Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.04.2024, RV/2100607/2023

Keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend (erhöhte) Familienbeihilfe ab September 2017, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die am xx.xx.1987 geborene Beschwerdeführerin (Bf.) beantragte am die Zuerkennung der (erhöhten) Familienbeihilfe für sich ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung. Im Formular Beih 3 gab sie an, dass sie seit 2019 Pflegegeld von der PVA beziehe, und legte den ärztlichen Bericht des Herrn OA Dr. ***1*** vom über den stationären Aufenthalt vom 20. - im LKH ***2***, das Schreiben des Humangenetischen Instituts der Medizinischen Universität ***3*** vom mit dem Humangenetischen Befund vom und weiters die Bestätigung vom der ao.Univ. Prof. Dr. ***4*** bei.

In dem im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ("Sozialministeriumservice") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde unter Anführung der relevanten vorgelegten Befunde folgende Diagnose erstellt und dafür nach der angegebenen Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 60 v. H. seit Februar 2011 (GdB 50 v. H. seit Juni 2003) festgestellt:

"Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Ergibt sich aus der führenden GS1, die durch GS2 bei maßgeblicher zusätzlicher Leidensproblematik um eine Stufe angehoben wird."

Weiters wurde begründend ausgeführt:
"Fr. Bf1 beantragt zum wiederholten Male die erhöhte Familienbeihilfe wobei hierzu insgesamt bereits 7 (!) Vorbewertungen erfolgten.
1/2007, Dr.
***5*** mit Korrektur durch den ÄD (Dr.***6***): GdB 50% nach RSVO bei Aortenklappenersatz als DZ - erwerbsfähig
01/2011, Dr.
***5***, ebenfalls mit Korrektur durch den ÄD (Dr.***6***): GesGdB 60% nach EVO bei Aortenklappenersatz (50%) und Depressiver Störung (laut Befunden auch Verdacht auf emotionale Persönlichkeitsstörung) (50%), seit 10/2003 als DZ - erwerbsfähig
08/2013, Dr.
***5***: GesGdB 60% nach EVO bei Aortenklappenersatz (50%) und Depressiver Störung (zitierter Befund beschreibt auch Borderline Persönlichkeitsstörung) (50%), als DZ - Bewertung gilt ab 02/2011; gibt an in Frühpension zu sein (wird nicht durch Unterlagen belegt) - ist voraussichtlich dauerhaft außer Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gutachten 01/2014, Dr.
***7***: GesGdB 60% nach EVO bei Aortenklappenersatz (50%) und Borderline Störung (50%), als DZ; - ist voraussichtlich dauerhaft außer Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen; Erwerbsunfähigkeit seit 3/2013, war vorher berufstätig und ist in I-Pension - ergänzende Präzisierung durch ÄD (Dr. ***8***): GdB 60% ab 2011, Erwerbsunfähigkeit seit 03/2013.
Zuletzt Bewertung meinerseits am :
GesamtGdB 60% bei:
1 Zustand nach Aortenklappenersatz 2003 bei Marfan-Syndrom mit Gefäßausweitungen - 50%
2 Borderline Persönlichkeitsstörung - 50%
Aus den neu vorgelegten Befunden ergibt sich keine wesentliche Erweiterung - diese bestätigen primär sogar die Phase beruflicher Tätigkeit und erst dann durch Verschlechterung die Arbeitsunfähigkeit.
Der Angabe, dass bereits in der Vergangenheit depressive Veränderungen bestanden haben mag nicht widersprochen werden, eine Unfähigkeit für eine Ausbildung bzw. produktive Tätigkeit wurde damals jedoch nicht erreicht. Erst mit 2013 erreichte die Krankheitslast ein derartiges Ausmaß, dass eine weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich war; weshalb dann auch 03/2013 die Invaliditätspension zuerkannt wurde. Davor war eine berufliche Tätigkeit gegeben wodurch sich erst auch ein Anspruch auf I-Pension ergab!
