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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.06.2024, RV/7100991/2024

Eigenanspruch auf erhöhte Familienbeihilfe; Bindung an Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs 6 FLAG 1967

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Dr. Lisa Pucher in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf Adr***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe (Grundbetrag) ab November 2022 und Abweisung des Antrages auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab Juni 2021, zu Recht:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (nachfolgend "Bf") reichte am für sich selbst einen Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe (ohne Angabe ab wann) ein. Am stellte der Bf überdies einen Antrag auf Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Familienbeihilfe (Grundbetrag) mit Bescheid vom ab November 2022 mit der Begründung ab, dass Anspruch auf Familienbeihilfe bei voraussichtlich dauernder Erwerbsunfähigkeit bestehe, wobei die Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein müsse (siehe § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967). Beim Antragsteller treffe dies nicht zu. Der Antrag auf den Erhöhungsbetrag wurde, ebenfalls mit Bescheid vom , ab Juni 2021 mit der Begründung abgewiesen, dass die in § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 normierten Voraussetzungen nicht vorlägen, da die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst ab Juni 2021 festgestellt worden sei.

Gegen diese Bescheide wurden vom Bf am Beschwerden eingebracht: Erwerbsunfähigkeit sei (zumindest) vor dem 19. Lebensjahr des Bf eingetreten; sie habe bereits in seiner Jugend vorgelegen. Er habe lediglich Arbeitsversuche unternommen, die nicht von langer Dauer waren. Wirklich auffällig sei die Erwerbsunfähigkeit des Bf zum erstem Mal am Ende seines Dienstverhältnisses bei ***Hotel GmbH & Co*** von ***Datum Jahr 1987*** bis ***Datum Jahr 1988*** gewesen; er habe im Dezember 1987 schwere psychotische Zustände gehabt. Auch sein Dienstverhältnis bei der ***Firma P*** von ***Datum Jahr 1988*** bis ***Datum Jahr 1988*** sei vorzeitig nach 7 Tagen abgebrochen worden, obwohl es ursprünglich für die Dauer eines Monates vorgesehen gewesen sei (Grund: psychotische Zustände und geistige Verwirrung). Am Ende des Dienstverhältnisses von ***Datum / Jahr 1989*** bis ***Datum Jahr 1989*** im Hotel ***F*** sei er ebenfalls auffällig psychotisch gewesen. Im Jahr 1992 (Anmerkung: damals war der Bf 23 Jahre alt) sei der Bf erstmals stationär in der Psychiatrie des AKH Wien aufhältig gewesen (Befunde lagen bei; Diagnose: Angstneurose). 1995 (Anmerkung: damals war der Bf 26 Jahre alt) habe ein stationärer Aufenthalt im Otto-Wagner-Spital und im AKH Wien stattgefunden, dabei sei erstmals die Diagnose Schizoaffektive Störung festgestellt worden. Es habe sich bereits seit einer psychotischen Episode im Dezember 1987 die Frage gestellt, ob der Bf jemals erwerbsfähig sein werde. Er habe die Erwerbsunfähigkeit damals abgestritten und habe keine Krankheitseinsicht gehabt, schließlich habe er die Schulausbildung ***mit Reifeprüfung als Externist***. Er sei bereits damals ziemlich desozialisiert gewesen, habe weiche Drogen genommen und sei teils verwirrt gewesen. Zwischen 1988 und 1999 sei er relativ erfolgreich als Medizinstudent inskribiert gewesen, habe sich aber für ein Genie und seine Psychose für absolut heilbar gehalten. Seine soziale Situation sei aber damals schon extrem gefährdend und bedrohlich gewesen. Der Vater des Bf(X) habe bereits während der Jugend des Bf eine schwere paranoide Psychose gehabt und ihn auch sehr oft wegen der Externistenmatura und mangelnden Erfolgen in der Schule bedroht. Bis 1995 sei seine Erkrankung und auch die seines Vaters nicht festgestellt worden, sie seien aber beide schon Ende der 80er Jahre schwer krank gewesen. Arbeitsversuche seien nicht von langer Dauer gewesen, zumeist nur ein Jahr und seien zumeist wegen der psychotischen Erkrankung des Bf gescheitert. Zuletzt sei der Bf im Jahr 2014 ein Jahr lang für die Firma ***C*** tätig gewesen. Man habe ihm freundlicherweise geholfen, Arbeitsversuche zu unternehmen und es gebe auch kein Arbeitsverbot bzw eine Verpflichtung zur Krankheitseinsicht und zu einem öffentlichen Eingeständnis. So sei es gekommen, dass die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit erst ab Juni 2021 getroffen worden ist. Die aktuell festgestellte Arbeitsunfähigkeit sei nicht vorübergehend. Erwerbsunfähigkeit habe auf jeden Fall schon vor dem vollendeten 27. Lebensjahr vorgelegen; sie sei trotz mehrmaliger Arbeitsversuche über einen mehrjährigen Zeitraum nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft.

