Überwachungspflicht des für den Vertrieb zuständigen Geschäftsführers
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch V, R1 sowie die fachkundigen Laienrichter R2 und R3 über die Beschwerde des X, Adresse, vertreten durch V, Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Abgabenkontonummer x, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der X.GmbH in der Höhe von 386.166,25 Euro nach der am in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Vertreter V1 und V2, des Vertreters des Finanzamtes Österreich, VÖ, sowie der Schriftführerin S zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
X wird gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO als Haftungspflichtiger für folgende Abgaben der X.GmbH in der Höhe von insgesamt 48.977,44 Euro in Anspruch genommen:
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Haftungsbescheid | 25% | |
Umsatzsteuer 11/2014 | 142.487,07 | 35.621,77 |
Lohnsteuer 02/2015 | 43.791,53 | 10.947,88 |
Dienstgeberbeitrag 02/2015 | 8.585,36 | 2,146,34 |
Zuschlag zum DB 02/2015 | 744,07 | 186,02 |
Körperschaftsteuer 01-03/2015 | 301,73 | 75,43 |
48.977,44 |
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die G.GmbH war seit dem Jahr 2011 Alleingesellschafterin der im Jahr 1975 errichteten X.GmbH (nunmehr X.GmbH).
Die G.GmbH wurde durch die handelsrechtlichen Geschäftsführer A und B vertreten (Auszug Firmenbuch FN).
Der Beschwerdeführer (Bf.) fungierte seit Datum als handelsrechtlicher Geschäftsführer der X.GmbH. Neben dem Bf. war A seit Datum zum handelsrechtlichen Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt (Auszug Firmenbuch FN).
Mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum, x, wurde über die X.GmbH ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet, das mit dem Beschluss des Gerichtes vom Datum in ein Konkursverfahren übergeleitet wurde. Nach der Schlussverteilung (Quote 15,951508 %) wurde das Konkursverfahren mit dem Beschluss des Gerichtes vom Datum aufgehoben.
Die Gesellschaft wurde am Datum gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht (Auszug Firmenbuch FN).
Mit dem Vorhalt des Finanzamtes vom wurde dem Bf. zur Kenntnis gebracht, dass auf dem Abgabenkonto der X.GmbH unter Berücksichtigung der ausbezahlten Insolvenzquote ein nicht einbringlicher Rückstand in der Höhe von 386.166,25 € (Umsatzsteuer 11/2014 142.487,07 €, Umsatzsteuer 12/2014 190.256,49 €, Lohnsteuer 02/2015 43.791,53 €, Dienstgeberbeitrag 02/2015 8.585,36 €, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 02/2015 744,07 € und Körperschaftsteuer 01-03/2015 301,73 €) unberichtigt aushafte.
Der Bf. wurde ersucht, einen Nachweis der quotenmäßigen Gleichbehandlung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben ( und ) zu erbringen.
In der dazu eingebrachten Stellungnahme vom führte der Bf. aus, er habe seine Tätigkeit bei der G.GmbH im Dezember 2013 begonnen. Es sei immer klar kommuniziert worden, dass der Haupteigentümer der G.GmbH, die K [Anm.: K S.a.r.l.], sämtliche notwendige Unterstützung für eine nachhaltige Sanierung der kompletten Gruppe zur Verfügung stellen werde. Er habe daher bei der Übernahme der Geschäftsführungstätigkeit bei der X.GmbH keine Bedenken gehabt, dass die Restrukturierung von der K später nicht mehr mitgetragen werde und diese scheitern könnte.
Sein Aufgabengebiet bei der Gesellschaft sei der Vertrieb, die Montage und der Mitarbeiterbereich gewesen. A sei für die strategische Ausrichtung des Unternehmens in Abstimmung mit den anderen Gesellschaften der G.GmbH verantwortlich gewesen.
Zeitgleich mit der Bestellung des Geschäftsführers A sei P zum Prokuristen bestellt worden. Nach der internen Aufgabenverteilung habe zu dessen Aufgabengebiet sämtliche Korrespondenz sowie auch der ständige Kontakt mit dem Finanzamt gehört. Zahlungen an das Finanzamt seien von P eigenständig durchgeführt worden, wozu dieser im Innenverhältnis befugt und beauftragt gewesen sei.
Der Bf. habe sich bei seinem Antritt als Geschäftsführer der X.GmbH bei P über den Stand möglicher Finanzamtsverbindlichkeiten erkundigt. Ihm sei bestätigt worden, dass Zahlungen an das Finanzamt immer ordnungsgemäß in enger Abstimmung mit der Muttergesellschaft G.GmbH sowie dem Finanzamt durchgeführt würden. Ein Fehlverhalten sei ihm daher nicht vorzuwerfen. Er habe immer nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne des Unternehmens und der Mitarbeiter gehandelt.
Im Zuge einer persönlichen Vorsprache beim Finanzamt am gab der Bf. bekannt, ein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung könne nicht erbracht werden, da er über den Verbleib der Buchhaltungsunterlagen nichts wisse. Der Geschäftsführer der G.GmbH, B, habe die Gelder freigegeben und P habe die Gelder verteilt.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom , Abgabenkontonummer x, nahm das Finanzamt den Bf. als Haftungspflichtigen gemäß § 9 BAO für die im Vorhalt aufgelisteten Abgaben der X.GmbH in der Höhe von 386.166,25 Euro in Anspruch.
Begründend wurde ausgeführt, der Bf. habe keinen Liquiditätsstatus vorgelegt, aus dem hervorgehe, dass die liquiden Mittel der Gesellschaft im gleichen Verhältnis auf die Gläubiger verteilt worden wären.
Den Bf. hätten Auswahl- und Überwachungspflichten getroffen und er hätte die Tätigkeit des Prokuristen überwachen müssen.
