Als COVID-19-Rücklage ausgewiesener Verlust entspricht nicht den Tatsachen - kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Gabriele Grossgut-Palotás in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2019 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2019 brachte der Beschwerdeführer am einen Antrag auf Berücksichtigung einer COVID-19-Rücklage in Höhe von 34.032,76 € ein. Diesem Antrag entsprach das Finanzamt mit Bescheid vom und anerkannte einen Betrag in Höhe von 32.659,19 € (30 % der betrieblichen Einkünfte; die Korrektur ist unstrittig).
Aufgrund eines positiven Gesamtergebnisses der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2020 erließ das Finanzamt am einen gemäß § 295a BAO geänderten Bescheid, in dem es keine COVID-19-Rücklage mehr berücksichtigte. Die dagegen am eingebrachte Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Es wird sowohl auf die Beschwerdeausführungen als auch die Bescheidbegründung verwiesen.
Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt - entsprechend dem Vorlageantrag vom - die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Im Jahr 2019 beliefen sich die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 108.863,99 €. Die COVID-19-Rücklage wurde in Höhe von 30 % der Einkünfte (ds. 32.659,19 €) gewährt.
Im Jahr 2020 betrugen die Einkünfte aus selbständiger Arbeit 2.876,17 €.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ist unstrittig. Es handelt sich um eine reine Rechtsfrage.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
§ 124b Z 355 EStG 1988 lautet:
a) Verluste aus Einkünften gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte im Rahmen der Veranlagung 2020 nicht ausgeglichen werden, können im Rahmen der Veranlagung 2019 bis zu einem Betrag von 5.000.000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte vor Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen abgezogen werden (Verlustrücktrag). Soweit ein Abzug im Rahmen der Veranlagung 2019 nicht möglich ist, kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der Veranlagung 2018 erfolgen. Dabei gilt:
Die Verluste müssen durch ordnungsgemäße Buchführung oder bei Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn gemäß § 4 Abs.3 ermitteln, durch ordnungsgemäße Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, ermittelt worden sein.
Der Verlustrücktrag erfolgt auf Antrag. Wurde das betreffende Jahr bereits rechtskräftig veranlagt, gilt der Antrag als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO.
Soweit Verluste aus der Veranlagung 2020 nicht rückgetragen werden, können sie nach Maßgabe des § 18 Abs. 6 in Folgejahren abgezogen werden (Verlustabzug).
Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, im Wege einer Verordnung festzulegen, dass eine Verlustberücksichtigung bereits vor Durchführung der Veranlagung 2020 erfolgen kann, um bei den Steuerpflichtigen früher positive Liquiditätseffekte herbeizuführen. Dabei sind auch die Voraussetzungen für die Verlustberücksichtigung im Rahmen der Veranlagung 2018 näher festzulegen.
b) Endet im Kalenderjahr 2020 ein abweichendes Wirtschaftsjahr, besteht das Wahlrecht, den Verlust aus der Veranlagung 2020 oder aus der Veranlagung 2021 rückzutragen. Wird der Verlust aus der Veranlagung 2021 rückgetragen, beziehen sich die Regelungen der lit. a auf die Kalenderjahre 2021, 2020 und 2019.
Die auf Basis der Verordnungsermächtigung des § 124b Z 355 EStG 1988 erlassene Covid-19-Verlustberücksichtigungsverordnung, BGBl II Nr. 405/2020, lautet auszugsweise:
§ 1. (1) Zur Schaffung von positiven Liquiditätseffekten vor Durchführung der Veranlagung 2020 können voraussichtliche betriebliche Verluste 2020 bereits im Rahmen der Veranlagung 2019 bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte durch einen besonderen Abzugsposten (COVID-19-Rücklage) berücksichtigt werden. Dabei gilt:
1. Die Bildung der COVID-19-Rücklage setzt voraus, dass der Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2019 positiv und im Jahr 2020 voraussichtlich negativ ist. Als Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte gilt der Saldo der nach dem Tarif zu versteuernden Gewinne und Verluste (§ 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988) aus Wirtschaftsjahren, die im jeweiligen Kalenderjahr enden.
2. Die COVID-19-Rücklage kürzt den Gesamtbetrag der Einkünfte 2019. Sie lässt die Höhe der betrieblichen Einkünfte unberührt.