Rückdatierung des GdB 50% entsprechend Vermerk Dr
***6*** 06/2003
GdB 60vH ab 2011 wie in den VGA angeführt
Erwerbsunfähigkeit seit 3/2013 entsprechend Zuerkennung der I-Pension.
Abermals werden Befunde vorgelegt: 2003 LKH
***2***: Medikamenteningestion in demonstrativ suizidaler Absicht, Übergewicht (Body mass index: 25,5) Humangenetische Untersuchung 2016: Genveränderung im Rahmen eines Loeys-Dietz -Syndroms,zusätzlich bescheinigt die Kinderklinik ***3*** am : Fr. Bf1, geb. am xx.xx.1987, leidet unter einem autosomal dominant erblichen Loeys-Dietz-Syndrom Typ 2, das mit einer Erweiterung (Dilatation) der Aorta (Körperhauptschlagader) einhergeht. Aufgrund dieser Aortendilatation mit einem Durchmesser von 9 cm, verbunden mit einer Aorteninsuffizienz Grad III, wurde bei vorliegender Mutation im TGFBR1-Gen am eine Aortenwurzelersatz-Operation mit Kunstklappe (Bentall-de-Bono-Operation) durchgeführt. Sinn dieser Operation ist, das Risiko für das Einreißen der wandschwachen Körperhauptschlagader zu senken. Zudem war am eine weitere Operation mit Ersatz eines weiteren Aortenstückes aufgrund dieser erblichen Bindegewebsschwäche notwendig.
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Die einzige tatsächliche neue Information liegt hier lediglich einer der nun anderen genetischen Zuordnung - zuvor Marfan-Syndrom, nun Loeys-Dietz-Syndrom, wobei beide eine erhebliche Bindegewebsschwäche zur Folge haben, die bereits entsprechend ihres Ausmaßes eingeschätzt wurde - die Änderung des Syndromes bewirkt daher (abgesehen von der Bezeichnung) keine Änderung der Bewertung und auch nicht bezüglich der Rückdatierungen.
Definitiv ist die demonstrative Medikamenteningestion 2003 kein neuer Hinweis auf Selbsterhaltungsunfähigkeit!
Die Stellungnahme des LKH
***3*** beschreibt die an sich bekannte Bindegewebsschwäche mit ihren Auswirkungen, die eben allesamt bereits vorbewertet und vorbekannt sind - nur als Marfan-Syndrom gewertet wurden.
Weiterhin gilt daher:
Dem Umstand, dass bereits in der Vergangenheit depressive Veränderungen bestanden haben mag nicht widersprochen werden, eine Unfähigkeit für eine Ausbildung bzw. produktive Tätigkeit wurde damals jedoch nicht erreicht. Erst mit 2013 erreichte die Krankheitslast ein derartiges Ausmaß, dass eine weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich war, weshalb dann auch 03/2013 die Invaliditätspension zuerkannt wurde. Davor war eine berufliche Tätigkeit gegeben wodurch sich erst auch ein Anspruch auf I-Pension ergab!
Rückdatierung des GdB 50% entsprechend Vermerk Dr
***6*** 06/2003
GdB 6ovH ab 2011 wie in den VGA angeführt
Erwerbsunfähigkeit seit 3/2013 entsprechend Zuerkennung der I-Pension
GdB liegt vor seit: 02/2011
GdB 50 liegt vor seit: 06/2003
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Rückdatierung des GdB 50% entsprechend Vermerk Dr
***6*** 06/2003
GdB 60vH ab 2011 wie in den VGA angeführt
Frau
Bf1 ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 03/2013
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Derzeit und wohl auch in Zukunft besteht keine ausreichende Selbsterhaltungsfähigkeit.
Im Einklang mit den Befunden muss diese nach einer Phase der Erwerbstätigkeit mit erstmaliger Zuerkennung der befristeten I-Pension 03/2013 angenommen werden - also im 26. Lebensjahr.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat die AW ihren Lebensunterhalt selbst bestritten und sich damit auch den Anspruch auf eine I-Pension erworben
."
Dieses Gutachten vidierte der leitende Arzt am .

