Zwischenbankbefreiung als eine staatliche Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV
Beim EuGH anhängig unter C-460/24.
Entscheidungstext
An den
Gerichtshof der Europäischen Union
Kanzlei des Gerichtshofes
Rue du Fort Niedergrünewald
L-2925 Luxemburg
Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art 267 AEVU
Parteien des Ausgangsverfahrens am Bundesfinanzgericht zur GZ. RV/7102759/2022; RV/7102782/2022-RV/7102785/2022:
Beschwerdeführerin:
• ***Bf1***, ***Bf1-Adr***
• vertreten durch: Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH, Renngasse 1 Tür Freyung, 1010 Wien
Belangte Behörde: Finanzamt für Großbetriebe, Radetzkystraße 2, 1030 Wien,
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht fasst durch die Richterin Mag. Andrea Ebner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH, Renngasse 1 Tür Freyung, 1010 Wien, über die Beschwerde vom (Eingang: ) gegen die Bescheide des Finanzamtes für Großbetriebe vom betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2013 bis 2017, Steuernummer ***BF1StNr1***, den Beschluss:
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die folgende Umsatzsteuerbefreiung eine staatliche Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union darstellt:
Steuerfrei sind sonstige Leistungen, die zwischen Unternehmen erbracht werden, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze ausführen, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der genannten steuerfreien Umsätze verwendet werden, und für die Personalgestellung dieser Unternehmer an die im ersten Satz genannten Zusammenschlüsse.
2. Die Entscheidung über die Beschwerde ist bis zum Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 290 Abs. 2 BAO ausgesetzt.
3. Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig.
Begründung
1. Sachverhalt
1. Die vor dem Bundesfinanzgericht beschwerdeführende Partei (in der Folge ***X***) ist eine österreichische Bank. ***X*** ist zudem Organträgerin einer österreichischen umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (MwSt-Gruppe).
2. ***X*** wandte nach eigenen Angaben, somit unbestritten, für die Streitjahre 2013 bis 2017 die sogenannte Zwischenbankbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 an (Vorhaltbeantwortung vom ).
3. § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 befreit sonstige Leistungen, die zwischen Unternehmen erbracht werden, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze ausführen, von der Umsatzsteuerpflicht, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der genannten steuerfreien Umsätze verwendet werden. Dh vereinfacht zusammengefasst stellt die Bestimmung sämtliche Dienstleistungen zwischen Unternehmen, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze ausführen, umsatzsteuerfrei, wenn sie nicht bereits unter eine andere Steuerbefreiung fallen. Dies umfasst sämtliche Arten von Dienstleistungen, auch wenn diese unionsrechtlich gemäß Art. 132ff der Richtlinie 2006/112/EG (in der Folge MwSt-Richtlinie) nicht steuerfrei wären. Die Dienstleistungen müssen daher nicht bank- oder versicherungstypisch sein (vgl. Ruppe/Achatz, UStG4 (2017) § 6 Rn 490).
4. Nach im Schrifttum vertretener hM fehlt es der Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 28 UStG 1994 an einer unionsrechtlichen Grundlage (vgl. Schefzig, EuGH: Keine Zusammenschlussbefreiung für Finanzdienstleister, BFGjournal 2017, 380ff; Rattinger, in Melhardt/Tumpel, UStG3 (2021) § 6 Rn 694; Kanduth-Kristen/Tschiderer in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON3.02 (2021) § 6 Rz 24). Die nationale Steuerbefreiung befreit nämlich undifferenziert nach Leistungsinhalt jegliche Dienstleistungen von der Umsatzsteuer. Nach dem Gesetzeswortlaut steuerbefreit können demnach bespielhaft angeführt: IT-Dienstleistungen, Beratungsdienstleistungen ebenso wie auch Restaurations- oder Kinderbetreuungsdienstleistungen sein, sofern diese zwischen Unternehmen erbracht werden, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze ausführen (und unmittelbar zur Ausführung dieser steuerfreien Umsätze verwendet werden).
