Aufhebung der angefochtenen Bescheide infolge örtlicher Unzuständigkeit des bescheiderlassenden Finanzamtes
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag.Dr. Katrin Allram in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ARTUS Steuerberatung GmbH & Co KG, Wassergasse 3, 2500 Baden, über die Beschwerden vom und vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Umsatzsteuer 2011, vom betreffend Einkommensteuer 2011 und 2012, Umsatzsteuer 2012 und Anspruchszinsen 2012 sowie vom betreffend Umsatzsteuer 2013, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (Bf.) betrieb im Streitzeitraum ein Einzelunternehmen. Beim Bf. wurde betreffend Umsatzsteuer und Zusammenfassende Meldung für den Zeitraum 04/2011 bis 05/2012 und betreffend Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Zusammenfassende Meldung für den Zeitraum 2011 bis 2012 eine abgabenbehördliche Prüfung durchgeführt. Ebenso erging ein Nachschauauftrag betreffend Umsatzsteuer und Zusammenfassende Meldung für das Jahr 2013. Alle genannten Maßnahmen wurden vom Finanzamt Wien 2/20/21/22 (belangte Behörde) beauftragt und durchgeführt.
Die belangte Behörde erließ gegenüber dem Bf. am einen Bescheid betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2011, am Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2011 und 2012, Umsatzsteuer für das Jahr 2012 und Anspruchszinsen für das Jahr 2012 und am einen Bescheid betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2013.
Dagegen brachte der Bf. mit Eingaben vom und vom Beschwerden ein, in denen im Wesentlichen die durchgeführte Schätzung bekämpft wird.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom änderte die belangte Behörde den Bescheid vom betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2011 ab. Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies die belangte Behörde die Beschwerden betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2011, betreffend Einkommen-, Umsatzsteuer und Anspruchszinsen für das Jahr 2012 und betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2013 als unbegründet ab.
Mit Eingaben vom und vom beantragte der Bf. die Vorlage der Beschwerden zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.
Am legte die belangte Behörde die Beschwerden samt Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im angeschlossenen Vorlagebericht wurde angemerkt, dass das Finanzamt ***X*** für den Bf. sachlich und örtlich zuständig sei, die belangte Behörde jedoch als ursprünglich bescheiderlassende Behörde für die Erledigung der eingebrachten Beschwerden zuständig sei. Schließlich wurde die Abweisung der Beschwerden beantragt.
Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde die gegenständliche Beschwerdesache mit Stichtag der GA 1017 zur Entscheidung zugeteilt.
Mit Beschluss vom wurde den Verfahrensparteien das vorläufige Ermittlungsergebnis zur Kenntnis gebracht und diesen die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Verfahrensparteien haben innerhalb der eingeräumten Frist von vier Wochen keine Stellungnahme eingebracht.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Bf. betrieb im Streitzeitraum ein Einzelunternehmen. Außerdem war der Bf. seit dem Gesellschafter-Geschäftsführer der ***W GmbH***.
Bei der ***W GmbH*** fand im Jahr 2011 eine Umsatzsteuersonderprüfung statt, die vom Finanzamt ***X*** durchgeführt wurde. Das Finanzamt ***X*** informierte das Finanzamt Wien 2/20/21/22 mit Kontrollmitteilung vom darüber, dass der Bf. neben seiner Tätigkeit bei der ***W GmbH*** auch noch ein Einzelunternehmen betreibt. Im Rahmen der Außenprüfung bei der ***W GmbH*** führte das Finanzamt ***X*** am eine Abfrage des Zentralen Melderegisters betreffend den Bf. durch. Diese Abfrage ergab, dass der Bf. seit an der Adresse ***Bf1-Adr*** mit Hauptwohnsitz gemeldet ist.
Der Bf. ist seit bis dato durchgehend an der Adresse ***Bf1-Adr*** mit Hauptwohnsitz gemeldet.
2. Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie auf Datenbankabfragen (Firmenbuch, Zentrales Melderegister, Abgabendatenbanken).
Die vorläufigen Sachverhaltsfeststellungen sowie die sich daraus ergebende vorläufige rechtliche Beurteilung wurden den Verfahrensparteien mit Beschluss vom zur Kenntnis gebracht und diesen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Die Verfahrensparteien haben sich dazu nicht geäußert.
