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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.06.2024, RV/7200025/2022

Das Hohlprofile-Kriterium im Anhang 22-01 UZK-DA ist ungültig, soweit es den Wechsel von Rohren der Unterposition 7304 49 HS von der Bestimmung des Ursprungs eines Enderzeugnisses der Unterposition 7304 41 HS ausnimmt, was bedeutet, dass die Primärregel auch für einen solchen Wechsel gilt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch seine Richterin Mag. Maria Daniel in der Beschwerdesache Bf***, Bf-Adr*** vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH, Währinger Straße 2-4, 1090 Wien, über die Beschwerden der Abgabepflichtigen jeweils vom gegen die Bescheide des Zollamtes Österreich vom (Zahl 1*** und Zahl 2***), sowie über die Beschwerden der Abgabepflichtigen jeweils vom gegen die Bescheide des Zollamtes Österreich vom (Zahl 5*** und Zahl 6***) betreffend nachträgliche buchmäßige Erfassung von Eingangsabgaben auf Grund einer durchgeführten Betriebsprüfung/Zoll nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Andrea Moravec zu Recht:

Den Beschwerden gegen die Bescheide des Zollamtes vom (Zahl 1*** und Zahl 2***) sowie gegen die Bescheide des Zollamtes vom (Zahl 5*** und Zahl 6***) wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensverlauf

Anlässlich einer bei der Beschwerdeführerin durchgeführten Betriebsprüfung des Zollamtes Österreich wurden mit Bescheiden jeweils vom für die Beschwerdeführerin gem Art 77 Abs 1 Buchst a VO (EU) Nr. 952/2013 iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG für die mit den in der jeweiligen Anlage zu den Bescheiden angeführten Warenanmeldungen in den zollrechtlich freien Verkehr überführten Waren Eingangsabgaben iHv 469.016,87 (Zahl 1*** - Antidumpingzoll 316.782,74 Euro und Einfuhrumsatzsteuer 152.234,13 Euro) sowie Eingangsabgaben iHv 1.396.154,94 (Zahl 2*** - Antidumpingzoll 943.200,37 Euro und Einfuhrumsatzsteuer 452.954,57 Euro) gem Art 105 Abs 3 UZK nachträglich buchmäßig erfasst. Es wurden Verzugszinsen iHv 17.291,31 Euro (Zahl 1***) und 50.625,32 Euro (Zahl 2***) festgesetzt.

Da der Warenempfänger nach den umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, unterbleibe gem § 62 ZollR-DG jeweils die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrumsatzsteuer.

Die belangte Behörde verweist in den jeweiligen Begründungen auf die in der Anlage zur Niederschrift dargestellten Unstimmigkeiten. Demnach seien die von den indischen Exporteuren an die Beschwerdeführerin gelieferten "Mutterrohre" keine Hohlprofile der Unterposition 7304 49. Bei der Fertigung von Rohren mit kreisförmigen Querschnitt, aus nicht rostendem Stahl, kaltgezogen oder kaltgewalzt der KN-Position 7304 aus warmgefertigten Mutterrohren der KN-Position 7304, werde kein Wechsel von einer KN-Position auf eine andere KN-Position erreicht.

Da die in Indien vorgenommenen Herstellungsschritte nicht den im Anhang 22-01 UZK-DA geforderten Tarifsprung von einer Position in eine andere Position der KN erfüllen, bleibe das Ursprungsland nach den Bestimmungen über den nichtpräferenziellen Ursprung die Volksrepublik China.

Der indische Versender "M***" habe erklärt, dass die Stahlrohre aus Mutterrohren mit chinesischem Ursprung produziert wurden. Nach Ansicht der belangten Behörde seien die verwendeten Mutterrohre nicht ausreichend bearbeitet worden um den nichtpräferenziellen Ursprung von Indien zu erlangen.