5. Das Bundesfinanzgericht sieht sich außer Stande, einen Zustand herzustellen, der den Vorgaben der MwSt-Richtlinie entspricht: Eine unmittelbare Anwendung dieser Richtlinie gegen den Willen des Steuerpflichtigen ist unmöglich. Ebenso ist eine richtlinienkonforme Interpretation des nationalen Rechts möglich, weil eine derartige Interpretation contra legem nicht zulässig ist. Vielmehr hätte das Bundesfinanzgericht das für den Steuerpflichtigen günstigere nationale Recht anzuwenden und damit eine Steuerbefreiung, die möglicherweise keine unionsrechtliche Basis findet.
2. Zulässigkeit
6. Gemäß Art. 267 UAbs. 2 AEUV kann ein Gericht dem Gerichtshof eine Frage zur Entscheidung vorlegen, wenn für das Gericht eine Entscheidung über diese Frage zum Erlass seines Urteils erforderlich ist bzw. es dieses Gericht für erforderlich hält.
7. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Jedoch ist eine Zurückweisung des Ersuchens dann möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. , Cartesio, EU:C:2008:723, Rn 67; , Rs C-379/98, PreussenElektra, EU:C:2001:160, Rn 39; , verb
Rs C-94/04 und C-202/04, Cipolla u. a., EU:C:2006:758, Rn 25).
8. Das Bundesfinanzgericht ist als Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV zur Anrufung des EuGH berechtigt. Es handelt sich nicht um ein Problem hypothetischer Natur, weil ***X*** im vorliegenden Fall die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 in den anhängigen Streitjahren unstrittig angewendet hat.
9. Für das Bundesfinanzgericht ist die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.
3. Unionsrecht
10. Art. 107 Abs. 1 AEUV:
"Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen"
4. Nationales Recht
11. § 6 Abs. 1 Z 28 UStG 1994 in der im Beschwerdefall maßgebenden Stammfassung BGBl. Nr. 663/1994 normiert (Hervorhebung durch Bundesfinanzgericht):
"§ 6. (1) Von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
[...]
28. die sonstigen Leistungen von Zusammenschlüssen von Unternehmern, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze tätigen, an ihre Mitglieder, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der genannten steuerfreien Umsätze verwendet werden und soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern. Das gilt auch für sonstige Leistungen, die zwischen Unternehmern erbracht werden, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze ausführen, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der genannten steuerfreien Umsätze verwendet werden, und für die Personalgestellung dieser Unternehmer an die im ersten Satz genannten Zusammenschlüsse.
[...]"
5. Zur Vorlagefrage
5.1. Vorbemerkungen
12. Das Bundesfinanzgericht möchte wissen, ob eine Regelung wie die Zwischenbankbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 eine staatliche Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV ist.
13. Anzumerken ist, dass sich die streitgegenständliche Regelung in einem gesetzlichen Änderungsprozess befindet. Demnach soll der im Beschwerdefall maßgebende letzte Satz des § 6 Abs. 1 Z 28 UStG 1994 und damit die in Rede Stehende Zwischenbankbefreiung entfallen. Die Erläuternden Bemerkungen führen dazu aus (EBRV 2610 BlgNR 27. GP 16): "Zur Schaffung von Rechtssicherheit auf Basis der unionsrechtlichen Vorgaben soll § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz gestrichen werden. Die Änderung soll ab in Kraft treten." Dies impliziert, dass auch der österreichische Gesetzgeber offensichtlich unionsrechtliche Bedenken gegenüber der bisherigen Regelung hat. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Bundesfinanzgericht diese Regelung einerseits noch nicht in Kraft getreten ist und anderseits ein Inkrafttreten erst ab dem geplant ist. Damit war die in § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 normierte Regelung der Zwischenbankbefreiung im Streitzeitraum betreffend die Umsatzsteuer für die Jahre 2013 bis 2017 jedenfalls maßgebend. Dies insbesondere vor dem Hintergrund als - wie in Rz 5 ausgeführt - eine unmittelbare Anwendung dieser Richtlinie gegen den Willen des Steuerpflichtigen unmöglich ist.
