Geschäftsführerhaftung: Aufhebung des angefochtenen Bescheides unter Zurückverweisung der Sache mangels Ermittlung des Sachverhaltes
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RV/2100546/2023-RS1 | Erschöpft sich die Begründung der Abgabenbehörde in der Behauptung des Vorliegens der Nichtselbständigkeitsmerkmale (und zwar, dass die in Österreich tätig gewordenen "Monteure" kein unternehmerisches Risiko getragen hätten und weisungsgebunden gewesen seien) und wurden keine Umstände, die diese Feststellung tragen, ermittelt (insbesondere welche Personen als "Monteure" unter welchen vertraglichen Bedingungen in Österreich tätig waren), kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen. |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den ***Einzelrichter*** über die Beschwerde des ***Bf***, ***Bf-Adr***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO beschlossen:
Der angefochtene Bescheid wird unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer war einer von zwei in das deutsche Handelsregister eingetragenen Geschäftsführern einer deutschen GmbH (siehe den Auszug aus dem Handelsregister des Amtsgerichts ***D*** vom tt.04.2019, OZ 8), über deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts ***D*** vom tt.05.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden war.
Mit an die GmbH gerichteten "Bescheiden" vom (OZ 1/7-OZ 1/15) wollte die Abgabenbehörde bei dieser GmbH die Umsatzsteuer mit 30.856,09 € (2012), 116.329,67 € (2013), 127.382,73 € (2014), 168.997,20 € (2015) und 150.870,49 € (2016) festsetzen.
Aus dem Endbericht der Steuerfahndung vom (OZ 7) geht dazu folgender steuerlicher Sachverhalt hervor:
Die ***X-GmbH*** warb in Telefonbüchern und Onlineverzeichnissen für eine Vielzahl vermeintlich lokaler Schlüsseldienste, die tatsächlich so vor Ort nicht existierten. Ein Anruf unter den örtlichen Telefonnummern führte zu einer Weiterleitung in das von der ***X-GmbH*** betriebene Callcenter in Geldern (DE). So gingen bundesweit und auch vom benachbarten Ausland (Ö, NL) aus die Anrufe von Schlüsseldienstkunden im Callcenter in Geldern ein.
Von dort aus wurden Aufträge an die "selbstständigen" Monteure weitervermittelt, zumeist per SMS, aber auch telefonisch. Die bundesweit tätigen Monteure legten bei Bedarf auch weite Anfahrten zurück, um die Kunden aufzusuchen. Der Auftragsweitergabe war eine strukturierte Einsatzlogistik vorgeschaltet: jedes Gebiet wurde durch eine vorherige Planung mit Monteuren besetzt. Die Monteure informierten bei Eintreffen im zugeordneten Gebiet und beim Verlassen desselbigen das Callcenter in Geldern. Auf Grund des so vorhandenen Überblicks konnten die Mitarbeiter des Callcenters die Aufträge entsprechend konkret an die Monteure in den jeweiligen Gebieten weitersteuern.
Nach Auftragserledigung beim Kunden teilte der Monteur der Buchhaltung in Geldern den eingenommenen Rechnungsbetrag und die Form der Bezahlung (bar, Überweisung, auf Rechnung) mit. Darauf basierend stellte die ***X-GmbH*** dem Monteur ihren Anteil am vermittelten Auftrag in Rechnung. Bei Zahlungseingang durch den Überweisungskunden erhielt der von diesem Auftrag betroffene Monteur eine Gutschrift. Der Betrag wurde dem Monteur entweder ausbezahlt oder mit dessen offenen Rechnungsbeträgen (bspw. auch auf Grund von Materialeinkäufen) an die ***X-GmbH*** verrechnet. Für Leistungen, die vor Ort bezahlt wurden, wurden Rechnungen vom jeweiligen Monteur selbst ausgestellt. Kunden, welche den Rechnungsbetrag für die durch den "selbständigen" Monteur geleistete Schlüsseldienstleistung per Überweisung begleichen wollten, erhielten eine Rechnung von der ***X-GmbH*** in Geldern.
Der Anteil des Monteurs beträgt prozentual ca. 30 bis 40 % der Rechnungssumme. Von diesem Anteil mussten die Monteure noch ihre Unkosten begleichen (Werkzeug, Material, Sprit und Unterkünfte). Die Gewinnspanne für den ausführenden Monteur war somit verschwindend gering und konnte einzig über die Erhöhung von Materialeinkauf an den Kunden vergrößert werden.