Die GmbH habe von Jänner bis April 2015 5.217.802,50 € an Umsätzen erzielt. Es stehe daher zweifelsfrei fest, dass die Gesellschaft zu den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben über liquide Mittel verfügt habe. Da eine Gleichbehandlung der Gläubiger vom Bf. nicht dargetan worden sei, sei ihm ein schuldhaftes Verhalten zuzurechnen und die Haftung für den gesamten Abgabenrückstand auszusprechen.
Dem Haftungsbescheid angeschlossen wurden folgende, an den Masseverwalter im Insolvenzverfahren der X.GmbH adressierten Bescheide: Umsatzsteuerbescheid 2014 vom , Körperschaftsteuerbescheid 2015 vom , Haftungsbescheid Lohnsteuer für die Zeiträume 01 bis 05/2015 vom , Festsetzungsbescheide betreffend Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Zeiträume 01 bis 05/2015 vom , sowie der Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag bis vom , ABNr. x, aus dem hervorgeht, dass im Monat Februar 2015 die einbehaltene Lohnsteuer in der Höhe von 52.572,41 €, der errechnete Dienstgeberbeitrag in der Höhe von 10.522,23 € und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag in der Höhe von 911,93 € nicht abgeführt wurde.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom führte der Bf. aus, seinerseits habe es nie eine Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten gegeben. Die Überwachungspflichten im Innenverhältnis habe er nicht wahrnehmen müssen, da der Prokurist des Unternehmens als Angestellter der Muttergesellschaft diese Aufgaben eigenständig durchgeführt habe. Deshalb habe er auch nie den Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Verteilung der liquiden Mittel verletzt.
Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
Bei der Übertragung von Geschäftsführeraufgaben auf andere Personen bestünden Auswahl- und Kontrollpflichten hinsichtlich der ausgewählten Personen. Auch die Beauftragung eines Prokuristen enthebe den Geschäftsführer nicht von seiner Überwachungspflicht.
Im Schriftsatz vom beantragte der Vertreter des Bf. die Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gemäß § 264 BAO und führte aus:
"1. Sachverhalt und ergänzendes Vorbringen
Herr X wurde mit Gesellschafterbeschluss vom als Geschäftsführer der X.GmbH (vormals X.GmbH) bestellt und war bis zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung im Mai 2015 neben Herrn A (wohnhaft in der Schweiz) selbstständig vertretungsbefugterGeschäftsführer der X.GmbH.
Herr X wurde weiters mit Gesellschafterbeschluss vom als Geschäftsführer der H.GmbH bestellt und war bis zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung im Mai 2015 neben Herrn A (wohnhaft in der Schweiz) selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der H.GmbH.
Während Herr A für die strategische Ausrichtung der X.GmbH und der H.GmbH verantwortlich war, war Herr X für dieBereiche Vertrieb, Montage sowie Personal verantwortlich. Des Weiteren war Herr P seit als Prokurist der X.GmbH und der H.GmbH bestellt, welchem auskunftsgemäß die kaufmännischen Agenden sowie auch die Entrichtung von Abgaben (siehe Darstellung von Herrn X sowieBeschwerde gegen den Haftungsbescheid vom ) übertragen waren. DieAbstimmung dieser Agenden, insbesondere die Finanzierungsfragen, erfolgte primär vonHerrn P mit Herrn A sowie mit Herrn B (siehe auch deren Funktion nachstehend sowie
E-Mail vom und E-Mail vom ),
Gemeinsame Muttergesellschaft der X.GmbH und der H.GmbH war die G.GmbH, deren Geschäftsführer Herr A und Herr B waren. Hauptgesellschafter der G.GmbH, welche auch Beteiligungen an deutschen Unternehmen besaß, war die K S.a.r.l.
Auskunftsgemäß wurden die X.GmbH und die H.GmbH in der Vergangenheit mittelbar von K S.a.r.l. mit der notwendigen Liquidität ausgestattet (siehe Schreiben an das Finanzamt Graz-Stadt, datiert mit bzw.). Obwohl in der Vergangenheit bereits ein Restrukturierungsbedarf der beiden Gesellschaften bestand, war die eingetretene Zahlungsunfähigkeit für Herr X auskunftsgemäß überraschend, woraufhin im Mai 2015 für diese beiden Gesellschaften Konkurs angemeldet wurde (siehe auch E-Mail vom , wonach die folgenden fünf Wochen eng bleiben, aber man irgendwie durchkomme). Auch erfolgten vom Prokuristen P mehrfach Abstimmungen mit dem (nunmehrigen) Finanzamt Österreich. Zudem war Herr X auch einmal unmittelbar in Kontakt mit Herrn F vom Finanzamt Österreich; Thema dieser Besprechung war dieEntrichtung der Abgabenschulden (siehe auchE-Mail vom ). Zudem wurden vorangegangene Abgabenverbindlichkeiten -wenn auch mit teilweise verspäteten Entrichtungen vollständig bezahlt.
Laut Auskunft von Herrn A im Zuge des Konkursverfahrens war zudem die wesentliche Ursache des Konkurses der X.GmbH und der H.GmbH die wirtschaftliche Schieflage der deutschen Konzerngesellschaften und die Einstellung der Finanzierung durch die K S.a.r.l.
Gegen Herrn X wurde ein Finanzstrafverfahren sowie ein Ermittlungsverfahren in Strafsachen geführt, welche beide eingestellt wurden.
2.Bisheriges Verfahren
…..
