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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.06.2024, RV/7101199/2024

Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung - Schlüssigkeit der Gutachten - teilweise Stattgabe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ***K*** ab Oktober 2022, Sozialversicherungsnummer ***Nr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Die Beschwerde wird hinsichtlich des Zeitraumes 10/2022 bis 06/2023 als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerde wird für den Zeitraum ab 07/2023 stattgegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) brachte am beim Finanzamt Österreich einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihre Tochter ***K***, geboren am ***Geb*** 2017, ein.

Gutachten des Sozialministeriumservice (kurz: SMS) vom

***K*** wurde in der Landesstelle des SMS am von Univ. Prof. Dr. ***Dok1***, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, untersucht und wurde am selben Tag ein Gutachten erstellt.

In diesem Gutachten wurde festgestellt:

"Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Atopisches Ekzem
Eine Stufe über unteren Rahmensatz, da länger andauernder Verlauf mit erhöhtem Pflege- und Therapieaufwand, im Intervall Besserung
30

Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
☒ ja ☐ nein

GdB liegt vor seit: 03/2018

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
rückwirkend per angeführtem Diagnosedatum geltend zu machen

☒ Dauerzustand

Gutachten erstellt am von Univ. Prof. Dr. ***Dok1***

Gutachten vidiert am von Dr. ***Dok2***"

Auf Basis des Gutachtens erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) eine entsprechende Bescheinigung vom .

Abweisungsbescheid vom

Das Finanzamt wies den Antrag unter Zugrundelegung der im Gutachten getroffenen Feststellungen mit Bescheid vom ab Oktober 2022 mit der Begründung ab, dass gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung bestehe, wenn der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent betrage und die Behinderung nicht nur vorübergehend sei, sondern mehr als 3 Jahre andauere. Diese Punkte würden nicht zutreffen, da im Gutachten vom der Grad der Behinderung mit 30 % festgestellt worden sei.

Beschwerde vom

Die Bf. brachte in ihrer Beschwerde vom vor, dass gemäß § 8 FLAG 1967 für die Einstufung des Grades der Behinderung die "Einschätzungsverordnung" heranzuziehen sei. In der Anlage dieser Verordnung werde klar ausgedrückt, wie der Grad der Behinderung definiert werde: Schwere, andauernd ausgedehnte Formen von Hautkrankheiten, mit funktionellen Beeinträchtigungen. Therapiebedarf und Lokalisation an exponierten Stellen würden bedeuten, dass der Grad der Behinderung zwischen 50 und 80 % einzustufen sei. In diesem Fall treffe diese gesetzlich verankerte Definition zu, da bei ***K*** die folgenden Merkmale der Behinderung in Betracht gezogen werden müssten:

1. Es bestehe eine Hautkrankheit, die laut Definition eine schwere Beeinträchtigung darstelle: Atopisches Ekzem (Neurodermitis).

2. Diese Beeinträchtigung bestehe schon seit ihrem ersten Lebensjahr, und sie sei jetzt 5 Jahre alt. Sie werde diese Beeinträchtigung ihr Leben lang haben.

3. Diese starke funktionelle Beeinträchtigung betreffe sie im täglichen Leben, und erschwere viele vitale Funktionen sowie Schlaf, Nahrungsversorgung und viele andere Aspekte ihres Lebens.

4. Es bestehe ein sehr hoher Therapiebedarf, sie müsse täglich 2-3 Mal eine medizinisch vorgeschriebene Therapie machen sowie ihre Nahrung sehr strikt anpassen.

5. Die Lokalisation sei am Gesamtkörper inklusive sichtlichen Beeinträchtigungen in exponierten Stellen wie Gesicht, Hände, Arme, Beine (und alles andere), sei also auch entstellend, da es zu sichtlichen Entstellungen an exponierten Körperteilen komme.

Die Argumentation, dass diese Beeinträchtigung unter 50 % liege, sei nicht gegeben, da laut der Anlage zur Einschätzungsverordnung die folgenden Merkmale für eine Behinderung durch Hautkrankheiten wie folgt nicht zutreffen würden:

1. Die Form der Beeinträchtigung sei nicht weitgehend begrenzt, sondern unbegrenzt.
2. Die Beeinträchtigung sei nicht rezidiv, sondern permanent und andauernd.