Festgestellte Scheinselbständigkeit der Monteure
Bei den Monteuren handelt es sich ausschließlich um Staatsbürger, die ihren Wohnsitz in Deutschland innehaben.
Die für die ***X-GmbH*** tätigen "selbständigen" Schlüsseldienstmonteure betrieben keine eigene Werbung, trugen kein unternehmerisches Risiko und verfügten über keine eigenen Betriebsstätten. Die Monteure erhielten ihre Aufträge und Weisungen ausschließlich von der ***X-GmbH***, die ihr einziger Auftraggeber war.
Somit standen die Monteure in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der ***X-GmbH*** und hätten bei den für die Erhebung der Beiträge zuständigen Einzugsstellen angemeldet werden müssen. Folglich wurden die Beiträge zur Sozialversicherung und auch die Lohnabgaben von der ***X-GmbH*** nicht abgeführt.
Eine konkrete Zuordnung zu Monteuren ist nur sehr schwer möglich bzw. nahezu unmöglich, da der festgestellte Sachverhalt Anlass zu der Vermutung gibt, dass Schlüsseldienstmonteure unter anderen "falschen" Namen, sozusagen als "Untermonteure" für Hauptmonteure arbeiten oder Rechnungsformulare verwenden, die ihnen nicht gehören und auf diese Weise die Kunden vor Ort täuschen. In vielen Fällen wurde von den Monteuren gegenüber den Kunden behauptet, man sei die scheinbar beauftragte ortsansässige (nicht existierende) Firma, sei Mitarbeiter einer örtlichen Filiale oder würde dieser vertretungsweise aushelfen, teilweise wurde erklärt, man springe als Subunternehmer für die beauftragte Firma ein.
II. ABGABENRECHTLICHE FESTSTELLUNGEN
Eine Auswertung der Daten durch die deutschen Behörden hat ergeben, dass die Summe aller bei der ***X-GmbH*** eingetragenen Umsätze bei einem Bruttobetrag iHv € 91.600.596,99 liegt. Hierbei ergibt sich ein Umsatzsteuerverkürzungsbetrag in Höhe von rund 5,8 Mio Euro.
Im Zuge des o.a. AHE wurden aufbereitete "Monteurdaten" zur Verfügung gestellt. Diese Dateien beinhalten u.a. (vermeintlichen) Namen des Monteurs, Kundenname und -adresse (= Ort der durchgeführten Leistung), Telefonnummer des Kunden, Rechnungsbetrag.
Diese Dateien wurden von der Steuerfahndung Linz insoweit bereinigt, dass die Monteurleistungen auf deutschem und niederländischem Hoheitsgebiet ausgeschieden wurden und die österreichischen Leistungen übrig blieben.
Somit ergab sich im Zeitraum vom bis ein Verkürzungsbetrag für in Österreich stattgefundene Leistungen in Höhe von € 2,996.505 und eine Summe hinterzogener Umsatzsteuer in Höhe von € 599.301,--.
Aufgegliedert auf die einzelnen Jahre ergibt das folgende nicht versteuerte Beträge:
[Tabelle]
II. ABGABENRECHTLICHE WÜRDIGUNG
Wie bereits angeführt, sind die Monteure nicht als selbständig zu betrachten, sondern sind Dienstnehmer der ***X-GmbH*** in Deutschland. Eine Festsetzung der Lohn- und Sozialabgaben erfolgt somit bei der ***X-GmbH*** durch die deutsche Finanzbehörde.
Weiters werden im Zuge des Ermittlungs- und Prüfungsverfahrens in Deutschland die Umsätze, die in Deutschland eingenommen und der Besteuerung entzogen wurden, in Deutschland der Besteuerung unterworfen. Das Unternehmen ***X-GmbH*** wird beim FA ***D***-Süd unter der St.Nr. *** steuerlich geführt. Für jene Umsätze und Leistungen, die in Österreich und in den Niederlanden ausgeführt wurden, entsteht die Umsatzsteuerpflicht in Österreich bzw. in den Niederlanden und werden somit auch nicht in Deutschland der Umsatzbesteuerung unterworfen.
Es wird angeregt, für die ***X-GmbH*** eine Steuernummer beim FA Graz-Stadt aufzunehmen und die o.a. Beträge festzusetzen.
