Keine Familienbeihilfe, wenn die Selbsterhaltungsunfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, Domgasse 2, 3100 St.Pölten, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe ab November 2016, SVNr. ***1***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. am TT.4.1981, beantragte am die Gewährung von Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe rückwirkend ab "" bzw. ab November 2016.
Der Antrag wurde mit Bescheid vom hinsichtlich November 2016 mit der Begründung abgewiesen, dass Familienbeihilfe höchsten fünf Jahre rückwirkend beantragt werden könne und hinsichtlich des Zeitraumes ab Dezember 2016, dass dauernde Erwerbsunfähigkeit im Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erst ab Juli 2021 festgestellt worden sei und somit nicht vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr vorgelegen sei. Diesbezüglich wurde auf das Gutachten vom verwiesen.
Demnach liege dauernde Erwerbsunfähigkeit ab Juli 2021 vor. Als relevante Befunde wurden dort u.a. das Privatgutachten Dr. ***4*** vom , die Schreiben Dr. ***2*** vom und sowie Dr. ***3*** vom angeführt. Die erst stationäre Aufnahme sei in Mauer ca. 2005/2006 gewesen.
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beginn einer psychischen Erkrankung in die Jugend zurückreichend vorliege und ab Juni 2006 dokumentiert sei. Jedoch liegen keine Befunde vor, die die daraus resultierend Selbtserhaltungsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr begründen.
Der berufliche Werdegang wurde wie folgt beschrieben:
VS, Gymnasium mit Matura Sommer 2000,
Beginn Kolleg Kindergartenpädagogik- nach einem Jahr beendet, dazwischen Animation im
Clubmed
Studium Englisch und Sport - 5 Semester, dann abgebrochen
Ausbildung zur Bodyvitaltrainerin im 25. LJ (2005- 2007}- abgeschlossen
Dann 10 Jahre im Fitnesstudio gearbeitet, zuerst 20 Stunden, meist geringfügig, kurz auch
40 Stunden gearbeitet, sei auch viel eingesprungen, war in verschiedenen Studios, habe
auch das Kinderturnen gemacht, verschiedene Fitnessausbildungen
2014 Massageausbildung, aber nicht ausgeübt.
Letzte Berufstätigkeit ca. 2013
In der Beschwerde vom führte die nunmehr vertretene Bf. aus, dass sie schon seit ihrem 12. Lebensjahr unter Depressionen gelitten habe. Nach der Matura mit 18 Jahren sei bei der Bf. eine psychische Erkrankung ausgebrochen. Im Gutachten von Dr. ***4*** (J) sei festgehalten worden, dass es damals zu einer ersten schweren Krankheitsphase gekommen sei.
Wörtlich wurde ausgeführt:
"In weiterer Folge versuchte die Beschwerdeführerin das Studium der Sportwissenschaften zu
absolvieren, welches sie jedoch aufgrund dieser damals bereits bestehenden schizoaffektiven
Erkrankung abbrechen musste (vgl. Beilage ./2).
Auch ihre Ausbildung zur diplomierten Body-Vitaltrainerin, welche sie 2005 begann, musste
die Beschwerdeführerin unterbrechen und konnte sie erst 2007 positiv absolvieren (vgl.
Beilage 73).
Die Beschwerdeführerin musste sich seit dieser Zeit bereits mehrmals in psychiatrischer
Behandlung begeben, unter anderem bei Dr. Sonja ***2***, Facharzt für Neurologie und
Psychiatrie sowie Univ. Prof. Dr. Max ***3***, Nervenfacharzt.
Im Rahmen dieser Behandlungen wurde bereits festgestellt, dass die Beschwerdeführerin
nicht arbeitsfähig ist und ihr Genesungszustand nicht vorhersehbar ist.
