zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.06.2024, RV/7100691/2016

Durchbrechung rechtskräftiger Bescheide auf Grund Gesetzesänderung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***3*** (heute: Finanzamt ***2***) vom betreffend Mietzinsbeihilfe 01.2016, Mietzinsbeihilfennummer ***1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Das Finanzamt hat am auf Grund des Antrages der Bf. vom gem. § 107 EStG 1988 in der damals geltenden Fassung, einen Bescheid erlassen, welcher zum Inhalt hatte, dass die außergewöhnliche Belastung, die ihr als Mieterin der Wohnung ***W*** als Folge der Erhöhung des Hauptmietzinses erwachsen sei, durch die Zahlung eines monatlichen Betrages von 269,23 Euro mit Wirkung ab bis auf weiteres, längstens jedoch bis einschließlich abgegolten ist. Dies unter der gesetzlichen Voraussetzung, dass sich das Einkommen von ihr bzw. das in der betreffenden Wohnung lebenden Mitmieter, Angehörigen und Personen, die mit einem Mieter dauernd in eheähnlicher Gemeinschaft leben, nicht insgesamt um mehr als 20 Prozent gegenüber dem maßgeblichen Einkommenssatz von EUR 6.305,55 erhöht. Die Zahlung des monatlichen Betrages an die Bf. ist eine Mietzinsbeihilfe.

Mit Bescheid vom wurde die zuerkannte Mietzinsbeihilfe mit Wirkung auf 0,00 Euro herabgesetzt. Als Begründung wurde angeführt, dass der § 107 EStG 1988 durch das Steuerreformgesetz 2015/2016 (BGBL. I 2015/118) mit Wirkung ab aufgehoben wurde. Eine Mietzinsbeihilfe könne daher bis längstens einschließlich Dezember 2015 zur Auszahlung gelangen.

Dagegen hat die Bf. fristgerecht am das Rechtsmittel der Beschwerde an das Finanzamt erhoben. Darin führt Sie aus, dass der Bezug der Beihilfe mit völlig überraschend eingestellt sei und die Bf. von der Gewährung der Beihilfe existenziell abhängig wäre, weil sich ihre finanzielle Lage nicht verbessert habe. Das Steuerreformgesetz 2015/2016 hebe die oben angeführte Bestimmung des Einkommensteuergesetzes nicht nur ersatzlos auf, sondern enthalte auch keine Übergangsbestimmung. Der bekämpfte Bescheid greife nun in unzulässiger Weise einseitig, nachträglich und abändernd in den rechtskräftigen Bescheid vom ein, obwohl die Voraussetzung des § 294 BAO - nämlich eine zwischenzeitliche Änderung der tatsächlichen und für die ursprüngliche Bescheiderlassung maßgebenden Verhältnisse - nicht vorlägen. Zudem bedeute die Aufhebung eines Gesetzes bzw. einer gesetzlichen Bestimmung in der Regel nur die Beendigung des zeitlichen Bedingungsbereiches. Der Rechtsfolgenbereich dauere hingegen fort. Abschließend wurde noch ausgeführt, dass diese Vorgangsweise das rechtsstaatliche Prinzip verletze, wonach sich der Normunterworfene auf die Gültigkeit des Inhalts einmal erlassener rechtskräftiger Bescheide und dadurch zulässig erworbener Ansprüche und Rechte verlassen können müsse. Zudem müssten die Rechtsfolgen einmal erlassener rechtskräftiger Bescheide für den Normunterworfenen auch vorhersehbar und planbar sein.

In der Folge wies das Finanzamt am die Beschwerde mittels Beschwerde-vorentscheidung als unbegründet ab und begründete dies damit, dass das Steuerreformgesetz 2015/2016 den § 107 EStG 1988 nicht nur ersatzlos aufgehoben hat, sondern auch keine Übergangsbestimmung enthält. Die vorgebrachten Einwendungen würden nichts am Entfall der Rechtsgrundlage ändern.

Mit fristgerechtem Vorlageantrag begehrte die Bf., dass die Anträge der Beschwerde vollinhaltlich aufrecht bleiben und bemängelte, dass die Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes sich nicht auf den § 294 BAO beziehe. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse läge nicht vor und laut Meinung der Bf. berücksichtige der § 294 BAO keine zwischenzeitlichen Änderungen der rechtlichen Verhältnisse, womit ihrer Meinung nach der § 294 BAO als "Übergangsbestimmung" angesehen werden könnte. Die Bf. weist im Vorlageantrag nochmals darauf hin, dass kein neuer Antrag seitens der Bf. eingebracht wurde, sondern ein ursprünglich bescheidmäßig zugestandener laufender Bezug einer Beihilfe einfach abrupt eigestellt worden ist. Außerdem führte die Bf. noch abschließend an, dass die Beschwerdevorentscheidung sich auch nicht mit dem Einwand in der Beschwerde bezüglich des rechtsstaatlichen Prinzips, insbesondere die Frage der Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Auswirkungen behördlicher Akte auf den Normunterworfenen, auseinandersetzte.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. wurde auf Grund ihres Antrages mittels Bescheides vom gem § 107 EStG 1988 für den Zeitraum vom bis auf weiteres, längstens bis Mietzinsbeihilfe gewährt. In der Folge hat das Finanzamt am einen neuen Bescheid gem § 107 Abs. 10 EStG erlassen, in welchem die Mietzinsbeihilfe an die Bf. ab eingestellt wurde, obwohl bei der Bf. sich weder die tatsächlichen Verhältnisse änderten, noch die Bf. einen neuen Antrag stellte. Das Finanzamt führte in der Begründung der Erlassung des Änderungsbescheides gem § 107 Abs 10 EStG an, dass der § 107 EStG, welcher die Basis für die gewährte Mietzinsbeihilfe ist, mit Wirkung ab durch das Steuerreformgesetz 2015/2016 (BGBL. I2015/118) aufgehoben wird.