Das Finanzamt wies die Beschwerden am ab. Begründend wurde ausgeführt, dass laut Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom eine Behinderung im Ausmaß von 50% sowie eine Erwerbsunfähigkeit ab dem festgestellt worden sei.

In den Vorlageanträgen vom führte der Bf wie folgt aus: Er erbringe hiermit den Nachweis, dass seine Erkrankung (schizoaffektive Störung) bereits am vorgelegen ist. Das sei vor dem vollendeten 27. Lebensjahr gewesen und während der Berufsausbildung des Medizinstudiums. Den mit datierten Arztbrief der Psychiatrischen Abteilung des AKH Wien habe er ebenso wie den Nachweis über das Medizinstudium bereits übermittelt. Zumindest seit 1987 erinnere sich der Bf an regelmäßige psychotische Zustände, wegen welcher er ab 1990 im Kriseninterventionszentrum in 1090 Wien in Behandlung gewesen sei. Im Jahr 1992 sei er erstmals im AKH Wien stationär aufgenommen worden. Der Bf habe 1996 sein Medizinstudium abgebrochen und zwischen 1996 und 1998 ein HAK-Kolleg abgeschlossen. Damit habe er den Versuch unternommen noch zu einem Abschluss einer Ausbildung und einer angemessenen Erwerbstätigkeit zu kommen. Das Diplomprüfungszeugnis des HAK-Kollegs übermittle er im Anhang. Der Bf habe seit 1995 keine ausreichende psychische Stabilität gehabt, um sich die Berufserfahrung anzueignen, die eine entsprechende Ausübung einer Erwerbstätigkeit, etwa als Buchhalter oder in einem vergleichbaren Beruf erfordert. Seine Dienstverhältnisse seien als Arbeitsversuche einzustufen und nicht als echte Erwerbstätigkeit. Die aus gesundheitlichen Gründen gescheiterten Bemühungen auf dem Arbeitsmarkt im Anschluss an das Jahr 1995 seien in den vom Bf übermittelten Unterlagen dokumentiert.

Am wurden die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der am ***GebDatum*** geborene und in Österreich lebende Bf ist ledig und war nie verheiratet. Die Eltern des Bf waren im streitgegenständlichen Zeitraum bereits verstorben. Der Bf leidet unter einer schizoaffektiven Störung, Zwangs- und Angststörung sowie an Diabetes mellitus. Er ist aufgrund seiner geistigen Behinderung ab Juni 2021 voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Bf wurde ***Tag Monat***1987 volljährig; ***Tag Monat***1990 hat er das 21. Lebensjahr und ***Tag Monat***1994 das 25. Lebensjahr vollendet; ***Tag Monat***2024 wurde der Bf 55 Jahre alt.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf im Zentralen Melderegister durchgeführte Abfragen sowie die Bescheinigungen des Sozialministeriumservice (siehe Beilage zum Erkenntnis) und die dem zu Grunde liegenden ärztlichen Sachverständigengutachten vom April und Dezember 2023, die nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes als schlüssig, vollständig und unwidersprüchlich einzustufen sind:

