Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.04.2024, RV/5100085/2024

Keine Familienbeihilfe bloß aufgrund einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG als pflegender Angehöriger mangels Erwerbstätigkeit

Beachte

Revision eingebracht.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/5100085/2024-RS1
Eine Selbstversicherung nach § 18b ASVG löst für sich genommen keinen Anspruch auf Familienbeihilfe aus, da sie keiner Beschäftigung oder einer Beschäftigung gleich gestellten Situation im Sinne der VO (EG) 883/2004 entspricht.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung der Anträge auf Familienbeihilfe bzw. Ausgleichszahlung vom betreffend die Kinder ***Kind_1*** (***SVNr_Kind_1***) und ***Kind_2*** (geboren am ***2***) für den Zeitraum ab Mai 2021 zu Ordnungsbegriff ***3*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Beschwerdevorentscheidung vom abgeändert, wobei diese insoweit einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Anbringen vom , bei der belangten Behörde eingelangt am , beantragte der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge: "Bf.") ab 5/2021 Familienbeihilfe für seine beiden Kinder ***Kind_1*** und ***Kind_2***, welche in ***Deutschland*** studieren.

Mit Auskunftsersuchen vom ersuchte die belangte Behörde den Bf. um die Vorlage folgender Urkunden bis zum : Bestätigung über die Einstellung der Familienleistungen im EU Ausland, Studienerfolgsnachweise der Kinder (ab Studienbeginn), Geburtsurkunde der Kinder, Anmeldebescheinigung für EWR Bürger der Kinder, Einkommensnachweis von Ihnen und der Kindesmutter.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom , laut Bf. zugestellt per Post am , wurde der "Antrag auf Familienbeihilfe vom " (gemeint: der mit datierte Antrag, welcher am bei der belangten Behörde einlangte) für den Zeitraum ab Mai 2021 zu Ordnungsbegriff ***3*** als unbegründet abgewiesen, da der Bf. trotz Aufforderung keine Unterlagen gesendet habe und daher der Mitwirkungspflicht nach § 119 BAO nicht nachgekommen sei.

Dagegen brachte der Bf. rechtzeitig die Beschwerde vom (offenbar irrtümlich mit datiert, bei der Post eingeschrieben am aufgegeben und am bei der belangten Behörde eingelangt) ein und begründete diese zusammengefasst wie folgt:

Es sei seitens der belangten Behörde mit zu kurzen Fristen vom Bf. auf umständliche Weise die Beibringung der EU-Formulare E401 ("Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen") und E411 ("Bestätigung über die Einstellung der Familienleistungen im EU Ausland" bzw. "Anfrage betreffend den Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) in dem Mitgliedsstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen") betreffend ihn und seine Gattin abverlangt worden, was sich allerdings aufgrund der Weigerung der tschechischen Behörde, solche Bestätigungen an den Bf. und seine Gattin auszustellen, als ein schwieriges Unterfangen herausgestellt habe. Dabei hätten der Bf. und seine Gattin nie Familienleistungen in Tschechien bezogen. Trotz eines bei der belangten Behörde telefonisch gestellten Antrages vom auf Fristverlängerung zur Beibringung dieser Unterlagen bis zum , dessen Stattgabe im Zuge dieses Telefonates mündlich erklärt worden sei, sei die Stattgabe des Fristverlängerungsantrages nicht dokumentiert worden und am der bekämpfte, abweisende Bescheid zugestellt worden. Die Begründung des angefochtenen Bescheides, Unterlagen seien nicht gesendet worden, könne der Bf. daher nicht nachvollziehen.

Trotz intensiver Bemühungen sei bis dato kein Formular E411 bei der tschechischen Behörde erhältlich gewesen mit der Begründung, es liege kein Antrag/Akt vor. Der Bf. kündigte die Vorlage eidesstattlicher Erklärungen von sich selbst und seiner Gattin betreffend nie stattgefundenen Bezuges tschechischer Familien- oder Kinderbeihilfe an.

Der Bf. führte in der Beschwerde weiter aus:

"Vor der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes hatte ich weder das ganze Jahr 2021 noch Jan-Juli 2022 Prozent keine Beschäftigung bzw Einkommen daraus.

Ich bin nach wie vor ohne bezahlte Anstellung .... lebe als Betreuer bzw Pfleger bei meinem 99-jährigen Vater."

Dazu übermittelte der Bf. zahlreiche Beilagen, u.a. mit Eingabe vom , eingelangt am sowie mit Eingabe vom , eingelangt am , wobei letztere die eidesstattliche Erklärung des Bf. und seiner Gattin enthielt, in Tschechien keinerlei Familien- und Kinderbeihilfen beantragt oder bezogen zu haben. Neben Nachweisen betreffend die Geburt und die Studien der Kinder legte der Bf. einen Bescheid vom betreffend die Zuerkennung von täglich EUR 21,19 Arbeitslosengeld ab gemäß § 21 ALVG 1977 in Verbindung mit Artikel 62 der EGVO 883/2004 vor.

Weiters legte der Bf. eine Mitteilung vom über den Bezug von Familienbeihilfe des Bf. von Mai 2004 - Dezember 2006 für die Kinder ***Kind_1*** und ***Kind_2*** vor und führte dazu aus, dass er für seine beiden Kinder kinderbeihilfeberechtigt gewesen sei, solange er unter die Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gefallen sei. Zudem legte der Bf. eine einer Berufung vom stattgebende Berufungsvorentscheidung vom zum Abweisungsbescheid vom betreffend Familienbeihilfe für die beiden Kinder ***Kind_1*** und ***Kind_2*** vor. In der Bescheidbegründung wird ausgeführt, dass laut dem Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsum für den Zeitraum ab die österreichischen Rechtsvorschriften nach der Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gelten würden.