Ebenso habe der indische Versender "K***" erklärt, dass die Stahlrohre aus Mutterrohren mit chinesischem bzw indischem Ursprung produziert wurden. Welchen Ursprung diese Mutterrohre bei den jeweiligen Importwaren hatten, habe die Beschwerdeführerin (als Zollanmelder) nicht darlegen können. Der nichtpräferenzielle Ursprung bleibe bei diesen Waren, die aus chinesischen Mutterrohren hergestellt wurden, weiterhin die Volkrepublik China. Die verwendeten Mutterrohre seien auch in diesen Fällen nicht ausreichend bearbeitet worden, um den nichtpräferenziellen Ursprung zu erlangen.

In der Beschwerde vom gegen den Bescheid vom (Zahl 1***) bringt die Beschwerdeführerin vor, das Zollamt habe nicht berücksichtigt, dass die Stahlrohre in Indien einer wesentlichen Be- und Verarbeitung unterzogen worden wären und daher tatsächlich indischen Ursprung hätten.

Die in China durch Warmfertigung hergestellten Mutterrohre seien in Indien durch K*** mittels Kaltumformung einer wesentlichen Be- und Verarbeitungen unterzogen worden. In den Produktionsstätten von K*** seien Außendurchmesser und Wandstärke der Rohre verändert, die Maßtoleranzen und Oberflächengüte verbessert, sowie die metallurgischen und mechanischen Eigenschaften verändert worden.

Erst nach der Be- und Verarbeitung durch K*** hätten die Rohre die Eigenschaften, die für die Weiterverwendung durch die Beschwerdeführerin in der EU unbedingt notwendig wären.

Das Kriterium des Wechsels der Tarifposition beruhe weder auf einer objektiven bzw tatsächlich feststellbaren Unterscheidung zwischen dem Ausgangserzeugnis, noch auf den spezifischen Beschaffenheitsmerkmalen jedes dieser Erzeugnisse und stelle nicht auf besondere Be- oder Verarbeitungsvorgänge ab, die zur Herstellung des bearbeiteten Erzeugnisses geführt hätten. Es könne daher auch ohne Wechsel der Tarifposition eine wesentliche Be- oder Verarbeitung vorliegen. Könne aufgrund der Listenregelung eine Tarifsprung nicht erkannt werden, sei trotzdem zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Ursprungerwerbs nach Art 60 Abs 2 UZK vorliegen.

Bei den von K*** aus China importierten Rohren handle es sich um warmgewalzte Hohlprofile oder sog Rohrluppen, die in die Unterposition 7304 49 HS einzureihen seien. Mutterohre seien sogenannte "Hohlstähle", somit Hohlerzeugnisse, die dazu bestimmt seien, durch eine Weiterverarbeitung aufgewertet zu werden.

Selbst wenn ein Wechsel der Tarifposition nicht stattgefunden habe und die Mutterohre auch nach der Behandlung in die Position 7304 HS einzureihen wären, habe ein Wechsel von Hohlprofilen der Unterposition 7304 49 HS zu Rohren der Unterposition 7304 41 stattgefunden.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin könnten auch Hohlerzeugnisse, deren äußere und innere Querschnitte dieselbe Form aufweisen, zolltariflich Hohlprofile sein.

Die in Anhang 22-01 zu UZK-DelVO genannten Hohlprofile könnten auch solche sein, deren äußerer oder innerer Querschnitt dieselbe Form aufweise.

Die Umgehungsuntersuchung der Kommission habe ergeben, dass die Waren durch die in Indien durchgeführte Kaltumformung wesentlich bearbeitet worden wären. Während des Verfahrens hätten sich die Abmessungen und ihre materiellen, mechanischen sowie metallurgischen Eigenschaften verändert.

Die Erkenntnisse der Kommission würden den Tatbestand des Art 60 Abs 2 UZK erfüllen.

Ferner habe die Zollbehörde die Beweislast, dass die Beschwerdeführerin Waren aus Indien eingeführt hat, die nicht indischen, sondern chinesischen Ursprungs seien, nicht erbracht. Die Ansicht der belangten Behörde stehe im Widerspruch zur Durchführungsverordnung 2017/2093 der Kommission, wonach festgestellt worden sei, dass durch das indische Unternehmen keine Antidumpingregeln der EU umgangen wurden.

