Keine außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 bei Fehlen eines qualifizierten Nachweises für den Bestand eines Zusammenhangs zwischen Kosten (Heilbehandlungskosten) und einer Sehbehinderung im Sinne des § 35 EStG 1988
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Aigner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals des Finanzamtes Baden Mödling ) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2014, Steuernummer 16 ########, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist eine Pensionistin. Der Gesamtgrad ihrer Behinderung beträgt 70%. Laut dem Ergebnis der aktenmäßigen Beurteilung des Bundessozialamts vom leidet die Bf. dauerhaft an a) schweren degenerativen Veränderungen des rechten Kniegelenks, b) einem Meniskusschaden (linkes Kniegelenk), c) Fuß- und Zehenfehlstellungen beidseits. Aufgrund der funktionellen Einschränkungen waren die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Gehbehinderung" im Behindertenausweis der Bf. gegeben. Das Vorliegen einer Sehbehinderung wurde anlässlich der Untersuchung der Bf. beim Bundessozialamt im März 2010 nicht geprüft.
Mit der Einkommensteuererklärung der Beschwerdeführerin (Bf.) für das Jahr 2014 wurde die Anerkennung von Kosten - 7.775,96 € - als außergewöhnliche Belastungen bei Behinderung in Form des Eintrags des letztgenannten Betrages in der Spalte "Unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung (z.B. ärztliche Kosten, Medikamente)" der elektronischen Abgabenerklärung beantragt.
In Streit steht, ob die Kosten für eine Laseroperation (3.500 €), die augenärztliche Nachuntersuchung samt Brillenverschreibung (150,00 €) und eine Brille (960,00 €) als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 34 EStG 1988 mit Selbstbehalt zu beurteilen sind.
Mit dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 vom wurde den Kosten für die Behandlung eines Facharztes für Augenheilkunde samt Brille (4.610,00 €) die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 mit der Begründung versagt, dass das Augenleiden laut aktenmäßiger Beurteilung des Bundessozialamts vom nicht einschätzbar gewesen wäre. Da keine durch das Sozialministeriumservice festgestellte Behinderung vorliege, würden die geltend gemachten Kosten für Arzt und Brille nicht als behinderungsbedingt (außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt) anerkannt.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 wurde in der Beschwerde zu den in Streit stehenden Kosten und den Eintragungen im Behindertenausweis im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Eintragung einer Behinderung wegen eines Augenleidens zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Debatte gestanden wäre. Das Ansuchen hätte sich auf die Ausstellung eines Behindertenausweises aufgrund der starken Gehbehinderung bezogen. Wegen der gewünschten Auskünfte über den übrigen Gesundheitszustand habe die Bf. wahrheitsgemäß erwähnt, dass nach der ersten Cateractoperation linkes Auge im Spital 2007 noch eine solche des anderen Auges bevorstünde, die jedoch damals noch nicht unbedingt notwendig gewesen wäre und wegen einer Lidrandallergie nicht vorgenommen hätte werden können.
Nach dem in Kopie beiliegendem Schreiben des Bundessozialamtes vom hätte sich nach Befragung und Feststellung des ärztlichen Dienstes keine Änderung der Einschätzung ergeben. Der Behindertenpass sei entsprechend der ärztlichen Einstufung am ausgestellt worden.
Die Augen wären regelmäßig unter Kontrolle geblieben. Am habe der Augenarzt Dr. A1, A-Stadt, (siehe Befund vom , Untersuchung vom und (Befunde beiliegend) seiner Patientin Bf. mündlich erklärt, sie möge einen Augenfacharzt für ihre Operation selbst aussuchen. Die Diagnose der Fachordination von Dr. A2 sei die gleiche wie jene von Dr. A1 gewesen (Beilage). Die Operationsfreigabe sei wegen einer Lidrandinfektion nicht erteilbar gewesen.
Nach Erlangung der Kenntnis von Laseroperationen in A-Stadt habe die Bf. Dr. A3 konsultiert, welcher sich zur Durchführung einer Operation nach entsprechender Vorbereitung der Patientin bereit erklärt habe. Nach Erhalt einer Informationsbroschüre und der Einverständniserklärung der Bf. zur Operation zu den darin gestellten Bedingungen sei die Bf. am operiert worden.