Zuletzt führt Dr. med. Dietmar ***4***, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in seinem
psychiatrischen Befund und Gutachten vom aus (vgl. Beilage ./5):
Zusammenfassend lässt sich aus psychiatrischer Sicht feststellen, dass bei der Betroffenen
zumindest seit dem Jahr 1999 eine psychiatrische Erkrankung iS einer schizoaffektiven
Erkrankung vorliegend ist, welche dazu führt, dass die Betroffene nicht
selbsterhaltungsfähig ist. "
Auch das im Rahmen des Verfahrens eingeholte Gutachten von Dr Christa ***5***, Fachärztin
für Neurologie und Psychiatrie, für das Bundesamt für Soziales und Behinderten wesen, BASB
Landesstelle NÖ, vom ergibt, dass die Bf. an einer schizoaffektiven Erkrankung, kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet und ihr ein Grad der Behinderung in Höhe von 50 von 100 % zuerkannt wurde. Ausdrücklich wird festgehalten, dass die Bf voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst ihren Unterhalt zu verschaffen.
Ohne Begründung und in Widerspruch zu den Aussagen der Beschwerdeführerin sowie den
vorgelegten Befunden und Gutachten, kommt das Gutachten vom jedoch zu dem
unrichtigen Ergebnis, dass dies erst ab Juli 2021 vorliegen würde.
Dies offenkundig, da der Beschwerdeführerin aufgrund der Antragstellung im Sommer 2021
mit ein Anspruch auf Invaliditätspension zuerkannt wurde."
Der abweisende Bescheid verweise auf das Gutachten des Bundessozialamtes vom . Dieses sei der Bf. aber erst nach Bescheiderlassung zugestellt worden und sie habe daher nicht die Möglichkeit gehabt, sich dazu zu äußern. Dadurch sei das Recht auf Parteiengehör gem. § 115 Abs. 2 BAO verletzt worden.
Das Gutachten begründe nicht, warum die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Juli 2021 eingetreten sein soll, obwohl bekannt gewesen sei, dass bereits nach der Matura eine psychische Erkrankung vorgelegen sei.
Die belangte Behörde habe sich nicht ausreichend mit dem Gutachten vom auseinandergesetzt, sonst hätten ihr Unrichtigkeiten, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten auffallen müssen. Das Gutachten verweise einerseits u.a auf Gutachten von Fr. ***2*** und Dr. ***3***, wonach eine psychiatrische Erkrankung bereits lange vor Juli 2021 vorgelegen sei, die die Selbsterhaltungsfähigkeit ausschließe. Dazu stehe allerdings die Feststellung in Widerspruch, wonach keine Befunde vorliegen würden, die eine psychische Erkrankung mit schwerwiegenden Funktionseinschränkungen in einem solchen Ausmaß dokumentieren würden, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. Lebensjahr eingetreten sei.
Das Sachverständigengutachten vom berücksichtige lediglich die Antragsstellung der Beschwerdeführerin auf Invaliditätspension. Die Invaliditätspension knüpfe aber eben auf die Antragstellung ab (vgl. § 223 Abs 2 ASVG) und nicht, wie die Zuerkennung der Familienbeihilfe, auf das erstmalige Auftreten der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit (vgl. § 2 Abs 1 lit c FLAG).
Aufgrund der offenkundigen Unschlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom hätte die belangte Behörde von Amts wegen ergänzende Beweismittel einholen und eine Ergänzung des Gutachtens beauftragen müssen.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG bestehe ein Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nach dem Sachverhalt liege bei der Bf. zumindest ab dem Jahr 1999, sohin seit ihrem 18. Lebensjahr, eine psychiatrische Erkrankung iS einer schizoaffektiven Erkrankung vor, welche dazu führe, dass die Bf. nicht selbsterhaltungsfähig sei. Bereits aus diesem Grund liegen bei der Bf. die Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienbeihilfe vor. Weiters habe die Bf. im Zeitraum von 2001 bis 2005 ein Studium der Sportwissenschaften an der Universität Wien begonnen und aufgrund ihrer mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit abbrechen müssen. Auch die Ausbildung zur diplomierten Body-Mentaltrainerin hat die Bf. aufgrund ihrer fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit unterbrechen müssen.
Für das weitere Verfahren wurden die Einvernahme der Bf. und ihres Vaters sowie ein einzuholendes medizinisches Gutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie beantragt.
Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen und darauf hingewiesen, dass die Bf. zu einem neuerlichen Untersuchungstermin beim Sozialministeriumservice nicht erschienen war und dieses Verfahren am ohne Bescheinigung beendet worden war. Maßgeblich für die Beurteilung, ob Familienbeihilfe zustehe sei daher weiterhin das Gutachten vom .
Gegen diesen Bescheid richtet sich der Vorlageantrag vom .
In diesem verweist die Bf. erneut auf das bereits vorgelegte Gutachten von Dr. ***4*** vom , wonach "eine psychische Erkrankung schon nach der Matura 1999 vorgelegen sei, die dazu führe, dass die Bf. nicht selbsterhaltungsfähig sei".
Dies sei insbesondere nachvollziehbar, da bereits im Jahr 2006 o.Univ.-Prof. Dr. Max H. ***3***, FA für Psychiatrie und Neurologie in einem handschriftlichen Befund die Behandlung der Beschwerdeführerin als Jugendliche festgehalten habe und die psychischen Beeinträchtigungen diagnostiziert habe.
Aus diesen Unterlagen ergebe sich klar, dass die schizoaffektive Erkrankung der Beschwerdeführerin bereits im Jahr 1999 vorgelegen sei und die daraus schließende mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit zumindest seit 1999 vorliege. Dazu habe die Bf. ihre Einvernahme sowie die ihres Vaters und die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens auf dem Gebiet Psychiatrie und Neurologie beantragt. All dies habe die belangte Behörde bisher unterlassen. Bei Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens im Hinblick auf das Gutachten Dr. ***4*** und Aufnahme der beantragten Beweise wäre die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bf.
" • Bereits vor dem 21. Lebensjahr, nämlich bereits nach der Matura im Jahr 1999, eine
geistige Behinderung von mind. 50 % hatte (und hat) und
• dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" und der Beschwerde somit stattgegeben hätte werden müssen.
Die Bf. beantragte nun auch die Einvernahme von Dr. ***4*** als Zeugen und Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Am erfolgte neuerlich eine Untersuchung beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen. Im Gutachten vom wird auf das Vorgutachten von März 2022 und auf die diesem Gutachten zu Grunde liegenden Befunde und Unterlagen verwiesen. Weiters werden neu vorgelegte Honorarnoten und Bestätigungen stationärer Aufnahmen ab 2007 angeführt. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass dauernde Erweerbsunfähigkeit vorliegt und zwar rückwirkend ab Juni 2006 (Zeitraum des ersten Schreibens von Dr. ***2***).
Mit Eingabe vom wurde nochmals die Einvernahme von Dr. ***4*** und Frau Dr. ***2*** als Zeugen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Bf. beantragt.
Dem Bundefinanzgericht liegen abgesehen von den Gutachten des Sozialministeriumservice vom und vom folgende Unterlagen vor:
Gutachten Dr. ***4*** vom ,
Schreiben Dr. ***2***:
vom :…….auf Grund einer akuten psychiatrischen Erkrankung ,……….am 30.6. nicht zu einer geplanten Prüfung antreten .
vom :…. war am . .in Behandlung..leidet an psychischer Erkrankung…aus diesem Grund dzt. nicht möglich einer Arbeit nachzugehen
vom :...seit in meiner Ordination in Behandlung….es handelt sich um eine psychiatrische Erkrankung und der Genesungszustand ist nicht vorauszusehen..
Schreiben Dr. ***3*** vom .."Werte Klinik"…….war als Jugendliche bei mir in Behandlung. Jetzt liegt eine klassische Depressio…………ersuche um Aufnahme………..
