Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.05.2024, RV/3100557/2021

Beschwerde gegen Aufhebungsbescheide gem. § 299 BAO: Stattgabe, da im Ermessen die Geringfügigkeit der Abweichung (bei richtiger Beurteilung), sowie die Unverhältnismäßigkeit der Auswirkungen (aufgrund der Unrichtigkeit der neuen Sachbescheide) zu berücksichtigen war.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, Bf_Adr, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Aufhebung gem. § 299 BAO iZm ESt 2014 bis 2018, Steuernummer Bf_StNr zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Am reichte der Beschwerdeführer (Bf) für die Jahre 2017 und 2018, am für die Jahre 2014 bis 2016 die Einkommensteuererklärungen (Arbeitnehmerveranlagungen) ein. Die Einkommensteuerbescheide für sämtliche Jahre ergingen, am .

2. Gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2017 erhob der Bf am Beschwerde; in den Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die geltend gemachten Werbungskosten teilweise anerkannt.

3. Nachdem der Bf am den Vorlageantrag betreffend die Jahre 2014 bis 2017 gestellt hatte, richtete die Abgabenbehörde am ein umfangreiches Ergänzungsersuchen zu doppelter Haushaltsführung, Familienheimfahrten, Pendlerpauschale/-euro und Fachliteratur an ihn. Der Bf nahm daraufhin mit Schreiben vom den Vorlageantrag zurück. Der Bf begründete die Zurücknahme damit, dass der Aufwand der Beantwortung des Ergänzungsersuchens in Anbetracht des ungesicherten Ausgangs des Rechtsmittelverfahrens zu groß sei.

4. Mit den hier angefochtenen Bescheiden vom hob die Abgabenbehörde die Beschwerdevorentscheidungen vom für die Jahre 2014 bis 2017 sowie den Einkommensteuerbescheid 2018 vom gemäß § 299 BAO auf; ebenfalls am ergingen neue Beschwerdevorentscheidungen (2014-2017) bzw. ein neuer Erstbescheid (2018).

Die Aufhebungsbescheide waren wie folgt begründet:
"Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist."

Die neuen Sachbescheide enthielten ausführliche Begründungen darüber, weshalb die im Einkommensteuerbescheid 2018 bzw. den Beschwerdevorentscheidungen 2014 bis 2017 anerkannten Werbungskosten tatsächlich nicht zu gewähren seien. Zum Pendlerpauschale führte die Abgabenbehörde zusammengefasst aus, es seien keine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern Dienstreisen absolviert worden. Ferner seien vom Arbeitgeber das Pendlerpauschale übersteigende Kilometergelder ausbezahlt worden und habe keine tägliche Rückkehr an den Wohnort stattgefunden. Es bestünden daher Bedenken an der Richtigkeit der Berechnung des Pendlerpauschales durch den Bf, die dieser auf Aufforderung nicht widerlegt habe. Mangels Anspruch auf ein Pendlerpauschale stehe auch kein Pendlereuro zu. Auch die Voraussetzungen für die Familienheimfahrten habe der Bf auf Aufforderung nicht dargetan, und habe keine Dienstreise eine über zwei Wochen dauernde Abwesenheit vom Wohnsitz in Wohnort_Bf zur Folge gehabt. Der Aufforderung, den beruflichen Zusammenhang iZm den Mitgliedschaften (samt Zeitungsbezug) bei der WE_Vereinigung und bei der M_Vereinigung sei der Bf ebenfalls nicht nachgekommen.

5. Am erhob der Bf Beschwerde gegen die Aufhebungsbescheide gem. § 299 BAO. Zur Begründung brachte er vor, eine Aufhebung gem. § 299 BAO sei nur zulässig, wenn der Bescheidspruch offensichtlich falsch sei. Doch die mit den Beschwerdevorentscheidungen gewährten Werbungskosten seien dem Wesen und der Höhe nach anzuerkennen; eine Unrichtigkeit des Spruchs liege nicht vor. Die Aufhebung der Beschwerdevorentscheidungen 2014 bis 2018 (Anm.: betreffend das Jahr 2018 wurde der Erstbescheid vom aufgehoben) sei unzulässig, weshalb der Bf beantrage, die Aufhebungsbescheide aufzuheben und anstelle der Beschwerdevorentscheidungen vom die rechtmäßigen Beschwerdevorentscheidungen vom wiedereinzusetzen.