Mit der teilweise stattgebenden Beschwerdevorentscheidung vom , zugestellt am , wurde der angefochtene Bescheid abgeändert: Die Beschwerde betreffend die Zeiträume Mai 2022 - Juli 2022 wurde abgewiesen, der Beschwerde abgesehen davon allerdings stattgegeben. Somit wurde die Familienbeihilfe wurde für ***Kind_1*** von 8/2022 bis 2/2023 (24. Lebensjahr von ***Kind_1***) und für ***Kind_2*** von 8/2022 bis 8/2023 (Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld bzw. Krankengeld des Bf.) gewährt. Dies wurde wie folgt begründet:

"Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in der ab gültigen Fassung regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.

Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht grundsätzlich nur für die Dauer einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit im Inland oder bei Bezug einer Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit.

Laut Artikel 59 Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 ist immer von einem "Ersten des Monats der Beschäftigung/Geldleistung" auszugehen. Liegt am Ersten des Monats keine Beschäftigung/Geldleistung vor, besteht für diesen Monat kein Anspruch auf eine Familienleistung.

Lt. Sozialversicherungsauszug lag von Ihnen in der Zeit von bis eine Selbstversicherung gem. § 18b ASVG ANG bei der Pensionsversicherungsanstalt vor. Zeiten der Pflege naher Angehöriger stellen keine gleichgestellte Situation dar. Von bis waren Sie bei ***4*** beschäftigt und ab bis erhielten Sie einen Arbeitslosengeldbezug/Krankengeldbezug. Da in den Monaten Mai 2021 bis Juli 2022 keine Beschäftigung bzw. gleichgestellter Tatbestand und im Juni 2022 und Juli 2022 keine Beschäftigung zum 1. des Monats in Österreich vorlag, bestand kein Anspruch auf Familienleistungen in Österreich. Aufgrund des gleichgestellten Tatbestand (ALG) in Österreich steht die Differenzzahlung (ohne Abzug der CZ-Leistungen) für die Kinder ***Kind_1*** und ***Kind_2*** ab August 2022 zu."

Gleichzeitig erging eine mit datierte Mitteilung über den Bezug von Familienbeihilfe betreffend den Bf. für den Sohn ***Kind_1*** (August 2022 - August 2023) und die Tochter ***Kind_2*** (August 2022 - Februar 2023), wobei als Wohnstaat der Kinder jeweils "Tschechische Republik" angeführt wurde:

"Wir haben Ihren Anspruch auf Ausgleichszahlung überprüft und können Ihnen diesen im folgenden Umfang gewähren (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009):

Die Flöhe der Ausgleichszahlung ist die Differenz der österreichischen Familienbeihilfe inkl. Kinderabsetzbetrag zur ausländischen Familienleistung.

Informationen zu den derzeit gültigen Familienbeihilfenbeträgen finden Sie auf der Flomepage des Bundeskanzleramtes unter bka.gv.at.

Erhalten Sie die ausländische Familienleistung nicht in Euro, kann es bei der Umrechnung auf Grund von monatlichen Kursschwankungen zu geringfügig unterschiedlichen Monatsbeträgen bei der Ausgleichszahlung kommen.

Wir haben festgestellt, dass Sie nur bis August 2023 Anspruch auf Familienbeihilfe haben und stellen daher die Auszahlung ein. (….)"

Am langten Anträge des Bf. vom auf Bezug von Familienbeihilfe ab Mai 2022 bis inklusive Juli 2022 bei der belangten Behörde samt diverser Beilagen ein, wobei der Bf. unter anderem vorbrachte:

"Vor der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes hatte ich von Jan-Juni 2021 keine Beschäftigung (lebte als "Pfleger" bei meinem damals 98-jährigen Vater)."

Mit Vorlageantrag vom , bei der belangten Behörde postalisch eingelangt am , bekämpfte der Bf. den nicht stattgebenden Teil der Beschwerdevorentscheidung.

"Es wird (korrekterweise) weiter erwähnt dass bei mir laut Sozialversicherungsauszug in der Zeit von bis eine Selbstversicherung gem. Par. 18b ASVG ANG bei der Pensionsversicherungsanstalt vorliegt.

Dieser Umstand wird leider mit dem kategorischen Kommentar "Zeiten der Pflege naher Angehöriger stellen keine gleichgestellte Situation dar" abgetan - ohne diese Interpretation bzw. Behauptung mit entsprechenden Gesetzesstellen und/oder relevanten Höchstgerichtsentscheiden zu unterlegen.

.... und weiter wird ausgeführt dass "in den Monaten Mai 2021 bis Juli 2022 kein Anspruch auf Familienleistungen in Österreich bestand, da in dieser Periode keine Beschäftigung bzw. gleichgestellter Tatbestand etc.... vorlag.

Ich argumentiere dass eine "Pflege naher Angehöriger gern. Par 18b ASVG ANG nicht nur eine (durchaus anstrengende) Tätigkeit darstellt, die der Staat Österreich sehr wohl finanziell bewertet und honoriert... wie bekannt werden nicht nur die Kosten für Krankenversicherung vom Staat zur Gänze getragen, es wurden auch während der Periode 04/2021-12/2022 monatliche Einzahlungen auf mein Pensionskonto bei der österr. Pensionsversicherung geleistet - es handelte sich also de facto sehr wohl um eine Tätigkeit/Beschäftigung gegen Geldleistung(en) sowie gegen Krankenversicherung - also insgesamt einer "üblichen Beschäftigung" dem Grunde nach nicht nur sehr ähnlich sondern m.E. sehr wohl "gleichstellungswürdig".

Als weiteres Argument führe ich an dass ich - bei völlig identer Tatsachenlage - aufgrund der Länderkompetenz in Pflegeangelegenheiten meines Wissens z.B. im Burgenland als "pflegender naher Angehöriger" sogar direkt im Landesdienst angestellt würde und ein reguläres Gehalt vom Land beziehen (womit sich die Diskussion zum Thema " Anspruch auf Familienleistungen" von selbst erledigen würde !!!) Ich will nicht argumentieren welche Landeslösung nun die vernünftigere ist - meine aber dass dies sehr wohl verdeutlicht dass die Situation einer/s "pflegenden Angehörigen" einer Beschäftigung gegen Geldleistung sehr verwandt/ ähnlich wenn nicht um Grunde gleichzustellen ist und bezweifle somit die Aussage im Schreiben vom dass "Pflege naher Angehöriger keine gleichgestellte Situation darstellen" !!!