Ein Lebenslauf
Zeugnis betr. Ausbildung zur Body-Vitaltrainerin vom
Pensionsbescheid ab
Der Bf. bzw. deren Vertreter wurde von Seiten des Bundesfinanzgerichtes mitgeteilt, dass gem. § 8 Abs. 6 FLAG 1967 und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einzig zugelassenes Beweismittel hinsichtlich der Frage, ob Selbsterhaltungsfähigkeit vorliege bzw. wann die Unfähigkeit dazu eingetreten sei, ein Gutachten des Sozialministeriumservice sei. Die Beihilfenbehörde bzw. das Bundesfinanzgericht hätten jedoch ein Gutachten auf dessen Schlüssigkeit zu prüfen. Ein externes medizinisches Fachgutachten werde vom Bundesfinanzgericht nicht einzuholen sein, jedoch habe die Bf. die Möglichkeit, ein solches vorzulegen. Bekundungen naher Angehöriger käme keine Beweiskraft zu. Die Gutachten Dr. ***4*** und Dr. ***2*** seien bei der Gutachtenerstellung durch das Sozialministeriumservice bekannt gewesen und lägen auch dem Bundesfinanzgericht vor.
Der im Vorlageantrag gestellte Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Schreiben vom zurückgenommen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Bf., geb. am TT.4.1981, vollendete am TT.4.2002 das 21. Lebensjahr.
Das Gutachten des Sozialministeriumservice bescheinigte ihr dauernde Erwerbsunfähigkeit ab Juni 2006. Zu diesem Zeitpunkt war die Bf. 25 Jahre alt.
Die Antragstellung erfolgte im Dezember 2021. Zu diesem Zeitpunkt war die Bf. 40 Jahre alt.
Nach der Matura absolvierte sie u.a. diverse Ausbildungen im Fitnessbereich und war bis 2013 berufstätig, davon 10 Jahre in einem Fitnessstudio.
Die Bf. war bereits in ihrer Jugend in psychiatrischer Behandlung.
Eine diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit ist erstmals für Juni 2006 dokumentiert (Schreiben Dr. ***2*** vom ).
In der Folge kam es zu diversen weiteren Klinikaufenthalten und Arztbesuchen wie in den Gutachten des Sozialministeriumservice nach Vorlage der entsprechenden Unterlagen durch die Bf. anlässlich der Untersuchungen dokumentiert.
Die Bf. wurde am und am in der zuständigen Landesstelle NÖ des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen untersucht. Beide Gutachten wurden von Fachärztinnen für Neurologie und Psychiatrie erstellt und kommen übereinstimmend zur Feststellung, dass die Bf. dauernd erwerbsunfähig ist. Im Gutachten vom wird der Beginn mit Juli 2021 angegeben und mit der Zuerkennung der krankheitsbedingten Pension ab diesem Zeitpunkt begründet. Im Gutachten vom wird die Selbtserhaltungsunfähigkeit rückwirkend ab Juni 2006 festgestellt und mit den vorliegenden Gutachten-"Schreiben Dr. ***2***"-begründet.
Die Bf. bezieht seit eine Invaliditätspension.
2. Beweiswürdigung
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Die Bf. beantragte am die Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe rückwirkend ab bzw. rückwirkend ab November 2016.
Gem. § 10 Abs. 3 FLAG 1967 wird Familienbeihilfe höchstens fünf Jahre rückwirkend ab Beginn des Monats der Antragstellung ausgezahlt. Bereits aus diesem Grund war der Antrag für November 2016 daher zu Recht abzuweisen.
Wenn die Bf. in der Beschwerde vorbrachte, dass der bekämpfte Bescheid erlassen worden sei ohne dass sie sich zum Gutachten vom äußern habe können und damit das Recht auf Parteiengehör gem. § 115 BAO verletzt worden sei, so hatte sie dazu nun im Rechtsmittelverfahren ausreichend Gelegenheit.
Inhaltlich ist das Beschwerdevorbringen rechtlich wie folgt zu würdigen:
§ 2 Abs. 1 lit.c FLAG 1967 lautet:
Anspruch auf Familienbeihilfe beseht für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 lautet:
Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).
Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt.
Auch eine auf einer psychischen Erkrankung beruhende voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, erfüllt die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 und des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 ().
§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheblich behinderten Kind erhöht.
Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag bei erwachsenen Personen ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 5 ). Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr einge-tretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu (vgl. ), ; ; ).
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden (vgl. 2007/15/0019, , ) und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ). Zur Frage der Erwerbsunfähigkeit ist kein eigenes Beweisverfahren vor dem Bundesfinanzgericht zu führen (RV/5100585/2017 vom ).