Nach der Kontrolluntersuchung durch Dr. A3 und dem Erhalt von Antibiotika sei der Bf. einige Wochen später eine Gleitsichtbrille verschrieben worden, welche nach angekündigter Gewöhnungszeit von einigen Wochen noch immer nicht für den Computer verwendbar gewesen sei. Beim nächsten Kontrollbesuch bei Dr. A3 habe die Bf. erfahren, dass für diesen Zweck eine Einfachbrille, zugerichtet auf den cm-Abstand vom Bildschirm zweckmäßiger sei. Die Bf. habe die neue Sehprobe in der Praxis A2 vornehmen lassen. Verschiedene Eintropfungen und Wartezeiten hätten ergeben, dass eine Einsicht ins Augeninnere nicht möglich sei und deshalb eine Nachlaserung vorgenommen werden müsse. Seit der Nachlaserung von Dr. A2 stehe die Bf. unter regelmäßiger Kontrolle bei Dr. A2.
Mit der abweisenden Beschwerdevorentscheidung hielt die Amtsvertretung der Bf. vor, dass § 34 Abs. 3 EStG 1988 zufolge ein Freibetrag bei Vorliegen von körperlichen oder geistigen Behinderungen ab einem Grad der Behinderung von 25 % - gestaffelt nach dem prozentuellen Ausmaß - zustehe. Die Einstufung des Grades der Behinderung werde vom Sozialministeriumservice (ehemals Bundessozialamt) aufgrund der dort vorgelegten Befunde vorgenommen. Daneben könnten laut § 34 Abs. 6 EStG 1988 die mit diesem Leiden zusammenhängenden Aufwendungen (z.B. Heilbehelfe, Heilbehandlung, Medikamente, Diätverpflegung) ohne Abzug eines Selbstbehaltes abgesetzt werden. Da bei der hieramts vorliegenden letztgültigen Beurteilung vom Bundesozialamt am zwar eine 70%ige Erwerbsminderung der Bf. festgestellt worden wäre, allerdings "ein Augenleiden wegen fehlendem aktuellen Visusbefund beider Augen nicht eingeschätzt werden" hätte können, würden die steuerlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der mit einem Augenleiden im Zusammenhang stehenden Aufwendungen ohne Abzug eines Selbstbehaltes nicht vorliegen.
Mit dem Vorlageantrag wurde die Anerkennung von Kosten in Höhe von [Honorarnoten Dr. A3 (Facharzt für Augenheilkunde) + Brille =] 4.610,00 € als außergewöhnliche Belastung OHNE Selbstbehalt bei der Einkommensteuer 2014 aufgrund einer vorliegenden Behinderung beantragt. Begründet wurde der Antrag mit der bei der Bf. bereits im Ausmaß von 70% festgestellten Behinderung. Die Bf. sei durch ihre Gehbehinderung massiv eingeschränkt und immer (vor allem auch bei der Erledigung von Behördenwegen) auf Hilfe angewiesen. Daneben stehe die Bf. in ständiger Überwachung der Klinik Dr. A2 in A-Stadt wegen einer erst vorgenommenen Laseroperation beim zweiten Auge. Die durch diese Operation festgestellte Makulopathie und/oder das Makulaödem werde derzeit nur beobachtet. Ein notwendiger Eingriff (Injektionen ins Auge) werde "wegen des Alters der Patientin" nur im äußersten Notfall erfolgen (Erblindung drohe). Aufgrund dieser massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen habe die Bf. es verabsäumt, die Behinderung aufgrund des Augenleidens beim Bundessozialamt nachtragen zu lassen. Aus Sicht der Bf. handle es sich dabei um eine reine Formalität. Die Eintragung der entsprechenden Behinderung im Behindertenausweis mit Rückwirkung für 2014 sei beantragt.
Abschließend wurde die Nachreichung der Bescheinigung an das Finanzamt, sobald sie bei der Bf. vorliege, angekündigt.
Mit der abgabenbehördlichen Stellungnahme zum Vorlageantrag der Bf. im Vorlagebericht der Amtsvertretung vom wurde die Abweisung der Beschwerde mit der Begründung beantragt, dass die Bf. seit Jahren an einer Erkrankung der Augen leide, allerdings sei eine prozentuelle Behinderung vom Bundessozialamt wegen des Augenleidens aufgrund fehlender Befunde im Jahr 2010 nicht feststellbar gewesen. Nach Verweis auf § 34 Abs. 6 EStG 1988 und die Abhängigkeit der Anerkennung von Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes von der Vorlage der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 EStG 1988 [Bescheid betreff Feststellung einer Behinderung durch das Sozialministeriumservice(SMS) - (ehem. Bundessozialamt) aufgrund vorgelegter Befunde (vorgenommenerpersönlicher Untersuchung)] führte die Amtsvertretung zu dem am festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 70% inklusive einer Diät D3 des näheren aus, dass dieser Prozentsatz das Ergebnis einer Gehbehinderung sowie einer Hypotonie gewesen wäre. Eine der Angabe der Bf. im Zuge des Vorlageantrages entsprechende Bestätigung für die angestrebte neuerliche Untersuchung am Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice und den diesbezüglichen Termin am sei trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden. Da seitens des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice eine rückwirkende Bestätigung einer Behinderung nicht durchgeführt werde und auch aktuell aufgrund eines Augenleidens keine Behinderung festgestellt worden sei, würden die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Aufwendungen Krankheitskosten gemäß § 34 EStG 1988 mit Selbstbehalt darstellen.