Weiters erscheint es mir nicht nachvollziehbar dass bei "Pflege nach Par.18b ASVG ANG" kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen soll, bei einer geringfügig anders gestalteten Variante - zum Beispiel wenn ich mich von meinem Vater als Pfleger anstellen lassen hätte (und somit "Erwerbstätigkeit" vorzuweisen gehabt hätte - die Bezugsberechtigung für Familienbeihilfe nicht gelitten hätte.

Neben obigen (rechtlichen) Argumenten möchte ich auch noch anführen, dass es aus sozialpolitischer Sicht - in Zeiten in denen fast täglich in den Medien über Kapazitätsdefizite im österr. Pflegewesen berichtet wird - m.E. nicht sinnvoll bzw zielführend sein kann wenn nahe Angehörige die ohnehin schon auf ihr "gewohntes Einkommen aus Beschäftigung" verzichten dann auch noch zu "bestrafen" indem man sie vom Zugang zu den (bis zum Beginn der Pflegeleistung immer problemlos gewährten) Familienleistungen kategorisch ausschliesst und somit gegenüber "normalen Beschäftigten" (die regelmässigen Lohn/Gehalt beziehen) eindeutig BENACHTEILIGT."

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und gab dazu nach Schilderung des Verfahrensablaufes folgende Stellungnahme ab:

"Abweisung der Beschwerde

§ 2 Abs. 1 b FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die ... eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, ...

Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger § 18b ASVG

(1) Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Je Pflegefall kann nur eine Person selbstversichert sein. Die Pflege in häuslicher Umgebung wird durch einen zeitweiligen stationären Pflegeaufenthalt der pflegebedürftigen Person nicht unterbrochen.

(2) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den die pflegende Person wählt, frühestens mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Pflege aufgenommen wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der dem Tag der Antragstellung folgt.

(3) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonats,

1. in dem die Pflegetätigkeit oder eine sonstige Voraussetzung nach Abs. 1 weggefallen ist oder

2. in dem die pflegende Person den Austritt aus dieser Versicherung erklärt hat.

(4) Der Versicherungsträger hat ab dem dem Beginn der Selbstversicherung folgenden Kalenderjahr regelmäßig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung noch gegeben sind. Die selbstversicherte Person ist verpflichtet, das Ende der Pflegetätigkeit innerhalb von zwei Wochen dem Versicherungsträger zu melden.

(5) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.

(6) Die selbstversicherte Person ist dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zugehörig, in dem sie zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Liegen keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz vor, so ist die selbstversicherte Person der Pensionsversicherung der Angestellten zugehörig.

Art 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 Diese VO gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Art 11 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004

Personen, für die diese VO gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbst. Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. ...

Art 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004

Die Artikel 11 bis 13 gelten nicht für die freiwillige Versicherung oder die freiwillige Weiterversicherung, es sei denn, in einem Mitgliedstaat gibt es für einen der in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweige nur ein System der freiwilligen Versicherung.

Art. 59 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 987/2009

Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort.

Der Familienwohnsitz der Familie ist Tschechien. Die Kindesmutter ist tschechische Staatsbürgerin und dort berufstätig. Der Kindesvater ist österr. Staatsbürger und hatte den Wohnsitz von bis in Österreich im Haushalt des Vaters gemeldet. Beide Kinder studieren in ***Deutschland*** und haben eine Doppelstaatsbürgerschaft Österreich/Tschechien. Die VO (EG) Nr. 883/2004 ist anzuwenden. Die freiwillige Pensionsversicherung in Österreich ist keine gleichgestellte Situation, die einen Familienbeihilfenanspruch vermittelt.

Zum ersten des Monats wurde erst am in Österreich eine gleichgestellte Situation durch das ALG begründet. Die Familienbeihilfe wurde ab 8/2022 bezahlt. Der Anspruch für den Sohn erlischt mit Februar 2023 durch die Erreichung des 24. Lebensjahres; der Anspruch der Tochter mit August 2023 durch das Ende des ALG-Bezuges."

Mit dem Vorlagebericht übermittelte die belangte Behörde u.a. folgende Dokumente:

  1. Melderegisterauszug betreffend den Bf. vom , wobei dieser an der Adresse ***Adresse_Vater*** im Zeitraum - an dieser Adresse mit Hauptwohnsitz und in den Zeiträumen - und seit bis dato mit Nebenwohnsitz gemeldet war und grundsätzlich keine weitere Hauptwohnsitzmeldung in Österreich aufscheint

  2. Abfrageergebnis AJ-WEB-Auskunftsverfahren (Sozialversicherungsdatenauszug) vom für den Zeitraum - betreffend den Bf., u.a. mit folgenden Daten:

    • -: Selbstversicherung gem. § 18b ASVG ANG (Meldung durch Pensionsversicherungsanstalt)

    • -: ÖGK: Angestellter bei "***4***

    • Arbeitslosengeldbezug: -, -, - ; Meldung "Arbeitssuchend" für -, -, -, -

    • Krankengeldbezug: -

Am kontaktierte der Bf. das Bundesfinanzgericht telefonisch und verwies zusammengefasst darauf, dass die Pflege seines Vaters sehr zeitaufwändig und vom Staat durch die kostenlose Selbstversicherung gefördert und für ihn daher einer Beschäftigung gleichgestellt gewesen sei, zumal in Österreich ohnehin ein Mangel an Pflegekräften herrsche. Wenn jemand seine Angehörigen selbst pflegt, solle dies auch honoriert und nicht durch Streichung von Familienbeihilfe bestraft werden. Die Familienbeihilfe in Tschechien sei seitens der Familie nie beantragt worden, da diese in Tschechien sozial gestaffelt sei und der Bf. sowie die Mutter der Kinder zusammen oberhalb der maßgeblichen Einkommensgrenze verdient hätten. Eine Bestätigung der tschechischen Behörden, dass keine Familienbeihilfe ausbezahlt worden wäre, liege nach Angaben des Bf. nicht vor. Auf Nachfrage erklärte der Bf., dass er betreffend die Versicherung gem. § 18b ASVG einen Bescheid erhalten habe. Geldleistungen bzw. ein Gehalt habe er für die Tätigkeit nicht erhalten.

