Maßnahmenbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 29.04.2024, RM/7200001/2024

Kein Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, wenn dem Adressaten bei Nichtbefolgung der behördlichen Aufforderung „lediglich“ eine strafrechtliche Sanktion droht

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht fasst durch die Richterin Mag. Maria Daniel über die Beschwerde der Bf***, Bf-Adr***, vertreten durch Ing. Mag. Dr. Roland Erwin Hansely, Mahlerstraße 13 Tür 3, 1010 Wien, wegen behaupteter rechtswidriger Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe des Zollamtes Österreich am durch Ausübung psychischen Zwangs den Beschluss:

Die Maßnahmenbeschwerde vom wird als unzulässig zurückgewiesen.

Der Antrag auf Kostenersatz wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Begründung

Verfahrensverlauf

Die Beschwerdeführerin verzichtete anlässlich einer Zollkontrolle bei ihrer Einreise am Flughafen Wien aus der Türkei kommend am iVm einer Erledigung gem § 108 Abs 2 ZollR-DG auf die Einbringung eines Rechtsbehelfs sowie auf einen Antrag nach Art 116 UZK. Im Zuge dieser Amtshandlung wurden für die Einfuhr eines durch die Beschwerdeführerin am Körper getragenen Goldarmbandes Eingangsabgaben iHv 1.149,08 Euro bar entrichtet.

Mit Eingabe vom brachte die Beschwerdeführerin gleichzeitig mit einer Bescheidbeschwerde auch eine Maßnahmenbeschwerde bei der belangten Behörde ein.

Der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin und ihres Gatten liege in der Türkei. Es sei keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden. Das von der Beschwerdeführerin getragene Goldarmband sei ein höchstpersönliches Jubiläumsgeschenk und zu keiner Zeit zum Verkauf oder Verbleib in der EU gedacht gewesen. Weder der Beschwerdeführerin noch dem Sohn sei rechtliches Gehör gewährt worden. Auf den Analphabetismus der Beschwerdeführerin sei nicht Rücksicht genommen worden. Es liege ein grob rechtswidriges Verfahren vor. Die Wiederausfolgung (des Goldarmbandes) nur gegen Bezahlung des auferlegten Betrages iHv 1.149,08 Euro stelle nach Ansicht der Beschwerdeführerin einen Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar.

In der Stellungnahme der belangten Behörde vom gibt das Zollorgan an, es sei keine Zwangsgewalt iSd § 50 Abs 2 bis 4 SPG ausgeübt worden, da die Amtshandlung in ruhiger Atmosphäre verlaufen und den Anordnungen der Behörde Folge geleistet worden wäre.

Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass das Zollamt Österreich beabsichtige, die Bescheidbeschwerde (vorbehaltlich einer Stellungnahme) als unzulässig zurückzuweisen. Ferner ziehe das Zollamt in Erwägung, dem Antrag auf Erstattung statt zu geben, sollten die Voraussetzungen für die vorübergehende Verwendung gem Art 250 UZK iVm Art 219 UZK-DA vorliegen. Gleichzeitig mit diesem Schreiben wurde die Beschwerdeführerin über die Weiterleitung der Maßnahmenbeschwerde an das Bundesfinanzgericht in Kenntnis gesetzt.

Mit Schriftsatz vom führt der Vertreter der Beschwerdeführerin aus, die Bezahlung des doppelten Abgabenbetrages sei nicht freiwillig erfolgt. Es sei psychischer Zwang insoweit ausgeübt worden, als zu Unrecht ein Zollstraftatbestand behauptet wurde, die Beschwerdeführerin bzw die anderen Beteiligten bis zum Ende der Amtshandlung nicht gehen durften, die Beschwerdeführerin und ihr Gatte über die Amtshandlung eine halbe Stunde lang im Ungewissen blieben und die Beiziehung eines Dolmetschers faktisch verweigert wurde. Die Beschwerdeführerin sei ohne Erhebung des Sachverhalts mit dem falschen Vorhalt eines Zollvergehens konfrontiert und nicht über ihre Rechte, insb die Folgen des Rechtsmittelverzichts aufgeklärt worden.

Sachverhalt

Soweit für die Maßnahmenbeschwerde verfahrensrelevant, steht folgender Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsbürgerin und hat laut ZMR-Abfrage ihren Hauptwohnsitz seit 1986 in Wien.

Sie reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann am in Österreich aus Istanbul kommend am Flughafen Wien-Schwechat ein und benutzte den grünen Ausgang "nothing to declare", den sog "Grünkanal". Dabei trug sie am Körper sichtbar ein goldenes Armband.

Im Zuge einer durchgeführten Zollkontrolle wurde festgestellt, dass das Goldarmband keine österreichische Punzierung aufwies und bislang nicht in der EU verzollt worden war.