Mit Schreiben des wurde die Bf. bezüglich ihres Augenleidens als Folge der Nichtvorlage der im Vorlageantrag angesprochenen Bescheinigung des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice im Sinn des § 35 EStG 1988 ersucht, sämtliche Beweismittel zwecks Veranlassung einer Anfrage an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen betreffend "Rückwirkung des Grads der Behinderung" an das BFG zu übermitteln. In Entsprechung dieses Ersuchens wurden diverse Berichte und Befunde als Beilage zum Schreiben der Bf. vom an das BFG zugesandt, die in weiterer Folge dem an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice adressierten Schreiben des mit dem Ersuchen um u.a. a) Aufgliederung des u.a. Gesamtgrades der Behinderung samt Begründung und b) Angabe des Prozentsatzes der Sehstörung in den Streitjahren beigelegt wurden.
Mit dem beim BFG im Dezember 2017 eingelangten Aktengutachten zum Augenfachärztlichen Sachverständigengutachten vom und Sachverständigengutachten vom wurde die Annahme der ausreichenden Wahrscheinlichkeit des Grads der Behinderung von 20% für den Zeitraum von Juni 2012 bis Oktober 2014 mit dem Augenbefund vom Juni 2012 und das Fehlen von Augenbefunden für den Zeitraum zwischen 06/2012 und 10/2014 begründet. Der Grad der Behinderung der Bf. für den nach der Star-Operation gelegenen Zeitraum der letzten zwei Monate des Jahres 2014 wurde gutachterlich mit 10% eingeschätzt.
Dem an die Bf. adressierten Schreiben des mit den beiden Gutachten als Beilagen folgte das Schreiben der Bf. vom mit Angaben zu aktuellen Behandlungen der Bf..
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Aufgrund der Aktenlage steht fest, dass das Bundesozialamt eine 70%ige Erwerbsminderung (Gehbehinderung) bei der Bf. am festgestellt hat. Infolge Fehlens von Augenbefunden für den Zeitraum von Juni 2012 bis Oktober 2014 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice (früher Bundessozialamt) den Grad der Augenbehinderung bei der Bf. von 20% mit ausreichender Wahrscheinlichkeit für den Zeitraum Jänner bis Oktober 2014 aufgrund des Sehvermögens rechts mit 0,3 und links mit 0,7 - wie im Befund von Juni 2012 angeführt - angenommen. Der Grad der Behinderung für den nach der Laseroperation gelegenen Zeitraum der Monate November und Dezember jeweils des Jahres 2014 ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice mit 10% eingeschätzt worden.
Das nachfolgende Schaubild zeigt die Grundlage für den Zusatzeintrag im Behindertenausweis der Bf. aus dem Jahr 2010:
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2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Parteienvorbringen, den vorgelegten Dokumenten und Aktenteilen sowie aus den Daten des Bundessozialamts im Aktengutachten zum augenfachärztlichen Sachverständigengutachten vom sowie im Sachverständigengutachten Aktengutachten vom .
Nach § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Diese Verpflichtung wird durch eine erhöhte Mitwirkungspflicht der Abgabepflichtigen, wie beispielsweise bei Auslandssachverhalten, eingeschränkt.