Im Bescheid vom wurde der Antrag der Bf. für den Zeitraum ab September 2017 abgewiesen und begründend ausgeführt:
"Mit Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde Ihnen ein Gesamtgrad der Behinderung ab von 60% und ab von 50% sowie der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit mit mit erstmaliger Zuerkennung der befristeten I-Pension 03/2013 bescheinigt, also im 26. Lebensjahr."

Dagegen brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht die Beschwerde ein, in der begründend ausgeführt wurde:
"In meinem 10. Lebensjahr musste ich mich einer schweren Herzoperation unterziehen, bei der mir eine künstliche Herzklappe (Aortenklappenersatz) eingesetzt wurde. In diesem Alter verübte Ich auch einen Selbstmordversuch. In der weiteren Folge wurde bei mir das Marfan-Syndrom diagnostiziert. 2016 wurde allerdings vom Institut für Humangenetik festgestellt, dass bei mir das Loeys-Dietz-Syndrom vorliegt. Dabei handelt es sich um eine seltene, erblich bedingte Bindegewebsstörung, bei der es zu Auffälligkeiten des Skeletts und des Herz-Kreislauf-Systems kommt, Dadurch bedingt sind Gefäßerweiterungen und die hohe Neigung zu Aneurysmen, welche die Patientinnen In einen lebensbedrohlichen Zustand versetzen können. Aneurysmen sind Ausbuchtungen eines Blutgefäßes aufgrund einer Schwäche in der Gefäßwand, die überall auftreten können. Aufgrund dieser Vorerkrankungen war ich nie belastbar, von ärztlicher Seite wurde mir Schonung verordnet. In der weiteren Folge wurde bei mir eine Borderline-Störung sowie eine Agoraphobie mit Panik-Attacken diagnostiziert. lch befinde mich in laufender psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. 2021 musste ich mich neuerlich einer Herz-Operation unterziehen.
Aufgrund meiner Erkrankungen liegt ein Grad der Behinderung von 50% seit 06/2003 und von 60% seit 2011 vor.
Der Sachverständige Dr.
***9*** hat in seinem Gutachten vom festgestellt, dass dem Umstand, dass bereits in der Vergangenheit depressive Veränderungen bestanden hätten, nicht widersprochen werde, eine Unfähigkeit für eine Ausbildung bzw. produktive Tätigkeit jedoch damals nicht erreicht worden sei. Nach seiner Einschätzung hätte die Krankheitslast erst mit 2013 ein derartiges Ausmaß erreicht, dass eine weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich gewesen wäre, weshalb dann auch 03/2013 die Invaliditätspension zuerkannt worden wäre. Davor wäre eine berufliche Tätigkeit gegeben gewesen, wodurch sich ein Anspruch auf Invaliditätspension ergeben hätte.
Diese Feststellungen samt Begründung sind für mich nicht nachvollziehbar, da der Zeitraum vor Zuerkennung der Invaliditätspension nicht richtig dargestellt wird, ich trete dieser Interpretation daher entschieden entgegen.
Gemäß § 6 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes "erheblich behinderte Kind". Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 6 Abs. 5 FLAG, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Aus der Rechtsprechung lässt sich ableiten, dass ein "Kind" dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wenn es auf Grund seines Handicaps nicht in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit - sei es In einer geschützten Werkstätte, in einem "integrativen Betrieb", auf einem "Behindertenarbeitsplatz" oder am "freien Arbeitsmarkt" nachzugehen.
Ist das "Kind" hingegen in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder übt es tatsächlich eine solche (nachhaltig) aus, spricht dieser Umstand gegen das Vorliegen einer dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wenn dadurch selbständig Einkünfte in einer zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreichenden Höhe erzielt werden können oder werden.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates die Fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, dann gegeben ist, wenn die behinderte Person in der Lage ist, durch ihre Arbeitsleistung Einnahmen zu erzielen, die ausreichen, die eigenen bescheidensten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Eine Orientierung an den für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Ausgleichszulagen-Richtsätzen für Alleinstehende (§ 293 ASVG) ist dabei durchaus zulässig und bilden diese die entsprechende Richtschnur für die Beurteilung (Berufungsentscheidung - Steuer (Referent) des UFSI vom , RV/0343-I/12).
Nach Beendigung der Schulzeit stellte sich für mich aufgrund meines labilen Gesundheitszustandes bald heraus, dass ich den Anforderungen einer ganztägigen Tätigkeit am ersten Arbeitsmarkt nicht gewachsen war. Es war mir auch nicht möglich, eine Berufsausbildung abzuschließen. Ich war aufgrund meiner Erkrankungen nicht belastbar und musste die von mir eingegangenen Arbeitsverhältnisse regelmäßig nach kurzer Zeit wieder auflösen. Dazwischen war ich oft und lange krank und arbeitslos. Die maximale Arbeitsdauer am Stück betrug knapp 7 Wochen. Ich konnte mir nie entsprechende Einkünfte erwirtschaften, da ich in der Regel den Hilfsarbeiterlohn erhielt. Mein Einkommen lag meist unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz. Ich erhielt auch in der Regel Aufstockungen aus der Sozialhilfe. Meinen Versicherungsdatenauszug lege ich bei, um dies zu veranschaulichen.
Daraus ist abzuleiten, dass ich die Selbsterhaltungsfähigkeit nie erreicht habe, da von mir nie selbständig Einkünfte in einer zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreichenden Höhe erzielt werden konnten.
Die Argumentation des Sachverständigen, dass erst die Zuerkennung der dauerhaften Invaliditätspension darauf hindeute, dass bei mir die Selbsterhaltungsunfähigkeit eingetreten sei, ist somit nicht zutreffend
."
Beigelegt wurde der Versicherungsdatenauszug vom , der zusammengefasst folgende Daten enthält:
- Arbeitslosengeldbezug (zuvor kein Eintrag),
- Lehrling
- Arbeitslosengeldbezug und Notstandshilfe,
- Arbeiterin,
- Krankengeldbezug, Arbeitslosengeldbezug und Notstandshilfe im Wechsel
Arbeiterin
- Notstandshilfe und Krankengeldbezug,
- Arbeiterin,
- Notstandshilfe,
- Arbeiterin,
- Notstandshilfe,
- Arbeiterin,
- Notstandshilfe und Krankengeldbezug,
- Arbeiterin,
- Notstandshilfe,
- Arbeiterin,
- Notstandshilfe und Krankengeldbezug,
- Arbeiterin,
- Krankengeldbezug und Notstandshilfe,
- Arbeiterin
- Notstandshilfe,
- Arbeiterin,
- Krankengeldbezug,
- Arbeiterin und Urlaubsabfindung,
- Arbeitslosengeldbezug, Notstandshilfe und Krankengeldbezug,
- Arbeiterin und Urlaubsabfindung,
- Arbeitslosengeldbezug, Notstandshilfe und Krankengeldbezug,
- Arbeiterin und Urlaubsabfindung,
- Notstandshilfe,
- Pensionsvorschussbezug bzw. Pensionsbezug wegen geminderter Arbeitsfähigkeit;
- Bezug von Rehageld,
seit Pensionsbezug wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.

