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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.07.2024, RV/7100292/2024

Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung (§ 34 EStG)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Amstetten Melk Scheibbs, nunmehr Finanzamt Österreich, vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin reichte die Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019 am elektronisch beim Finanzamt ein und machte folgende Werbungskosten und außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt geltend:


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Werbungskosten
Euro
KZ 718
Pendlerpauschale
372,00
KZ 916
Pendlereuro
12,00
KZ 719
Arbeitsmittel
3.251,79
KZ 720
Fachliteratur
51,19
KZ 721
Reisekosten
3.129,14
KZ 722
Aus-/Fortbildungs-/Umschulungskosten
5.000,00


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Außergewöhnliche Belastung
Euro
KZ 730
Krankheitskosten
9.793,66


Nach Durchführung eines Ergänzungsverfahrens setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2019 mit Bescheid vom mit einer Gutschrift in Höhe von 6.744,00 Euro fest. Dabei wurden die unter KZ 719 Arbeitsmittel geltend gemachten Aufwendungen nur in Höhe von 2.289,44 Euro und die Aus-/Fortbildungs-/Umschulungskosten (KZ 722) in Höhe von 5.507,00 Euro als Werbungskosten berücksichtigt. Die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Krankheitskosten wurden in Höhe von 9.470,54 Euro (vor Abzug des Selbstbehaltes) berücksichtigt.
Begründend wurde dazu ausgeführt:
"Die Summe der Krankheitskosten wurden dahingehend korrigiert, dass für die Dauer der Kuraufenthalte pro Tag ein Haushaltsersparnis von 5,23 € abzuziehen war ( 56 Tage x 5,23); weiters wurde das Kilometergeld für die Apothekenfahrten nicht anerkannt, da diese Einkäufe im Zuge von Besorgungsfahrten erledigt werden können.
Die Änderungen der Arbeitsmittel ergeben sich daraus, dass zwingend ein Privatanteil von 40% bei EDV / Internet / Ankauf von Computer und Zubehör abzuziehen ist.
Nach Abzug des Privatanteiles von 40% beim Laptop war eine jährliche Afa von 85,40 € zu berücksichtigen.
Weiters wurden die Aufwendungen für die Nächtigungen im Zuge der Aus- und Fortbildung bei dieser berücksichtigt."

Die Beschwerdeführerin erhob am fristgerecht Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 vom und beantragte nach ausführlicher Begründung die Anerkennung der geltend gemachten Werbungskosten. Hinsichtlich der geltend gemachten Krankheitskosten sei die Haushaltsersparnis nur für 28 Tage zu berücksichtigen.