3.Rechtliche Würdigung
3.1. Keine schuldhafte Verletzung seiner Überwachungspflicht
Eine Haftungsinanspruchnahme erfordert die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Geschäftsführer. Zu den grundsätzlichen abgabenrechtlichen Pflichten gehört unbestritten die rechtzeitige Entrichtung von Abgaben. Im konkreten Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass zwei Geschäftsführer sowie ein Prokurist bestellt waren, die jeweils für bestimmte Bereiche zuständig waren und zudem in unterschiedlichem Ausmaß Einblick in die Tätigkeit und die finanzielle Situation der weiteren Konzerngesellschaften hatten. Auf Basis der internen Ressortverteilung war der Prokurist für die kaufmännischenAngelegenheiten einschließlich der rechtzeitigen Entrichtung zuständig. Zudem wurden Zahlungen primär von P direkt mit Herrn B bzw. Herrn A abgestimmt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Ressort- bzw. Aufgabenteilung zwischen den jeweiligen Geschäftsführern zwar nicht bewirkt, dass eine Inanspruchnahme der Haftung gänzlich ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang verlangt die Rechtsprechung keine vollständige Kontrolle des anderen Geschäftsführers und des Prokuristen, sondern lediglich eine Überwachung des anderen Geschäftsführers und des Prokuristen. DieseÜberwachungspflicht hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab (Ritz/Koran, BA07 § 9 Rz 13. Siehe ergänzend auch BMF, Erlass zu Haftungen gemäß den §§ 9 bis 16 BAO, AÖF 2006/186, Abschnitt 2.7 sowie die dort zitierte Rechtsprechung).
Kann sich ein Geschäftsführer auf die anderen Geschäftsführer bzw. den Prokuristen, die aufgrund der Ressortverteilung für die abgabenrechtlichen Belange zuständig sind, verlassen, dann befreit dies einen Geschäftsführer von seiner Haftung. Dies würde allerdings dann nicht gelten, wenn Anlass bestand, dass der zuständige Vertreter seinen Pflichten nicht oder nur unvollständig nachgekommen wäre (siehe ergänzend auch BMF, Erlass zu Haftungen gemäß den §§ 9 bis 16 BAO, AÖF 2006/186, Abschnitt 2.7 sowie die dort zitierte Rechtsprechung).
Es sprechen unseres Ermessens gewichtige Gründe dafür, dass Herr X keine schuldhafte Verletzung seiner Überwachungspflichten trifft. Im konkreten Fall bestand zum fraglichen Zeitpunkt zwar eine wirtschaftlich schwierige Lage, dies allein führt allerdings nicht zu einer schuldhaften Verletzung der Überwachungspflichten hinsichtlich des Prokuristen. Dies verdeutlicht sich auch dadurch, dass mit Beginn der Tätigkeit für Herrn X klar war, dass die Haupteigentümer notwendigeUnterstützungen zur Sanierung zur Unternehmensgruppe leisten. Weiters untermauert wird dies dadurch, dass das geführte Finanzstrafverfahren sowie Ermittlungsverfahren eingestellt wurden.
Zudem kann keinesfalls davon gesprochen werden, dass Herr X sich ausschließlich auf Auskünfte von Herrn P verlassen hat. Dies zeigt sich einerseits dadurch, dass Herr X im Dezember 2014 in Kontakt mit dem Finanzamt Österreich war; auch wenn Gegenstand dieses Gesprächs die Begleichung von Abgabenrückständen war, so zeigte sich für Herrn X, dass die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Abgabenrückstände den bisherigen Angaben von Herrn P entsprachen. Dies insofern, dass im Vorfeld mehrfach Zahlungen verspätet geleistet wurden, was von Herrn P gegenüber den Geschäftsführern und Herrn B kommuniziert wurde. Somit zeigt sich, dass die Angaben von Herrn P bis zu diesem Zeitpunkt zutrafen, sodass dies für Herrn X kein Anlass sein musste, die Überwachungsmaßnahmen zu intensivieren. Dass kein Anlass von zu intensivierenden Überwachungsmaßnahmen bestand, ergab sich für Herrn X auch dadurch, dass er regelmäßig in Kontakt mit Herrn A und Herrn B war - Gesprächsthema war hierbei mehrfach die angespannte Finanz- und Wirtschaftslage der beiden Gesellschaften einschließlich bestehender Abgabenrückstände. Auch wenn Herr X zum Beispiel gegen Ende 2014 Einsicht in die Steuerkonten genommen hat, dann hat dies nur zu einer Bestätigung seiner bisherigen Informationslage geführt.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die primäre Ursache der Insolvenz der X.GmbH und der H.GmbH in der wirtschaftlichen Schieflage der deutschen Konzerngesellschaften liegt. Auskunftsgemäß war dies für Herrn X zunächst nicht erkennbar, zumal Herr X nicht in die Geschäftsführung der (deutschen) Konzerngesellschaften eingebunden war.
Sollten demnach Gläubiger ungleich behandelt worden sein (ob dies tatsächlich zutrifft, kann durch Herrn X mangels Zugang zu den erforderlichen Unterlagen nicht mehr rekonstruiert werden - auf Basis von Erfahrungswerten kann aber durchaus bezweifelt werden, dass mit umfassenderen Kontrollhandlungen im Jahr 2015 eine vollständige Entrichtung der Abgaben möglich gewesen wäre, was aufgrund von mehrfach verspäteten Entrichtungen und Zahlungserleichterungen der Behörde auch amtsbekannt ist), dann trifft damit Herrn X aus Ex-ante-Perspektive keine fahrlässige Verletzung der Überwachungspflichten des Prokuristen, die eine Inanspruchnahme im Wege der Haftung sachlich begründet erscheinen lasse.