6. Nach Abweisung dieser Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , in welcher die Abgabenbehörde auf den Vorrang der Rechtsrichtigkeit vor der Rechtssicherheit, sowie auf die Begründungen der neuen Sachbescheide vom verwies, wurde am der Vorlageantrag eingebracht.

Der Bf brachte vor, dass er seiner Mitwirkungs- und Offenlegungspflicht bereits im Verfahren zur Beschwerde vom umfassend nachgekommen und alle Umstände zu den von ihm geltend gemachten Werbungskosten nach bestem Wissen und Gewissen bekanntgegeben habe; mit Beschwerdevorentscheidung vom seien die geltend gemachten Ausgaben berücksichtigt worden. Sollte der Abgabenbehörde ein Verfahrensfehler unterlaufen sein, weil sie ihrer Pflicht zur Überprüfung der von ihm gemachten Angaben nicht nachgekommen sei, hindere dies zwar nicht die Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO, allerdings liege eine solche im Ermessen der Abgabenbehörde. Da der Bf als Rechtsunterworfener davon ausgehen habe können, dass die Abgabenbehörde seine Angaben ordnungsgemäß überprüft habe, sei durch die Bescheidaufhebung der Grundsatz von Treu und Glauben verletzt worden. Da dies eine sachliche Unbilligkeit darstelle, werde ein Fehler bei der Ermessensübung eingewendet.

Falls die Abgabenbehörde die Auffassung vertrete, es liege keine sachliche Unbilligkeit vor, sei die gänzliche Aberkennung der Kosten im Rahmen der Bescheidaufhebung dennoch nicht rechtskonform. Im Weiteren erstattete der Bf ein umfangreiches inhaltliches Vorbringen zu den geltend gemachten Werbungskosten und legte umfangreiche Unterlagen zur Untermauerung dieses Vorbringens vor.

Eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen seitens der Abgabenbehörde ist im Vorfeld der Vorlage des Rechtsmittels nicht erfolgt.

II. Sachverhalt

1. Der Bf erzielte im Beschwerdezeitraum Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit beim Ö_Verband. In dieser Tätigkeit als Revisor/Prüfer wurde er von seinem Arbeitgeber zu ständig wechselnden Einsatzorten in ganz Österreich, nämlich den Betriebsräumlichkeiten der jeweils zu prüfenden X_Vereinigungen, entsendet.

Der Hauptwohnsitz des Bf befand sich im Beschwerdezeitraum in Bf_Adr; darüber hinaus verfügte der Bf über eine Wohnung in W_Adr, welche er ua nutzte, wenn er sich im Zuge seiner Prüftätigkeit in Ort_W aufhielt. Den Aufwand für diese Wohnung machte der Bf im Beschwerdezeitraum als Kosten der doppelten Haushaltsführung geltend.

Soweit die Prüftätigkeit in Ort_I oder Ort_R stattfand, trat der Bf die Fahrten zu den Einsatzorten von seinem Wohnsitz in Wohnort_Bf aus an; für diese Fahrten beanspruchte der Bf das Pendlerpauschale gem. § 16 Abs. 1 Z. 6 EStG 1988 sowie den Pendlereuro. Wurde er an einem anderen Einsatzort in Österreich tätig, übernachtete der Bf im Hotel. Für Heimfahrten von der Wiener Wohnung sowie Fahrten von den anderen Einsatzorten an den Wohnsitz in Wohnort_Bf machte der Bf im Beschwerdezeitraum Kosten für monatliche Familienheimfahrten geltend. Im Vorlageantrag vom räumte der Bf ein, dass es sich hierbei auch um Kosten für Dienstreisen gehandelt habe, im Zuge welcher er von Einsatzorten, an denen er im Hotel genächtigt habe, zu seinem Wohnsitz in Wohnort_Bf gefahren sei.