Sie beantrage also im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben den Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung und lege eine Beschwerde gegen den Bescheid vom ein, da dieser nicht konform mit dem vorgegebenen gesetzlichen Maßstab evaluiert worden sei (Grad der Behinderung, wie oben beschrieben), und faktisch inkorrekt sei, da es sich um eine permanente und nicht um eine vorübergehende Beeinträchtigung handle.

Beschwerdevorentscheidung vom

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung ab, dass gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein Kind als erheblich behindert gelte, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung bestehe. Als nicht nur vorübergehend gelte ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung müsse mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handle, das voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sei durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nachdem im Gutachten vom nur eine 30 prozentige Behinderung festgestellt worden sei, sei auf Grund der Beschwerde die Anforderung eines weiteren ärztlichen Sachverständigengutachtens erfolgt. Die Beschwerdeschrift sei dabei der untersuchenden Stelle übermittelt worden.

Laut einer Information dieser Stelle sei jedoch der Untersuchungstermin von der Bf. nicht wahrgenommen worden, weshalb eine Überprüfung ihrer Angaben sowie eine neuerliche Untersuchung des Kindes nicht möglich gewesen sei.

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 habe der Gesetzgeber die Feststellung des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (Verweis auf das Erkenntnis des ). Daraus folge, dass de facto eine Bindung an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten gegeben sei. Die Tätigkeit der Behörden habe sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig, vollständig und nicht einander widersprechend anzusehen seien (Verweis auf mit Hinweis auf , und ; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 29).

Auf Grund der Nichtwahrnehmung des neuen Untersuchungstermins, könne vom Finanzamt aber nur das ursprünglichen Gutachten vom dahingehend geprüft werden. Der Sachverständige habe seine im Gutachten getroffenen Feststellungen ausreichend begründet und auch die von der Bf. vorgelegten Befunde und Unterlagen berücksichtigt. Bei dieser Sach- und Beweislage erweise sich das ärztliche Sachverständigengutachten als vollständig, schlüssig und nachvollziehbar, weshalb die Behörde an dieses Gutachten gebunden sei.

Vorlageantrag vom

Die Bf. brachte im Vorlageantrag vom vor, dass die Begründung in der Beschwerdevorentscheidung für sie nicht nachvollziehbar sei. Es werde auf eine "Nichtwahrnehmung des neuen Untersuchungstermins" verwiesen, obwohl ihr kein Termin mitgeteilt worden sei, weder auf Finanzonline, noch per E-Mail, Post oder Telefon. Aus diesem Grund sei die Begründung nicht zulässig, da ohne einen Termin eine "Nichtwahrnehmung" ihrerseits nicht möglich sei. Es sei wichtig zu betonen, dass die Einhaltung von Terminen eine wesentliche Voraussetzung für eine korrekte Verfahrensdurchführung sei. Da ihr jedoch kein Termin bekannt gewesen sei, könnte sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie diesem nicht nachgekommen sei. Es liege somit ein klarer Mangel in der Kommunikation seitens der Behörde vor. Sie wolle daher höflich um die Festlegung eines neuen Untersuchungstermins bitten und ersuche um eine Stundung der Entscheidung bis nach diesem Termin. Dies würde ihr die Möglichkeit geben, angemessen auf die vorgebrachten Punkte zu reagieren und ihre Standpunkte ausführlich darzulegen. Sie sei davon überzeugt, dass eine solche Vorgehensweise zu einer gerechteren Beurteilung führen werde.

Auf Grund des Vorlageantrages erfolgte die nochmalige Anforderung eines Sachverständigengutachtens.

Gutachten des SMS vom

Die Tochter der Bf. wurde in der Landesstelle des SMS am von Dr. ***Dok3***, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, untersucht und wurde am ein Sachverständigengutachten erstellt:

In diesem Gutachten wurde festgestellt:

"Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Atopische Dermatitis
Unterer Rahmensatz, da unter Therapie relativ stabil, jedoch jahrelanger Verlauf, mit intensiver Therapienotwendigkeit, sowie Nahrungsmittel Relevanz
50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Keine

Stellungnahme zu Vorgutachten:
Zunahme der Einschränkung gegenüber Vorgutachten, mit Anhebung des GdB um 2 Stufen auf 50 %

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern:
☒ ja ☐ nein

GdB liegt vor seit: 07/2023
GdB 30 liegt vor seit: 03/2018

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Rückwirkende Anerkennung anhand der vorliegenden Befunde ab 07/2023, Änderung gegenüber Vorgutachten

☐ Dauerzustand
☒ Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Eine Verbesserung ist möglich

Gutachten erstellt am von Dr. ***Dok3***

Gutachten vidiert am von Dr. ***Dok4***"

Auf Basis des Gutachtens erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) eine entsprechende Bescheinigung vom .