3.2. Ermessensentscheidung
Sollte entgegen unserer Auffassung dennoch eine schuldhafte Pflichtverletzung von Herrn X erblickt werden, ist weiters zu berücksichtigen, dass eine Haftungsinanspruchnahme bei mehreren Vertretern eine Ermessensentscheidung dahingehend darstellt, welcher der in Frage kommenden Vertreter zur Haftung herangezogen wird. Kommen wie im zu Grunde liegenden Fall mehrere Vertreter in Betracht, dann ist hierbei unter anderem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Haftungspflichtigen und der Grad des Verschuldens des Vertreters zu berücksichtigen. DieErmessensausübung ist zu begründen und hierbei sind die maßgeblichen Umstände undErwägungen aufzuzeigen (Ritz/Koran, BA07 § 7 Rz 7 und § 93 Rz 13 mit Verweis auf dieRechtsprechung des VwGH). Diese Begründung hat zwingend so zu erfolgen, dass die Entscheidung der Behörde zum Schutz vor Willkür und der rechtsstaatlichen Kontrolle in Hinblick auf die Richtigkeit der Ermessensentscheidung nachgeprüft werden kann (Ritz/Koran, BA07 § 93 Rz 13).
Eine solch notwendige Begründung der Ermessensentscheidung unterblieb sowohl im Haftungsbescheid vom als auch im Haftungsbescheid vom sowie in den hierzu ergangenen Beschwerdevorentscheidungen. Es wurde imHaftungsbescheid vom als auch im Haftungsbescheid vom lediglich ausgeführt, dass es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung handle und dass hierfür die Kriterien des § 20 BAO anzuwenden seien. Abschließend wurde pauschal ausgeführt, dass alle erforderliche Mittel zur Geltendmachung des Abgabenanspruches zu ergreifen seien.
Vielmehr wäre darzulegen gewesen, warum die Haftung gegenüber Herrn X und nicht gegenüber Herrn A geltend gemacht wurde. In derErmessensentscheidung wäre hierbei zu begründen gewesen, wieso Herrn X im Vergleich zu Herrn A - sofern überhaupt ein Verschulden bei beiden Personen vorliegt - ein höherer Grad des Verschuldens trifft.
Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass Herr A in die gesamte Konzerntätigkeit wesentlich stärker eingebunden war, und damit Herr A in kaufmännischen Angelegenheiten des gesamten Konzerns, insbesondere inFinanzierungsfragen der englischen Konzernmutter einen wesentlich stärkeren Einblick alsHerr X hatte. Herr A hatte im Unterschied zu Herr X Zugang zu bzw. Kontakt mit den Entscheidungsträgern der die Gruppe finanzierenden K S.a.r.l. Aus diesem Umstand war für Herrn X als Geschäftsführungskollegen damit jedenfalls erst später eine wirtschaftliche Schieflage, die zur Zahlungsunfähigkeit führt, und ein allenfalls damit verbundenes höheres Kontrollerfordernis gegenüber dem Prokuristen erkennbar.
Weiters zeigt die derzeitige finanzielle und wirtschaftliche Lage von Herrn X, dass dieser nicht im Stande ist, die in den Haftungsbescheiden genannten Haftungsbeträge in vollständiger Höhe zu entrichten, was bereits im Zeitpunkt des Ergehens der Haftungsbescheide der Fall war.
Da eine solche Begründung der Ermessensentscheidung dahingehend, warum Herr X zur Haftung herangezogen wird, unterblieb und für Herrn X damit keine Überprüfung der Ermessensentscheidung möglich ist, liegt einBegründungsmangel vor, weshalb wir die Aufhebung des Haftungsbescheides vom beantragen. Hätte das Finanzamt Österreich in seiner Ermessensentscheidung die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse von Herrn X sowie die nicht vorliegende konzernweite Vernetzung von Herrn X und damit das Nichtwissen über Finanzierungsüberlegungen/-entscheidungen der englischenKonzernmuttergesellschaft in die Ermessensentscheidung einbezogen, dann sprechen vorbehaltlich ergänzender amtswegiger Beweisaufnahmen - unseres Ermessens wesentliche Gründe gegen eine Haftungsinanspruchnahme von Herrn X.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass nur einer der beiden Geschäftsführer in Österreich wohnhaft ist und somit der Haftungsbescheid gegenüber diesem erlassen wird, die vorgenommene Ermessensausübung unseres Erachtens nicht begründen kann, insbesondere aufgrund der Ansässigkeit des zweiten Geschäftsführers in der benachbarten Schweiz mit den vorliegenden Amtshilfe- undVollstreckungsabkommen. "
Es wurde beantragt, den Haftungsbescheid vom ersatzlos aufzuheben.
Beantragt wurde auch die Entscheidung durch einen Senat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Dem Vorlageantrag beigelegt wurden u.a.:
1. eine E-Mail des Bf. an B und Markus P vom mit folgendem Wortlaut:
"Sg. Kollegen,
ich hatte soeben Besuch von Hrn. F vom Finanzamt. Folgende Zahlungen müssen wir einplanen bzw. durchführen:
X.GmbH:
-Ratenzahlung von € 180.000,- hätte schon am Montag erfolgen sollen, müssen wir heute überweisen
-nächste Zahlung der Rate (€ 205.000,-) bis Ende Jänner 2015
-USt 10/2014 und Lohnabgaben 11/2014 bis Ende 2014
-USt 11/2014 und Lohnabgaben 12/2014 am
H.GmbH:
…..
Mit freundlichen Grüßen ….."
2. eine E-Mail des B an P vom (in Kopie an A und den Bf.) mit folgendem Wortlaut:
"Hallo Herr P,
bitte verwenden Sie 500k aus dem Holding Guthaben an die X.GmbH / H.GmbH AT zur Zahlung der morgen fälligen Steuern.
Da auch diese Woche keine Zahlung an die G.GmbH erfolgen kann, zahlen Sie bitte 450k aus der Holding an die G.GmbH in Form einer Kapitaleinlage.
Alles weitere dann täglich in der Abstimmung.
Mit freundlichen Grüßen / Best regards ….."