Als weitere Werbungskosten beanspruchte der Bf im Beschwerdezeitraum Ausgaben für Fachliteratur, Mitgliedschaften bei der M_Vereinigung und der WE_Vereinigung, sowie Gewerkschaftsbeiträge und Betriebsratsumlage.

2. Der Bf rechnete mit seinem Arbeitgeber in den Jahren 2014 bis 2018 ua Kilometergelder ab, die im Rahmen der Gehaltsabrechnung überwiegend steuerfrei, für vereinzelte Monate auch steuerpflichtig ausbezahlt wurden. Steuerpflichtige Kilometergelder wurden 2015 bis 2018 ausschließlich für solche Abrechnungszeiträume ausbezahlt, in denen der Bf in Ort_I oder Ort_R tätig war.

3. Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Akteninhalt, resp. den vom Bf vorgelegten Aufzeichnungen.

III. Rechtslage und Erwägungen

1. Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.
Mit dem aufhebenden Bescheid ist gem. Abs. 2 leg. cit. der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden.

2. § 299 gestattet Aufhebungen, wenn der Bescheid sich als nicht richtig erweist. Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt (etwa bei einer unrichtigen Auslegung einer Bestimmung, bei mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, bei Übersehen von Grundlagenbescheiden), ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 nicht ausschlaggebend. Die Aufhebung setzt weder ein Verschulden der Abgabenbehörde noch ein Verschulden (bzw. ein Nichtverschulden) des Bescheidadressaten voraus. Lediglich bei der Ermessensübung könnte ausnahmsweise dem Verschulden der Behörde bzw. der Partei Bedeutung zukommen. (Ritz/Koran, BAO7, § 299 Tz 9ff, mwN)

3. Im Beschwerdefall gewährte die Abgabenbehörde mit teilweise stattgebenden Beschwerdevorentscheidungen vom bzw. Einkommensteuerbescheid vom in den Jahren 2014 bis 2018 folgende Werbungskosten: Pendlerpauschale, Familienheimfahrten, Gewerkschaftsbeiträge, Betriebsratsumlage und Fachliteratur; die doppelte Haushaltsführung wurde nicht gewährt. Die genannten Bescheide wurden am gem. § 299 Abs. 1 BAO aufgehoben und durch neue Beschwerdevorentscheidungen bzw. einen neuen Einkommensteuerbescheid ersetzt, in welchen (soweit nachvollziehbar) nur noch die Gewerkschaftsbeiträge und die Betriebsratsumlage, sowie tw. Fachliteratur als Werbungskosten anerkannt wurden.

Es wird festgehalten, dass die Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung, da sie im ursprünglichen Verfahren nicht gewährt worden waren, nicht (mit)ursächlich für die Erlassung der nunmehr bekämpften Aufhebungsbescheide gem. § 299 BAO waren; ob diese Werbungskosten zu berücksichtigen gewesen wären, muss dahingestellt bleiben.

Gemäß § 16 Abs. 1 Z. 6 EStG 1988 sind Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten. Diese Ausgaben sind zwar grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag abgegolten, jedoch steht uU ein Pendlerpauschale bzw. ein Pendlereuro zu, welche nach lit. e leg. cit. allenfalls zu aliquotieren sind.

Zum Pendlerpauschale vertrat die Abgabenbehörde in den neuen Sachbescheiden vom die Ansicht, dass im Fall des Beschwerdeführers keine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern Dienstreisen vorgelegen seien und überdies vom Arbeitgeber Kilometergelder ausbezahlt worden seien, die das Pendlerpauschale überstiegen. Auch sei keine tägliche Rückkehr zur Wohnung des Bf erfolgt.