In der per E-Mail eingebrachten Eingabe des Bf. vom brachte dieser vor, dass Teilnehmer am freiwilligen sozialen Jahr - ähnlich wie Pflegende naher Angehöriger gemäß § 18b ASVG - für diese freiwillige Tätigkeit auf Staatskosten voll versichert seien und daneben ein Taschengeld und die Familienbeihilfe erhalten würden, was der Situation des Bf. sehr ähnlich sei. Weiters sei die freiwillige Versicherung in der Kranken- und Unfallversicherung, anders als andere freiwillige Versicherungen, nicht vom Bf. zu bezahlen gewesen, sondern würden zur Gänze vom Bund getragen. Weiters sei es zu Einzahlungen auf dem Pensionskonto des Bf. gekommen. Dazu legte der Bf. einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom zu ***GZ*** über die Anerkennung des Anspruches in der Pensionsversicherung gem. § 18b, 44 Abs. 1 Z 18, 76b Abs. 5a, 77 Abs. 8 ASVG für Zeiten der Pflege des nahen Angehörigen ***5*** (Vater des Bf., Pflegestufe 4) ab vor. Demnach beträgt der monatliche Beitrag zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung, der zur Gänze aus Mitteln des Bundes getragen werde, ab EUR 452,82 (Beitragsgrundlage EUR 1.986,04) und ab EUR 462,33 (Beitragsgrundlage EUR 2.027,75).

Es könne nach Ansicht des Bf. nicht die Absicht des Gesetzgebers sein, dass Österreicher, die freiwillig ihren Beruf aufgeben, um einen nahen Angehörigen zu pflegen und somit ihre gewohnten monatlichen Einkünfte aufgeben, auch noch "bestraft" werden, indem sie die Qualifikation für (ansonsten zustehende) Beihilfen verlieren, solange man nicht Selbständiger oder Bezieher von Arbeitslosengeld sei. Es vergehe kaum ein Tag, in dem in den Medien nicht davon die Rede sei, dass die Politik Pflege / Pflegewillige mehr unterstützen muss und will.

Das Bundesfinanzgericht nahm Einsicht in den Einkommensteuerveranlagungsakt der Jahre 2021 und 2022 des Bf.. Diesen sind lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Bf. in der Höhe von EUR 5.130,00 bzw. 5.110,00 zu entnehmen. Abgesehen von der Tätigkeit bei der ***4*** scheinen keine Lohnzettel oder Meldungen von Einkünften aus selbständigen Tätigkeiten des Bf. auf.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Anbringen vom , bei der belangten Behörde eingelangt am , beantragte der nunmehrige Beschwerdeführer ab dem Familienbeihilfe für seine beiden Kinder ***Kind_1*** (geb. ***1***) und ***Kind_2*** (geb. ***2***), welche jeweils in ***Deutschland*** studierten. Beide Kinder wurden in ***Tschechien*** geboren und haben die österreichische und die tschechische Staatsbürgerschaft. Der Familienwohnsitz befand sich in Tschechien und die Gattin des Bf. (Mutter beider Kinder) war in Tschechien beschäftigt. In Tschechien wurden vom Bf. und dessen Gattin Familienleistungen aufgrund einer nationalen Einkommensgrenze, die die Familie des Bf. nach deren Ansicht überschreiten würde, nicht beantragt.

Der Bf. war von bis im Haushalt seines Vaters ***5*** in Österreich (***Adresse_Vater***) mit Hauptwohnsitz gemeldet. Vor und nach dieser Zeit verfügte der Bf. über einen Nebenwohnsitz an dieser Adresse. Der Bf. pflegte dort seinen kranken Vater, welcher am **.12.2022 verstarb.

Der Bf. verfügte im Zeitraum bis aufgrund eines entsprechenden Antrages und der Pflege seines Vaters über eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b (iVm §§ 44 Abs. 1 Z 18, 76b Abs. 5a, 77 Abs. 8) ASVG bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt und erhielt dafür kein darüber hinaus gehendes Entgelt und keine Art von Bezahlung für diese Tätigkeit und verfügte darüber hinaus lediglich über Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, welche pro Jahr weniger als 6.000 EUR betrugen. Im Zeitraum - war der Bf. als Angestellter tätig. Ab bis zum bezog der Bf. Arbeitslosengeld bzw. Krankengeld.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ist - soweit entscheidungsrelevant - unstrittig, ergibt sich aus dem Akteninhalt und stützt sich auf die Angaben des Bf. sowie auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen der belangten Behörde. Dass der Bf. im Zeitraum der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG ( bis ) keine Einkünfte aus selbständiger oder unselbstständiger Tätigkeit bezog und ohne bezahlte Anstellung lebte, ergab sich bereits aus dem Veranlagungsakt, dem insoweit unwidersprochenen Vorbringen des Bf. in der Beschwerde und der Eingabe vom (bei der belangten Behörde eingelangt am ) sowie in den nachfolgenden Eingaben und dem erwähnten Telefonat des Bf. mit dem erkennenden Richter.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die erwähnten EU-Formulare E401 ("Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen") und E411 ("Bestätigung über die Einstellung der Familienleistungen im EU Ausland" bzw. "Anfrage betreffend den Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) in dem Mitgliedsstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen") von der belangten Behörde selbst (als Anfrager) der jeweiligen ausländischen, für Familienbeihilfesachen zuständigen Behörde zu übermitteln gewesen wären und in der Folge von dieser ausländischen Behörde mit den entsprechenden Informationen zu versehen gewesen wäre. Mittlerweile bestehen dazu eigens eingerichtete digitale Schnittstellen zwischen den Mitgliedsstaaten, welche dafür zu verwenden sind. Es ist dem Beschwerdeführer bereits aufgrund des klaren Wortlauts des Formulars, wonach dieses von einer Familienbeihilfenbehörde stammen und entsprechend vorausgefüllt sein muss, nicht zuzumuten, ein dennoch von der entsprechenden Behörde des anderen Mitgliedsstaates ausgefülltes Formular zu beschaffen und der belangten Behörde zur Verfügung zu stellen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich der Bf. ernstlich bemühte, diesem Verlangen zu entsprechen und dieser die belangte Behörde im gegenständlichen Fall mehrmals auf den Umstand hinwies, dass die tschechische Behörde nicht gewillt war, ihm bzw. seiner Gattin direkt die entsprechende formularhafte Bestätigung auszustellen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Rechtslage

Nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 (Familienlastenausgleichsgesetz) idF BGBl. I Nr. 28/2020 und 220/2021 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen.