2. Beweiswürdigung

Die Bescheide vom und welche Bestanteil des Beschwerdeaktes sind, stellen genau und präzise den beschriebenen Sachverhalt dar.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Für die Beurteilung des ermittelten Sachverhaltes kommen folgende Normen in Betracht:

§ 107 Abs 1, Abs 4 und Abs 10 EStG, SteuerreformG 2015/2016 womit der § 117 EStG ersatzlos und ohne Übergangsbestimmung aufgehoben wurde und § 294 BAO.

§ 107 Abs 1 EStG: "Auf Antrag des unbeschränkt steuerpflichtigen Hauptmieters werden Erhöhungen des Hauptmietzinses als außergewöhnliche Belastung (§ 34) berücksichtigt, wenn sie seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen……"

§ 107 Abs 4 EStG: "Die außergewöhnliche Belastung wird durch Zahlung eines monatlichen Betrages abgegolten. Der Abgeltungsbetrag ist bescheidmäßig in Höhe des Betrages festzusetzen,…"

§ 107 Abs 10 EStG: "Der Hauptmieter hat jede Änderung der für die Abgeltung der außergewöhnlichen Belastung maßgebenden Verhältnisse der Abgabenbehörde unverzüglich mitzuteilen. Die Zahlung des Abgeltungsbetrages ist einzustellen bzw. herabzusetzen, wenn und soweit sich die für die Abgeltung maßgebenden Verhältnisse ändern oder nachträglich hervorkommt, dass die Voraussetzungen nicht oder nur für ein geringeres Ausmaß gegeben gewesen sind. Eine Änderung der Einkommensverhältnisse kann jedoch nur dann zu einer Einstellung (Herabsetzung) der Zahlung des Abgeltungsbetrages führen, wenn sich das Einkommen des Hauptmieters und der im Abs. 7 genannten Personen insgesamt um mehr als 20 % erhöht hat. Zu Unrecht abgegoltene Beträge sind mit Bescheid zurückzufordern; gleiches gilt, wenn erhöhte Hauptmietzinse vom Vermieter zurückerstattet werden".

Steuerreformgesetz 2015/2016 bezüglich EStG: "§ 107 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. XX/2015 tritt mit Ablauf des außer Kraft."

§ 294 BAO Abs 1: "Eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde ist - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind - nur zulässig,

a) wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder

b) wenn das Vorhandensein dieser Verhältnisse auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden ist.

Abs 2 Die Änderung oder Zurücknahme kann ohne Zustimmung der betroffenen Parteien mit rückwirkender Kraft nur ausgesprochen werden, wenn der Bescheid durch wissentlich unwahre Angaben oder durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden ist.

Abs 3 Die Bestimmungen der Abgabenvorschriften über die Änderung und den Widerruf von Bescheiden der im Abs. 1 bezeichneten Art bleiben unberührt.

Abs 4 Die Entscheidung über Änderungen und Zurücknahmen nach Abs. 1 und 2 steht der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des zu ändernden bzw. zurückzunehmenden Bescheides zuständig war oder vor Übergang der Zuständigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde oder einer Säumnisbeschwerde (§ 284 Abs. 3) zuständig gewesen wäre. Ist die diesbezügliche Zuständigkeit auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen, so steht die Entscheidung der zuletzt zuständig gewordenen Abgabenbehörde zu."

Rechtliche Erwägungen ob das Finanzamt ermächtigt war, den Ursprungsbescheid vom durch den Bescheid vom gem § 107 Abs. 10 EStG zu derogieren:

Aufgrund des § 107 Abs. 1 und Abs 4. EStG wurde der Bf. Mietzinsbeihilfe gewährt und darüber bescheidmäßig abgesprochen, da sie die Voraussetzungen hierfür erfüllte. In den Gesetzesmaterialien zum Steuerreformgesetz 2015/2016 findet sich Folgendes unter den Erläuterungen:

"Nach der geltenden Regelung zu Mietzinsbeihilfen werden auf Antrag des Mieters bestimmte Erhöhungen des gesetzlichen Hauptmietzinses als außergewöhnliche Belastung steuerlich berücksichtigt, wenn die Erhöhung aufgrund der Einhebung eines Erhaltungsbeitrages oder aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung erfolgt. Voraussetzung für die Mietzinsbeihilfe ist ein maximales Einkommen des Mieters von 7 300 Euro jährlich. Die außergewöhnliche Belastung wird durch Zahlung eines monatlichen Betrages abgegolten. Der Abgeltungsbetrag wird mittels Bescheid festgesetzt.