Nach Durchführung eines weiteren Ergänzungsverfahrens wurde die Einkommensteuer 2019 mit Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO vom mit einer Gutschrift in Höhe von 5.526,00 Euro (Nachforderung: 1.218,00 Euro) festgesetzt. Begründend führte die belangte Behörde Folgendes aus:
"Dem Beschwerdebegehren wurde grundsätzlich stattgegeben.
Die Höhe der Privatanteile von Arbeitsmitteln wurde von Ihnen glaubhaft formuliert und wie beantragt stattgegeben.
Ebenfalls korrigiert wurden die Tage für Abzug der Haushaltsersparnis.
Die restlichen Aufwendungen wurden bei Beschwerdeerledigung nochmals geprüft. Dabei ergaben sich folgende Änderungen:
Die Kosten für eine Dekomaterial für die Schulklasse sind auch wenn diese beruflich verwendet werden typische Kosten der privaten Lebensführung des § 20 EStG 1988 und daher nicht abzugsfähig.
Von den beantragten Reisekosten waren die Fahrten für Literaturrecherchen und Reisen im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Personalvertreterin zu streichen.
Literaturrecherchen können auch mit Besorgungsfahrten verbunden werden bzw. mit privaten Veranlassungen verbunden werden. Derartige Fahrten sind daher gem. § 20 EStG 1988 nicht abzugsfähig.
Reisekosten im Zusammenhang mit der Funktion als Personalvertreterin, Gewerkschafterin oder als Betriebsrätin sind nicht abzugsfähig. Es liegt keine berufliche Veranlassung vor. (keine Einkünfte aus dieser Tätigkeit)
Das Kilometergeld für Fahrten für die Beschaffung von Behelfen (Forster, Himmelstoß) sind wie Apothekenfahrten typische Besorgungsfahrten und konnten daher nicht anerkannt werden.
Für die Anerkennung von Kosten für ein Fitnessstudio als außergewöhnliche Belastung muss die Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn des Besuches des Fitnessstudios ausgestelltes ärztliches Zeugnis nachgewiesen werden, aus dem sich die Notwendigkeit und die Dauer des Fitnessstudiobesuches ergibt.
Ein für die Annahme einer Zwangsläufigkeit erforderliches vorfeldweises ärztliches Gutachten ist nicht dadurch entbehrlich, dass wie im vorliegenden Fall ein ärztlicher Entlassungsbericht mit Empfehlungen eines Physiotherapeuten für eine bestimmte Therapie vorliegt und der Physiotherapeut im Rahmen dieser Therapie seinerseits als weitere Maßnahme ein "Weiterüben" (Anführungszeichen laut VwGH) in einem Fitnessstudio empfiehlt. Gemäß VwGH reicht der angenommene, mittelbare ärztliche Verordnungszusammenhang nicht aus, um eine Zwangsläufigkeit zusätzlicher Maßnahmen iSd § 34 EStG 1988 darzutun.
Weiters verweist der VwGH darauf, dass die für Physiotherapeuten geltenden gesetzlichen Berufsvorschriften eine weiterführende Verordnung nicht zulässt, da diese nur Ärzten zulässig ist. (siehe )
Die Kosten für das Gleichgewicht- und Krafttraining im Fitnessstudio samt Kilometergeld können daher nicht anerkannt werden.
Die Rechnungen der Shopapotheke, Rehamaterial, Gymnastikball, Bandscheibenwürfel, etc. sind nicht ärztlich verordnet und daher nicht zwangsläufig erwachsen. Derartige Aufwendungen sind gem. § 34 EStG 1988 nicht abzugsfähig."

Es wurden in der Beschwerdevorentscheidung die unter KZ 719 Arbeitsmittel geltend gemachten Aufwendungen nur in Höhe von 744,92 Euro, die unter KZ 721 geltend gemachten Reisekosten nur in Höhe von 1.147,56 Euro und die Aus-/Fortbildungs-/Umschulungskosten (KZ 722) in Höhe von 8.821,12 Euro als Werbungskosten berücksichtigt. Die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Krankheitskosten wurden in Höhe von 6.810,90 Euro (vor Abzug des Selbstbehaltes) berücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin brachte mit Schreiben vom fristgerecht den Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht ein und beantragte nach ausführlicher Begründung die erklärungsgemäße Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten. Zu den als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Krankheitskosten brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie ab November 2018 an einer völligen Lähmung des rechten Beines vom Knie abwärts gelitten habe und nur unter Nutzung einer Prothese gehen habe können. Daraus hätten sich zwei vierwöchige REHA-Aufenthalte binnen vier Monaten und ein "knallhartes" Therapieprogramm bis zur Regeneration, die für in 1 ½ bis 2 Jahren in Aussicht gestellt worden sei, ergeben. Stärkung, Koordination und Ausdauer seien für die Regeneration ausschlaggebend gewesen. Da die Beschwerdeführerin das aber nur bedingt zu Hause schaffen hätte können, habe sie ein Fitness-Center gefunden, das die gleichen Geräte geboten habe, wie sie bei den REHAs genutzt worden seien. Das Procedere nach den REHA-Aufenthalten sei in den beiden ärztlichen Entlassungsberichten enthalten. In den Arztgesprächen mit den begleitenden Ärzten (Hausärztin, Neurologin) seien die gesetzten begleitenden Maßnahmen und Übungen auf Grundlage der REHA-Berichte und der aktuellen Untersuchungsergebnisse besprochen und auf die Fortsetzung der Übungen und Therapien bis zum Eintreten einer wesentlichen und nachhaltigen Besserung verwiesen worden. Ein schriftlicher Nachweis, aus dem sich der Grund und die Dauer einer notwendigen therapeutischen Maßnahme bereits vor deren Einsatz ablesen ließe, könne nicht vorgelegt werden.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde vom am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und nahm wie folgt Stellung:
"WERBUNGSKOSTEN:
* Privatanteil EDV/Internet/Ankauf von Computer und Zubehör:
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und Ausführungen in der Beschwerde ist - nach Ansicht des Finanzamtes - ein Privatanteil in Höhe von 20% (wie ursprünglich beantragt) zu berücksichtigen.
* Arbeitsmittel - Dekomaterial (lt. vorliegender Aufstellung; 26.11. Müller / Deko-Material für Klasse) - € 16,94:
Aufgrund der Ausführungen im Vorlageantrag sind - nach Ansicht des Finanzamtes - die Aufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen.
* Reisekosten für Literaturrecherchen - gesamt € 183,88:
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und Ausführungen im Vorlageantrag sind - nach Ansicht des Finanzamtes - die Reisekosten als Werbungskosten (unter dem Titel Bildungskosten) zu berücksichtigen.
* Reisekosten für Informationsveranstaltung der Personalvertretung - € 20,58:
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und Ausführungen im Vorlageantrag sind - nach Ansicht des Finanzamtes - die Reisekosten als Werbungskosten (unter dem Titel Reisekosten) zu berücksichtigen.