§ 18b ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) idF BGBl. I Nr. 138/2013 ("Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger") lautet:

"(1) Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Je Pflegefall kann nur eine Person selbstversichert sein. Die Pflege in häuslicher Umgebung wird durch einen zeitweiligen stationären Pflegeaufenthalt der pflegebedürftigen Person nicht unterbrochen.

(1a) Die Selbstversicherung ist für die Zeit einer Pflichtversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. j auf Grund des Bezuges eines aliquoten Pflegekarenzgeldes ausgeschlossen.

(2) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den die pflegende Person wählt, frühestens mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Pflege aufgenommen wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der dem Tag der Antragstellung folgt.

(3) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonats,

1. in dem die Pflegetätigkeit oder eine sonstige Voraussetzung nach Abs. 1 weggefallen ist oder

2. in dem die pflegende Person den Austritt aus dieser Versicherung erklärt hat.

(4) Der Versicherungsträger hat ab dem dem Beginn der Selbstversicherung folgenden Kalenderjahr regelmäßig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung noch gegeben sind. Die selbstversicherte Person ist verpflichtet, das Ende der Pflegetätigkeit innerhalb von zwei Wochen dem Versicherungsträger zu melden.

(5) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.

(6) Die selbstversicherte Person ist dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zugehörig, in dem sie zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Liegen keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz vor, so ist die selbstversicherte Person der Pensionsversicherung der Angestellten zugehörig."

Art 1 lit. a und b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ("Definitionen") idF. VO (EU) 2019/1149 des Europäischen Parlaments und des Rates vom , Amtsblatt L 186 S. 21 vom lauten:

"Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

b) "selbstständige Erwerbstätigkeit" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt"

Art 2 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 ("Persönlicher Geltungsbereich") lautet:

"Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen."

Art 3 Abs. 1 lit. j der VO (EG) Nr. 883/2004 ("Sachlicher Geltungsbereich") lautet:

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:(…) j) Familienleistungen.

Artikel 8 der VO (EG) Nr. 883/2004 ("Verhältnis zwischen dieser Verordnung und anderen Koordinierungsregelungen") lautet:

"(1) Im Rahmen ihres Geltungsbereichs tritt diese Verordnung an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit. Einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung geschlossen wurden, gelten jedoch fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. Um weiterhin Anwendung zu finden, müssen diese Bestimmungen in Anhang II aufgeführt sein. Ist es aus objektiven Gründen nicht möglich, einige dieser Bestimmungen auf alle Personen auszudehnen, für die diese Verordnung gilt, so ist dies anzugeben.

(2) Zwei oder mehr Mitgliedstaaten können bei Bedarf nach den Grundsätzen und im Geist dieser Verordnung Abkommen miteinander schließen."

Artikel II der VO (EG) Nr. 883/2004 enthält keine Vereinbarung zwischen Österreich und Tschechien. Die Verordnung tritt daher an die Stelle aller zwischen den Mitgliedsstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit zwischen Österreich und Tschechien.

Titel III (Bestimmung des anwendbaren Rechts), Art 11 Abs. 1 bis 3 der VO (EG) Nr. 883/2004 ("Allgemeine Regelung") lauten:

"(1) Personen, für die diese VO gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständiger Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken."

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats."

Art 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ("Freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung") lautet:

"Die Artikel 11 bis 13 gelten nicht für die freiwillige Versicherung oder die freiwillige Weiterversicherung, es sei denn, in einem Mitgliedstaat gibt es für einen der in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweige nur ein System der freiwilligen Versicherung."

Art. 59 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ("Regelungen für den Fall, in dem sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen ändern") idF. VO (EU) Nr. 2017/492 der Kommission vom , Amtsblatt L 76 S. 13 vom , lautet:

"Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort."

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Für den Anspruch auf Familienleistungen in Österreich muss zunächst geprüft werden, ob der Bf. den österreichischen Rechtsvorschriften unterlag oder nicht. Nach der Grundregel in Art 11 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegen nämlich Personen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsordnung hierfür in Frage kommt, bestimmt Art 11 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004.

Mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 wird somit festgelegt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen (Art 3 Abs. 1 lit. j der VO (EG) Nr. 883/2004) verpflichtet ist (Art 11 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004). Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (Art 11 Abs. 3 lit. a VO (EG) Nr. 883/2004). Anspruch auf Familienbeihilfe besteht grundsätzlich nur für die Dauer einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit im Inland oder bei Bezug einer Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit. Gemäß Artikel 59 der VO (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 ist immer von einem "Ersten des Monats der Beschäftigung/Geldleistung" auszugehen. Liegt am Ersten des Monats keine Beschäftigung/Geldleistung vor, besteht für diesen Monat kein Anspruch auf eine Familien(differenz)leistung.

Nachdem Artikel II der VO (EG) Nr. 883/2004 keine Vereinbarung im Sinne des Artikels 8 der VO (EG) Nr. 883/2004 zwischen Österreich und Tschechien enthält, tritt die Verordnung daher an die Stelle aller zwischen den Mitgliedsstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit zwischen Österreich und Tschechien.

