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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.05.2024, RV/5100408/2023

Kein Familienbeihilfenanspruch bei Unterhaltspflicht durch den Ehegatten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***USt*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum 01.2019-03.2020, 06.2020-10.2020, 12.2020-04.2021, 06.2021 und ab 02.2022 sowie über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffen Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum 05.2021, 07.2021-08.2021 und 01.2022 Steuernummer ***X*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde betreffend Abweisung Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird im Sinne der Beschwerdevorentscheidung vom abgeändert.

II. Die Beschwerde betreffend Bescheid über die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen wird als unbegründet abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Am langte bei der belangten Behörde ein Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend ab Jänner 2019 ein. Dem Antrag angehängt war eine Bestätigung der ***1***, dass die Beschwerdeführerin seit als Arbeiterin gem. Chancengleichheitsgesetz bei der ***2*** beschäftigt sei.

2. Die belangte Behörde wies die Anträge am für die Zeiträume 01.2019 -03.2020, 06.2020-10.2020, 12.2020-04.2021, 06.2021 und ab 02.2022 ab.

Begründet wurden die Bescheide wie folgt:

"Für verheiratete oder geschiedene Kinder besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn der (frühere) Ehepartner Unterhalt zu leisten hat (§ 5 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Die Einkommensgrenze für Unterhaltsleistung ist aus dem § 140AGBG (Allgem. bürgerl. Gesetzbuch) abzuleiten. Diese beträgt monatlich bei einem Ehepaar für 2019 € 1.398,97, 2020 € 1.472,-, 2021 € 1.578,36 undfür 2022 € 1.625,71.

Aufgrund der Einkommenshöhe Ihres Ehegatten in den oben angeführten Zeiträumen kann von einer Unterhaltsleistung ausgegangen werden. Somit liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Familienbeihilfe/KAB nicht vor.

Der Erhöhungsbetrag wegen einer erheblichen Behinderung wird als Zuschlag zur allgemeinen Familienbeihilfe gewährt. Dafür Ihr Kind die allgemeine Familienbeihilfe nicht zusteht, kann auch der Erhöhungsbetrag nicht ausgezahlt werden."

3. Am wurden seitens der belangten Behörde Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für folgende Zeiträume von der Beschwerdeführerin zurückgefordert:

Begründet wurde der Bescheid wie folgt:

"Für verheiratete oder geschiedene Kinder besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn der (frühere) Ehepartner Unterhalt zu leisten hat (§ 5 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Im Zuge der Beschwerdeerledigung wurdefestgestellt, dass auch für oben genannte Monate kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht da die Einkommensgrenze den maßgeblichen Richtsatz überschreitet und somit ein Unterhaltsanspruch besteht."

4. Dagegen richtet sich die Beschwerde vom (gegen die Abweisung der Zuerkennung der Familienbeihilfe) sowie die Beschwerde vom (gegen den Rückforderungsbescheid) jeweils mit folgender Begründung:

"Mangels Unterhaltsverpflichtung des Ehegatten war die Unterhaltspflicht der Eltern nicht erloschen."

5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde vom teilweise stattgegeben und der abweisende Bescheid für den Zeitraum 06- 10/2020 und 01-03/2021 aufgehoben.

Zur Begründung wurde wie folgt ausgeführt:

"Gemäß § 5 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, denen Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist. Art und Umfang des Unterhaltsanspruches eines Ehegatten gegenüber dem anderen Ehegatten ergeben sich aus dem Zivilrecht.

Zu prüfen ist daher, ob die Einkünfte des Ehegatten höchstens zur Bestreitung der eigenen bescheidensten Unterhaltsbedürfnisse ausreichen. Bei der Höhe der "bescheidensten Bedürfnisse" muss man sich an den zivilrechtlichen Begriffen "notwendiger bzw. notdürftiger" Unterhalt orientieren. Diese wiederum richten sich nach den Ausgleichzulagen - Richtsätze des § 293 ASVG.

Diese Richtsätze betragen für das Jahr 2019 monatlich € 933,06 für das Jahr 2020 monatlich € 966,65 für das Jahr 2021 monatlich € 1.000,48 undfür das Jahr 2022 monatlich € 1.030,49.

Ein Unterhaltsanspruch besteht nur dann, wenn dieser Wert von ihrem Ehegatten überschritten wird.

Da dies in den Monaten 1-12/2019, 1-3/2020, 4/2021, 6/2021 und von 2-12/2022 der Fall war, musste die Beschwerde für diesen Zeitraum abgewiesen werden. Dieser Wert wurde auch in den Monaten 6-10/2020 und 12/2020-3/2021 überschritten, jedoch kann aufgrund einer Sonderregelung des § 15 FLAG Familienbeihilfe für diese Monate gewährt werden."

5a. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid als unbegründet abgewiesen. Aus der Begründung:

"[...] siehe Begründung unter 5.

Diese Richtsätze betragen für das Jahr 2021 monatlich € 1.000,48 und für das Jahr 2022 monatlich € 1.030,49.

Ein Unterhaltsanspruch besteht nur dann, wenn dieser Wert von ihrem Ehegatten überschritten wird. Da dies in den Monaten 5/2021, 7-8/2021 und 1/2022 der Fall war, musste die Beschwerde abgewiesen werden."

6. Mit Vorlageanträgen vom und wurde die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht samt Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

7. Der Akt wurde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

8. Am wurde der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ***Bf1*** ist am ***Datum*** geboren und vollendete im März 2013 das 21. Lebensjahr.

Sie ist voraussichtlich dauernd außerstande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (angeborenes komplexes Fehlbildungssyndrom, Pos.Nr. , Grad der Behinderung 80 %).