Das Finanzamt legte die Beschwerde mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

Die Tochter der Bf., ***K***, ist am ***Geb*** 2017 geboren. Die Bf. bezieht seit Geburt Familienbeihilfe für ihre Tochter. Am brachte die Bf. einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ein.

Die Tochter der Bf. leidet an atopischer Dermatitis (atopisches Ekzem).

Im Gutachten des SMS vom wurde von Univ. Prof. Dr. ***Dok1***, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, der Grad der Behinderung mit 30 % seit 03/2018 festgestellt. Die Einstufung der Funktionsbeeinträchtigung erfolgte in Richtsatzposition der Anlage zur Einschätzungsverordnung. Der gewählte Rahmensatz wurde wie folgt begründet: "Eine Stufe über unteren Rahmensatz, da länger andauernder Verlauf mit erhöhtem Pflege- und Therapieaufwand, im Intervall Besserung". Der Grad der Behinderung wurde rückwirkend per Diagnosedatum festgestellt.

Dem Gutachten wurden folgende relevante Befunde zugrundegelegt:
: DDr. ***Dok5*** (Hautarzt)
: Dr. ***Dok6*** (Hautarzt)
: Dr. ***Dok7*** (Hautärztin)

Auf Basis des Gutachtens erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) eine entsprechende Bescheinigung vom .

Im Gutachten des SMS vom wurden von Dr. ***Dok3***, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, der Grad der Behinderung mit 50 % seit 07/2023 und mit 30 % seit 03/2018 festgestellt. Es kam zu einer Zunahme der Einschränkung gegenüber dem Vorgutachten. Die Einstufung der Funktionsbeeinträchtigung erfolgte in Richtsatzposition der Anlage zur Einschätzungsverordnung. Der Rahmensatz wurde wie folgt begründet: "Unterer Rahmensatz, da unter Therapie relativ stabil, jedoch jahrelanger Verlauf, mit intensiver Therapienotwendigkeit, sowie Nahrungsmittel Relevanz". Die rückwirkende Anerkennung erfolgte anhand der vorliegenden Befunde ab 07/2023.

Dem Gutachten wurde folgender relevanter Befund zugrundegelegt:
: Dr. ***Dok7*** (Hautärztin)

Auf Basis des Gutachtens erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) eine entsprechende Bescheinigung vom .

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vom Finanzamt vorgelegten elektronischen Familienbeihilfenakt, aus den Angaben der Bf. sowie den zwei Sachverständigengutachten des SMS vom und vom .

In beiden ärztlichen Gutachten wurden die bis dahin von der Bf. vorgelegten ärztlichen Unterlagen vollständig berücksichtigt und steht auch die Art der Erkrankung unbestritten fest.

In der anzuwendenden Einschätzungsverordnung, BGBl II 2010/261 sind laut Anlage für Hauterkrankungen folgende Richtsatzpositionen und Behinderungsgrade vorgesehen:

Durch die Änderung der Anlage der Einschätzungsverordnung durch BGBl II 2012/251 wurde der Wortlaut in Position insofern angepasst, als dass die Wortfolge "insbesondere Gesichtsbefall" gestrichen wurde.

Im Zuge der Beschwerde brachte die Bf. vor, dass der Grad der Behinderung aufgrund der Vorgaben in der Anlage zur Einschätzungsverordnung als 50 bis 80 % einzustufen sei (also eine Einstufung unter Richtsatzposition erfolgen müsse) und führte dafür zahlreiche Merkmale an. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Einordnung eines Leidens unter die entsprechenden Richtsatzpositionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung eine auf ärztlichem Fachwissen beruhende Entscheidung darstellt. Auch der zweite Sachverständige, der sein Gutachten nach der Beschwerde bzw. dem Vorlageantrag erstellte, bestätigte die Einstufung des Grades der Behinderung in Höhe von 30 % ab 03/2018. Der gewählte Rahmensatz ist jeweils begründet. Die Einstufung ist nach Ansicht des Bundefinanzgerichtes nachvollziehbar.