Beide Kinder des Bf. studierten im beschwerdegegenständlichen Zeitraum in ***Deutschland***, Deutschland und verfügen über eine Doppelstaatsbürgerschaft Österreich/Tschechien. Der Familienwohnsitz befand sich bei der Kindesmutter in Tschechien. Die VO (EG) Nr. 883/2004 ist daher aufgrund von Art 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 anzuwenden, da der Bf. im beschwerdegegenständlichen Zeitraum nicht am Familienwohnsitz (Tschechien), sondern in einem anderen EU-Staat (Österreich) wohnte. Auf Basis der genannten Verordnung war zu klären, ob Österreich und somit die belangte Behörde aufgrund entsprechender Tatbestände zur Leistung von Familienbeihilfe an den Bf. verpflichtet war.

Zeitraum ab August 2022

Unstrittig war zunächst, dass mit durch den Bezug des Arbeitslosengeldes bzw. Krankengeldes durch den Bf. in Österreich eine im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 einer Beschäftigung gleichgestellte Situation vorlag. Der Anspruch auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung) wurde daher im Zuge der Beschwerdevorentscheidung ab 8/2022 anerkannt. Der Anspruch für den Sohn erlosch in der Folge mit Februar 2023 durch die Erreichung des 24. Lebensjahres; jener der Tochter mit August 2023 durch das Ende des Arbeitslosengeld-Bezuges des Bf.. Der Beschwerde war daher insoweit im Sinne der Beschwerdevorentscheidung stattzugeben.

Zeitraum Mai 2021 bis Juli 2022

Strittig war nunmehr allein, ob dem Bf. für den davor liegenden Zeitraum Mai 2021 bis Juli 2022 u.a. auf Basis der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 aufgrund der Pflege seines Vaters in Oberösterreich und der in diesem Zusammenhang gewährten Selbstversicherung nach § 18b ASVG Familienbeihilfe bzw. ein Differenzanspruch zusteht, indem durch Anwendung der genannten Verordnung Österreich zum für die Leistung von Differenz-Familienleistungen zuständigen Staat wird.

Voraussetzung dafür ist aufgrund des in Tschechien befindlichen Familienwohnsitzes der Familie des Bf., dass der Bf. in diesem Zeitraum einer Beschäftigung in Österreich nachging oder hier selbstständig tätig war - in diesem Fall würde ein Differenzanspruch bestehen. Der Bf. ging im Zuge der Pflege seines Vaters unstrittig keiner selbstständigen Tätigkeit nach, ebensowenig befand sich der Bf. in einem typischen Arbeitnehmerverhältnis, das er einem Dienstgeber gegenüber eingegangen wäre.

Der Bf. als Kindesvater ist österreichischer Staatsbürger und verfügte von bis im Haushalt seines Vaters über einen Hauptwohnsitz in Österreich. Er pflegte dort seinen Vater und war dadurch von bis gemäß § 18b ASVG bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt pensionsversichert.

Diese freiwillige Pensionsversicherung in Österreich nach § 18b ASVG ist nach Ansicht der belangten Behörde keine einer Beschäftigung im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 gleichgestellte Situation, die einen Familienbeihilfenanspruch vermittelt.

Der Bf. geht dagegen betreffend die Zeit von Mai 2021 bis Juli 2022 zusammengefasst von einer einer Beschäftigung im Sinne der VO 883/2004 gleichgestellten Situation aus, da

  1. Österreich die Pflegetätigkeit durch die Möglichkeit der Übernahme von Pensionsversicherungsbeiträgen nach § 18b ASVG honoriere,

  2. die Kosten der Kranken- und Unfallversicherung des Bf. zur Gänze vom Bund getragen worden seien,

  3. im Burgenland beispielsweise eine Anstellung im Landesdienst als pflegender Angehöriger möglich sei und in diesem Fall der Familienbeihilfenanspruch nicht strittig sei,

  4. der Bf. auch vom Vater zwecks der Pflege hätte angestellt werden können und in diesem Fall der Familienbeihilfenanspruch nicht strittig sei,

  5. aus sozialpolitischer Sicht bedacht werden solle, dass angesichts des Mangels an Pflegekräften die Aufgabe einer gut bezahlten Tätigkeit und damit auch des Einkommens zur Aufnahme der Tätigkeit der Pflege eines nahen Angehörigen sonst de facto mit einer "Bestrafung" durch Entzug von Familienleistungen verbunden sei, was benachteiligend und nicht zielführend sei und

  6. Teilnehmer des Freiwilligen Sozialen Jahres auf Kosten des Bundes voll (kranken-, unfall- und pensions-) versichert seien, ein Taschengeld von EUR 270 und Familienbeihilfe beziehen würden und damit pflegenden Angehörigen wie dem Bf. sehr ähnlich seien.

Nach Art. 1 lit. a der VO (EG) Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Beschäftigung" "jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedsstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt". Gleiches gilt nach lit. b leg. cit. parallel für den Ausdruck "selbstständige Erwerbstätigkeit".

Erwägungsgrund 11 der VO (EG) Nr. 883/2004 lautet: "Die Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen, die in einem Mitgliedsstaat eingetreten sind, kann in keinem Fall bewirken, dass ein anderer Mitgliedsstaat zuständig wird oder dessen Rechtsvorschriften anwendbar."

Erwägungsgrund 17 der VO (EG) Nr. 883/2004 lautet: "Um die Gleichbehandlung aller im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats erwerbstätigen Personen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, als allgemeine Regel die Anwendung der Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats vorzusehen, in dem die betreffende Person eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt."

Nach Art 14 Abs. 1 VO (EG) gelten allerdings die Artikel 11-13, wonach im konkreten Fall Österreich zuständig für die Auszahlung von Familienbeihilfe werden könnte, nicht für freiwillige (Weiter-)Versicherungen.

