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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.07.2024, RV/2100656/2023

Geschäftsführerhaftung (§ 9 BAO): Zur Anrechnung des "Quotenbetrages" auf die haftungsgegenständlichen Abgaben

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/2100656/2023-RS1
Für eine Anrechnung des "Quotenbetrags" (in Analogie der ständigen Strafrechtsprechung zu § 153c StGB nach der Anrechnungsregel gemäß § 1416 ABGB) im vollen Betrag auf die haftungsrelevanten Abgaben "(als beschwerlichste) zugunsten des Geschäftsführers" gibt es keine Rechtsgrundlage und es kommt auch keine analoge Anwendung der Rechtsprechung zum Strafrecht in Frage (Abgabenhaftung ist keine Strafe).
RV/2100656/2023-RS2
Bei der Lohnsteuer kommt der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (vgl. zuletzt ). Eine sich aus einem Gleichbehandlungsnachweis ergebende mögliche "Überdeckung" anderer Abgabenschuldigkeiten ist dabei nicht anzurechnen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den ***Einzelrichter*** über die Beschwerde des ***Bf***, ***BF-Adr***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO nach mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Haftung für Lohnsteuer abgeändert und die Haftung gemäß § 9 BAO für folgende Lohnsteuerbeträge der ***X&Bf-GmbH*** geltend gemacht:

Lohnsteuer 2019 944,83 €
Lohnsteuer 08/2019 4.411,09 €
Lohnsteuer 09/2019 4.197,36 €
Lohnsteuer 10/2019 4.560,03 €
Lohnsteuer 11/2019 6.555,20 €
Lohnsteuer 12/2019 5.171,70 €
Lohnsteuer 01/2020 4.181,68 €
Lohnsteuer 02/2020 5.208,79 €
Lohnsteuer 04/2020 4.084,05 €
Lohnsteuer 05/2020 4.386,13 €
Lohnsteuer 06/2020 8.305,67 €
Lohnsteuer 07/2020 3.175,51 €
Lohnsteuer 08/2020 4.811,38 €

Hinsichtlich der übrigen Abgaben wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer der ***X&Bf-GmbH*** (in der Folge: GmbH). Mit Beschluss vom ***Datum-1*** wurde über die GmbH ein Hauptverfahren iSd EulnsVO eröffnet (und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst). Mit Beschluss vom ***Datum-2*** wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben (siehe den Ausdruck aus der Insolvenzdatei vom [OZ 18]). Am ***Datum-3*** wurde die Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht.

Verfahrensablauf

Bescheid

Mit Bescheid vom (OZ 5) zog die Abgabenbehörde den Beschwerdeführer (unter Berücksichtigung einer Konkursquote von 17,4 %) gemäß § 9 BAO zur Haftung für Lohnsteuern im Gesamtbetrag von 60.386,74 € und in geringfügigem Ausmaß auch für andere der GmbH heran.

Beschwerde

Mit Schreiben vom (OZ 7) erhob der Beschwerdeführer durch seinen damaligen rechtsanwaltlichen Vertreter nach Fristverlängerungen (OZ 1-4) die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid und beantragte dessen Änderung (Haftung für Lohnsteuern nur im Betrag von 14.288,59 € und keine Haftung für die anderen Abgaben). Zur Begründung betreffend Lohnsteuer führte der Beschwerdeführer aus, dass das Insolvenzverfahren nach Ausschüttung einer Insolvenzquote von 17,93791 % aufgehoben worden sei (Seite 8). Die Auszahlung von Quotenbeträgen im Insolvenzverfahren sei ohne Widmung des Insolvenzverwalters erfolgt. Der sich im Hinblick auf die angemeldete und anerkannte Forderungsanmeldung ermittelte Quotenbetrag auf die Gesamtschuld werde gemäß §§ 128 ff IO - ohne explizite Zahlungswidmung auf bestimmte/einzelne Beitragsteile bzw. Schuldposten - ausgeschüttet. Es liege somit eine ungewidmete Zahlung vor, die in Analogie der ständigen Strafrechtsprechung zu § 153c StGB nach der Anrechnungsregel gemäß § 1416 ABGB im vollen Betrag auf die haftungsrelevanten Abgaben (als beschwerlichste) zugunsten des Geschäftsführers anzurechnen sei (Seite 9). Unter Berücksichtigung/Anrechnung des "effektiven Quotenbetrages" in Höhe von 46.098,15 € auf die haftungsrelevanten Abgaben (Lohnsteuer) im Höhe von 60.386,74 € verblieben somit uneinbringliche und somit haftungsrelevante Abgaben in Höhe von (höchstens) EUR 14.288,59 (Seite 9). Zur Begründung betreffend Lohnsteuer führte der Beschwerdeführer aus, dass der erbrachte Gleichbehandlungsnachweis ergebe, dass die Abgabenbehörde nicht benachteiligt worden sei (Seite 6). Bei direkter Gegenüberstellung liege eine "Überdeckung" der Abgabenverbindlichkeiten vor (Seite 7).