AUßERGEWÖHNLICHE BELASTUNGEN:
* REHA-Aufenthalt - Haushaltsersparnis € 5,23 pro Tag:
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und Ausführungen in der Beschwerde ist - nach Ansicht des Finanzamtes - für 28 Tage (anstatt für 56 Tage) eine Haushaltsersparnis bei den Kosten für den REHA-Aufenthalt in Abzug zu bringen. (28 Tage x € 5,23 = € 146,44)
* Kilometergeld für Fahrt zu Optiker und Apothekenfahrten - gesamt € 62,16:
Bei solchen Fahrten ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass diese gemeinsam mit Anschaffungen des täglichen Lebens (Lebensmitteln etc.) verbunden werden und daher nicht gesondert absetzbar sind.
Nach Ansicht des Finanzamtes können daher die beantragten Kilometergelder nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
* Kilometergeld für Fahrt zum Dentallabor Himmelstoß - € 51,24:
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und Ausführungen im Vorlageantrag ist - nach Ansicht des Finanzamtes - das Kilometergeld für die Fahrt zum Dentallabor Himmelstoß als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
* Kosten im Zusammenhang mit dem Besuch eines Fitnessstudios - gesamt (inkl. Kilometergeld) € 2.585,05:
Um Wiederholungen zu vermeiden wird auf die Ausführungen in der BVE verwiesen.
Der Besuch eines Fitnessstudios stellt nur dann eine außergewöhnliche Belastung dar, wenn eine vor Beginn ausgestellte genaue ärztliche Anordnung mit festem Trainingsplan und Einbettung der laut ärztlicher Anordnung absolvierten Trainingseinheit in eine ärztlich überwachte Behandlung vorliegt. ()
Ein belegmäßiger Nachweis (Zahlungsnachweise) für den Besuch des Fitnessstudios wurde nicht vorgelegt.
Nach Ansicht des Finanzamtes können die Kosten im Zusammenhang mit dem Besuch des Fitnessstudios nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
* Rechnungen Shopapotheke - gesamt € 56,01:
Diese sind - nach Ansicht des Finanzamtes - nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, da keine ärztliche Verordnung vorliegt und diese daher nicht zwangsläufig erwachsen.
* Ergotherapeutisches REHA-Material - € 32,69:
Laut der vorliegenden Rechnung handelt es sich hierbei um div. Spiele (Mikado, Geschicklichkeitsspiel, ...). Diese Kosten/Aufwendungen stellen Kosten der Lebensführung dar und sind nicht außergewöhnlich.
Nach Ansicht des Finanzamtes können diese Kosten nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
* Fitnessball € 15,94 / Bandscheibenwürfel Aleo Vera € 33,23:
Die Anschaffung der Artikel erfolgte nicht aufgrund einer ärztlichen Verordnung. Zudem werden Fitnessbälle und Bandscheibenwürfel auch von vielen anderen Personen zur Gesundheitsvorsorge verwendet bzw. angeschafft.
Nach Ansicht des Finanzamtes fehlt es diesen Kosten an der Außergewöhnlichkeit und Zwangsläufigkeit, weshalb diese nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können.
* Massagekosten - gesamt (inkl. Kilometergeld) € 286,44 (bisher nicht strittig):
Aufwendungen für Behandlungsleistungen durch nichtärztliches Personal (zB Physiotherapeuten) sind grundsätzlich nur dann als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, wenn diese Leistungen ärztlich verschrieben oder die Kosten teilweise von der Sozialversicherung ersetzt werden.
Mangels Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen können - nach Ansicht des Finanzamtes - die beantragten Massagekosten nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Das Finanzamt beantragt, der Beschwerde teilweise stattzugeben und den Bescheid dahingehend abzuändern, dass folgende Beträge als Werbungskosten und außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt
(Krankheitskosten) berücksichtigt werden:

Werbungskosten:
Pendlerpauschale (KZ 718) € 372,00
Pendlereuro (KZ 916)
12,00
Arbeitsmittel (KZ 719)
€ 1.207,79
Fachliteratur (KZ 720)
€ 51,19
Reisekosten (KZ 721) € 1.168,14
Aus-/Fortbildungs-/Umschulungskosten (KZ 722)
€ 9.005,00

Außergewöhnliche Belastung:
Krankheitskosten (KZ 730) € 6.575,70"

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin machte in ihrer am eingereichten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2019 Aufwendungen in Höhe von insgesamt 11.816,12 Euro als Werbungskosten und Krankheitskosten in Höhe von 9.793,66 Euro als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt geltend.

Laut den Ausführungen der belangten Behörde im Vorlagebericht vom sind auf Grund der für glaubwürdig befundenen Vorbringen der Beschwerdeführerin und der vorgelegten Unterlagen Werbungskosten in Höhe von insgesamt 11.816,12 Euro und Krankheitskosten in Höhe von 6.575,70 Euro als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt anzuerkennen.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen.

Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durfte das Bundesfinanzgericht daher in freier Beweiswürdigung von den obigen Sachverhaltsfeststellungen ausgehen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)

Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

Laut den Ausführungen des Finanzamtes im Vorlagebericht vom sind die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von insgesamt 11.816,12 Euro als Werbungskosten zu berücksichtigen. Änderungen ergeben sich nur auf Grund unterschiedlicher Zuordnung innerhalb der geltend gemachten Werbungskosten. Auf Grund der für glaubwürdig befundenen Vorbringen der Beschwerdeführerin werden die geltend gemachten Werbungskosten auch vom Bundesfinanzgericht anerkannt.

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

Gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1988 ist die Belastung außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 beeinträchtigt die Belastung wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 iVm Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen von höchstens € 7.300,00 6 %, mehr als € 7.300,00 bis € 14.600,00 8 %, mehr als € 14.600,00 bis € 36.400,00 10 %, mehr als € 36.400,00 12 %. Der Selbstbehalt vermindert sich um je einen Prozentpunkt, wenn dem Steuerpflichtigen der Alleinverdienerabsetzbetrag oder der Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht und für jedes weitere Kind (§ 106).