Der Bf machte das Pendlerpauschale für jene Einsatztage bzw. -monate geltend, an/in denen er sich von seinem Wohnsitz in Wohnort_Bf aus an die Einsatzorte Ort_I bzw. Ort_R begab, und stützte sich dabei auf die Lohnsteuerrichtlinien-Randzahl 706b. Im Vorlageantrag vom machte der Bf erstmals in eventu Kilometergelder als Differenzreisekosten geltend. Wörtlich führte der Bf dazu aus wie folgt:
"Mein Familienwohnsitz ist in Bf_Adr. Das Pendlerpauschale setzte ich ausschließlich für jene Einsätze, die in Ort_I stattfanden, an, von wo ich täglich nach Hause gefahren bin. Die Wegstrecke zwischen Wohnort_Bf meinen Einsatzorten war mehr als 60 Kilometer (einfache Wegstrecke). Wie ersichtlich ist, wurde das Pendlerpauschale nur für jene Monate angesetzt, in denen ich zumindest 4 Fahrten nach Ort_I hatte. Es wurde zudem die Aliquotierung bei weniger als 11 Fahrten berücksichtigt. Eine generelle Aberkennung der Kosten ohne Begründung ist nicht zulässig. Sollte die Abgabenbehörde der Ansicht sein, dass es sich nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte handelt, was bei genauerer Überprüfung der Fall ist, da es eine vorübergehende Entsendung an einen Einsatzort ist, dann sind anstelle des Pendlerpauschales und Pendlereuros jedoch die tatsächlichen Kosten anzuerkennen."

Aus den vom Bf vorgelegten Unterlagen, insbesondere den Gehaltsabrechnungen, ist ersichtlich, dass dem Bf von seinem Arbeitgeber auch für Zeiträume, für welche der Bf das Pendlerpauschale geltend machte, steuerfreie Kilometergelder ausbezahlt worden waren, welche betragsmäßig das Pendlerpauschale für den jeweiligen Zeitraum überstiegen. Konkret handelte es sich um die Zeiträume Mai 2015, Juni 2016 und 2017, sowie März, April und Juni 2018; 2014 wurden ausschließlich steuerfreie Kilometergelder ausbezahlt. Dieser Umstand wurde dem Bf vom Bundesfinanzgericht vorgehalten; der Bf ist dieser Feststellung nicht entgegengetreten.

Steuerpflichtige Kilometergelder wurden dem Bf, wie bereits erwähnt und wie ebenfalls aus den vorgelegten Gehaltsabrechnungen ersichtlich ist, ausschließlich für die Zeiträume ausbezahlt, in denen der Bf in Ort_I oder Ort_R tätig war.

Pendlerpauschale und Pendlereuro wurden seitens der Abgabenbehörde nicht gewährt, da diese das Vorliegen von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte insgesamt in Abrede stellte. Eine differenzierte Auseinandersetzung damit, dass der Bf Fahrten zu den Einsatzorten Ort_I und Ort_R tatsächlich von seiner Wohnung in Wohnort_Bf aus angetreten hat, ist nach den Begründungen der angefochtenen Bescheide nicht erfolgt. Für jene Zeiträume, in denen der Bf an zumindest vier Tagen in Ort_I bzw. Ort_R tätig wurde und für diese Tage keine steuerfreien Kilometergelder ausbezahlt bekam, stünde ihm das Pendlerpauschale - unter Berücksichtigung der von der Abgabenbehörde zu beachtenden Lohnsteuerrichtlinien -, korrespondierend der Pendlereuro jedoch zu, und zwar in folgendem Ausmaß:

[...]

4. Kosten für Familienheimfahrten sind im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten absetzbar. Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung sind die Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr zum Familienwohnsitz sowie die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung. Letztere ist ua, wie im Fall des Bf, bei ständig wechselnden Arbeitsstätten zu bejahen (Zorn in Doralt et al, EStG21, § 16 Tz 202/1; 202/5). Aufwendungen für Familienheimfahrten stehen auch einem alleinstehenden Steuerpflichtigen zu, wobei idR monatliche Heimfahrten als ausreichend angesehen werden (Zorn in Doralt et al, EStG21, § 16 Tz 202/25).