Nach § 115 Abs. 2 BAO ist den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Nach § 115 Abs. 3 BAO haben die Abgabenbehörden Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 115 BAO ist die Behörde zur Verwertung des ihr zugänglichen Aktenmaterials nach dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens verpflichtet (; , 92/17/0126; , 2000/17/0172; , 2009/16/0228). Die Abgabenbehörde trägt zwar die Feststellungslast für alle Tatsachen, die vorliegen müssen, um einen Abgabenanspruch geltend machen zu können, doch befreit dies die Partei nicht von ihrer Offenlegungs- und Mitwirkungspflicht (z.B. ; , 2001/14/0187; , 2007/15/0292). Der Grundsatz der strikten Amtswegigkeit der Sachverhaltsermittlung tritt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs generell bei Begünstigungsbestimmungen in den Hintergrund (z.B. ; , 99/13/0070; , 2003/13/0117; , Ro 2018/15/0025). Zur diesbezüglichen Rechtsprechung betreffend die Begünstigungsbestimmung des § 34 EStG 1988 sei auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs ""; ", 0151, 99/13/0033"; und "", verwiesen.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht wäre es an der Bf. gelegen gewesen, den Nachweis für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Arztrechnungen und den Kosten für die Brille und einer im Behindertenausweis des Sozialministeriumsservice festgestellten Sehbehinderung zu erbringen. Dies ist jedenfalls für die im Jahr 2014 angefallenen Aufwendungen für die augenärztlichen Behandlungskosten und eine Brille nicht der Fall (4.610,00 €), weil die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Die Untersuchte ist sehbehindert" in den Behindertenausweis der Bf. aufgrund der funktionellen Einschränkungen nicht vorgelegen waren.
Rechtslage
Nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind außergewöhnliche Belastungen bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2). 2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.
Nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 ist die Belastung außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.
Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 können Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5) ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden.
Für den Fall, dass der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat und keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) erhält, steht ihm gemäß § 35 Abs. 1 EStG 1988 jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
Nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 bestimmt die Höhe des Freibetrages sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. ZuständigeStelle ist das Bundesamt für Sozialesund Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
Nach § 35 Abs. 5 EStG 1988 können anstelle des Freibetrages auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6 EStG 1988).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 35 EStG 1988 ist unter einer Behinderung nur eine längerfristige Einschränkung zu verstehen. § 35 EStG 1988 stellt - im Unterschied zu § 34 EStG 1988 - nicht auf eine vorübergehende, tageweise Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern auf einen eine längere Zeit bestehenden Zustand ab (). Es kommt nicht darauf an, ob die Behinderung angeboren, auf ein bestimmtes Ereignis (Berufs- oder Freizeitunfall) oder auf normale Abnutzungserscheinungen zurückzuführen, verschuldet oder unverschuldet ist. Innere Erkrankung, z.B. Diabetes mellitus, ist ausreichend ().
Der Entscheidung sind die jeweils vorliegenden Daten zugrunde zu legen ().
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts und des Unabhängigen Finanzsenats ist eine rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses grundsätzlich nicht möglich. Ist die Behinderung aber die Folge eines Ereignisses (Spitalsaufenthalt, Operation, Unfall), gilt der festgestellte Grad der Behinderung auch für steuerliche Zwecke rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses, wenn das Bundesamt die Behinderung rückwirkend festgestellt hat (; , RV/7105950/2017; -I/11). Werden die Daten rückwirkend bescheinigt bzw. nachträglich geändert, so kann der Einkommensteuerbescheid gemäß § 295a BAO geändert werden (-I/11).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 war als unbegründet abzuweisen, weil der Anfall von Kosten in Zusammenhang mit einer Behinderung im Sinn des § 35 EStG 1988 stets eines qualifizierten Nachweises bedarf, wenn die Aufwendungen als Außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 ohne Selbstbehalt anerkannt werden sollen.
Der Behindertenpass als Nachweis für eine Behinderung im Sinn des § 35 EStG 1988 ist ein amtlicher Lichtbildausweis, welcher die persönlichen Daten des Inhabers, das Datum der Ausstellung und Angaben zum Grad der Behinderung mit eventuell Zusatzeintragungen beinhaltet. Langt ein Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses nach dem im Sozialministeriumservice ein, so wird der Ausweis im Scheckkartenformat ausgestellt.
Der Behindertenausweis im Scheckkartenformat ist ein Ausweis, der auf der Vorderseite der Scheckkarte u.a. die persönlichen Daten des Inhabers bzw. der Inhaberin, das Datum der Ausstellung sowie den Grad der Behinderung enthält. Der ebenfalls auf der Vorderseite angebrachte QR-Code ermöglicht Menschen mit Behinderung, auf der Homepage des Sozialministeriumservice nähere Informationen zum Behindertenpass und den einzelnen Zusatzeintragungen abzurufen. Auf der Rückseite der Scheckkarte werden vorliegende Zusatzeintragungen größtenteils in Form von Piktogrammen vorgenommen. Das vorliegende Schaubild zeigt die vorgesehenen, mit Vertretern der Behindertenorganisationen abgestimmten Piktogramme:
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Lediglich in jenen Fällen, in denen kein aussagekräftiges Piktogramm zur Verfügung steht (z. B. bei der Eintragung "Osteosynthesematerial") erfolgt die Vornahme der Zusatzeintragung mittels eines Schriftzuges.