Für die Anwendbarkeit des österreichischen Rechts gilt es daher zu beurteilen, ob die vom Bf. in Österreich ausgeübte Tätigkeit als Pfleger seines Vaters als "Beschäftigung" oder gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung Nr. 883/204 zu qualifizieren ist. Nur, wenn dies nicht der Fall ist, sind nach Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung Nr. 883/2004 die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates anwendbar.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den Begriff der "Beschäftigung" in Art. 1 lit. a als jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation definiert, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt. Art 1 lit. a der genannten Verordnung verweist daher auf das Sozialrecht des Mitgliedstaats, das auf den jeweiligen Sachverhalt anzuwenden ist. Maßgeblich ist dem eindeutigen Wortlaut der oben genannten Bestimmung zufolge die nationale Definition der Beschäftigung (). Es kommt daher nicht etwa darauf an, ob eine Person tatsächlich eine bestimmte Art der Versicherung abgeschlossen hat, sondern welcher Tatbestand erfüllt sein muss, damit eine Person als beschäftigt im Sinne des österreichischen Sozialversicherungsrechtes gilt (vgl. ). Der Arbeitnehmerbegriff der entsprechenden Vorgänger-Verordnung (EWG) 1408/71 existiert nicht mehr, verwendet wird nunmehr stattdessen der Begriff "(Ausübung einer) Beschäftigung".

Betrachtet man neben der Selbstständigkeit das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG), umfasst dessen Geltungsbereich grundsätzlich sämtliche unselbständig tätige Arbeitnehmer, da der Gesetzgeber im ASVG schlechthin den Dienstnehmer als versicherungspflichtig erklärt (§ 4 Abs. 2 ASVG: "Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird..." ). In Österreich fallen daher grundsätzlich alle beschäftigten ASVG-Versicherten einschließlich freier Dienstnehmer/innen über der Geringfügigkeitsgrenze unter den Beschäftigtenbegriff. Erforderlich ist aber, dass eine tatsächliche und erlaubte Tätigkeit gegen Entgelt ausgeübt wird, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die ein so geringes Ausmaß haben, dass sie sich "als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen".

Wie ausgeführt, ist die innerstaatliche, österreichische Definition von "Erwerbstätigkeit" entscheidend für dessen Auslegung. Soweit ersichtlich, ist mit expliziter Bezugnahme auf die VO Nr. 883/2004 einzig § 24 KBGG einschlägig und enthält diese Norm auch eine solche Definition. Nach der ständigen Rechtsprechung des OGH (RS0130043; insbesondere ; 10 ObS 148/14h; 10 ObS 51/17y; 10 ObS 96/17s; 10 ObS 103/18x; 10 ObS 120/19y; 10 ObS 160/19f; 10 ObS 173/19t; 10 ObS 81/20i; 10 ObS 104/21y; 10 ObS 36/21y; 10 ObS 61/22a; 10 ObS 64/23v) stellt § 24 Abs. 2 KBGG (Kinderbetreuungsgeldgesetz) gleichzeitig auch eine Definition des Begriffs der "Beschäftigung" im Sinne des Artikels 1 lit. a der VO (EG) 883/2004 sowohl für das pauschale als auch für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld dar. § 24 Abs. 2 und 3 KGBB idF BGBl. I Nr. 183/2023 lauten:

"(2) Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken- und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.

(3) Nur bei Erfüllung der nationalen Gleichstellungserfordernisse des Abs. 2 zweiter Satz liegt eine gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 68 iVm Art. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. Nr. L 166 vom S. 1, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 1372/2013, ABl. Nr. L 346 vom S. 27, vor, wobei diese der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation für alle Eltern spätestens mit Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes endet. Eine Scheinkarenz löst keine österreichische Zuständigkeit aus, dasselbe gilt für Zeiten, in denen mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen kein gesetzlicher Anspruch auf die österreichische Karenz besteht, etwa bei gleichzeitiger Inanspruchnahme einer in- oder ausländischen Karenzzeit durch den anderen Elternteil."

Demgemäß wäre nach dem maßgeblichen innerstaatlichem Recht Österreichs nicht weniger als eine sozialversicherungspflichtige (und somit jedenfalls eigens entlohnte) Tätigkeit Voraussetzung für eine "Erwerbstätigkeit" bzw. in der Folge eine davon abgeleitete gleichgestellte Situation.

In Österreich stellen Tätigkeiten jedenfalls dann Erwerbstätigkeiten im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 dar, wenn sie kranken- und pensionsversicherungspflichtig sind. Nach der EuGH-Judikatur fallen "geringe" Erwerbstätigkeiten nicht unter den EU-Erwerbstätigkeitsbegriff.

Aus all dem geht hervor, dass grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit gegen Entgelt vorliegen muss, beispielsweise eine selbständige Tätigkeit oder im Form einer Dienstnehmereigenschaft. Eine solche Erwerbstätigkeit ist demnach die tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit gegen Arbeitsentgelt.

Einer Beschäftigung gleichgestellt ist der Bezug einer Geldleistung aufgrund oder infolge einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit, beispielsweise einer Ersatzleistung wie zB. Krankengeld, Wochengeld, (unter Umständen) Arbeitslosengeld etc. (vgl. , bezüglich weiterer Beispiele gleichgestellter Situationen mit Verweis auf einen Beschluss der "Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" zur Konkretisierung des in Art 68 VO 883/2004 verwendeten Begriffs "Beschäftigung" bzw. "selbständige Erwerbstätigkeit": Beschluss Nr. F1 vom zur Auslegung des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen [2010/C 106/04], ABl EU Nr. C 106 vom ). Der Bezug der Mindestsicherung und in der Regel einer Rente (Alters- oder Hinterbliebenenrente oder der Bezug von Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten) hingegen ist beispielsweise keine Ersatzleistung für das Entgelt aus einer Beschäftigung und stellt deshalb keine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 dar.