V. STRAFRECHTLICHE WÜRDIGUNG
Die Beschuldigten ***K*** und ***Bf*** befinden sich derzeit in Deutschland in Haft. Die Angeklagten haben mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, weil der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten, deren sie dringend verdächtig sind, beträchtlich ist.
V ABSCHLUSS
Es kann mitgeteilt werden, dass der Geschäftsbetrieb der ***X-GmbH*** seit August 2016 eingestellt ist. Nach den Einlassungen des Geschäftsführers bestünde zwar ein Fortführungswille, dieser sei auf Grund der Inhaftierung und Vermögensarrestierung jedoch nicht umsetzbar. Auf Grund der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der ***X-GmbH*** ist ein Eröffnungsgrund eines Insolvenzverfahrens gegeben.
Es ist somit nicht damit zu rechnen, die im Sinne einer Vorschreibung festgesetzten Abgaben zu erhalten.
Ebenso ginge auch eine Vorschreibung an die einzelnen Monteure, die ihren Wohnsitz in Deutschland innehaben, ins Leere, da 1) die Identität der einzelnen Monteure schwer zu ermitteln ist (siehe dazu die Ausführungen bei "festgestellte Scheinselbständigkeit der Monteure") und 2) diese Monteure It. Erhebungen der deutschen Behörden nahezu mittellos sind.
Weiters kommt die Steuerbehörde in Deutschland gemeinsam mit dem Landesgericht Kleve zu dem Schluss, dass die Monteure in einem Angestelltenverhältnis der deutschen Firma ***X-GmbH*** zu werten sind und die Abgaben somit von der ***X-GmbH*** hinterzogen wurden bzw. von dieser Firma zu schulden sind.
Mit Schreiben vom (OZ 9) hielt die Abgabenbehörde dem Beschwerdeführer die Umsatzsteuerbescheide vor und teilte ihm mit, dass geplant sei, ihn gemäß § 9 BAO zur Haftung für diese (nicht von der Insolvenzquote gedeckten) Umsatzsteuerschuldigkeiten in Höhe von 30.684,22 € (2012), 115.681,71 € (2013), 126.673,21 € (2014), 168.055,89 € (2015) und 150.030,14 € (2016), somit insgesamt 591.125,17 €, heranzuziehen. Dabei wurde dem Beschwerdeführer auch vorgehalten, dass diese Umsatzsteuerschuldigkeiten von der Abgabenbehörde als bei der GmbH uneinbringlich angesehen würden (Seite 2) und dass ihm bei Fehlen ausreichender liquider Mittel bei der GmbH der Nachweis des Nichtverschuldens am Abgabenausfall freistünde (Seite 2-3).
Mit Schreiben vom (OZ 12) brachte der Beschwerdeführer vor, die GmbH sei in Österreich nicht steuerpflichtig gewesen. Man habe lediglich Kunden an selbständige Unternehmer aus Deutschland vermittelt. Für die Vermittlung habe man Provision erhalten und den deutschen Firmen in Rechnung gestellt und in Deutschland versteuert. Mit den ausgeführten Aufträgen in Österreich habe man nichts zu tun gehabt und man sei dafür nicht steuerpflichtig. Die GmbH habe keine Arbeiten in Österreich ausgeführt oder abgerechnet, man habe auch kein eigenes Personal in Österreich gehabt, Hierzu habe er der Abgabenbehörde bereits das Urteil des Landesgerichtes in Graz zugesandt, wo es ganau um diese Frage gegangen sei.
Verfahrensablauf
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom (OZ 1) zog die Abgabenbehörde den Beschwerdeführer gemäß § 9 BAO zur Haftung für die (um die Insolvenzquote gekürzten) Umsatzsteuerschuldigkeiten heran.