Wenn K*** im Zeitraum der Untersuchung durch die Kommission in der Lage war, die aus China importierten Rohre so zu be- und verarbeiten, dass kaltgeformte neue Rohre entstehen, sei es nicht nachvollziehbar, warum dies im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht mehr der Fall gewesen sein soll.

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom (Zahl 3***) als unbegründet abgewiesen. Durch die Kaltbearbeitung der ursprünglich aus China stammenden warmgefertigten Stahlrohre (Mutterrohre) in Indien, sei zwar eine qualitative Veränderung an den Rohren vorgenommen worden, jedoch müsse diese wirtschaftlich gerechtfertigte Be- oder Verarbeitung wesentlich sein.

In Art 32 UZK-DA werde das Tatbestandsmerkmal der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung für die im Anhang 22-01 UZK-DA angeführten Waren näher bestimmt, wonach die letzte wesentliche Be- und Verarbeitung in dem Land vorliege, in dem die im Anhang 22-01 UZK-DA angeführten Regeln erfüllt sind.

Da durch die Kaltbearbeitung kein Wechsel der Position 7304 stattgefunden habe, sei die ursprungsbegründende Regel "CTH" nicht erfüllt.

Die alternative Ursprungsregel laut Anhang 22-01 UZK-DA (Wechsel von Hohlprofilen der Unterposition 7304 49) sei ebenso wenig erfüllt, da es sich bei den vom indischen Unternehmen bearbeiteten "Mutterrohren" um keine Hohlprofile handle. Eine wesentliche Bearbeitung iSd Art 60 Abs 2 UZK könne demnach nur dann vorliegen, wenn Waren der Unterposition 7304 41 aus Hohlprofilen der Unterposition 7304 49 hergestellt würden.

Im gegenständlichen Fall seien Waren der Unterposition 7304 41 aus Hohlerzeugnissen, nämlich aus warmgefertigten nahtlosen Rohren aus nicht rostendem Stahl der Unterposition 7304 49 hergestellt worden.

Eine wesentliche Bearbeitung könne nur dann vorliegen, wenn sich der Wechsel von Hohlprofilen der Unterposition 7304 49, und nicht von Rohren der Unterposition 7304 49 auf die Unterposition 7304 41 beziehe.

Der Ansicht der Beschwerdeführerin, wonach die Ursprungsregeln des Anhangs 22-01 UZK-DA nicht zur Anwendung kommen würden, könne nicht gefolgt werden.

Die Kommission habe in ihrer Untersuchung betreffend Umgehung von Antidumpingmaßnahmen, welche mit Durchführungsverordnung (EU) 2017/2093 vom eingestellt wurde, festgestellt, dass es sich bei der von K*** durchgeführten Kaltbearbeitung um eine Be- und Verarbeitung handle, welche wirtschaftlich gerechtfertigt und auch wesentlich sei.

In dieser Verordnung werde jedoch nicht auf die Bestimmungen des nichtpräferenziellen Ursprungs hingewiesen. Die Begründung eines Ursprungs der Waren in Indien sei von der wirtschaftlichen Rechtfertigung der Bearbeitungsschritte getrennt zu sehen.

Die Frage, ob chinesischer oder indischer Ursprung vorliege, sei nicht eine Frage der Beweislast. Es handle sich lediglich um eine Frage der gesetzeskonformen bzw europarechtskonformen Interpretation.

Im Vorlageantrag vom begehrt die Beschwerdeführerin die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes vom (Zahl 2***) ist in wesentlichen Punkten inhaltsgleich und betrifft Rohre des indischen Lieferanten "M***".

Ebenso decken sich die Ausführungen der Beschwerdevorentscheidung vom (Zahl 4***) mit jener betreffend Zahl 3***.