Wurde von der Abgabenbehörde erster Instanz bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt, erweist sich dieses als schlüssig und vollständig und wendet der Bf. nichts Substantiiertes ein, besteht für die Rechtsmittelbehörde kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. ).
Ist ein Gutachten hingegen unschlüssig, so ist nach der Judikatur des VwGH für deren Ergänzung zu sorgen. Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen Beweismittel dar. (; ; ).
Gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. ) und weiters erkannt, dass von Gutachten nur nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" abgegangen werden kann, wenn diese nicht schlüssig sind (vgl. ; , ).
Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).
Bekundungen naher Angehörigen hingegen (hier des Vaters der Bf.) betreffend den Gesundheitszustand und die Unfähigkeit sich selbst den Lebensunterhalt zu verschaffen, kommt hingegen nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Beweiskraft zu (vgl. ).
Das Gutachten vom bescheinigt der Bf. dauernde Erwerbsunfähigkeit an Juni 2006 und verweist auf das Schreiben von Fr. Dr. ***2***. In Zusammenhang mit den von der Bf. vorgelegten Unterlagen kann damit nur das Schreiben vom gemeint sein, in dem die Ärztin bestätigte, dass die Bf. wegen einer psychischen Erkrankung zu einer Prüfung am nicht antreten könne. Weiters wird in einem weiteren Schreiben bestätigt, dass sich die Bf. seit bei ihr in Behandlung befand.
Soweit aus den beiden Gutachten ersichtlich, gibt es keine Befunde aus weiter zurückliegenden Jahren.
Die Vorlage von "alten" und relevanten Unterlagen (Befunden, Bestätigung über Spitalsaufenthalte oder Therapien etc.) seitens des Antragstellers ist aber gerade dann wichtig bzw. unerlässlich, wenn ein Sachverständiger (weit rückwirkend) den Zeitpunkt festzusetzen hat, seit wann ein bestimmter Behinderungsgrad vorliegt oder wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Fehlen derartige Befunde, warum auch immer, können die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen und liegt die Ursache in den meisten Fällen darin, dass Erkrankungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, häufig einen schleichenden Verlauf nehmen oder sich mit zunehmendem Alter verschlechtern. (vgl. zB ; , RV/0687-W/05).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine zu einer Erwerbsunfähigkeit führende geistige oder körperliche Behinderung Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 2 Abs 1 lit. c FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl. , , , , ).
Selbst wenn es daher auf Grund der vorliegenden Unterlagen nachvollziehbar ist, dass die psychische Erkrankung der Bf. in das Jugendlichenalter zurückreicht (siehe Gutachten Dr. ***4*** und Schreiben Dr. ***3***), so muss damit nicht gleichzeitig die Erwerbsunfähigkeit verbunden sein, wie die Bf. offenbar vermeint. Es erscheint daher nicht unschlüssig, wenn die begutachtende Ärztin, im Übrigen Fachärztin der Psychiatrie, jenen Zeitpunkt als den frühestmöglichen feststellte, für den erstmals ein ärztlicher Befund vorlag.
Die Diktion im Gutachten Dr. ***4*** aus dem Jahr 2021:"
…….. wonach "eine psychische Erkrankung schon nach der Matura 1999 vorgelegen ist, die dazu führt, dass die Bf. nicht selbsterhaltungsfähig ist"…….
trifft nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes hinsichtlich der Selbsterhaltungsfähigkeit eine Aussage betreffend die Gegenwart, sodass keine Unschlüssigkeit des Gutachtens vom darin erblickt werden kann, den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht mit 1999 angenommen zu haben.
Im gegenständlichen Fall besteht somit keine vor dem 25. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Daher stehen weder der Grundbetrag noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hinsichtlich der Fragen, inwieweit das Bundesfinanzgericht an Gutachten des Sozialministeriumservice gebunden ist und wann eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, weicht das Erkenntnis nicht von der zu diesen Fragen bereits ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab, sodass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt und daher die (ordentliche) Revision auszuschließen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7103599.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at