3. Für die Ermittlung der Höhe der COVID-19-Rücklage gilt:
a) Sie beträgt ohne jeden weiteren Nachweis bis zu 30 % des positiven Gesamtbetrages der betrieblichen Einkünfte 2019, wenn die Vorauszahlungen Null betragen oder nur in Höhe der Mindeststeuer gemäß § 24a KStG 1988 festgesetzt wurden.
b) Sie beträgt bis zu 60 % des positiven Gesamtbetrages der betrieblichen Einkünfte 2019, insoweit ein voraussichtlicher negativer Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte 2020 glaubhaft gemacht wird.
c) Sie darf fünf Millionen Euro nicht übersteigen.
(2) Der Abzug und die Hinzurechnung (§ 2) der COVID-19-Rücklage hat beim selben Steuerpflichtigen zu erfolgen. Bei Gesellschaften, deren Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind, wird die COVID-19-Rücklage nicht im Rahmen des Feststellungsverfahrens (§ 188 BAO. BGBl Nr. 1961/194), sondern im Rahmen der Veranlagung der Mitunternehmer berücksichtigt.
(3) Bei Unternehmensgruppen darf eine COVID-19-Rücklage nur durch den Gruppenträger gebildet werden; das Höchstmaß gemäß Abs. 1 Z 3 lit. c richtet sich entsprechend § 26c Z 76 lit. c KStG 1988 nach der Anzahl der unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Gruppenmitglieder zuzüglich des Gruppenträgers.
§ 2. Die bei der Veranlagung 2019 berücksichtigte COVID-19-Rücklage ist im Rahmen der Veranlagung 2020 als Hinzurechnungsposten bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte anzusetzen. Dieser lässt die Höhe der betrieblichen Einkünfte unberührt.
§ 3. Endet im Kalenderjahr 2020 ein abweichendes Wirtschaftsjahr, besteht das Wahlrecht, die COVID-19-Rücklage nach dem voraussichtlichen negativen Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte 2020 oder dem voraussichtlichen negativen Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte 2021 zu bemessen. Wird der voraussichtliche negative Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte 2021 herangezogen, sind sämtliche Bestimmungen der § 1 und § 2, die sich auf die Jahre 2020 und 2019 beziehen, auf die Jahre 2021 und 2020 zu beziehen. Bei Unternehmensgruppen ist auf das abweichende Wirtschaftsjahr des Gruppenträgers abzustellen.
§ 4. Die Bildung einer COVID-19-Rücklage erfolgt auf Antrag. Der Antrag kann ab unter Verwendung des dafür vorgesehenen amtlichen Formulars gestellt werden. Wurde das betreffende Jahr bereits rechtskräftig veranlagt, gilt der Antrag als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO.
Gemäß § 295a Abs. 1 BAO kann ein Bescheid auf Antrag der Partei (§ 78) oder von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ro 2023/15/0016, in einem ähnlich gelagerten Fall kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO gesehen, wenn der im Rahmen der Veranlagung 2019 als COVID-19-Rücklage ausgewiesene Verlust für 2020 tatsächlich nicht in dieser Höhe bzw. gar nicht entstanden sei. Hierzu führt er aus:
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist § 295a BAO nur der Verfahrenstitel zur Durchbrechung der materiellen Rechtskraft von vor Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses erlassenen Bescheiden. § 295a BAO ist nur anwendbar, wenn ein solches Ereignis nachträglich (nach Erlassung des Bescheides) eintritt. Es ist eine Frage des Inhalts bzw. der Auslegung der materiell rechtlichen Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen Rückwirkung zukommt (vgl. Ra 2022/15/0057, mwN).
Die COVID-19-Rücklage ist aufgrund eines Antrages mit einer ordnungsgemäßen Ermittlung des (voraussichtlichen) Verlustes 2020 im Einkommensteuerbescheid für 2019 zu berücksichtigen. Auf eine exakte Übereinstimmung des geltend gemachten Verlustrücktrages mit dem tatsächlichen Verlust stellt das Gesetz iVm der hierzu ergangenen Verordnung bei der Geltendmachung des voraussichtlichen Verlustes nicht ab und richtet dazu ein eigenes Hinzurechnungssystem ein, das Differenzen zwischen ordnungsgemäß ermitteltem voraussichtlichen Verlust 2020 und tatsächlichem Verlust 2020 ausgleicht. Vor diesem Hintergrund bleibt für das vom BFG angenommene rückwirkende Ereignis kein Raum.
Dem Beschwerdebegehren ist somit Rechnung zu tragen und der auf § 295a BAO gestützte beschwerdegegenständliche Bescheid aufzuheben.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung stützt sich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Änderung gemäß § 295a BAO (). Eine Revision ist demnach nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 124b Z 355 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 295a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100378.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at