Der Bf hat Kosten für Familienheimfahrten geltend gemacht, wenn er arbeitsbedingt seine Wohnung in Ort_W benützt, oder sich an anderen Einsatzorten in Österreich aufgehalten hat, von welchen aus eine tägliche Rückkehr an den Wohnsitz nicht zumutbar war. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass dies in den Beschwerdejahren tw. über Monate hinweg der Fall war: 2014 vier Monate, 2015 zweieinhalb Monate, 2016 ein Monat bzw. drei Monate, 2017 ein Monat bzw. ein halbes Jahr. Vom Bf wurden als Aufwendungen Kilometergelder für monatliche Heimfahrten, abzüglich vom Arbeitgeber vergüteter Reisekosten, geltend gemacht. Wie oft er tatsächlich nach Hause gefahren ist, nämlich nach seinen Angaben jedes Wochenende, ist für die Anerkennung der geltend gemachten Werbungskosten aus Familienheimfahrten nicht von Relevanz.

Die Abgabenbehörde führte zum Thema Familienheimfahrten in den angefochtenen Bescheiden aus, der Bf habe den Grund für seine Heimfahrten - auch auf Aufforderung - nicht dargelegt; ferner habe keine Dienstreise eine durchgehende über zwei Wochen dauernde Abwesenheit von seinem Wohnsitz in Wohnort_Bf zur Folge gehabt.

Besagte Aufforderung erging mit Vorhalt vom an den Bf und blieb unbeantwortet, weil der Bf im Weiteren den Vorlageantrag zurückzog. Ein weiterer Vorhalt im gegenständlichen Verfahren betr. Aufhebung gem. § 299 BAO ist nicht ergangen. Wie oft der Bf von seinen Einsatzorten tatsächlich nach Hause gefahren ist, steht, wie erwähnt, mit der Anerkennung von Werbungskosten für monatliche Heimfahrten in keinem Zusammenhang. Die Gewährung der Aufwendungen für Familienheimfahrten in den aufgehobenen Beschwerdevorentscheidungen bzw. dem aufgehobenen Erstbescheid 2018 ist somit nicht als unrichtig zu erkennen.

5. Bei den vom Bf geltend gemachten Aufwendungen für Fachliteratur handelte es sich einerseits um Mitgliedsbeiträge zur M_Vereinigung und zur WE_Vereinigung (WE_V), da diese Mitgliedschaft nach dem Vorbringen des Bf Voraussetzung für den Bezug der Mitgliederzeitungen/Magazine dieser Vereinigungen gewesen sei. Laut Homepage der WE_V besteht eine Downloadmöglichkeit der Publikation der WE_V nur für Mitglieder. Auf der Homepage der M_Vereinigung sind die Publikationen frei zum Download verfügbar. Dem dahingehenden Vorhalt durch das Bundesfinanzgericht ist der Bf nur allgemein entgegengetreten, brachte jedoch vor, die M_Vereinigung auch über den Zeitungsbezug hinaus im Rahmen seiner revisorischen Tätigkeit konsultiert zu haben. Dass ihm diese Möglichkeit nur aufgrund seiner Mitgliedschaft offen gestanden wäre, hat er jedoch nicht ausdrücklich behauptet.

Darüber hinaus hat der Bf in den Beschwerdejahren Aufwendungen für Fachliteratur geltend gemacht, welche von der Abgabenbehörde - außer für das Jahr 2016, sowie 2017 für "Buch_1" - unter Verweis auf § 20 EStG 1988 nicht anerkannt wurden. Anzumerken ist jedoch, dass der für das Jahr 2016 in Abzug gebrachte Werbungskostenbetrag aus dem Akteninhalt nicht nachvollziehbar ist. Da für das Bundesfinanzgericht jedoch der berufliche Zusammenhang der angeführten Werke (Buch_2, Buch_3, Buch_4 bzw. Buch_5) außer Zweifel steht, wird im gegenständlichen Erkenntnis ein abweichender Betrag unter Zugrundelegung der vom Bf für 2016 vorgelegten Aufstellung der Berechnung zugrunde gelegt.

Soweit es die Werke "Buch_6", "Buch_7" und "Buch_8" angeht, kann der Abgabenbehörde in ihrer Beurteilung, eine tatsächliche Berufsbezogenheit sei vom Bf nicht nachgewiesen worden, nicht entgegengetreten werden.