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sowie gegenteiliger Äußerungen der Verfahrensparteien darf das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen als erwiesen annehmen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist für die Zuständigkeit einer Behörde die im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides geltende Rechtslage maßgeblich (vgl. ).
Gemäß § 50 Bundesabgabenordnung (BAO; idF BGBl. I Nr. 9/2010) haben die Abgabenbehörden ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen.
Soweit nicht anderes bestimmt wird, sind gemäß § 52 BAO für die Zuständigkeit der Abgabenbehörden des Bundes die Vorschriften des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes 2010 - AVOG 2010 maßgeblich.
Gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz AVOG 2010 ist Wohnsitzfinanzamt das Finanzamt, in dessen Bereich der Abgabepflichtige (§ 77 BAO) einen Wohnsitz (§ 26 Abs. 1 BAO) oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 26 Abs. 2 BAO) hat.
Das Wohnsitzfinanzamt ist gemäß § 20 Abs. 2 Z 1 und 2 AVOG 2010 zuständig für die Erhebung der Einkommensteuer bei unbeschränkter Steuerpflicht und für die Erhebung der Umsatzsteuer.
Die Zuständigkeit einer Abgabenbehörde für die Erhebung von Abgaben endet gemäß § 6 AVOG 2010, außer bei Erlassung eines Delegierungsbescheides, mit dem Zeitpunkt, in dem eine andere Abgabenbehörde von den ihre Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen Kenntnis erlangt. Vom Übergang der Zuständigkeit ist der Abgabepflichtige in Kenntnis zu setzen; gegenüber Arbeitnehmern (§ 47 Einkommensteuergesetz 1988, EStG 1988) ist dies nur erforderlich, wenn eine Veranlagung nach § 41 EStG 1988 beim Übergang der Zuständigkeit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Solange eine vorgesehene Verständigung nicht ergangen ist, können Anbringen auch noch an die bisher zuständig gewesene Abgabenbehörde gerichtet werden.
Ändern sich die für die Zuständigkeit maßgebenden Voraussetzungen, so führt dies noch nicht zu einer Änderung der betreffenden Zuständigkeiten. Erst dann, wenn die Abgabenbehörde von den maßgebenden ihre Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen erfährt, geht die Zuständigkeit über. Die Zuständigkeit der bisher zuständigen Abgabenbehörde endet gleichzeitig mit dem Beginn der Zuständigkeit der neu zuständigen Abgabenbehörde; dies unabhängig davon, ob und wann die bisher zuständige Abgabenbehörde hievon erfährt, sowie unabhängig davon, wann sich die maßgebenden Voraussetzungen ändern (vgl. dazu Ritz, BAO6 (2017) § 6 AVOG 2010 Rz 2 unter anderem mit Hinweisen auf und , 94/13/0033).
Das Finanzamt ***X*** hat unstrittig durch die Abfrage des Zentralen Melderegisters am vom Wohnsitzwechsel des Bf. in ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich erfahren. Mit der Kenntniserlangung ging die Zuständigkeit auf die neu zuständige Abgabenbehörde (Finanzamt ***X***) über, wodurch gleichzeitig die Zuständigkeit der bislang zuständigen Abgabenbehörde (Finanzamt Wien 2/20/21/22) endete.
Da die Zuständigkeit des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 am endete, wurden die gegenständlich angefochtenen Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2013, Einkommensteuer 2011 und 2012 sowie Anspruchszinsen 2012 von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen.
In jedem Stadium des Verfahrens ist sowohl die sachliche als auch die örtliche Zuständigkeit der einschreitenden Abgabenbehörden von Amts wegen wahrzunehmen. Dies gilt auch im Rechtsmittelverfahren im Hinblick auf die Unzuständigkeit der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat (vgl. ).
Vor dem Hintergrund dieser Sach- und Rechtslage waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der streitgegenständlichen Rechtsfrage ergibt sich eindeutig aus den angeführten gesetzlichen Bestimmungen sowie aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Insgesamt liegt daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 50 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 52 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 20 Abs. 1 AVOG 2010, Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz 2010, BGBl. I Nr. 9/2010 § 20 Abs. 2 Z 1 und 2 AVOG 2010, Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz 2010, BGBl. I Nr. 9/2010 § 6 AVOG 2010, Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz 2010, BGBl. I Nr. 9/2010 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7104401.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at