Beschwerdevorentscheidung

Mit Beschwerdevorentscheidung vom (OZ 8) änderte die Abgabenbehörde den angefochtenen Bescheid ab, indem sie (unter Berücksichtigung einer Konkursquote von 17,93791 %) die Haftung nur für die Lohnsteuern im Gesamtbetrag von 59.993,48 € aussprach. Der vom Masseverwalter an die Abgabenbehörde überwiesene "Auszahlungsbetrag (Quotenausschüttung)" in Höhe von 25.824,24 € sei aliquot auf die anerkannten Beträge im Insolvenzverfahren angerechnet worden (Seite 3). Das Verrechnungsweisungsrecht gelte nicht für die "Ausschüttung der Quotenzahlung" (Seite 3).

Vorlageantrag

Mit Schreiben vom (OZ 10) stellte der Beschwerdeführer durch seinen damaligen Rechtsanwalt gegen die Beschwerdevorentscheidung ohne weiteres Vorbringen den Antrag auf Entscheidung durch das Verwaltungsgericht (Vorlageantrag).

Beschwerdevorlage

Mit Vorlagebericht vom (OZ 19) legte die Abgabenbehörde dem Bundesfinanzgericht die Bescheidbeschwerde zur Entscheidung vor.

Der Beschwerdeführer hat die mündliche Verhandlung beantragt (siehe Seite 13 des Beschwerdeschreibens [OZ 7]).

In der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen (siehe die Niederschrift vom [OZ 31]).

Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerde erwogen:

Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können (§ 9 Abs. 1 BAO).

Vorweg ist festzuhalten, dass dem vom (ehemaligen) Vertreter des Beschwerdeführers errechneten "effektiven Quotenbetrag" in Höhe von 46.098,15 € der ANGEMELDETE Gesamtforderungsbetrag von 256.987,30 € zugrunde liegt (17,93791 % von 256.987,30 € ergibt 46.098,15 €). Tatsächlich ergibt sich unter Zugrundelegung des ANERKANNTEN Gesamtforderungsbetrages von 244.190,75 € ein "Quotenbetrag" von 43.802,71 € (17,93791 % von 244.190,75 € ergibt 43.802,71 €). Von diesem "Quotenbetrag" ausgehend errechnete der Masseverwalter den Auszahlungsbetrag von 25.824,24 € (siehe die Darstellung der Berechnung auf Seite 3 der Beschwerdevorentscheidung).

Die Abgabenbehörde hat die Haftungsbeträge errechnet, indem sie die betroffenen Abgabenschuldigkeiten der GmbH jeweils um die Insolvenzquote gekürzt hat. Der Beschwerdeführer begehrt, dass beim Haftungsausspruch der "Quotenbetrag" in Analogie der ständigen Strafrechtsprechung zu § 153c StGB nach der Anrechnungsregel gemäß § 1416 ABGB im vollen Betrag auf die haftungsrelevanten Abgaben "(als beschwerlichste) zugunsten des Geschäftsführers" angerechnet wird. Da es für eine solche Vorgangsweise keine Rechtsgrundlage gibt und eine analoge Anwendung der Rechtsprechung zum Strafrecht nicht in Frage kommt (Abgabenhaftung ist keine Strafe), kann dem Begehren nicht gefolgt werden.

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass der erbrachte Gleichbehandlungsnachweis ergebe, dass die Abgabenbehörde nicht benachteiligt worden sei, so ist er auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach bei der Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen kommt. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (vgl. zuletzt ). Eine sich aus einem Gleichbehandlungsnachweis ergebende mögliche "Überdeckung" anderer Abgabenschuldigkeiten ist dabei nicht anzurechnen.

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich Haftung für Lohnsteuer unter Berücksichtigung der "richtigen" Insolvenzquote von 17,93791 % (im angefochtenen Bescheid: 17,4 %) wie im Spruch ersichtlich abzuändern. Hinsichtlich der übrigen Abgaben war der angefochtene Bescheid aufgrund des erbrachten Gleichbehandlungsnachweises der Beschwerdevorentscheidung entsprechend aufzuheben.

Die Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers war zweckmäßig, weil aufgrund seiner Berufstätigkeit und seines Lebensalters mit einer - zumindest teilweisen - Einbringung zu rechnen ist. Unbilligkeitsgründe konnte das Gericht nicht erkennen und wurden vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung nicht vorliegt, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.2100656.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at