Die von den medizinischen Sachverständigen getroffene Einschätzung, dass der Bf voraussichtlich dauerhaft außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, basiert auf einer persönlichen Untersuchung des Bf sowie einer Auseinandersetzung mit den vorgelegten und im Gutachten aufgelisteten Befunden bzw sonstigen Unterlagen. Wenn vier Ärzte des Sozialministeriumservice nach Beurteilung des (in den Bescheinigungen des Sozialministeriumservice auch zum Ausdruck gelangenden) Leidens und dessen Ausmaß übereinstimmend zur Erkenntnis gelangen, dass die Leistungsfähigkeit des Bf auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus psychiatrischer Sicht derzeit aufgehoben ist, kann dies nicht als unschlüssig angesehen werden. Dass der Bf bereits seit Juni 2021 aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung den Belastungen einer Erwerbstätigkeit nicht mehr gewachsen ist, war nachvollziehbar und widerspruchsfrei aus dem in der Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom April 2023 auszugsweise zitierten Befund der Fachärztin Dr. ***P*** aus dem Juni 2021 abzuleiten ("[…]der Patient kann zeitweise keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen. Zusätzlich treten immer wieder starke Zwangssymptome auf. Unter Medikation konnte eine gute Stabilität erreiche werden, allerdings besteht eine anhaltend reduzierte Belastbarkeit um die erreichte Stabilität zu erhalten."). Aufgrund des Vorbringens des Bf, wonach er bereits viel früher erwerbsunfähig gewesen sei, erfolgte am erneut eine Untersuchung beim Sozialministeriumservice (diesmal durch einen Facharzt für Psychiatrie); eine Änderung zur Bescheinigung vom April 2023 ergab sich nicht; die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde mangels relevanter Brückenbefunde erst ab 06/2021 als gegeben angesehen. Es ist schlüssig, wenn der medizinische Sachverständige nur dann eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt annimmt, wenn er dafür in medizinischen Befunden nachvollziehbar dokumentierte Anhaltspunkte findet, die er seinem Gutachten zu Grunde legen kann; Sachverständige haben fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Der Umstand, dass eine Krankheit bereits diagnostiziert war, rechtfertigt noch nicht ohne weiteres die Annahme einer Erwerbsunfähigkeit. Die vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigung muss so gravierend sein, dass eine Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich ist. Dass dies schon viel früher der Fall war, konnte (fach)ärztlicherseits - aufgrund des Inhaltes der vom Bf beigebrachten Befunde aus den Jahren 1992 bzw 1995 (Anmerkung: Ausführungen zu konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf die Erwerbstätigkeit des Bf fehlen) - nicht festgestellt werden, mögen sich nachweislich auch damals schon zunehmend ernsthafte Probleme aufgrund der vorhandenen und darin auch bestätigten Erkrankung(en) gezeigt haben; alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen. Ein Leidenszustand, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit von vornherein ausschließt, wurde von den medizinischen Sachverständigen nicht erkannt (vgl etwa oder auch ); auch bei einer Behinderung von 100% wäre es nicht ausgeschlossen, dass der Betroffene im Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (siehe ). Die medizinische Beurteilung durch die Ärzte des Sozialministeriumservice steht damit in Einklang, dass der Bf - wie auch in der Bescheinigung vom ausdrücklich festgehalten - maturiert, (ohne Abschluss) Medizin studiert (die vorgelegte Abgangsbescheinigung der Medizinischen Fakultät der Universität Wien zeigt von 1989 bis 1994 abgelegte Prüfungsleistungen; der Bf hat das Studium nach eigenen Angaben bis 1996 betrieben und dann ein HAK-Kolleg abgeschlossen), bis etwa 2014 mit Unterbrechungen erwerbstätig und nach dem vorgelegten Versicherungsdatenauszug immer wieder Arbeitslosengeld sowie Notstandshilfe bezogen hat (Anmerkung: Der Bezug von Arbeitslosengeld setzt unter anderem voraus, dass der Anspruchswerbende der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, das heißt insbesondere auch, überhaupt arbeitsfähig sein, vgl §§ 7 und 8 Arbeitslosenversicherungsgesetz). Daran ändert auch der näher konkretisierte und glaubhaft gemachte Einwand des Bf, dass er nie lange einer Arbeit nachgehen habe können, nichts; die krankheitsbedingten Einschränkungen stellen lediglich eine von vielen Möglichkeiten dar, warum Personen auf dem Arbeitsmarkt keine - längerfristige - Beschäftigung finden, wobei gerade im niedriger qualifizierten Bereich ein häufigerer Stellenwechsel nicht ungewöhnlich erscheint. Letztlich hat sogar der Bf selbst zugestanden, anfangs noch nicht davon ausgegangen zu sein, dauerhaft erwerbsunfähig zu sein.

Bei dieser Sachlage ist das Bundesfinanzgericht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet, die Gutachten als mängelfreie Beweismittel seiner Entscheidung zugrunde zu legen (siehe zB Ro 2014/16/0053, 2009/16/0307 und 2009/16/0310 mwN).

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 6 FLAG 1967 in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung (BGBl I Nr 220/2021) normiert auszugsweise:

"(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

(a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

(b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

(c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie

[…]

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; […]

[…]

(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.

[…]."

Anmerkung: § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der Fassung vor dem BGBl I Nr 111/2010 (Budgetbegleitgesetz 2011), der den Eintritt der voraussichtlichen Selbsterhaltungsunfähigkeit während einer späteren Berufsausbildung noch spätestens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres vorsah, ist mit außer Kraft getreten (siehe § 55 Abs 17 lit g FLAG 1967). Ein Familienbeihilfenanspruch für die Monate ab November 2022 ist nach den in § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der geltenden Fassung (siehe oben) normierten Voraussetzungen zu beurteilen.