Es würde den Gutachten an Schlüssigkeit fehlen, wenn die untersuchenden Sachverständigen die Höhe des Grades der Behinderung ohne Untermauerung durch entsprechende Befunde zu einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, festgestellt hätten. Schlüssig ist vielmehr, den Behinderungsgrad unter Zuhilfenahme von relevanten Befunden oder anderen Nachweisen zu bestimmen. Dies erfolgte in beiden Gutachten.

Die Gutachten widersprechen sich nicht. Das zweite Gutachten bestätigte die Einstufung des Grades der Behinderung in Höhe von 30 % ab 03/2018, der Sachverständige kam jedoch zum Ergebnis, dass es zu einer Zunahme der Einschränkung durch die Erkrankung kam und legte seinem Gutachten einen neueren Befund aus 2023 zugrunde.

Im Ergebnis sind die vorliegenden Gutachten daher vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei.

Aus dem Beschwerdevorbringen oder dem Akteninhalt ergeben sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes keine Anhaltspunkte für eine notwendige Ergänzung der Gutachten. Die Gutachten sind daher der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde zu legen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten (bis : drei Jahre, Änderung durch BGBl I 2022/226). Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe nur auf Antrag gewährt und ist die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4 leg. cit.) besonders zu beantragen.

Die Bf. bezieht für ihre Tochter Familienbeihilfe (Grundbetrag) und stellte einen gesonderten Antrag auf Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind.

Die Bf brachte unter anderem vor, dass die Beeinträchtigung ihrer Tochter durch die festgestellte Krankheit schon seit ihrem ersten Lebensjahr bestehe.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einen Grad von mindestens 50 % durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt, sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 % aufweist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 % erreicht (vgl. unter Hinweis auf ).

Im vorliegenden Fall wurde die Krankheit laut erstem Gutachten vom im März 2018 diagnostiziert, ein entsprechender Befund ist im Gutachten zitiert. Der Gutachter kam jedoch zum Ergebnis, dass die Krankheit (noch) nicht zu einer derart erheblichen Behinderung führte, welche einen Grad von mindestens 50 % aufweist. Erst der zweite Gutachter attestierte im Gutachten vom eine Zunahme der Einschränkung und setzt den Grad der Behinderung rückwirkend ab 07/2023 mit 50 % an. Das frühe Auftreten der Krankheit allein ist daher für die Gewährung des Erhöhungsbetrages nicht ausreichend.

Im Zuge der Beschwerde brachte die Bf. vor, dass der Grad der Behinderung aufgrund der Vorgaben in der Anlage zur Einschätzungsverordnung als 50 bis 80 % einzustufen sei und führte dafür zahlreiche Merkmale an.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Feststellung des Grades der Behinderung im Rahmen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (vgl. mit Verweis auf und , jeweils mwN).

Das Bundesfinanzgericht setzte sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Vorbringen der Bf. auseinander, kam jedoch im Rahmen der freien Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass die die Schlüssigkeit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit der erstellten Gutachten für den vorliegenden Fall zu bejahen ist. Aus dem Beschwerdevorbringen oder dem Akteninhalt ergaben sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes keine Anhaltspunkte für eine notwendige Ergänzung der Gutachten.

Für den Zeitraum 10/2022 bis 06/2023 liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Erhöhungsbetrages nach § 8 Abs 4 FLAG 1967 nicht vor, daher war die Beschwerde für diesen Zeitraum abzuweisen.

Ab dem Zeitraum 07/2023 liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Erhöhungsbetrages nach § 8 Abs 4 FLAG 1967 vor, weshalb der Beschwerde ab diesem Zeitraum stattzugeben war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Ergänzender Hinweis: Im Gutachten vom wurde eine Nachuntersuchung in drei Jahren angemerkt. Es liegt nach ärztlicher Einschätzung kein Dauerzustand vor, weil eine Verbesserung möglich ist.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Entscheidung basiert auf den in freier Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen hinsichtlich der ärztlichen Gutachten und der dazu einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war im gegenständlichen Fall nicht zu klären.

Wien, am

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Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7101199.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at