6. Die Begründung des Aufhebungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 darzulegen (). Sie hat weiters die Gründe für die Ermessensübung eingehend darzustellen (). Ein Hinweis auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wird vielfach ausreichend sein (vgl. ; , 98/15/0123, Hinweis auf den Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit im Hinblick auf die nicht bloß geringfügigen Folgen), nicht jedoch, wenn anderen Kriterien nach den Umständen des Einzelfalles maßgebende Bedeutung bei der Ermessensübung zukommt. (aao, Tz 40, mit Verweis auf die zitierte Rspr.)

7. Die Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde.

Sinn des § 299 BAO ist es, in seinem Anwendungsbereich dem Prinzip der Rechtmäßigkeit Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zukommen zu lassen (zB ). Dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu (zB ). Die Ausübung eines vom Zweck des § 299 BAO geleiteten Ermessens hat daher grundsätzlich die Aufhebung des Bescheids zu ergeben. Rechtmäßige und gleichmäße Besteuerung sind nämlich dann am ehesten sichergestellt, wenn die Behörde einen unrichtigen Bescheid aufhebt. Der von § 299 BAO eingeräumte Ermessensspielraum ist daher so eng, dass ein unrichtiger Bescheid fast immer aufzuheben sein wird. Ein Absehen von der Aufhebung aus Ermessenserwägungen ist daher als Ausnahmefall, der besonderer Gründe bedarf, anzusehen. So kann eine Aufhebung etwa dann unterlassen werden, wenn die - mangels Aufhebung weiterbestehende - Rechtswidrigkeit geringfügig ist (vgl ), wenn die durch eine amtswegige Aufhebung entstehende Nachforderung gar nicht einbringlich wäre (vgl Ritz/Koran, BAO7 § 299 Rz 58), oder wenn eine amtswegige Aufhebung ungebührlich wäre, weil die Partei ausnahmsweise auf den (Weiter-)Bestand des Bescheids nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vertrauen darf (vgl Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 299 Anm 4; Gassner in Holoubek/Lang, Vertrauensschutz im Abgabenrecht 283 [295]).
(Fiala in Rzeszut/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO: Stoll Kommentar - Digital First2.06 [2023] § 299 BAO Rz 52 u. 53, mit den angeführten Verweisen)

8. Wie oben dargestellt, kann der Abgabenbehörde in ihrer Beurteilung der fehlenden Abzugsfähigkeit der geltend gemachten Werbungskosten, welche zur Erlassung der angefochtenen Aufhebungsbescheide führte, nicht vollumfänglich gefolgt werden.

Die Abgabenbehörde wurde mit Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom nicht nur aufgefordert, aufgrund des Vorbringens des Bf und der im gegenständlichen Verfahren, va mit dem Vorlageantrag und einer ergänzenden Eingabe vorgelegten umfangreichen Unterlagen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob allfällig Werbungskosten in größerem Umfang als in den neuen Sachbescheiden anzuerkennen gewesen wären, sondern auch, auf Grundlage dieser Beurteilung eine Ermessensübung vorzunehmen. Dem ist die Abgabenbehörde nicht in der aufgetragenen Weise nachgekommen bzw. wurde die Frage des Ermessens überhaupt nicht behandelt.

Folgende Werbungskosten und Pendlereuro wurden in den aufgehobenen Beschwerdevorentscheidungen 2014 bis 2017 bzw. im aufgehobenen Erstbescheid 2018 nach den obigen Ausführungen zu Recht anerkannt, aber im Weiteren in den neuen Sachbescheiden gestrichen:

[...]

Hätte die Abgabenbehörde diese (zusätzlichen) Werbungskosten in Ansatz gebracht und lediglich die tatsächlich zu Unrecht geltend gemachten Werbungskosten gestrichen, hätte sich die Abweichung (gegenüber den aufgehobenen Bescheiden) für das Jahr 2014 auf € 465,00 (ggü. € 833,00) reduziert, für das Jahr 2015 auf € 335,00 (ggü. € 888,00), 2016 auf € 184,00 (ggü. € 1.009,00), 2017 auf € 171,00 (ggü. € 1.234,00) und 2018 auf € 225,00 (ggü. € 336,00), in Summe € 1.380,00 (ggü. € 4.300,00).