14. Zur beihilferechtlichen Rechtsprechung des Gerichtshofes im Zusammenhang mit der MwSt-Richtlinie kann auf das Urteil Heiser (vgl. , Heiser, EU:C:2005:130) und die Beantwortung der zweiten Frage des Urteils Puffer (vgl. , Puffer, EU:C:2009:254) verwiesen werden.
15. Vorauszuschicken ist daher, dass eine Regelung, die sich aus der MwSt-Richtlinie ergibt und folglich von den Mitgliedstaaten einheitlich umzusetzen ist, keine staatliche Maßnahme darstellt. Art. 107 Abs. 1 AEUV wäre daher nicht anwendbar (vgl. , Puffer, EU:C:2009:254, Rn 70).
16. Soweit für das Bundesfinanzgericht ersichtlich, besteht jedoch im vorliegenden Fall keine Grundlage in der MwSt-Richtlinie betreffend die gegenständliche Zwischenbankbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994. Der Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist folglich eröffnet.
17. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist daher im Lichte des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu prüfen, ob es sich bei § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994
(1) um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handelt,
(2) die geeignet ist den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen,
(3) die der Begünstigten (***X***) einen Vorteil gewährt und
(4) den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht.
5.2. Staatliche Maßnahme
18. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes umfasst der Begriff "Beihilfe" nicht nur positive Leistungen wie etwa die Subventionen selbst, sondern auch staatliche Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, und die somit, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen (vgl. P und C-165/15 P, Kommission/Aer Lingus und Ryanair, EU:C:2016:990 Rn 40).
19. Da - wie bereits ausgeführt - die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 einer Grundlage nach der MwSt-Richtlinie entbehrt, kommt sie als eine staatliche Maßnahme in Betracht (vgl. , Heiser, EU:C:2005:130, Rn 28; idS EuG , Rs T-351/02, Deutsche Bahn, EU:T:2006:104, Rn 102).
20. Das Bundesfinanzgericht nimmt daher im vorliegenden Fall das Kriterium einer staatlichen Beihilfe als erfüllt an.
5.3. Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und zur Verfälschung bzw. Drohung der Verfälschung des Wettbewerbs
21. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verfälschen Beihilfen, die ein Unternehmen von den Kosten befreien sollen, die es normalerweise im Rahmen seiner laufenden Geschäftsführung oder seiner üblichen Tätigkeiten zu tragen gehabt hätte, grundsätzlich die Wettbewerbsbedingungen (vgl. , Kommission/Deutschland, EU:C:2000:467, Rn 30 mwN). Die Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten kann unabhängig vom örtlichen oder regionalen Charakter der erbrachten Dienste oder von der Größe des betreffenden Tätigkeitsgebiets erfüllt sein (vgl. , Heiser, EU:C:2005:130, Rn 33).
22. Im vorliegenden Fall kann ***X*** seine Dienstleistungen, die nicht ohnehin aufgrund einer anderen, unionsrechtskonformen Steuerbefreiung steuerfrei sind, an andere begünstigte Unternehmer steuerfrei erbringen. ***X*** kann damit seine Dienstleistungen, je nach anwendbarem Umsatzsteuersatz, um bis zu 20% günstiger anbieten, als andere, nicht begünstigte Unternehmer. Beispiel:
Erbringt ***X*** eine IT-Dienstleistung an eine andere österreichische Bank, die diese Umsätze unmittelbar zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, ist die IT-Dienstleistung von ***X*** gemäß § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 steuerfrei. Wird die gleiche Dienstleistung von einem IT-Unternehmen erbracht, muss dieses 20% Umsatzsteuer in Rechnung stellen.