Mit Schreiben vom (OZ 3) erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid die Beschwerde, wobei er erkennbar dessen Aufhebung begehrte. Dem Schreiben legte der Beschwerdeführer ein Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen vom (OZ 3/3) vor, wonach er (und der andere Geschäftsführer) für die bei der GmbH festgesetzten Umsatzsteuern 2012 bis 2016 vom Vorwurf der Abgabenhinterziehung freigesprochen wurden.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom (OZ 4) wies die Abgabenbehörde die Bescheidbeschwerde als unbegründet ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde lediglich vorgebracht habe, dass keine Haftung bestehe, weil die dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgabenschulden nicht bestünden, also die Bescheide unrichtig seien, da die GmbH lediglich Kunden an selbständige Unternehmer vermittelt habe, wofür sie wiederum eine Provision erhalten habe, welche jedoch nicht in Österreich zu versteuern gewesen sei. Damit werde jedoch nicht dargetan, dass die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 BAO zu Unrecht erfolgt sei. Auch habe der Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass er aufgrund eines nicht vorwerfbaren Rechtsirrtums die Entrichtung der Abgaben unterlassen hätte und ihn deshalb kein Verschulden im Sinne des § 9 BAO treffen würde.
Mit (von der Abgabenbehörde richtig als Vorlageantrag gewertetem) Schreiben vom (OZ 6) beantragte der Beschwerdeführer unter Wiederholung seines Vorbringens im Beschwerdeschreiben und unter nochmaliger Vorlage des Urteils , das Verfahren gegen ihn endgültig einzustellen.
Mit Vorlagebericht vom (OZ 15) legte die Abgabenbehörde die Bescheidbeschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. In der Stellungnahme führte die Abgabenbehörde im Wesentlichen aus, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gegen den Haftungsbescheid einzig und allein die Frage sei, ob der Beschwerdeführer zu Recht als Haftender für Abgaben der Gesellschaft herangezogen worden sei, nicht jedoch, ob die der GmbH vorgeschriebenen Abgaben zu Recht bestünden. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben könnten daher in diesem Verfahren nicht erfolgreich erhoben werden. Die nach § 9 BAO im Haftungsverfahren erforderliche Verschuldensprüfung habe von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen.
Aufhebungsgründe
Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können (§ 9 Abs. 1 BAO).
Der Beschwerdeführer meint, wegen des Freispruchs im Finanzstrafverfahren sei das Haftungsverfahren "einzustellen".
Auch ein freisprechendes Urteil des Strafgerichtes kann keine Bindung der Abgabenbehörde bei der Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen nach § 9 BAO bewirken (vgl. ).
Es kommt nicht darauf an, ob dem Geschäftsführer zur Nichtentrichtung der im Haftungsbescheid vorgeschriebenen Abgaben eine Abgabenhinterziehung vorzuwerfen ist (vgl. ).
Die Voraussetzungen der Haftung im Abgabenverfahren sind eigenständig (auch hinsichtlich des Verschuldens) zu beurteilen, weshalb auch Beurteilungen der Verhaltensweisen des Vertreters im Gerichtsverfahren betreffend Abgabenhinterziehung nicht maßgeblich sind (vgl. ).
Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ergäbe sich daraus nicht.
Der Beschwerdeführer bestreitet jedoch auch die Richtigkeit der Abgabenansprüche.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes tritt auch in einem Abgabenverfahren nach der Insolvenzeröffnung der Insolvenzverwalter an die Stelle des Schuldners, soweit es sich um Aktiv- oder Passivbestandteile der Insolvenzmasse handelt. Die Abgaben sind daher während des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter, der insofern den Schuldner repräsentiert, festzusetzen. Während des Insolvenzverfahrens dürfen somit weder Abgabenbescheide noch Erkenntnisse bzw. Beschlüsse, mit welchen über Beschwerden gegen Abgabenbescheide abgesprochen wird, an den Schuldner gerichtet werden. Eine nach Konkurseröffnung an den Schuldner gerichtete Erledigung geht ins Leere; sie entfaltet weder eine Wirkung für den Schuldner noch für den Insolvenzverwalter (vgl. zB ).
Nach dem Auszug aus dem Handelsregister des Amtsgerichts ***D*** vom (OZ 8) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts ***D*** vom tt.05.2017 über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und war die Gesellschaft damit kraft Gesetzes aufgelöst.
Die Abgabenbehörde ist auf die Einwendung der Unrichtigkeit der Abgabenansprüche nicht eingegangen. In der Stellungnahme des Vorlageberichts vom (OZ 15) führt die Abgabenbehörde im Wesentlichen aus, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gegen den Haftungsbescheid einzig und allein die Frage sei, ob der Beschwerdeführer zu Recht als Haftender für Abgaben der Gesellschaft herangezogen worden sei, nicht jedoch, ob die der GmbH vorgeschriebenen Abgaben zu Recht bestünden. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben könnten daher in diesem Verfahren nicht erfolgreich erhoben werden.