Damit kann festgestellt werden, dass die Sprüche der aufgehobenen Bescheide zwar unrichtig iSd § 299 BAO waren, jedoch nicht annähernd im von der Abgabenbehörde angenommenen Umfang. Die Entscheidung über eine Bescheidaufhebung verlangt, neben Beachtung der bereits erwähnten Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bzw. Rechtsrichtigkeit, eine Interessensabwägung nach § 20 BAO unter Bedachtnahme auf Billigkeit und Zweckmäßigkeit (Stoll, Ermessen im Steuerrecht2, 286f). Die Ermessensübung hat dann zugunsten der Rechtsbeständigkeit auszufallen, wenn die Abänderung des wiederaufzunehmenden Bescheides sowohl absolut als auch relativ geringfügig ausfallen würde. Die absolute Geringfügigkeit stellt auf die absolute Höhe des infolge der Wiederaufnahme entstehenden Abgabennachforderungsbetrages ab. Die relative Geringfügigkeit ist anhand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmegründe im Verhältnis zum bisherigen Steuerbetrag oder den bisherigen Steuerbemessungsgrundlagen zu beurteilen (Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger (Hrsg), BAO: Stoll Kommentar - Digital First2.06 (2023) § 303 BAO Rz 64, mwN)

Die Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen ist bei der Wiederaufnahme betreffend mehrere Verfahren aufgrund derselben Wiederaufnahmegründe nicht gesondert, sondern in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Das bedeutet, dass für die Frage, ob eine absolute oder relative Geringfügigkeit vorliegt, die steuerlichen Auswirkungen mehrerer Jahre aufzusummieren bzw. zu saldieren sind (Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger (Hrsg), BAO: Stoll Kommentar - Digital First2.06 (2023) § 303 BAO Rz 65, mwN)
Nichts anderes gilt für eine Aufhebung gem. § 299 BAO.

Die Einkommensteuer lt. gem. § 299 BAO aufgehobenen Bescheiden betrug in den Beschwerdejahren zwischen rd. € 26.000,00 im Jahr 2018 (Anm.: im Ruhestand ab August) und rd. € 34.000,00 im Jahr 2015, in Summe konkret € 148.492,17. Wie oben ausgeführt, würde die korrekt ermittelte steuerliche Auswirkung über alle fünf Beschwerdejahre € 1.380,00, also weniger als 1 % des genannten Steuerbetrages, betragen. Sowohl relativ als auch absolut betrachtet, sind die steuerlichen Auswirkungen daher lediglich als geringfügig anzusehen.

Darüber hinaus ist es so, dass die nach der Aufhebung gem. § 299 BAO erlassenen neuen Sachbescheide ebenfalls nicht "richtig" waren, sohin das angestrebte Ziel der Rechtsrichtigkeit durch die Aufhebung gem. § 299 BAO und Erlassung neuer Sachbescheide nicht nur verfehlt, sondern sogar eine gröbere Unrichtigkeit bewirkt wurde. Wie bereits erwähnt, ergab sich nämlich aufgrund der Aufhebung gem. § 299 BAO und Erlassung neuer Sachbescheide eine Nachforderung von insgesamt € 4.300,00. Durch Belassung der ausschließlich bekämpften Aufhebungsbescheide im Rechtsbestand würde der Bf durch die Unverhältnismäßigkeit der Auswirkungen in unbilliger Weise belastet.

Der Beschwerde gegen die Aufhebungsbescheide vom war daher stattzugeben und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Durch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide tritt das Verfahren gem. § 299 Abs. 3 BAO in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung befunden hat. Die Sachbescheide vom scheiden aus dem Rechtsbestand aus. Die ursprünglichen Beschwerdevorentscheidungen 2014 bis 2017 vom bzw. der Erstbescheid 2018 vom leben wieder auf.

Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdeverfahren war primär die Tatfrage zu lösen, in welchem Umfang tatsächlich eine Unrichtigkeit der aufgehobenen Beschwerdevorentscheidungen 2014 bis 2017 bzw. des aufgehobenen Erstbescheides 2018 gegeben war. Die Ermessensübung erfolgte im Weiteren auf Grundlage der in den angeführten Kommentarstellen zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100557.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at