§ 8 FLAG 1967 regelt auszugsweise:

"[…]

(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich […].

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, […] um […].

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. […]"

Nach dem festgestellten Sachverhalt liegen die im gegenständlichen Fall tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 6 Abs 1 lit d FLAG 1967 (Eintritt der voraussichtlichen Selbsterhaltungsunfähigkeit bis zum 21. bzw 25. Lebensjahr) für den Bezug des Grundbetrages an Familienbeihilfe ab November 2022 nicht vor. Mangels Anspruch auf den Grundbetrag ist auch die Gewährung des Erhöhungsbetragesab Juni2021 abzulehnen.

Zum Vorbringen des Bf ist folgendes auszuführen:

Dass der Beginn der psychischen Erkrankung des Bf bis in seine Jugend zurückreicht, steht für das Bundesfinanzgericht ausreichend fest. Das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bedeutet aber nicht automatisch eine dauernde Selbsterhaltungsunfähigkeit im Sinne des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967; davon, dass eine solche bereits in den 1990er-Jahren eingetreten ist, konnte aufgrund der vorliegenden - als schlüssig, vollständig und unwidersprüchlich anzusehenden - Bescheinigungen des Sozialministeriumservice nicht ausgegangen werden.

Das Bundesfinanzgericht ist nicht zur eigenständigen Beurteilung der Frage, wann die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf eingetreten ist, berufen. Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des (oben zitierten) § 8 Abs 6 FLAG 1967 die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Tätigkeit der Behörden bzw des Bundesfinanzgerichtes hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, die Beweiskraft der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen.

Die (erhöhte) Familienbeihilfe wird nur auf Antrag gewährt. Im antragsgebundenen Verfahren ist es Sache des Antragstellers, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines Privatgutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (siehe zB mwN). Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt beim Antragsteller. Neben den beiden Befunden aus 1992 und 1995 (die auch im Rahmen der Begutachtung durch die Ärzte des Sozialministeriumservice gewürdigt wurden) hat der Bf folgende Unterlagen vorgelegt: Rehabilitationsgeldbestätigung ÖGK vom , wonach der Bf ab das Rehabilitationsgeld erhält, Schreiben vom der PVA, wonach "vorübergehende" Berufsunfähigkeit weiterhin vorliegt, Schreiben vom vom Fonds Soziales Wien, wonach ***Bf*** die Voraussetzungen für die Förderung der von ihm beantragten Leistung (Tagesstruktur inklusive Mobilitätskonzept) befristet von bis erfülle, Schreiben Wiener Sozialdienste vom , wonach ***Bf*** seit in der Tagesstruktur HandWerk für behinderte und psychisch erkrankte Personen arbeitet und eine monatliche Leistungsanerkennung in Höhe von derzeit € 48 erhält, Arztbrief Dr. ***R*** vom über stationäre Behandlung im AKH Wien, Arztbrief an Dr. ***R*** vom , Bestätigungen des AKH Wien sowie des Otto-Wagner-Spitals Wien über stationäre Klinik-Aufenthalte, die allesamt in den Jahren 2008 bis 2016 stattgefunden haben. Diese Unterlagen betreffen nicht den hier entscheidungsrelevanten Zeitraum und ermöglichen schon aus diesem Grund keinen fundierten Rückschluss auf eine bereits vor dem bzw vor dem vorliegende behinderungsbedingte voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit. Eine Ergänzung der bisher existenten Bescheinigungen des Sozialministeriumservice war insofern nicht geboten. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Schlüssigkeit der Sachverständigengutachten in die Richtung erwecken, dass bereits damals (also vor dem bzw vor dem ) eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen wäre, waren weder den vorgelegten Unterlagen noch den Ausführungen des Bf in seinen Eingaben zu entnehmen.

Es war daher spruchgemäß zu befinden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine solche Rechtsfrage war im gegenständlichen Fall nicht zu klären. Die Bindungswirkung schlüssiger Gutachten des Sozialministeriumservice entspricht der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Der Frage, ob in einem konkreten Fall die vorliegenden Gutachten schlüssig sind, kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Prüfung der Schlüssigkeit solcher Gutachten ist nichts anderes als eine Würdigung dieses Beweises. Ob die Beweiswürdigung in dem Sinne materiell richtig ist, dass die Ergebnisse mit der objektiven Wahrheit übereinstimmen, entzieht sich der Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof. Es war daher nach § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

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