Die Selbstversicherung nach § 18b ASVG gehört zu den freiwilligen Versicherungsverhältnissen, deren Begründung von einer Willenserklärung (Beitrittserklärung) daran Interessierter abhängt. Freiwillige Versicherungsverhältnisse stellen - abgesehen von Fällen der Höherversicherung - grundsätzlich ein Auffangbecken für solche Fälle dar, die aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht mehr in die Pflichtversicherung einbezogen sind (). Bei einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG besteht die Begünstigung, dass für diese Selbstversicherung keine Beiträge zu zahlen sind, sondern diese zur Gänze vom Bund getragen werden (§ 77 Abs. 8 iVm § 76b Abs. 5a und § 77 Abs. 2 ASVG). Diese Selbstversicherung kann auch neben einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung beansprucht werden (; , Ro 2015/08/0025; , Ro 2020/08/0004; Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm zu § 18b ASVG (Stand , rdb.at) Rz 3, 10 und 11). Dadurch soll dem Versicherten ermöglicht werden, die mit seiner früheren Erwerbstätigkeit verbundene pensionsrechtliche Absicherung weiter zu führen (; , Ro 2020/08/0004).

Dem Bf. erwachsen bei einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG abgesehen von der Pensionsversicherung keinerlei Ansprüche. Die damit verbundene Pflegetätigkeit löst keine Pflichtversicherung nach österreichischem Sozialversicherungsrecht aus und führt zu keiner Geldleistung aufgrund oder infolge einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit, wie es ansonsten alle Arten einer Beschäftigung gleichgestellten Tatbestände tun. Die Versicherung nach § 18b ASVG ist unabhängig von einer Pflichtversicherung möglich. Es kam im vorliegenden Fall weder zu einer selbständigen Tätigkeit, noch zu einer Dienstnehmereigenschaft des Bf.. Vor allem lag keine eigens entlohnte bzw. bezahlte Tätigkeit des Bf. vor.

In einer Gesamtbetrachtung in Zusammenschau mit dem Erwägungsgrund 11 der VO 883/2004 liegt daher im gegenständlichen Fall nicht nur keine Erwerbstätigkeit im Sinne der einschlägigen Normen, sondern auch keine einer solchen (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit gleichgestellte Tätigkeit vor, die eine Zuständigkeit Österreichs begründen könnte. Vielmehr handelt es sich bei der freiwilligen Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG um einen Anwendungsfall von Art 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ("Freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung"), welcher lautet: "Die Artikel 11 bis 13 gelten nicht für die freiwillige Versicherung oder die freiwillige Weiterversicherung, es sei denn, in einem Mitgliedstaat gibt es für einen der in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweige nur ein System der freiwilligen Versicherung." Da es in Österreich nicht nur ein System der freiwilligen Versicherung (sprich: nur freiwillige Versicherungen), sondern umfassende Regelungen betreffend diverse Pflichtversicherungen gibt (aufgrund der missverständlichen Formulierung der deutschen Sprachfassung sind zum sprachlich klareren Verständnis von Art 14 der VO beispielsweise die englische und französische Sprachversion empfohlen), sind die Artikel 11 bis 13 der VO (EG) Nr. 883/2004 auf den beschwerdegegenständlichen Fall für den Zeitraum von Mai 2021 bis Juli 2022 nicht anwendbar. Folglich besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für den genannten Zeitraum Mai 2021 bis Juli 2022.

Im Hinblick auf die vom Bf. vorgebrachten Argumente ist festzuhalten, dass tatsächlich weder eine selbständige Tätigkeit gegen Entgelt, noch ein bezahltes Dienstverhältnis bestand. Hinsichtlich des vom Bf. angeführten Freiwilligen Sozialen Jahres ist zu bemerken, dass der damit verbundene Familienbeihilfenanspruch (im Falle der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen) nur besteht, da dieser in § 2 Abs. 1 lit l lit aa FLAG eigens normiert ist. Es wäre dem Gesetzgeber freigestanden, neben der Absolvierung eines Freiwilligen Sozialen Jahres gemäß § 2 Abs. 1 lit l lit aa FLAG auch die Tätigkeit der Pflege eines nahen Angehörigen im Sinne des § 18b ASVG mit einem Familienbeihilfenanspruch zu versehen. Da der Gesetzgeber dies trotz Möglichkeit dazu (und des parallelen, jahrelangen Bestehens der Regelung des § 18b ASVG) nicht getan hat, ist davon auszugehen, dass ein derartiger Anspruch schlicht nicht vorgesehen ist. Dies zeigt vielmehr, dass ein solcher Anspruch auf Familienbeihilfe eigens normiert werden müsste, um diesen zu begründen. Eine echte und nicht bedachte Gesetzeslücke, welche durch Analogie zu schließen wäre, ist in diesem Fall nicht ersichtlich.

Da in den Monaten Mai 2021 bis Juli 2022 keine Beschäftigung und kein gleichgestellter Tatbestand und im Juni 2022 und Juli 2022 keine Beschäftigung zum Ersten des Monats (vgl. Art. 59 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 987/2009) in Österreich vorlag, bestand daher für diesen Zeitraum kein Anspruch des Bf. auf Familienleistungen in Österreich. Der Bf. und seine beiden Kinder unterliegen in diesem Zeitraum nicht den österreichischen Rechtsvorschriften, sodass sie auch eine Ausgleichszahlung nach österreichischem Recht (§ 4 FLAG 1967) nicht in Anspruch nehmen können ( mit Verweis auf ; )

Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen der belangten Behörde in der Beschwerdevorentscheidung und im Vorlagebericht verwiesen.

Die Beschwerde war daher betreffend den Zeitraum Mai 2021 bis Juli 2022 abzuweisen, da für diesen mangels (gleichgestellter) Erwerbstätigkeit kein Anspruch auf Familienbeihilfe für den Bf. bestand.

Der angefochtene Bescheid vom war in der Folge im Ergebnis im Sinne der Beschwerdevorentscheidung vom abzuändern und der Beschwerde vom war insoweit teilweise stattzugeben.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da zur Rechtsfrage, ob eine Selbstversicherung nach § 18b ASVG in Verbindung mit der zugrundliegenden unentgeltlichen Pflegetätigkeit eine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation im Sinne im Sinne des Artikels 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, war die ordentliche Revision zuzulassen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 1 lit. a VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 14 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 1 lit. a und b VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Schlagworte
Erwerbstätigkeit
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100085.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at