Die Beschwerdeführerin ist seit ***Datum2*** verheiratet.

Die Beschwerdeführerin bezog im Jahr 2019 steuerpflichtige Bezüge aus nichtselbständiger Arbeit iHv € 13.698,53 (Einkommensteuerbescheid vom ), im Jahr 2020 iHv € 4.933,69 (Einkommensteuerbescheid 2020 von ); im Jahr 2021 iHv € 4.760,32 (Einkommensteuerbescheid 2021 vom ); 2022 iHv € 7.543,19 (Einkommensteuerbescheid 2022 vom ).

Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Ehegatten ab Jänner 2019 betrugen:

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig bzw ergeben sich diese aus den nicht der Aktenlage widersprechenden und auch von der belangten Behörde nicht widerlegten Ausführungen der Beschwerdeführerin.

Außer Streit steht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Funktionsbeeinträchtigung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (laut Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom ).

Vor diesem Hintergrund können die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen angenommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Gesetzliche Grundlagen:

§ 6 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und [...]

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie [...]

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden, oder [...]

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

§ 15 Abs. 1 FLAG 1967 normiert: Für Personen, die im Zeitraum von einschließlich März 2020

bis einschließlich Februar 2021 für zumindest einen Monat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind haben, finden die während dieses Zeitraumes vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen im unmittelbaren Anschluss an den Anspruchszeitraum bis März 2021 in Bezug auf dieses Kind weiter Anwendung, solange während dieses Zeitraumes keine andere Person anspruchsberechtigt wird.

Rechtliche Beurteilung:

Kein Anspruch auf Familienbeihilfe bei Unterhaltspflicht des Gatten

Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Parteien gehen aus diesem Grund übereinstimmend davon aus, dass ein Eigenanspruch der Beschwerdeführerin auf Familienbeihilfe in Betracht kommt (vgl. § 6 Abs. 2 lit. d iVn §6 Abs. 5 FLAG 1967).

Art und Umfang des Unterhaltsanspruches eines Ehegatten gegenüber dem anderen Ehegatten ergeben sich aus dem Zivilrecht, insbesondere aus § 94 ABGB. Die umfassende Lebensgemeinschaft, die Ehegatten eingehen, bedingt auch die gegenseitige Unterhaltsverpflichtung. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Ehegatte selbst keine oder nur geringfügige Einkünfte hat.

Der Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe richtet sich grundsätzlich nach der verbindlichen autonomen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft (OGH 8 Ob 210/02v). Der Unterhalt wird grundsätzlich nicht (nur) durch Geld, sondern (auch) durch Naturalleistungen (Wohnung, Nahrungsmittel, Bekleidung, Haushaltsgegenstände usw.) erbracht.

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) hat bei unterschiedlicher Leistungsfähigkeit der Ehegatten der Ehegatte mit niedrigerem Einkommen einen Unterhaltsanspruch gegen den besser verdienenden Ehegatten in der Höhe, die ihm die Deckung der den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Bedürfnisse ermöglicht (OGH, 7 Ob 503/91). Von der überwiegenden Rechtsprechung der Gerichte wird als grundsätzliche Orientierungshilfe bei der Unterhaltsbemessung üblicherweise ein 40 %-Anteil des schlechter verdienenden Ehegatten am Familiennettoeinkommen zu Grunde gelegt.

Schon der Wortlaut des § 5 Abs 2 FLAG 1967 spricht eindeutig dafür, dass jeder Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten die Gewährung von Familienbeihilfe ausschließt. Dass nur eine ausschließliche Unterhaltsleistung durch den Ehegatten dem Bezug von Familienbeihilfe entgegenstünde, kann dem Gesetz nicht entnommen werden (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 6 Rz 9 und ).

Maßgebend für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist in erster Linie seine wirtschaftliche Lage, wobei sein hier relevantes Einkommen die Summe aller ihm tatsächlich zufließenden Mittel ist (vgl. FLAG-Kommentar aaO Rz. 13).

Bei der Prüfung, ob die Einkünfte des potentiell Unterhaltsverpflichteten über die eigenen bescheidensten Unterhaltsbedürfnisse hinausgehen, ist es sachgerecht, sich bei der Höhe der "bescheidensten Bedürfnisse" an den zivilrechtlichen Begriffen "notwendiger bzw. notdürftiger" Unterhalt zu orientieren. Diese wiederum orientieren sich nach der Judikatur am "Existenzminimum", das die Ausgleichszulagenrichtsätze des § 293 ASVG als Basis hat.

Es ist daher sachgerecht, bei der Höhe des Mindestbetrages zur Deckung der "bescheidensten Bedürfnisse" den Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG für Alleinstehende heranzuziehen (vgl. FLAG-Kommentar aaO., Rz. 17 und ). Der Ausgleichszulagenrichtsatz beträgt (monatlich) 2019: EUR 933,06; 2020: EUR 966,65,78; 2021: EUR 1.000,48 und 2022: EUR 1.030,49.

Ein Unterhaltsanspruch besteht dann, wenn dieser Wert überschritten ist.

Da dies in den Monaten 1/2019 bis 3/2020, 4/2021 bis 9/2021 und ab 01/2022 der Fall war, musste die Beschwerde für diesen Zeitraum abgewiesen bzw. bereits ausbezahlte Familienbeihilfenbeträge rückgefordert werden.

Dieser Wert wurden auch in den Monaten 6/2020 bis 3/2021 überschritten, jedoch kann aufgrund einer Sonderregelung des § 15 FLAG Familienbeihilfe für diese Monate gewährt werden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, wie die den Familienbeihilfenbezug ausschließende Unterhaltsverpflichtung des Gatten zu ermitteln ist, wurde in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits ausreichend geklärt. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100408.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at