Mit Eingabe vom beantragt die Beschwerdeführerin die Beschwerde gegen den Bescheid vom (Zahl 2***) dem Bundesfinanzgericht vorzulegen, unter Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Begleitschreiben vom übermittelte die Beschwerdeführerin dem Bundesfinanzgericht folgende Unterlagen: Aufstellung der Bestellungen/Lieferungen betreffend "M***" (2***) und "K***" (1***), Bestellungen der Beschwerdeführerin bei "M***" und "K***", Auftragsbestätigungen an die Beschwerdeführerin, Kontrolle der Auftragsbestätigungen, Verzollungsdokumente, Rechnungen, Packlisten, Bill of ladings, Ursprungszeugnisse, Lagerscheine zur Wareneingangskontrolle, Wiegebelege, Dokumente zur Kontrolle der Atteste, Atteste zu den jeweils gelieferten Rohren.

Mit Eingabe vom wurde dem Bundesfinanzgericht ein Vertreterwechsel bekannt gegeben.

In Ergänzung zu den Vorlageanträgen übermittelte der Vertreter der Beschwerdeführerin dem Bundesfinanzgericht mit Schreiben vom zwei Entscheidungen von europäischen Finanzgerichten, die zum Ergebnis kommen würden, dass aufgrund schwerwiegender Ermittlungsfehler, sowie wegen weitgehend bloß spekulativer Annahmen des Europäischen Rechnungshofes, dessen Berichte iZm Stahlimporten von indischem Stahl in den Jahren 2016 bis 2018 kein Beweiswert für die nachträgliche Aberkennung der indischen Ursprungseigenschaft zukomme. Gleichzeitig beantragt die Beschwerdeführerin das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-210/22 auszusetzen.

Mit Schreiben vom beantragt die Beschwerdeführerin, anlässlich der Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen zu C-210/2022, das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht über die Beschwerden fortzusetzen.

Mit Bescheiden jeweils vom wurde nachträglich Zusatzzoll, Antidumpingzoll und Einfuhrumsatzsteuer mit Verzugszinsen iZm den verfahrensgegenständlichen Warenanmeldungen festgesetzt (Zahl 5***, Zusatzzoll 51.870,99 Euro, Antidumpingzoll 149.180,95 Euro, Einfuhrumsatzsteuer 82.087,17 Euro; Zahl 6***, Zusatzzoll 243.846,92 Euro, Antidumpingzoll 710.303,75 Euro, Einfuhrumsatzsteuer 385.437,67 Euro).

Die Beschwerdeführerin habe nahtlose Rohre aus nicht rostendem Stahl mit chinesischem Ursprung als indische Ursprungsware in die EU unter Inanspruchnahme des indischen Zollkontingents mit der Nr. 098926 importiert. Aufgrund der unrichtigen Angabe des Ursprungs der Waren seien Antidumpingzölle ursprünglich nicht festgesetzt worden. Diese wurden mit Bescheiden vom festgesetzt.

Da die Beschwerdeführerin unrichtiger Weise das für Indien zugelassene Kontingent mit der Nr. 098926 beansprucht habe, sei auch ein Schutzzoll vorzuschreiben (iHv 25% gem Art 1 Abs 6 der Durchführungsverordnung (EU) 2019/159 inklusive Verzugszinsen).

Da der Warenempfänger nach den umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sei, unterbleibe gem § 62 ZollR-DG die nachträgliche buchmäßige Erfassung der EUSt.

Dagegen richten sich die beiden Beschwerden jeweils vom . In den Beschwerdeschriften werden außerdem die Be-und Verarbeitungsschritte der durch M*** und K*** aus China importierten warmgefertigten Rohre dargestellt. Die rechtlichen Begründungen sind im Wesentlichen ident mit den Beschwerden vom .

Die beiden Beschwerden wurden jeweils mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.

Mit Eingaben jeweils vom beantragt die Beschwerdeführerin die beiden Beschwerden unter Durchführung einer mündlichen Verhandlung dem BFG vorzulegen.