Anspruch auf einen gebührenfreien Behindertenpass, welcher als Nachweis der Behinderung für Vergünstigungen und steuerliche Vorteile verwendet werden kann, haben nicht alle Behinderte, sondern nur Personen mit einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 %, die a) in Österreich ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) glaubhaft machen, dass sie sich aus beruflichen oder persönlichen Gründen regelmäßig in Österreich aufhalten, c) Staatsbürger aus Nicht-EU-Ländern mit gültigen Aufenthaltstitel sind.
Dem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenausweises beim Sozialministeriumservice mit Zusatzeintragungen sind stets aktuelle medizinische Unterlagen z.B. Befunde in Kopie beizulegen. Die medizinischen Unterlagen sollten in der Regel nicht älter als zwei Jahre sein. Ausnahmen im Einzelfall sind z.B. eine Behinderung seit Geburt, Amputationen, Fehlen aktueller Befunde etc.. Die Befunde sollten nicht nur z.B. eine Gehbehinderung, sondern alle Leiden belegen, die ein Antragsteller im Gutachten berücksichtigt haben will. Geeignet sind insbesondere fachärztliche Befunde, Pflegegeldgutachten, aktuelle Krankengeschichten, Entlassungsberichte aus Krankenhäuser, Kur- oder Rehaberichte sowie Laborbefunde.
Atteste im Sinne von Diagnosebestätigungen sind wenig verwertbar, außer sie enthalten Diagnose, Therapie, Zeitpunkt der Diagnoseerstellung und den aktuellen Status.
Bei Augenleiden oder Hörbehinderungen ist dem Antrag auf Ausstellung eines Ausweises als Nachweis für eine Behinderung ein Visusbefund (korrigierter Visus) bzw. ein Reinton-Audiogramm beizulegen.
Der Behindertenpass ist Voraussetzung bzw. Nachweis für Kosten in Zusammenhang mit einer Behinderung. Ausgaben wie sehbehinderungsbedingte Kosten für z.B. Medikamente, Arztkosten, Operationskosten, etc. können bei Personen mit einer Sehbehinderung im Falle von entsprechenden Zusatzeintragungen im Behindertenpass als Außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 anerkannt werden.
Aufgrund ihrer Gehbehinderung zählt die Bf. zwar durch den vom Bundessozialamt am festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 70% zum Kreis der Behinderten mit Anspruch auf einen Behindertenausweis, jedoch gilt eine Person erst dann als behindert, wenn der Grad der Sehbehinderung mindestens 25% beträgt. Eine Bestätigung für die im Vorlageantrag thematisierte neuerliche Untersuchung beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice (früher Bundessozialamt) am mit dem Ergebnis der Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Die Untersuchte ist sehbehindert" mit Rückwirkung auf das Jahr 2014 wurde trotz Vorhalts in der abgabenbehördlichen Stellungnahme zum Vorlageantrag nicht nachgereicht.
Angesichts der Tatsache, dass das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice (früher Bundessozialamt) eine Bestätigung für die Bf. hinsichtlich einer Sehbehinderung mit Rückwirkung für das Jahr 2014, die den Grad der Behinderung von 25% im Zeitraum vor und nach der Laseroperation unterschritten hatte, ausgestellt hatte, war davon auszugehen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Die Untersuchte ist sehbehindert" im Behindertenausweis der Bf. aufgrund der funktionellen Einschränkungen der Bf. im Jahr 2014 nicht gegeben waren. Da dem Behindertenausweis der Bf. ein Zusatzeintrag betreffend eine Sehbehinderung gefehlt hatte, waren die Kosten für eine Laseroperation (3.500 €), eine Brille (960,00 €) und die ärztliche Nachuntersuchung samt Brillenverschreibung (150,00 €) wegen Fehlens eines Nachweises für eine Sehbehinderung, die den Anforderungen an eine Behinderung gemäß § 35 EStG 1988 entspricht, als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 34 EStG 1988 mit Selbstbehalt zu werten.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Aufgrund der Abhängigkeit der Antwort auf die Frage, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der in Rede stehenden Kosten der Bf. als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 im Streitjahr 2014 gegeben waren, von Eintragungen im Behindertenausweis der Bf. und dem Ergebnis von Gutachten des Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice war das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Artikel 133 Abs. 4 B-VG zu verneinen und spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 35 Abs. 5 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 Abs. 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte | Außergewöhnliche Belastung Behindertenausweis |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7103893.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at