3. eine E-Mail des B an A vom (in Kopie an den Bf.) mit folgendem Wortlaut:
"Hallo A, zur Info vor deinem Urlaub:
In meinem wöchentlichen Call mit P sind wir die Cash Planung bis 31.03. durchgegangen.
-die G.GmbH braucht HEUTE die 90k - wird heute von der Holding vorfinanziert und dann morgen / übermorgen von AT zurückgeführt
-der Zahlungsplan mit dem Finanzamt sieht einen quasi Standstill bis 23. März vor - dann kommen die 3-4 Häuser/ Woche auch als Cash rein.
-die Gehälter Februar in G sind berücksichtigt, es sind derzeit 2 komplette Montagetrupps in Wintergeld abgemeldet was die Kosten senkt.
-die Einzahlungen R sollen nun definitiv bestätigt sein und bis 27. Februar vollständig eingehen (jetzt noch 250k cash inflow ). Lieferanten werden geschoben !
- O ist mit NULL im Cash Plan vorgesehen - keine Auszahlungen ausser Prov M, keine Einnahmen.
-keine Zahlungen für die BKS eingeplant (Zahlungsplan mit 10k plus Zinsen könnte im März fällig werden, offen ?!?)
Zusammenfassung:
Es bleibt noch 5 Wochen sehr sehr eng, aber vorausgesetzt dass keine a.o. Zahlungen plötzlich notwendig werden, kommen wir irgendwie durch.
Mitfreundlichen Grüßen / Best regards ….."
4. eine E-Mail des P an B vom (in Kopie an A und den Bf.) mit folgendem Wortlaut:
"Sehr geehrter Hr. B!
Nach dem Gespräch heute habe ich zugestimmt die Eingänge der nächsten Tage offenzulegen und entsprechend der Höhe an das Finanzamt in gewissem Umfang weiterzuleiten. Beide Herren des Finanzamts wurden von mir schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt. Des weiteren wurde Hr. X und Fr. R über dieseVereinbarung schriftlich informiert. Sollten diese Zahlungen entsprechend der nun getroffenen Ankündigung beim Finanzamt eingehen sind keine weiteren Schritte seitens der Behörde zu erwarten. Dies ist die letztmögliche Adaptierung.
In der Beilage übermittle ich das email an das Finanzamt zur Kenntnisnahme
Mit freundlichen Grüßen ….."
In der mündlichen Verhandlung am führte der Bf. ergänzend aus, er sei vor meiner Anstellung bei der X.GmbH zwei Jahre in Rumänien tätig gewesen. Ein Bekannter von früher habe ihn auf die Stelle bei der GmbH angesprochen. Den Dienstvertrag mit ihm habe der Geschäftsführer A abgeschlossen. Sein Tätigkeitsbereich sei der Verkauf von Häusern gewesen. Herr A habe bereits damals seinen Wohnsitz in der Schweiz gehabt und sich nur tageweise in Deutschland und in Österreich aufgehalten.
Im Jahr 2011 sei die G.GmbH errichtet worden, die mit der Eigentümerin K S.a.r.l. (Luxemburg) den Restrukturierungsprozess begleitet und die finanziellen Angelegenheiten abgeklärt habe.
Ihm sei kommuniziert worden, er sei für den Verkauf und die Steigerung der Verkaufszahlen zuständig. Es habe auch einen Verantwortlichen für den technischen Bereich gegeben sowie Herrn P, der bei der Obergesellschaft angestellt war, aber in Graz saß und für die finanziellen Angelegenheiten der beiden Gesellschaften zuständig war.
Aufgabe des Herrn A sei es gewesen, die Entwicklung des Unternehmens voranzutreiben, so wurde zB auch eine Gesellschaft in der Schweiz gegründet, das sollte der nächste Absatzmarkt werden.
Der Prokurist P war von der G.GmbH beauftragt, die abgabenrechtlichen Angelegenheiten der Gesellschaften wahrzunehmen.
Der Vertreter des Bf. führte aus, das Finanzamt hätte auch an A einen Haftungsbescheid ausstellen und in Österreich durch Anschlag an der Amtstafel zustellen müssen. Eine Internetrecherche habe ergeben, dass Herr A weiterhin im EU-Raum wirtschaftlich tätig sei. Er vertrete glaublich seit 2019 ein amerikanisches Unternehmen im Bereich der Batterietechnologie. Eine Einhebung des Haftungsbetrages wäre daher mit gutem Willen des Finanzamtes möglich.
Der Bf. sei mit dem Vertriebsbereich vollkommen ausgelastet gewesen. Es sei realitätsfern anzunehmen, dass er auch noch für die abgabenrechtlichen Angelegenheiten Zeit gefunden hätte. Auch aufgrund seiner Stellung als neuer Geschäftsführer gegenüber dem etablierten Geschäftsführer A habe er nicht in die finanziellen Belange der Gesellschaften eingreifen können
Im Sommer 2014 wurde von einer Wirtschaftstreuhandkanzlei ein positives Testat verfasst, wonach das Unternehmen auf Sanierungskurs sei. Das Gutachten war unrichtig, die Wirtschaftstreuhandkanzlei wurde später im Sanierungsverfahren vom Masseverwalter finanziell belangt. Aus dem vorgelegten Mailverkehr zwischen Herrn P und Herrn A könne die Stellung des Bf. im Unternehmen abgeleitet werden. Es sei ersichtlich, dass sämtliche finanziellen Entscheidungen von A getroffen wurden.
Der Bf. habe auch nie Bankvollmacht gehabt oder Abgabenerklärungen unterfertigt.
Der Vertreter des Finanzamtes brachte vor, laut einer Auskunft des Fachbereichs des Finanzamtes sei eine direkte postalische Zustellung in die Schweiz erst für Besteuerungszeiträume ab 2018 möglich.