23. Durch die steuerbefreite Leistungserbringung von ***X*** werden zudem auch die (steuerbefreiten) Leistungsempfänger begünstigt, weil - wie oben dargestellt - Voraussetzung für die Zwischenbankbefreiung ist, dass die Leistungen unmittelbar zur Ausführung der genannten steuerfreien Umsätze verwendet werden. Würde - wie das Beispiel in Rz 22 zeigt - ein IT-Unternehmen anstatt der steuerbefreiten ***X*** die Dienstleistung erbringen, könnte der (steuerbefreite) Leistungsempfänger die Vorsteuer nicht in Abzug bringen und müsste tatsächlich einen höheren Preis bezahlen. Erbringt hingegen ***X*** unter Anwendung der Zwischenbankbefreiung die gleiche Leistung, hat der Leistungsempfänger aufgrund der Steuerbefreiung von ***X*** lediglich den Betrag ohne Umsatzsteuer zu begleichen. Damit besteht mit der Inanspruchnahme der Zwischenbankbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 durch ***X*** nicht nur für diese selbst eine Begünstigung, sondern auch für den Leistungsempfänger.
24. Da österreichische Banken in direktem Konkurrenzverhältnis zu anderen europäischen Banken stehen, ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts auch von der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen. Die Maßnahme bedroht ebenso den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten.
5.4. Selektivität
25. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Beurteilung des Merkmals der Selektivität des Vorteils zunächst die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, "bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige" gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (Urteil vom , Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26. Im Zusammenhang mit steuerlichen Maßnahmen muss für die Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als "selektiv" in einem ersten Schritt die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder "normale" Steuerregelung ermittelt und in einem zweiten Schritt dargetan werden, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situationen befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn 57).
27. Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass das allgemeine oder "normale" Steuersystem im Bereich der Mehrwertsteuer die unionsrechtlich determinierten Vorgaben der MwSt-Richtlinie sind (vgl. hierzu Terra, Value Added Tax and State Aid Law in the EU, Intertax 2012, 101 (109)).
28. Widrigenfalls ist das allgemeine oder "normale" Umsatzsteuersystems der Republik Österreich die im UStG 1994 dargelegten Regelungen, die die Vorgaben der MwSt-Richtlinie umsetzen. Das generelle Prinzip der österreichischen Umsatzsteuer ist daher, dass Lieferungen und sonstige Leistungen gegen Entgelt durch Unternehmer im Inland der Umsatzsteuer unterliegen. Abweichungen, wie Steuerbefreiungen, sind als Ausnahmen eng auszulegen.
29. Dazu ist zu bemerken, dass gerade Banken hinsichtlich einiger, abschließend geregelter Finanzdienstleistungen einer Umsatzsteuerbefreiung nach Art. 135 der MwSt-Richtlinie (umgesetzt in § 6 Abs. 1 Z 8 UStG 1994) unterliegen.
30. Generelle Steuerbefreiungen, die lediglich an persönliche Merkmale anknüpfen, kennt das österreichische Umsatzsteuerrecht, mit hier nicht anwendbaren Ausnahmen (bspw. der Steuerbefreiung für Kleinunternehmer gemäß § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994) nicht.
31. Die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 begünstigt seiner Ausgestaltung nach lediglich bestimmte Unternehmen, nämlich solche, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze erbringen.
32. Da die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 keine Differenzierung nach der jeweiligen Leistung trifft und damit sämtliche Dienstleistungen befreit, die nicht ohnehin schon aufgrund anderer Befreiungen steuerfrei sind, befindet sich ***X*** im Ausgangsfall in einer vergleichbaren tatsächlichen Situation wie alle anderen Steuerpflichtigen, die Leistungen an von § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 begünstigte Unternehmen (solche, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze erbringen) anbieten, die nicht steuerfrei sind. Innerhalb dieses Vergleichspaares wird ***X*** durch § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 auch insofern unterschiedlich behandelt, als ***X*** ihre Dienstleistungen steuerfrei stellen kann, während andere Steuerpflichtige ihre Dienstleistungen mit Umsatzsteuer fakturieren müssen.