Gemäß § 34 Abs. 5 EStG 1988 sind, wenn im Einkommen sonstige Bezüge im Sinne des § 67 enthalten sind, als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit für Zwecke der Berechnung des Selbstbehaltes die zum laufenden Tarif zu versteuernden Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, erhöht um die sonstigen Bezüge gemäß § 67 Abs. 1 und 2, anzusetzen.

Von der Beschwerdeführerin wurden in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019 außergewöhnliche Belastungen nach Abzug des Selbstbehaltes gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 in Höhe von 9.793,66 Euro geltend gemacht (Kilometergeld für Wege zu Spitälern/zur REHA/zu Ärzten/zur Beschaffung von Behelfen/zu Therapien vor, zwischen und nach den beiden REHAs/zu Apotheken in Höhe von 2.715,72 Euro; Rezeptgebühren, Medikamente in Höhe von 492,75 Euro; Honorare abzüglich Kostenersatz in Höhe von 4.363,54 Euro; Aufwendungen für REHA-Materialien und andere medizinische Behelfe/Erfordernisse in Höhe von 1.421,24 Euro sowie BVA-Selbstbehalte in Höhe von 800,41 Euro). Unstrittig ist die Berücksichtigung der Haushaltsersparnis für die Dauer des Kuraufenthaltes (28 Tage) in Höhe von 146,44 Euro. Strittig sind nach den Ausführungen der belangten Behörde im Vorlagebericht vom Aufwendungen in Höhe von 3.122,76 Euro (Kilometergeld für Wege zur Beschaffung von Behelfen/zu Therapien vor, zwischen und nach den beiden REHAs/zu Apotheken in Höhe von 1.699,32; Rezeptgebühren, Medikamente in Höhe von 56,01 Euro; Honorare abzüglich Kostenersatz in Höhe von 273,00 Euro sowie Aufwendungen für REHA-Materialien und andere medizinische Behelfe/Erfordernisse in Höhe von 1.094,43 Euro).

Das Bundesfinanzgericht hat anhand der von der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde vorgelegten Belege zu prüfen, ob die außergewöhnlichen Belastungen in rechtskonformer Höhe steuerlich zu berücksichtigen sind. Das Vorliegen der angeführten Voraussetzungen bedarf eines Nachweises, wobei überdies gilt, dass dort, wo die Abgrenzung zu Aufwendungen der allgemeinen Lebensführung schwierig ist, an die Nachweisführung besonders strenge Anforderungen gestellt werden.

Nicht jede auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Gesundheitsmaßnahme führt zu einer außergewöhnlichen Belastung. Die Aufwendungen müssen vielmehr zwangsläufig erwachsen, womit es erforderlich ist, dass die Maßnahmen zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind (vgl. ). Die medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme wird zB durch eine ärztliche Verordnung, einen ärztlichen Therapieplan oder durch Übernahme der Kosten durch den Sozialversicherungsträger nachgewiesen (vgl. ; , Ra 2017/13/0039; , 2001/15/0164).

Das Merkmal der Zwangsläufigkeit wird bei Maßnahmen fehlen, deren Beitrag zur Heilung oder Linderung einer Krankheit oder zur günstigen Entwicklung einer Behinderung nicht hinreichend erwiesen ist und die daher bei der medizinischen Behandlung nicht typischerweise anfallen. Im Allgemeinen wird eine im Rahmen eines medizinischen Behandlungsplanes und damit vor der Anwendung erstellte ärztliche Verordnung als geeigneter Nachweis für die medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme anzusehen sein.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für den Besuch eines Fitnessstudios durch ein vor Beginn des Besuches ausgestelltes ärztliches Zeugnis nachzuweisen, aus dem sich die Notwendigkeit und die Dauer des Fitnessstudiobesuches ergeben (vgl. , unter Hinweis auf BFH vom , III R 67/96, betreffend Aufwendungen für eine "medizinische Trainingstherapie" in einem ärztlich betreuten Sportstudio). Selbst bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung bestimmter Übungen führt nicht jeder Besuch eines Fitnessstudios zu einer außergewöhnlichen Belastung. Wesentlich ist die Einbettung des Fitnessstudiobesuchs und der dabei absolvierten Trainingseinheiten in eine ärztlich überwachte Behandlung. So könnte sich ein physiotherapeutisch begleiteter Besuch eines Fitnessstudios beispielsweise dann und insoweit als zwangsläufig erweisen, wenn im Rahmen einer ärztlich verordneten physikalischen Therapie nach einem festen Trainingsplan laufend auch konkrete selbstständige Trainingseinheiten in einem Fitnessstudio zu absolvieren sind und eine regelmäßige Überwachung dieser Selbstübungseinheiten im Rahmen der physikalischen Therapie gewährleistet ist (vgl. ).