Das Finanzamt gehe davon aus, dass nach dem Wortlaut des Dienstvertrages ("… Damit ist insbesondere die Aufgabe verbunden" sowie unter Punkt 1 "…sowie darüber hinaus im Bedarfsfall andere, verwandte Tätigkeiten nach den Weisungen des Dienstgebers zu verrichten") andere Geschäftsbereiche für den Bf. nicht ausgeschlossen waren.
Aus dem vorliegenden Mailvermehr gehe hervor, dass Herr P von A direkt berufen worden sei, umso mehr hätte der Bf. die Tätigkeit des Prokuristen kontrollieren müssen. Das Argument, er hätte gegen A nicht auftreten können, hätte ihn zum Rücktritt von seiner Geschäftsführertätigkeit veranlassen müssen.
Aus dem vorliegendem Mailverkehr gehe hervor, dass der Bf. in den Mails immer CC informiert worden sei, selbst jedoch nie die Initiative ergriffen habe, eine Überprüfung der ab Oktober 2014 immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaften in Angriff zu nehmen.
Der Vertreter des Finanzamtes verwies auf die bisherigen schriftlichen Ausführungen des Finanzamtes und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Der Vertreter des Bf. ergänzte, es erscheine ihm lebensfern, dass der Bf. einen externen Fachmann zuziehen hätte müssen oder sollen, um die Arbeit des Prokuristen zu überprüfen.
Die finanzielle Verantwortung für die GmbHs lag ausschließlich bei der Muttergesellschaft K Es sei von vorne herein klar gewesen, dass eine Restrukturierung nur mit deren finanzieller Hilfe erfolgreich sein werde. Die K habe Anfang 2015 jedoch nach einer desaströsen Bilanz einer deutschen Gesellschaft die Reißleine gezogen und keine weiteren finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt.
Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Haftung gegen den Bf. in überschießendem Maß geltend gemacht wurde, auch in Bezug auf dessen derzeitige Einkommensverhältnisse (Bildungskarenz ab ).
Der Vertreter des Bf. beantragte die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus. Die Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (siehe mit Verweis auf Vorjudikatur).
Die objektive Uneinbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen Abgaben steht zweifelsfrei fest, da die Primärschuldnerin am gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Firmenbuch gelöscht wurde (Auszug aus dem Firmenbuch FN 39219 a), weshalb eine (auch nur teilweise) Einbringlichmachung der aushaftenden Abgaben bei der nicht mehr existenten Gesellschaft ausgeschlossen ist.
Zur im Haftungsbescheid geltend gemachten Umsatzsteuer 12/2014 wird festgestellt, dass diese in der Höhe von 226.365,17 € vorangemeldet wurde. Am wurde ein Betrag in der Höhe von 226.365,17 € mit Verrechnungsweisung für die Umsatzsteuer 12/2014 auf das Abgabenkonto der GmbH überwiesen (Buchungsabfrage Abgabenkonto StNr. 68 974/5628). Nach Auskunft des Vertreters des Finanzamtes in der mündlichen Verhandlung wurde die Einzahlung nicht mit der Umsatzsteuer 12/2014, sondern zum Teil auf die Umsatzsteuer 04/2014, der Rest auf die ältesten Abgabenverbindlichkeiten gebucht. Nach fast 10 Jahren sei nicht mehr nachvollziehbar, wie diese Buchung zustande gekommen sei.
Die Haftungsinanspruchnahme setzt das Bestehen einer Abgabenforderung gegen den Vertretenen voraus. Eine solche besteht, wenn eine Abgabe nicht entrichtet wurde. Gemäß § 211 Abs. 1 Z 1 BAO gilt eine Abgabe bei Überweisung auf das Konto der empfangsberechtigten Kasse am Tag der Gutschrift als entrichtet. Im vorliegenden Fall wurde die Umsatzsteuer 12/2014 mit Verrechnungsweisung (verspätet) am entrichtet. Die Abgabe haftet am Abgabenkonto nur deshalb offen aus, weil das Finanzamt die Verbuchung nicht entsprechend der Verrechnungsweisung vorgenommen hat. Da die Umsatzsteuer von der GmbH entrichtet wurde, kann der Bf. nach Ansicht des Senates nicht zur Haftung für die Umsatzsteuer 12/2014 herangezogen werden und war diese aus dem Haftungsbetrag zur Gänze auszuscheiden.
Gegen die Höhe der übrigen Selbstbemessungsabgaben (mit Voranmeldung bekannt gegebene Umsatzsteuer 11/2014 sowie im Zuge der Außenprüfung festgestellte Abfuhrdifferenzen von Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag) wurden im Haftungsverfahren keine Einwände vorgebracht.
Zu den Pflichten eines Geschäftsführers einer Gesellschaft gehört in jenem Zeitraum, in dem er die Vertreterstellung inne hat, nicht nur die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie deren Aufbewahrung, die Erfüllung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten der Gesellschaft, die Abgabenerklärungspflicht, sondern insbesondere auch die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft sowie die Vorsorge, für die Entrichtung der Abgaben der Gesellschaft aus den verwalteten Mitteln zu sorgen (siehe ).
Nach der Aktenlage waren der Bf. seit Datum und A (seit Datum) bis zur Eröffnung des Sanierungsverfahrens am Datum handelsrechtliche Geschäftsführer der X.GmbH (Auszug aus dem Firmenbuch FN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt es für die Beurteilung der Verschuldensfrage darauf an, welcher Geschäftsführer mit der Besorgung der steuerlichen Angelegenheiten befasst gewesen ist (VwGH vS , 91/13/0037).
Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Verletzt jedoch der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befasste Vertreter seine eigenen Pflichten dadurch grob, dass er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, so ist auch er haftbar, es sei denn, dass ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machen. Allerdings kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hiefür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (siehe , mit Verweis auf Vorjudikatur).
