerdeführerin hat laut vorliegenden Unterlagen von Mai 2016 bis Juli 2017 (Unterkunftgeber WAV lt ZMR), von April 2018 bis Jänner 2021 (Unterkunftgeber GEBÖS lt Mietvertrag), ab November 2021 (in Miete an der Adresse Adresse5*** lt E-Mail der GEBÖS an die EVN), sowie ab Jänner 2022 (Unterkunftgeber GEBÖS lt Mietvertrag) einen eigenen Haushalt im Inland geführt. Es wurde keiner anderen Person Familienbeihilfe gewährt.

Da sie im beschwerdegegenständlichen Zeitraum weder Unterhaltszahlungen von ihren Eltern, noch von einem (früheren) Ehegatten, noch aus öffentlichen Mitteln erhalten hat und darüber hinaus teilweise einen eigenen Haushalt geführt hat, steht der Eigenanspruch auf Familienbeihilfe somit grundsätzlich (vorbehaltlich der Frage, wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist) zu.

Für die Zeit der Anhaltung und Unterbringung steht jedenfalls keine Familienbeihilfe zu (mit Verweis auf § 1 Z 4 Strafvollzugsgesetz).

§ 8 Abs 5 FLAG 1967 bestimmt:

"Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist."

§ 8 Abs 6 FLAG 1967 bestimmt auszugsweise:

"Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. (…)."

Durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wurde zuletzt mit Bescheinigung vom eine dauernde Erwerbsunfähigkeit und der Gesamtgrad der Behinderung von 60 % rückwirkend ab Juni 2017 festgestellt.

Die Abgabenbehörden wie auch das Bundesfinanzgericht sind grundsätzlich an die laut Gutachten getroffenen Feststellungen gebunden (vgl ). Das Bundesfinanzgericht hat die Beweiskraft, insb die Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzungen zu sorgen (vgl ).

Da der/die Sachverständige nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen kann, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist und dies insb bei psychischen Krankheiten infolge schleichendem Verlauf problematisch ist, liegt es primär an den Beschwerdeführern, allenfalls vertreten durch ihre Sachwalter, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke, 2. Auflage (2020), § 8 II. Erhebliche Behinderung, Rz 32).

Die Beschwerdeführerin konnte keine neurologischen Befunde aus dem Zeitraum 2015, bzw vor 2017 vorlegen. Es wurde erstmals bei einem stationären Aufenthalt am KH Mauer eine akute Psychose im Juni 2017 definitiv diagnostiziert.

Das Gutachten vom ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts, insb im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin absolvierte Ausbildung im Zeitraum 2010 bis 2014 und die daran anschließende Erwerbstätigkeit im Zeitraum 2015 bis 2016, als schlüssig zu beurteilen. Die im Gutachten getroffenen Feststellungen erscheinen nachvollziehbar und widerspruchsfrei.

Insbesondere wurden im Gutachten vom auch die in der Beschwerde bzw im Vorlageantrag angeführten (in den zuvor ausgestellten Gutachten bislang nicht berücksichtigten) Befunde einbezogen. Es besteht daher auch kein Anlass für ein weiteres ergänzendes Gutachten.

Im Juni 2017 war die Beschwerdeführerin im 23. Lebensjahr.

Da die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist und auch keine spätere Berufsausbildung erfolgte, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag betreffend Familienbeihilfe zu.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da sich die Beantwortung der hier aufgeworfenen Rechtsfrage (Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe) bereits aus den im Erkenntnis zitierten Gesetzesbestimmungen ergibt, kommt deren Lösung keine grundsätzliche Bedeutung zu. Im Übrigen hängt der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen ab. Tatfragen sind kein Thema die einer ordentlichen Revision zugänglich sind.

Wien, am

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