Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 01.07.2024, RV/7100117/2024

Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag der Partei

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Dr.in Natalie Brennsteiner, den Richter Mag. Dr. Thomas Leitner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. ***A*** und Ing. ***B*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***Stb***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom über die

  • Abweisung des Antrags gem § 303 Abs 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2018,

  • Abweisung des Antrags gem § 303 Abs 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 2018,

  • Abweisung des Antrags gem § 303 Abs 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2019,

  • Abweisung des Antrags gem § 303 Abs 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 2019,

  • Abweisung des Antrags gem § 303 Abs 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2020 und

  • Abweisung des Antrags gem § 303 Abs 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 2020

zu Steuernummer ***123*** in Anwesenheit der Schriftführerin FOI ***S*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheiden vom wurden die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer 2018 erklärungsgemäß veranlagt.

Mit Bescheiden vom wurden die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer 2019 erklärungsgemäß veranlagt.

Mit Bescheiden vom wurden die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer 2020 erklärungsgemäß veranlagt.

Gegen die oa Bescheide wurde von der Beschwerdeführerin (in weiterer Folge Bf) kein ordentliches Rechtsmittel erhoben.

Mit Schreiben vom (eingelangt am ) brachte die nunmehr steuerlich vertretene Bf einen Antrag auf Wiederaufnahme gem § 303 BAO betreffend die Umsatzsteuer und die Einkommensteuer 2018 - 2020 ein. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der Übernahme der steuerlichen Vertretung festgestellt wurde, dass die Bankomatumsätze doppelt erfasst worden seien. Gleichzeitig wurden berichtigte Umsatzsteuer- und Einkommensteuererklärungen übermittelt.

Mit Bescheiden vom wurden die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem § 303 BAO abgewiesen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen. Das Wissen über (selbst) verwirklichte Sachverhalte sei beim Antragsteller in der Regel anzunehmen, weshalb im Antrag auf Wiederaufnahme angeführte Tatsachen und Beweismittel regelmäßig nicht als "neu hervorgekommen" zu beurteilen seien. Im gegenständlichen Fall ließen sich keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, wonach hier von dieser allgemeinen Annahme abzuweichen wäre. Der Antragsteller habe selbst keine Umstände dargelegt, wonach die angeführten Tatsachen als neu hervorgekommen zu beurteilen gewesen wären. Mangels neu hervorgekommener Tatsachen war der eingebrachte Antrag abzuweisen.

Dagegen wurde mit Schreiben vom Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass erst durch die Übernahme der steuerlichen Vertretung und somit erst durch den Buchhalter die Bf die neuen Tatsachen erkennen konnte. Im gegenständlichen Fall handle es sich um einen Paradefall aufgrund eines Buchungsfehlers, der dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit vor der Rechtsbeständigkeit Rechnung trage.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Dagegen brachte die Bf mit Schreiben vom über FinanzOnline einen Vorlageantrag ein.

Der Akt wurde am dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

Die mündliche Verhandlung vor dem Senat fand am statt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf betreibt in ***Adr*** einen Friseurbetrieb. Im Jahr 2008 erzielte die Bf erstmalig Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Die Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen betreffend die streitgegenständlichen Jahre wurden fristgerecht elektronisch eingereicht.

Die Umsatz- und Einkommensteuererklärungen betreffend 2018 bis 2020 wurden antragsgemäß veranlagt. Die Bescheide wurden nicht bekämpft.

Mit Schreiben vom wurden Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem § 303 BAO betreffend die Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2018 - 2020 eingereicht. Die Begründung lautet auszugsweise:

"Wir haben die steuerliche Vertretung oben angeführter Klientin übernommen und dabei festgestellt, dass die Bankomatumsätze sowohl in der Registrierkassa als Barumsätze als auch über die Bank nochmals als Umsatz erfasst wurden. Es ergeben sich dadurch erhebliche Differenzen an zuviel bezahlter Umsatzsteuer und Einkommensteuer in den Jahren 2018 bis 2020: […]

Wir übermitteln mit dem Schreiben berichtigte Umsatzsteuer- und Einkommensteuererklärungen 2018 bis 2020.
[…]"

2. Beweiswürdigung

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem dem Bundesfinanzgericht elektronisch vorgelegten Akt, insbesondere aus den vom Bf eingebrachten Schriftsätzen und den erlassenen Bescheiden, und ist unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 279 Abs 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Abänderungsbefugnis nach § 279 Abs 1 BAO ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. "Sache" ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs erster Instanz gebildet hat.

Sache im vorliegenden Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht ist die Beschwerde gegen die Bescheide (Abweisungen) der belangten Behörde über die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2018-2020 und Umsatzsteuer 2018-2020.

Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände alleine oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 303 Abs 2 lit b BAO hat ein Wiederaufnahmeantrag die Bezeichnung der Umstände iSd § 303 Abs. 1 BAO zu enthalten, auf die der Antrag gestützt wird.

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (; , 90/14/0262).

Im gegenständlichen Fall wurde als Wiederaufnahmegrund die Neuübernahme der steuerlichen Vertretung und Feststellung der Doppelerfassung von Umsätzen genannt.

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs 1 lit b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB , , Ra 2014/15/0006).

Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs 1 lit b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl ). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl ).

Aus Sicht der belangten Behörde sind demzufolge Tatsachen neu hervorgekommen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung jedoch ausgesprochen hat, hat ein Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung des Wiederaufnahmetatbestandes der neu hervorgekommenen Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel für den Steuerpflichtigen "neu hervorgekommen sind". Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs 1 lit b iVm Abs 2 lit b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem derartigen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht der antragstellenden Person zu beurteilen ist (, mwN). Tatsachen, die der Bf schon immer bekannt gewesen sind (wie hier die erfassten Umsätze, die doppelt versteuert wurden), eröffnen ihr daher keinen Antrag auf Wiederaufnahme.

Die Abweisung der Anträge erfolge demzufolge zu Recht.

Anmerkung:

Die Entscheidung, ob eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend diese Jahre durchgeführt wird, obliegt der belangten Behörde.

Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden (vgl ).

Für die belangte Behörde liegt ein Wiederaufnahmsgrund vor. Von zentraler Bedeutung für die Ermessensübung ist die Berücksichtigung des Zweckes der Ermessen einräumenden Norm. Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheiderlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Wiederaufnahme letztlich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist demzufolge nicht zulässig. Zur außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof siehe nachstehende Rechtsbelehrung.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise








ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7100117.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at