Die Frage, ob eine den Geschäftsführer entlastende Agendenaufteilung bestanden hat, ist von der Abgabenbehörde im Rahmen der Beweiswürdigung zu beantworten ().
Der Bf. brachte dazu in den Vorhaltsbeantwortungen vom und vor, er habe im Dezember 2013 seine Tätigkeit als Vertriebsleiter der X.GmbH und der H.GmbH in Österreich begonnen. Nach dem Ausscheiden des damaligen Geschäftsführers D sei er im April 2014 [Anm.: neben dem bereits ein Jahr zuvor zum Geschäftsführer bestellten A] zum Geschäftsführer beider GmbHs bestellt worden.
Der im Zuge des Ergänzungsverfahrens vorgelegte Dienstvertrag lautet auszugsweise:
"Der Dienstnehmer tritt mit Wirkung ab als Leiter des Vertriebs Österreich in den Dienst des Dienstgebers ein. Damit ist insbesondere die Aufgabe verbunden den Vertrieb von gewerblichen Objekten und Bauelementen aufzubauen, sowie die Vertriebsleitung von Einfamilienhäusern in Österreich zu verantworten. …..
Es ist vorgesehen den Dienstnehmer im Laufe des ersten Quartals 2014 die Geschäftsführung des Dienstgebers zu übertragen. …..
1. Der Dienstnehmer verpflichtet sich, alle mit diesem Aufgabengebiet in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten sowie darüber hinaus im Bedarfsfall andere, verwandte Tätigkeiten nach den Weisungen des Dienstgebers zu verrichten. …..
6. Die Befugnisse des Dienstnehmers zur Ausübung seiner Aufgaben sind in der Geschäftsordnung des Dienstgebers sowie in schriftlichen, aufgabenbezogenen Richtlinien festgelegt. Insbesondere sind die Befugnisse zu Preisfestsetzungen, Abgabe für das Unternehmen bindender Erklärungen zu Nachlässen, Aktionen und Gutschriften jeder Art, Abschluss von Verträgen mit Handelsvertretern und Kunden geregelt. ….."
Eine interne Aufgabenverteilung zwischen den Geschäftsführern X und A hinsichtlich der Besorgung der abgabenrechtlichen Angelegenheiten bestand weder in schriftlicher Form (siehe Vorhaltsbeantwortung vom ) noch war eine solche durch mündliche Absprache geregelt.
Aufgrund der Unternehmensstruktur (100% Gesellschafterin der X.GmbH war die G.GmbH, A war sowohl Geschäftsführer der X.GmbH als auch der G.GmbH), des im Dienstvertrag festgelegten und nach der Bestellung zum Geschäftsführer nicht geänderten Aufgabenbereiches des Bf. (Vertrieb von Einfamilienhäusern und gewerblichen Objekten) sowie der Anstellung des für die abgabenrechtlichen Belange der X.GmbH zuständigen Prokuristen P durch die Geschäftsführer der G.GmbH ist nach Ansicht des Senates davon auszugehen, dass der Bf. mit den abgabenrechtlichen Angelegenheiten der Primärschuldnerin nicht betraut war.
Das Vorbringen des Finanzamtes, im Dienstvertrag seien unter Punkt 1 ("… sowie darüber hinaus im Bedarfsfall andere, verwandte Tätigkeiten nach den Weisungen des Dienstgebers zu verrichten …") andere Geschäftsbereiche für den Bf. nicht ausgeschlossen gewesen, vermag den Senat nicht zu überzeugen, dass der Bf. neben seiner Vertriebstätigkeit für weitere Tätigkeiten, insbesondere abgabenrechtliche Agenden, zuständig war. Aus dem vorliegenden Mailverkehr geht eindeutig hervor, dass die Entrichtung der Abgaben in den Händen des Prokuristen und der Geschäftsführer A und B lag.
Auch das Vorbringen des Bf. in der Vorhaltsbeantwortung, A habe in Gesprächen mit dem Bf. mehrmals angesprochen, sich zusammen mit B um die finanziellen Angelegenheiten der Unternehmensgruppe zu kümmern, ist glaubhaft, weist doch der Verantwortungsbereich "strategische Planung" mit der finanziellen Lage der Gesellschaft mehr Berührungspunkte auf als der vom Bf. betreute Bereich Vertrieb/Montage/Personal. Darüber hinaus war A als Geschäftsführer der Muttergesellschaft G.GmbH stärker in die Abstimmung der finanziellen Belange der Unternehmensgruppe eingebunden (siehe Mail vom von B an A: "Hallo A, zur Info vor deinem Urlaub …").
Im vorliegenden Fall war daher A für die abgabenrechtlichen Belange der X.GmbH verantwortlich; da dieser Bereich vom eingesetzten Prokuristen P abgedeckt wurde, war grundsätzlich A als Geschäftsführer verpflichtet, die Tätigkeit des Prokuristen zu überwachen.
Beim Prokuristen handelt es sich um keine zur Vertretung juristischer Personen berufene Person im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Geschäftsführer einer GmbH einen mit den steuerlichen Agenden betrauten Prokuristen zumindest in solchen Abständen zu überwachen, die es ausschließen, dass ihm Steuerrückstände verborgen bleiben (vgl. z.B. ).
Eine Überwachungspflicht traf den Bf. daher nach der oben zitierten VwGH-Judikatur nur, wenn ein Anlass vorlag, an der ordnungsmäßen Ausführung der abgabenrechtlichen Aufgaben, wozu insbesondere die Entrichtung der Abgaben zählt, zu zweifeln.