Die Beschwerdeführerin hat nach Absolvierung eines Rehab-Heilverfahrens Ende des Jahres 2018 ein Fitnessstudio besucht. Aus dem vorliegenden Physiotherapeutische Abschlussbericht vom geht hervor, dass ein Heimübungsprogramm erarbeitet wurde. Nach Absolvierung eines weiteren Rehab-Heilverfahrens im Frühjahr des Jahres 2019 wurde laut vorliegendem Physiotherapeutischen Bericht vom die Durchführung des Heimübungsprogrammes sowie eine elektrische Stimulation für zu Hause empfohlen. Aus den vorgelegten ärztlichen Entlassungsberichten ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Besuch eines Fitnessstudios empfohlen und aus medizinischer Sicht als notwendig erachtet wurde. Die vom Verwaltungsgerichtshof an ein vorfeldweises ärztliches Zeugnis gestellten Anforderungen erfüllen die vorliegenden Berichte somit nicht. Der Beschwerdeführerin kann darin zugestimmt werden, dass die Übungen im Fitnessstudio zweifellos der Verbesserung ihres Gesundheitszustandes gedient haben, doch macht dies das erforderliche ärztliche Zeugnis nicht entbehrlich. Fehlt es aber an einer ausreichend konkretisierten ärztlichen Verschreibung im Sinne einer "ärztlichen Verordnung bestimmter Übungen nach einem festen Trainingsplan", so ist die steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für das Fitnessstudio schon aus diesem Grund nicht gegeben. Dies gilt ebenso für die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Massagekosten in Höhe von insgesamt 286,44 Euro. Auch zum Nachweis der Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen ist die Vorlage eines vor Durchführung der Behandlung ausgestellten ärztlichen Zeugnisses oder Gutachtens erforderlich, aus dem sich die Notwendigkeit und der Umfang der Heilbehandlung ergeben. Einem ärztlichen Gutachten kann es gleich gehalten werden, wenn von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung Zuschüsse geleistet werden, weil zur Erlangung dieser Zuschüsse ebenfalls in der Regel ein ärztliches Gutachten vorgelegt werden muss (vgl. ). Die Beschwerdeführerin hat das Vorliegen einer ärztlichen Verordnung für den Besuch eines Fitnessstudios sowie den in Anspruch genommenen Massagen nicht nachgewiesen und einen (teilweisen) Kostenersatz durch den Sozialversicherungsträger auch nicht behauptet.

Hinsichtlich der von der belangten Behörde nicht anerkannten Aufwendungen (Shopapotheke, REHA-Material, Fitnessball und Bandscheibenwürfel) ist festzustellen, dass auch für diese Produkte eine ärztliche Verschreibung/Dosierplan oder Ähnliches nicht vorgelegt wurde, weshalb auch hier die Zwangsläufigkeit nicht als erwiesen angesehen werden konnte. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass in diesem Zusammenhang eine Abgrenzung zu Aufwendungen der allgemeinen Lebensführung nicht möglich ist.

Die Würdigung aller Sachverhaltselemente führt zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdeführerin als außergewöhnliche Belastungen nach Abzug des Selbstbehaltes gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 geltend gemachten Krankheitskosten in Höhe von 9.793,66 Euro nur im Ausmaß von 6.575,70 Euro zu berücksichtigen sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wien, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7100292.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at