Diese Förderung ist sehr verwaltungsintensiv und soll daher abgeschafft werden. Aufgrund der niedrigen Einkommensgrenze kann diese Beihilfe nur von wenigen Personen in Anspruch genommen werden.

Zudem bestehen eventuelle Doppelgleisigkeiten mit vergleichbaren Förderungen. In der Praxis wird die Mietzinsbeihilfe trotz höherem Einkommen als 7 300 Euro beantragt, da der abweisende Bescheid des Finanzamtes für die Beantragung einer Förderung bei den Bundesländern benötigt wird, was zu einemunnötigen Aufwand in den Finanzämtern führt. Die Abschaffung entspricht der Empfehlung der Steuerreformkommission".

Der Gesetzgeber hat somit die Gesetzesänderung, die Abschaffung der Mietzinsbeihilfe begründet. Die Verantwortung solcher Gesetzesänderungen überlässt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) prinzipiell dem einfachen Gesetzgeber, welcher die Abwägung zwischen den einzelnen Grundrechten vornehmen muss. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat bereits in der Vergangenheit zur Änderung des § 107 EStG Stellung bezogen. Dabei ging es um die Änderung des § 107 Abs 4 EStG nach dem AbgÄG 1989, worin ebenso streitanhängig war, ob der rechtskräftige Ursprungsbescheid der Gesetzesänderung im Wege stünde. Der VwGH hatte die Beschwerde behandelt, nachdem mit Beschluss vom , B 75/92-7, der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz (ab der Kundmachung des Gesetzes habe die Änderung für Alle gleich zu wirken) mangels Aussicht auf Erfolg ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hatte. Der VwGH hatte in der Folge unter GZ , 93/15/0025 wie folgt entschieden:

"Die Rechtsansicht des Beschwerdeführers, die Verwaltungsinstanzen hätten der durch Anfügung eines Satzes in den § 107 Abs. 4 EStG 1988 durch das AbgÄG 1989 geänderten Rechtslage für Zeiträume nach dem wegen der Rechtskraft des Bescheides vom nicht zum Durchbruch verhelfen dürfen, ist verfehlt. Die Rechtskraft eines Bescheides, die bewirkt, dass er grundsätzlich unabänderlich ist, begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur bei unverändertem Sachverhalt UND unveränderter Rechtslage das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache. Bei Änderung des maßgebenden Sachverhaltes ODER der für die Entscheidung maßgebend gewesenen Rechtslage besteht dieses Hindernis jedoch nicht (siehe z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/09/0016, m. w.N.)….

Unterscheidet er (gemeint: der Gesetzgeber) nicht zwischen schon rechtskräftigen und noch nicht rechtskräftigen Fällen, so stellt ein rechtskräftiger Bescheid kein Hindernis für die Vollziehung der neuen, unmittelbar wirksamen Gesetzesbestimmungen dar; diesfalls ist die Heranziehung anderer Vorschriften (wie etwa der verfahrensrechtlichen Bestimmungen der BAO über die Wiederaufnahme des Verfahrens) überflüssig.

Nichts anderes kann für die im angefochtenen Bescheid für Zeiträume nach dem herangezogene neue Rechtslage gelten. Darauf, ob die Voraussetzungen für eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides gemäß § 294 BAO vorliegen, kommt es somit im Beschwerdefall nicht an.".

Somit sind die Beschwerdepunkte auf Grund der bestehenden Judikatur beantwortet. Die Grundrechtsabwägung hat der Gesetzgeber in Eigenverantwortung mit dem Steuerreformgesetz 2015/2016 vorgenommen und in den Erläuterungen der diesbezüglichen Gesetzesmaterialien die Einstellung der Mietzinsbeihilfe begründet. Laut VfGH ist mit dieser Art der Änderung, nämlich, dass durch die gesetzliche Einstellung der Beihilfe für Alle per Stichtag, der verfassungsmäßige Gleichheitsgrundsatz gewahrt. Der VwGH verweist darauf, dass die bestehende Gesetzesänderung keinen Anwendungsfall des § 294 BAO darstellt und die Gesetzesänderung die Rechtskraft bereits bestehender Bescheide durchbricht, wenn der Gesetzgeber keine Unterscheidung zwischen rechtskräftigen und nicht rechtskräftigen Fällen vornimmt. Mangels dieser Unterscheidung durch den Gesetzgeber war somit seitens des Finanzamtes ein neuer Bescheid auf Grund der Gesetzesänderung auszustellen, welcher die monatliche Zahlung der Mietzinsbeihilfe mit Ablauf des beendete.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Grund der bestehenden Judikatur des VwGH ist die Revision abzuweisen.

Graz, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7100691.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at