Die Abgabenbehörde ging somit bei Beschwerdevorlage von einer Bindungswirkung der an die GmbH gerichteten Abgabenbescheide im Haftungsverfahren aus. Dies setzt voraus, dass die Abgabenbescheide wirksam ergangen sind.
Nach Beschwerdevorlage hat die Abgabenbehörde dem BFG mit Schreiben vom (OZ 17) mitgeteilt, dass mit Beschluss des Amtsgerichts ***D*** vom tt.05.2017 über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Rechtsanwalt Dr. ***H*** als Insolvenzverwalter bestellt worden sei. Das Insolvenzverfahren sei nicht als "Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung" der Schuldnerin geführt worden und die Bescheide der Abgabenbehörde hätten während des aufrechten Insolvenzverfahrens (Aufhebung ) richtigerweise an den Insolvenzverwalter als gesetzlichen Vertreter im Insolvenzverfahren der GmbH adressiert werden müssen. Die Erledigungen betreffend die haftungsgegenständliche Umsatzsteuer 2012 bis 2016 stellten demnach Nichtbescheide dar.
Ob und in welchem Ausmaß ein Abgabenanspruch gegeben ist, ist in dem Fall, in dem kein Abgabenbescheid ergangen ist, als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden ().
Die Abgabenbehörde geht davon aus, dass die von der deutschen GmbH (über das Callcenter in Geldern) beauftragten "Monteure" in einem Dienstverhältnis zur GmbH standen, weshalb die GmbH als Erbringer der in Österreich an Privatpersonen erbrachten umsatzsteuerpflichtigen Leistungen anzusehen sei (siehe Seite 5 des Endberichts der Steuerfahndung vom [OZ 7]).
Vom Beschwerdeführer wird dies bestritten.
Die Abgabenbehörde begründet die Nichtselbständigkeit der Monteure damit, dass die Monteure keine "eigene Werbung" betrieben, kein unternehmerisches Risiko getragen, über keine eigene Betriebsstätte verfügt und ihre "Aufträge und Weisungen" ausschließlich von der GmbH als einzigem Auftraggeber bekommen hätten (siehe Seite 5 des Endberichts der Steuerfahndung vom [OZ 7]).
Damit erschöpfte sich die Begründung der Abgabenbehörde in der Behauptung des Vorliegens der Nichtselbständigkeitsmerkmale (und zwar, dass die in Österreich tätig gewordenen "Monteure" kein unternehmerisches Risiko getragen hätten und weisungsgebunden gewesen seien). Umstände, die diese Feststellung tragen (insbesondere welche Personen als "Monteure" unter welchen vertraglichen Bedingungen in Österreich tätig waren), hat die Abgabenbehörde jedoch nicht ermittelt (siehe die diesbezügliche Aufforderung des Bundesfinanzgerichts vom [OZ 18] und das Antwortschreiben der Abgabenbehörde vom [OZ 21]).
Das Verwaltungsgericht kann mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können (vgl. § 278 Abs. 1 BAO).
Die Abgabenbehörde wird im fortgesetzten Verfahren unter Inanspruchnahme der Mitwirkung des Beschwerdeführers (auf die Beweisvorsorgepflicht als Geschäftsführer wird hingewiesen) zu ermitteln haben, welche Personen für die GmbH in Österreich tätig waren und unter welchen (für eine Weisungsgebundenheit und gegen eigenes unternehmerisches Risiko sprechenden) vereinbarten und tatsächlichen Umständen diese Personen tätig waren, die z.B. nach § 3a UStG 1994 (z.B. Abs. 9 oder Abs. 11 lit. c) umsatzsteuerpflichtige Leistungen der GmbH bewirkt haben.
Die Aufhebung ist nicht unzulässig, weil die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (auf § § 209a Abs. 5 BAO und § 238 Abs. 1 letzter Satz BAO wird hingewiesen). Die Aufhebung war zweckmäßig, weil nicht nur ergänzende, sondern vollumfängliche Ermittlungen im In- und Ausland durchzuführen sind. Die Unbilligkeit der Aufhebung kann das Bundesfinanzgericht nicht erkennen.
Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat (§ 278 Abs. 2 BAO).
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung im Hinblick auf die angeführte Rechtsprechung nicht vorliegt, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.2100546.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at