In der mündlichen Verhandlung am räumt die belangte Behörde ein, dass es zwar unbestritten sei, dass die Maschinen für die Kaltumformung in Indien vorhanden gewesen seien, es jedoch nach wie vor ungeklärt sei, ob tatsächlich eine Verarbeitung in Indien stattgefunden habe.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Mit den nachfolgend angeführten Warenanmeldungen wurden für die Beschwerdeführerin im Zeitraum Jänner 2019 bis August 2019 nahtlose Edelstahlrohre in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr überführt.


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Zollanmeldung
Tag
Betrag (Euro)
Lieferer
19AT320000IVXHTYL8
142.658,75
M***
19AT320000IVXJSU80
11.471,40
M***
19AT320000IVXK4EH6
77.128,60
M***
19AT320000IVXWY2V0
108.276,07
M***
19AT320000IVY6PZS2
151.813,24
M***
19AT320000IVY8SB76
134.856,20
M***
19AT320000IVY8SB92
119.275,51
M***
19AT320000IVYEM9U7
136.145,79
M***
19AT320000IVYW9961
174.276,78
M***
19AT320000IVYX70C5
155.908,93
M***
19AT320000IVZ7H1J4
109,761,24
M***
19AT320000IVXTE270
123.502,30
K***
19AT320000IVY0Y1R0
110.551,72
K***
19AT320000IVY96KC5
125.664,14
K***
19AT320000IVZ1C840
83.719,79
K***

Als Ursprungsland der Ware wurde in den Warenanmeldungen "Indien" angegeben. Verkäufer der Rohre waren die in Indien ansässigen Unternehmen "K***." und "M***." Die abgefertigten Rohre wurden in die Position 7304 4100 der KN eingereiht.

Die beiden indischen Unternehmen haben in der Volksrepublik China warmgefertigte Rohre (sog Mutterrohre) zugekauft und anschließend in ihren Unternehmen durch Kaltumformung weiterbearbeitet. Beide indische Unternehmen verfügen über die erforderlichen Maschinen und Einrichtungen, um die aus China importierten Rohre in ihren Unternehmen entsprechend zu bearbeiten.

Beweiswürdigung

Im Februar 2017 wurde von der Kommission eine Untersuchung eingeleitet, um festzustellen, ob durch aus Indien in die EU versandte Einfuhren bestimmter nahtloser Rohre aus rostfreiem Stahl (ob als Ursprungserzeugnisse Indiens angemeldet oder nicht) die mit der Durchführungsverordnung (EU) 1331/2011 in Bezug auf die Volksrepublik China eingeführten Maßnahmen umgangen werden. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom bis zum .

Im Rahmen der Untersuchung wurden bei den indischen Unternehmen Kontrollbesuche durchgeführt.

Mit Durchführungsverordnung (EU) 2017/2093 der Kommission vom wurde diese Untersuchung eingestellt.

Die Untersuchung ergab, dass die Waren durch die in Indien durchgeführte Kaltumformung wesentlich be- oder verarbeitet wurden und sich ihre wesentlichen Merkmale hierdurch unumkehrbar veränderten. Während des Verfahrens änderte die Ware ihre Abmessungen und ihre materiellen, mechanischen und metallurgischen Eigenschaften.

Die Untersuchung des OLAF im Fall OF/2016/0680 ergab, dass die nahtlosen Rohre aus rostfreiem Stahl, die von den beiden indischen Unternehmen K*** und M*** in die EU eingeführt wurden, ausgehend von der Hohlprofile-Ursprungsregel chinesischen Ursprungs waren.

Im Endbericht wird darauf hingewiesen, dass die Einstellung der Untersuchung der Kommission nicht auf Grundlage von Zollbestimmungen iZm den Ursprungsregeln getroffen wurde.