33. Gleichermaßen befindet sich ***X*** auch in einem Vergleichspaar mit anderen Steuerpflichtigen, die steuerfreie Umsätze tätigen. Auch in diesem Vergleichspaar wirkt § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 diskriminierend:
***X*** erbringt IT-Dienstleistungen eine andere Bank. Diese Dienstleistungen sind steuerfrei. Eine Ärztin, die IT-Dienstleistung an andere Ärztinnen erbringen möchte, kann diese aber nur steuerpflichtig erbringen.
34. § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 steht auch nicht allen Steuerpflichtigen gleichermaßen offen, sondern erlaubt es nur Unternehmen, die überwiegend Bank-, Versicherungs- oder Pensionskassenumsätze tätigen, sämtliche Dienstleistungen an andere derartige Unternehmen steuerfrei zu stellen.
35. § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 besteht unverändert seit dem EU-Beitritt Österreichs. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage wird jedoch auf diese Steuerbefreiung nicht Bezug genommen. Es wird lediglich ausgeführt (ErlRV 1715 der Beilagen XVIII. GP, 55):
"Der erste Satz der Regelung ist Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. f der RL [Anm. BFG: nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der MwSt-Richtlinie] nachgebildet."
36. Welchen Sinn und Zweck der Gesetzgeber daher mit dieser weitgehenden Steuerbefreiung für Banken, Versicherungen und Pensionskassen bezweckte, lässt sich weder dem Gesetz noch dessen Erläuterungen entnehmen. Eine Rechtfertigung für diese Steuerbefreiung ergibt sich für das Bundesfinanzgericht nicht, müsste diese doch dann ebenso für sämtliche anderen umsatzsteuerbefreiten Umsätze gelten.
37. Wie bereits unter Rz 16 des Punkt 5.1 Vorbemerkungen ausgeführt, hegt der österreichische Gesetzgeber zum derzeitigen Zeitpunkt vielmehr selbst unionsrechtliche Bedenken gegenüber der in § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz normierten Zwischenbankbefreiung, weswegen er nach der im Gesetzwerdungsprozess befindlichen Regierungsvorlage eine Streichung der Befreiung mit Verweis auf die "Schaffung von Rechtsicherheit auf Basis der unionsrechtlichen Vorgaben" in Erwägung zieht (EBRV 2610 BlgNR 27. GP 16).
38. Das Bundesfinanzgericht geht daher davon aus, dass auch das Merkmal der Selektivität im vorliegenden Fall erfüllt ist.
5.5. Zusammenfassung
39. Die vor dem Bundesfinanzgericht beschwerdeführende ***X*** wandte unbestritten in den Streitjahren 2013 bis 2017 die sogenannte Zwischenbankbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 an. Der Zwischenbankbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 mangelt es jedoch nach hM an einer unionsrechtlichen Grundlage (vgl zB die in Rn 4 dargestellte Literatur).
40. Folglich hegt das Bundesfinanzgericht Bedenken, ob im Verhältnis zum Unionsrecht günstigeres nationales Recht vorliegt und, ob eine richtlinienkonforme Interpretation contra legem im Lichte der Rechtsprechung des EuGH möglich ist. Eine unmittelbare Anwendung der MwSt-Richtlinie 2006/112/EG gegen den Willen der beschwerdeführenden Partei ist jedenfalls ausgeschlossen (vgl. in diesem Sinne das zum österreichischen UStG ergangene , Heiser).
41. Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 dem im Lichte der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Art. 107 Abs. 1 AEUV entwickeltem Prüfungsmaßstab nicht standhält, weil gegenständlich - wie dargestellt -
(1) eine staatliche Maßnahme gegeben ist, (2) die geeignet ist den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, (3) die der Begünstigten (***X***) einen Vorteil gewährt und (4) den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht.
42. Für das Bundesfinanzgericht ist somit fraglich, ob die in § 6 Abs. 1 Z 28 letzter Satz UStG 1994 normierte Zwischenbankbefreiung eine staatliche Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 6 Abs. 1 Z 28 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 Art. 107 Abs. 1 AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 202 vom S. 47 |
Verweise | P |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RE.7100001.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at