Die Söhne der Beschwerdeführerin wurden im Laufe der Amtshandlung hinzugezogen und unterhielten sich mit ihrer Mutter in türkischer Sprache. Es war kein Dolmetscher anwesend.

Die Beschwerdeführerin erteilte ihren Söhnen gegenüber dem Zollbeamten keine ausdrückliche Vollmacht zur Unterzeichnung des Zahlungsbeleges.

Nach Erstellung des Abgabenbescheides wurde der Block mit der Zahlungsbestätigung für eine Erledigung gem § 108 ZollR-DG zur Unterzeichnung des Rechtsmittelverzichtes auf das Pult des "Rotkanals" gelegt. Das Zollorgan konnte nicht sehen, wer die Zahlungsbestätigung unterschrieb.

Die Amtshandlung endete nach vollständiger Bezahlung des Abgabenbetrages. Das Goldarmband wurde der Beschwerdeführerin übergeben.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten, insb unter Bedachtnahme auf die Inhalte der Stellungnahme des Zollorgans und den Ausführungen des Vertreters der Beschwerdeführerin.

Die widersprüchlichen Ausführungen betreffend Aufklärung der Folgen eines Rechtsmittelverzichts und dessen Unterzeichnung ohne Rücksichtnahme auf den Analphabetismus der Beschwerdeführerin sind für die Maßnahmenbeschwerde nicht relevant, da die Geltendmachung der Verletzung von Verfahrensvorschriften generell mittels Bescheidbeschwerde erfolgen kann.

Rechtliche Würdigung

Nach Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit.

§ 283 Abs 1 BAO bestimmt:

"Gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Abgabenbehörden kann wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde (Maßnahmenbeschwerde) erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet."

Ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar - das heißt ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als Ausübung von "Zwangsgewalt", zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von "Befehlsgewalt" gedeutet werden kann. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsakts in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt kein ausdrücklicher Befolgungsanspruch vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (vgl. ).

Wenn dem Adressaten der behördlichen Aufforderung "lediglich" eine strafrechtliche Sanktion droht, liegt kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor (vgl. ).

Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken (vgl ).

Im vorliegenden Fall "drohte" der Beschwerdeführerin die Beschlagnahme des Armbandes durch die Zollorgane, sofern nicht der doppelte Abgabenbetrag in bar unter Erklärung eines Rechtsmittelverzichtes entrichtet worden wäre.

§ 108 Abs 2 ZollR-DG bestimmt:

"Durch Entrichtung einer Abgabenerhöhung in Höhe des verkürzten Eingangs- oder Ausgangsabgabenbetrages kann sich eine Person, die hinsichtlich von in das Zollgebiet der Union verbrachten oder aus dem Zollgebiet der Union verbrachten Waren eine Zollzuwiderhandlung begeht, von der Verfolgung eines dadurch begangenen Finanzvergehens befreien, wenn der auf die Waren entfallende Eingangs- oder Ausgangsabgabenbetrag nicht mehr als 1 000 Euro beträgt und diese Person schriftlich auf die Einbringung eines Rechtsbehelfs (§§ 42 ff) und auf einen Antrag auf Erstattung oder Erlass nach Art. 116 des Zollkodex verzichtet. Dies gilt nicht, wenn die Überlassung der Waren wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zulässig ist. Die Regelung ist auch anwendbar, wenn keine Eingangs- oder Ausgangsabgaben zu erheben sind."

Die Überlassung bzw Wiederausfolgung des Armbandes gegen Bezahlung stellt lediglich eine rechtliche Folge der Anwendung des § 108 Abs 2 ZollR-DG und nicht einen Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar.

Ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist ferner nur solange einer Maßnahmenbeschwerde zugänglich, solange darüber kein schriftlicher Bescheid vorliegt. Wird ein Bescheid über die faktische Amtshandlung erlassen, dann wird die in der faktischen Amtshandlung liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheides (vgl ).

Der mit Rechtsmittelverzicht unterzeichnete Zahlungsbeleg stellt einen Bescheid der belangten Behörde dar. Dieser ist Ausfluss der zuvor stattgefundenen Zollkontrolle.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dienen die Regelungen über die Maßnahmenbeschwerde gem § 283 BAO nur der Schließung einer Lücke im Rechtsschutzsystem, nicht aber der Eröffnung einer Zweigleisigkeit für die Verfolgung ein und desselben Rechtes.

Sofern, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, der Rechtsmittelverzicht infolge schwerwiegender Verfahrensfehler nicht gültig erklärt wurde, steht der Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde weiterhin offen.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da es sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt und der gegenständliche Beschluss auch nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Zoll
betroffene Normen
§ 108 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
§ 108 Abs. 2 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 283 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 283 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RM.7200001.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at