Der OLAF Bericht kommt zum Schluss, dass die Weiterverarbeitung (Kaltumformung) in Indien von aus der Volksrepublik China eingeführten Waren mit der Position 7304 nicht die in Anhang 22-01 UZK-DA festgelegten Kriterien für die Zuerkennung des indischen Ursprungs erfüllen.

Laut OLAF-Bericht wurde jedoch kein eindeutiges Umlademuster in Bezug auf bestimmte Ausfuhren/Versender für Indien festgestellt. Es wurden auch keine eindeutigen Hinweise auf einen allgemeinen Versand festgestellt. "However, no clear pattern of transhipment relating to particular exporters/consignors for India was identified. (…) " Further analysis indicated that certain individual companies in the PRC increased exports to India, but no clear overall indication of more general transhipment was establisehd." (OLAF Final Report vom , S.11, Punkt 2.2.)

Die OLAF-Note vom gibt einen Überblick über die tatsächliche Situation der Ausfuhren nahtloser Rohre und Rohre aus nichtrostendem Stahl durch das indische Unternehmen M*** ab Jänner 2019. Auch in diesem Dokument findet sich kein Hinweis auf reine Umladungen.

Daher erachtet es das Bundesfinanzgericht als erwiesen, dass die verfahrensgegenständlichen Rohre im Zeitraum Jänner 2019 bis Juli 2019 in Indien einer Bearbeitung (Kaltumformung) zugeführt wurden und dass es sich nicht um reine Umladungen gehandelt hat.

Der Ansicht der belangten Behörde, wonach eine tatsächliche Verarbeitung der Mutterrohre in Indien nicht geklärt sei, kann nicht gefolgt werden. Diese in der mündlichen Verhandlung von der belangten Behörde geäußerte Ansicht steht außerdem im Widerspruch zu den erlassenen Beschwerdevorentscheidungen. In den Beschwerdevorentscheidungen vom (Zahl 4***, Zahl 3***) geht das Zollamt Österreich von folgendem Sachverhalt aus: "Das indische Unternehmen M*** (bzw K***) bezog warmgefertigte nahtlose Stahlrohre (sogenannte "Mutterrohre") aus nicht rostendem Stahl der HS Unterposition 7304 49 aus China, welche sie in ihrem Werk in Indien durch Kaltverarbeitung auf die von der Bf bestellten Maße weiterverarbeitet hat." (vgl Punkt II. der jeweiligen Beschwerdevorentscheidungen - "Nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren und Wahrung des Parteiengehörs steht folgender Sachverhalt fest:").

Rechtliche Würdigung

Art 60 Abs 2 UZK bestimmt:

"Waren, an deren Herstellung mehr als ein Land oder Gebiet beteiligt ist, gelten als Ursprungswaren des Landes oder Gebiets, in dem sie der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen wurden, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen wurde und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt."

Nach Art 62 UZK wird die Kommission ermächtigt, delegierte Rechtsakte gem Art 284 zu erlassen, in denen die Regeln festgelegt werden, nach denen Waren, deren Bestimmung des nichtpräferenziellen Ursprungs für die Anwendung der in Art 59 genannten Unionsmaßnahmen erforderlich ist, gem Art 60 als in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt oder als in einem Land oder Gebiet der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen wurde und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt, unterzogen angesehen werden.

Art 32 UZK-DA bestimmt:

"In Anhang 22-01 aufgeführte Waren gelten als Waren, die ihrer letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung, die zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt, in dem Land oder Gebiet unterzogen wurden, in dem die in diesem Anhang aufgeführten Regeln erfüllt sind oder … das durch diese Regeln ermittelt wird."

Für Waren, die im Anhang 22-01 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 aufgeführt sind, werden dort die Be- und Verarbeitungen verbindlich festgelegt, die als ursprungsbegründende Kriterien im Sinne des Art. 60 Abs. 2 UZK angesehen werden.