Ein solcher Anlassfall trat ein, als die Primärschuldnerin am von einem Einhebungsorgan des Finanzamtes besucht wurde und der Beamte den Bf. auf offensichtlich nicht entrichtete Abgaben der X.GmbH aufmerksam machte.
Aus dem vom Bf. an den Prokuristen verfassten Mail vom geht hervor, dass die Ratenzahlung von 180.000 € schon am Montag hätte erfolgen müssen, die nächste Rate von 205.000 € bis Ende Jänner 2015 zu entrichten sei sowie die Umsatzsteuer 10/2014 und die Lohnabgaben 11/2014 bis Jahresende und die Umsatzsteuer 11/2014 und die Lohnabgaben 12/2014 am zu entrichten seien.
Dem Bf. war spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht nur die ihm mit Mails von B und P laufend zur Kenntnis gebrachte schlechte wirtschaftliche Lage der Gesellschaft bekannt, sondern darüber hinaus, dass Abgaben aushafteten, die von der Muttergesellschaft bei Fälligkeit entgegen seiner Auffassung nicht abgedeckt worden waren. Der Bf. hatte daher ab diesem Zeitpunkt der (rechtzeitigen) Entrichtung der Abgaben durch die Primärschuldnerin erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.
Zwischen dem Prokuristen P und den beiden Geschäftsführern fand eine ständige Kommunikation über die finanziellen Angelegenheiten sowohl der X.GmbH als auch der H.GmbH, insbesondere über die Versuche, die finanzielle Lage der Gesellschaften zu stabilisieren und den abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, statt. Die von der Rechtsprechung geforderte "Überwachungspflicht" wurde durch die laufende Information der Geschäftsführer durch P und B über die Höhe der Abgabenverbindlichkeiten, der von letzteren vorgenommenen "Cash-Planung", der Besprechungen mit dem Finanzamt sowie der Einholung der Zustimmung zur Transferierung von Geld der Holding zu den GmbHs zur Entrichtung der Löhne und Abgaben vermindert.
Der Senat schließt sich den Ausführungen des Vertreters des Finanzamtes an, der Bf. sei zwar immer über die finanzielle Lage informiert worden, habe aber nie selbst die Initiative ergriffen, die (zumindest anteilige) Abfuhr der Abgaben zu überprüfen. Aus dem Vorbringen des Bf. geht hervor, dass dieser auch nach der Begehung durch den Vollstreckungsbeamten, die dem Bf. nicht nur Kenntnis über hohe Abgabenrückstände der Gesellschaft (Raten von 200.000 €, auch diese wurden nicht bezahlt), sondern auch über die Tatsache verschaffte, dass die Abgaben nicht wie zugesichert von der Muttergesellschaft abgedeckt wurden, keinerlei Überwachungsmaßnahmen des Prokuristen vornahm.
Der Bf. hat sich weder vergewissert, ob die Ratenzahlung eingehalten noch ob die laufenden Selbstbemessungsabgaben an den folgenden Fälligkeitstagen (15.01. und ) entrichtet wurden. Auch die Information des Bf. mit Mail des B vom , dass er mit dem Prokuristen P die Cash Planung bis 31.03 durchgegangen sei und sie unter der Voraussetzung, dass keine außerordentlichen Zahlungen anfielen, "irgendwie" durchkommen würden, hätte die Bedenken über eine vollständige (bzw. anteilige) Entrichtung der Abgaben durch die Gesellschaft wecken müssen.
Dass die liquiden Mittel anteilig zur Befriedigung der Abgabenverbindlichkeiten verwendet wurden, kann vom Bf. nicht nachgewiesen werden, da er auf die Buchhaltungsunterlagen keinen Zugriff hat.
Der Nachweis der Gleichbehandlung der Abgabenverbindlichkeiten mit den übrigen Verbindlichkeiten obliegt dem Vertreter (VwGH vS , 96/15/0049). Wird vom Haftungspflichtigen nicht dargetan, in welchem betragsmäßigen Ausmaß die Abgabenschulden bei einer gleichmäßigen Bedienung aller Schulden getätigt worden wären, besteht die Haftung im uneingeschränkten Ausmaß ().
Das Finanzamt war daher nach Ansicht des Senates berechtigt, den Bf. zur Haftung für die uneinbringlichen Abgabenverbindlichkeiten der X.GmbH heranzuziehen.
Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Bf. konnte die Abgabenbehörde nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (), auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war.
Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles.
Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist ().
Zu den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, der Bf. sei aufgrund seiner derzeitigen schlechten Einkommenslage nicht in der Lage, den Haftungsbetrag zu entrichten, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die wirtschaftliche Lage eines Haftungspflichtigen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung steht ().
Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf ().
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Umsatzsteuer aus dem Jahr 2014 sowie die Lohnabgaben 02/2015 erst mit dem Haftungsbescheid vom geltend gemacht wurden, ist nach Ansicht des Senates eine Haftungsinanspruchnahme im vollen Umfang des Haftungsbetrages nicht gerechtfertigt.
Der Senat ist auch der Ansicht, dass die abgabenrechtlichen Belange der Gesellschaft im vorliegenden Fall von der als Geldgeberin fungierenden Gesellschafterin durch die Einsetzung eines Prokuristen kontrolliert wurden. Die Verletzung der Überwachungspflicht des Prokuristen durch den Bf. stellt sich für den Senat angesichts zahlloser Mails, die die Entrichtung der Abgaben in der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft zum Gegenstand hatten, als leichtes Verschulden dar. Der Senat ist daher der Ansicht, dass im Zuge der Ermessensentscheidung mit einer Inanspruchnahme des Bf. im Ausmaß von einem Viertel der aushaftenden Abgaben das Auslangen gefunden werden kann.
Zur Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die gegenständliche Entscheidung beruht auf der zitierten ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb über keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden war. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.
Beilage für die Parteien: Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.2100216.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at