Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.05.2024, RV/6100393/2023

Dauernde Erwerbsunfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe , Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrenslauf und entscheidungsrelevanter Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist am ***2***1989 geboren. Er hat am ***2***2010 das 21. Lebensjahr und am ***2***2014 das 25. Lebensjahr vollendet. Seit bezieht er eine Leistung aus der Sozialhilfe, seit die bedarfsorientierte Mindestsicherung (siehe dazu auch Bescheid Land Salzburg, BH ***1*** vom ). Laut Aktenlage war der Bf bis 03/2009 in einer Berufsausbildung. Der Grundbetrag der FB wurde bis 12/2012 gewährt (siehe dazu Vorlagebericht des Finanzamtes vom ).

Am beantragte der Bf über FinanzOnline für sich die Gewährung der Familienbeihilfe (FB) und stellte am den Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, weil seiner Ansicht nach Erwerbsunfähigkeit vorliegen würde. Dem Antrag fügte der Bf die letzten 3 Seiten des im Auftrag des Bezirksgerichtes Salzburg erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachtens von ***ab***, Facharzt für Psychiatrie, sowie die Ablichtung der Vorder- und Rückseite seines Behindertenpasses, gültig ab ***3***2019, bei.

In Beantwortung eines Ergänzungsauftrages durch die Behörde vom gab der Bf am bekannt, alleine in seiner Wohnung zu wohnen und legte eine Aufstellung der monatlichen Kosten, die er mit Hilfe der Sozialunterstützung vom Land Salzburg bestreiten würde, bei. Seine Eltern würden keinerlei Unterhalt an ihn zahlen. Der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur FB wegen erheblicher Behinderung sowie ein Einkommensnachweis wurden übermittelt.

Die Finanzbehörde wies den Antrag des Bf auf Gewährung der FB vom ab.

Am brachte der Bf Beschwerde ein.

Das im März 2023 amtsseitig vom Sozialministeriumservice eingeholte Gutachten bescheinigte dem Bf eine erhebliche Behinderung von 70% ab Oktober 2014 (dissoziale
Persönlichkeitsstörung, durchgängige Beeinträchtigung in allen sozialen Bereichen) sowie eine ab Oktober 2014 dauernde Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung, dass eine selbstständige Unterhaltsverschaffung aus dem bisherigen Krankheitsverlauf nicht möglich und eine Besserung der Symptomatik nicht zu erwarten ist.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde des Bf unter Hinweis auf das Gutachten des Bundessozialamtes vom als unbegründet ab.

Daraufhin stellte der Bf den Antrag, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der Bf verwies auf das Gutachten des ***ab***, der in seinem Gutachten festhielte, dass sein Krankheitszustand seit den Kinder- bzw. Jugendtagen bestehen würde.

II. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf den Inhalt des Verwaltungsaktes, auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen der belangten Behörde bzw. des Bf sowie auf die Ergebnisse der vom Bundesfinanzgericht (BFG) durchgeführten Ermittlungen.

Den Feststellungen zu den Erkrankungen des Bf und dem Grad der Behinderung liegt die Gesamtbeurteilung des Sozialministeriumservice vom zugrunde.

Hinsichtlich der entscheidenden Frage, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt bzw. wenn ja, ob diese vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, folgt das Gericht der Gesamtbeurteilung des Sozialministeriumservice vom .

III. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), idgF, haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe

lit a) für minderjährige Kinder, ….

lit c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,

lit h) für volljährige Kinder, die erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25 Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind nicht anzuwenden:

Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 10 Abs. 3 FLAG 1967 werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden.

Gemäß § 10 Abs. 4 FLAG 1967 gebührt für einen Monat Familienbeihilfe nur einmal.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

IV. Erwägungen

Für volljährige Kinder, die nicht mehr in Berufsausbildung sind oder das 24. bzw. in bestimmten Fällen das 25. Lebensjahr überschritten haben, besteht gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe, und zwar auf erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden. Der Nachweis der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 (ausschließlich) durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu führen (vgl. ). Auch eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit infolge einer psychischen Erkrankung vermittelt einen Familienbeihilfeanspruch (vgl. ; ; ).

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 sieht zur Lösung der Frage, ob das Kind behindert oder voraussichtlich dauernd unfähig ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, die Nachweisführung ausschließlich durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vor.

Diese Bescheinigung hat gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu erfolgen.

Bei der Antwort auf die Frage, ob der Bf dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl. ; , und die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (vgl. ; ).

Eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einem Grad von mindestens 50 v.H. bzw. einer damit verbundenen voraussichtlichen dauernden Erwerbsunfähigkeit kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt, sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist bzw. eine damit verbundene voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht bzw. die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich zieht (vgl. ; ; ; ; ).

Im gegenständlichen Fall wurde seitens der Fachärzte des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) am ein ärztliches Sachverständigengutachten erstellt:
Im Gutachten vom wurde, unter Bedachtnahme und Berücksichtigung der Befunde von ***4*** vom , ***cd*** vom , ***ab*** vom und ***ef*** vom (siehe dazu die näheren Ausführungen im Gutachten), ausführlich und für das BFG sowohl schlüssig und nachvollziehbar begründet, dass ein Behinderungsgrund von 70% erreicht wird. Gleichzeitig wird festgestellt, dass mit der diagnostizierten Erkrankung des Bf (dissoziale Persönlichkeitsstörung) eine - nach dem Gesetz relevante - dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf besteht. Der Grad der Behinderung in Höhe von 70% und die Selbsterhaltungsunfähigkeit des Bf wurden im Gutachten allerdings erst ab Oktober 2014 bestätigt.

Zu diesem Zeitpunkt stand der Bf bereits im 26. Lebensjahr.

Nach der Regelung des § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 kann die erhöhte Familienbeihilfe nur dann gewährt werden, wenn im Gutachten des Sozialministeriumservice eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit einerseits und der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr oder während einer späteren Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres diagnostiziert wurde.

Damit sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung der FB bzw. des Erhöhungsbetrages zur FB nicht erfüllt.

In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage konnte der Beschwerde daher kein Erfolg beschieden sein und war spruchgemäß zu entscheiden.

V. Zulässigkeit der Revision

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da der hier zu lösenden Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesfinanzgericht folgt der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Salzburg, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at