Kapitel 73 des Anhangs enthält eine Tabelle mit den Primärregeln, die bei der Bestimmung des Ursprungslands oder des Ursprungsgebiets der dort aufgeführten und nach ihrer Position oder Unterposition im HS bezeichneten Waren anzuwenden sind, u. a. die Primärregel für kaltgezogene oder kaltgewalzte Rohre aus nicht rostendem Stahl mit kreisförmigem Querschnitt der HS-Unterposition 7304 41. In der Tabelle heißt es:


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HS
Code
Warenbezeichnung
Primärregeln
2017
7304
Rohre und
Hohlprofile,
Wie für die
nahtlos, aus Eisen
Unterposition
(ausgenommen
angegeben
Gusseisen) oder
Stahl
andere, mit
andere, mit
Kreisförmigem
kreisförmigem
Querschnitt, aus
-
Querschnitt,
nicht rostendem
aus nicht
Stahl
rostendem
Stahl
7304 41
CTH; oder
Wechsel von
- - kaltgezogen
Hohlprofilen
oder kaltgewalzt
der
Unterposition
7304 49
7304 49
- - andere
CTH

Ein Hohlprofil mit der Zolltarifnummer 7304 49, welches durch Kaltumformung verarbeitet wird und danach als Rohr oder Hohlprofil unter die Zolltarifnummer 7304 41 einzureihen ist, gilt als wesentlich be- oder verarbeitet iSd Primärregel, weshalb das letzte verarbeitende Land als Ursprung des Enderzeugnisses gilt.

Wird jedoch ein Rohr mit der Zolltarifnummer 7304 49 durch Kaltumformung in ein anderes Rohr oder Hohlprofil verarbeitet, welches unter die Zolltarifnummer 7304 41 einzureihen ist, gilt dies nicht als wesentliche Verarbeitung.

"Obwohl der durch die Verarbeitung einer Ware herbeigeführte Wechsel ihrer Tarifposition für ihre wesentliche Be- oder Verarbeitung spricht, kann auch ohne einen solchen Positionswechsel eine wesentliche Be- oder Verarbeitung gegeben sein. Das Kriterium des Wechsels der Tarifposition erfasst die meisten Sachverhalte, ermöglicht jedoch nicht, alle Sachverhalte festzustellen, in denen eine wesentliche Be- oder Verarbeitung der Ware vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Hoesch Metals and Alloys, C-373/08, EU:C:2010:68, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung)" (, Rn.53).

Nach der Rechtsprechung des EuGH begründet das Hohlprofile-Kriterium eine Ungleichbehandlung (, Rn. 60).

"Nach diesem Kriterium bestimmt nämlich die Kaltumformung eines Erzeugnisses der Unterposition 7304 49 HS, dessen äußere und innere Querschnitte nicht dieselbe Form aufweisen und das somit ein "Hohlprofil" im Sinne der Erläuterungen zum HS zu dessen Kapitel 73 darstellt, in ein Erzeugnis mit den gleichen Formen, dessen Eigenschaften aber aufgrund dieser Formgebung unterschiedlich sind und das somit auch ein "Hohlprofil" im Sinne dieser Erläuterungen darstellt, den Ursprung des Enderzeugnisses, so dass dieses als Ergebnis einer "wesentlichen Be- oder Verarbeitung" im Sinne von Art. 60 Abs. 2 des Zollkodex gilt. Hingegen bestimmt die Kaltumformung eines ebenfalls zu Unterposition 7304 49 HS gehörenden Erzeugnisses, das ein konzentrisches Hohlerzeugnis mit einem Querschnitt derselben inneren und äußeren Form ist und somit ein "Rohr" im Sinne der Erläuterungen zum HS zu dessen Kapitel 73 darstellt, in ein Erzeugnis mit denselben Formen, dessen Eigenschaften aber aufgrund dieser Formgebung auch unterschiedlich sind und das somit ein anderes "Rohr" im Sinne dieser Erläuterungen darstellt, nicht den Ursprung des Enderzeugnisses. Nach dem Hohlprofile-Kriterium gilt somit nur das letztgenannte Erzeugnis nicht als das Ergebnis einer wesentlichen Verarbeitung im Sinne von Art. 60 Abs. 2 des Zollkodex.

Da die Kommission keine überzeugende Rechtfertigung zur objektiven Erklärung der unterschiedlichen Behandlung von Rohren auf der einen und Hohlprofilen auf der anderen Seite, die alle zur Unterposition 7304 41 HS gehören und aus Erzeugnissen der Unterposition 7304 49 HS hergestellt wurden, angeführt hat, erscheint es widersprüchlich und diskriminierend, dass nach der Primärregel die Kaltumformung den Ursprung von Hohlprofilen unter Rückgriff auf ein alternatives Kriterium bestimmen kann, während die gleiche Art der Umformung, wird sie bei Rohren angewandt, deren Ursprung nur unter Rückgriff auf ein einziges, erheblich strengeres Kriterium bestimmen kann (vgl. entsprechend Urteil vom , Cousin u. a., 162/82, EU:C:1983:93, Rn. 17)."

Der EuGH stellte daher fest, dass die Primärregel ungültig ist, soweit sie es ausschließt, dass der Wechsel der Tarifposition, der sich aus der Verarbeitung von Rohren der Unterposition 7304 49 HS zu kaltgezogenen oder kaltgewalzten Rohren und Hohlprofilen, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl der Unterposition 7304 41 HS, ergibt, Letzteren die Eigenschaft von Erzeugnissen mit Ursprung in dem Land verleiht, in dem dieser Wechsel stattgefunden hat.

Bereits in früheren Erkenntnissen hat der EuGH entschieden, dass für die Bestimmung des Warenursprungs die Voraussetzungen eines Wechsels der Tarifposition allein nicht ausreichend ist. Auch ohne einen solchen Positionswechsel kann eine wesentliche Be- oder Verarbeitung vorliegen.

Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei den von der Volksrepublik China nach Indien exportierten Waren um Rohrluppen, gerade und von gleichmäßiger Wanddicke, aus denen in Indien durch Kaltverarbeitung Rohre mit anderem Querschnitt und anderer Wanddicke hergestellt werden.

Die Rohrluppen gehören zur Unterposition 7304 49 HS. Die aus diesen Rohrluppen in einem weiteren Schritt durch Kaltverarbeitung hergestellten Rohre sind in die Unterposition 7304 41 HS einzureihen.

Nach dem Wortlaut der Primärregel "CTH; oder Wechsel von Hohlprofilen der Unterposition 7304 49" würde es sich hierbei um keine wesentliche Be- oder Verarbeitung handeln.

Nachdem der EuGH jedoch mit Urteil vom ausgesprochen hat, dass die Primärregel ungültig ist, soweit sie es ausschließt, dass der Wechsel der Tarifposition, der sich aus der Verarbeitung von Rohren der Unterposition 7304 49 HS zu Rohren oder Hohlprofilen der Unterposition 7304 41 HS ergibt, Letzteren die Eigenschaft von Erzeugnissen mit Ursprung in dem Land verleiht, in dem dieser Wechsel stattgefunden hat, ist die Regel dahingehend auszulegen, dass auch ein Wechsel von Rohren der Unterposition 7304 49 HS ursprungsbegründend ist.

Die beschwerdegegenständlichen Waren gelten daher als Ursprungswaren von Indien.

Somit ist auch kein Schutzzoll für das von der Beschwerdeführerin beanspruchte für Indien zugelassene Kontingent mit der Nr. 098926 vorzuschreiben.

Die angefochtenen Bescheide sind daher aufzuheben.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da sich dieses Erkenntnis auf die Rechtsprechung des EuGH in einem vergleichbaren Sachverhalt stützt (), liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Überdies sind Tatsachenfeststellungen einer Revision nicht zugänglich.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Zoll
betroffene Normen
Art. 32 UZK-DA, DelVO 2015/2446, ABl. Nr. L 343 vom S. 1
Art. 60 UZK, VO 952/2013, ABl. Nr. L 269 vom S. 1
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7200025.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at