Unter Vorlage der Beschwerde samt Beilage forderte das Finanzamt beim Sozialministeriumservice ein weiteres Sachverständigengutachten an.
Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde unter Miteinbeziehung des Beschwerdevorbringens und des vorgelegten Versicherungsdatenauszuges dieselben Diagnosen wie im Vorgutachten (VGA) erstellt und dafür nach der angegebenen Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) wiederum ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 60 v. H. seit Februar 2011 (GdB 50 v. H. seit Juni 2003) sowie eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit seit März 2013 festgestellt.
Begründend wurde ausgeführt:
"Fr. Bf1 beantragt abermals und zum wiederholten Male die erhöhte Familienbeihilfe, wobei hierzu insgesamt bereits 8 (!) Vorbewertungen erfolgten.
1/2007, Dr.
***5*** mit Korrektur durch den ÄD (Dr.***6***): GdB 50% nach EVO bei Aortenklappenersatz als DZ - erwerbsfähig
01/2011, Dr.
***5***, ebenfalls mit Korrektur durch den ÄD (Dr.***6***): GesGdB 60% nach EVO bei Aortenklappenersatz (50%) und depressiver Störung (laut Befunden auch Verdacht auf emotionale Persönlichkeitsstörung) (50%), seit 10/2003 als DZ - erwerbsfähig
08/2013, Dr.
***5***: GesGdB 60% nach EVO bei Aortenklappenersatz (50%) und depressiver Störung (zitierter Befund beschreibt auch Borderline Persönlichkeitsstörung) (50%), als DZ - Bewertung gilt ab 02/2011; gibt an in Frühpension zu sein (wird nicht durch Unterlagen belegt) - ist voraussichtlich dauerhaft außer Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gutachten 01/2014, Dr.
***7***: GesGdB 60% nach EVO bei Aortenklappenersatz (50%) und Borderline Störung (50%), als DZ; - ist voraussichtlich dauerhaft außer Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen; Erwerbsunfähigkeit seit 3/2013, war vorher berufstätig und ist in I-Pension - ergänzende Präzisierung durch ÄD (Dr. ***8***): GdB 60% ab 2011, Erwerbsunfähigkeit seit 03/2013.
Bewertung meinerseits 04/2017: GesamtGdB 60% bei
1 Zustand nach Aortenklappenersatz 2003 bei Marfan-Syndrom mit Gefäßausweitungen - 50% und
2 Borderline Persönlichkeitsstörung - 50%. Derzeit besteht keine ausreichende Selbsterhaltungsfähigkeit. Im Einklang mit den Befunden muss diese nach einer Phase der Erwerbstätigkeit mit erstmaliger Zuerkennung der befristeten I-Pension 03/2013 angenommen werden - also im 26. Lebensjahr.
Und abermals bei Beschwerde und Neuantrag Bewertung meinerseits zuletzt am : GesamtGdB 60% bei
1 Zustand nach Aortenklappenersatz 2003 bei Loeys-Dietz - Syndrom mit Gefäßausweitungen - 50% und
2 Borderline Persönlichkeitsstörung - 50%.
Die einzige tatsächliche neue Information liegt hier lediglich einer der nun anderen genetischen Zuordnung - zuvor Marfan-Syndrom, nun Loeys-Dietz-Syndrom, wobei beide eine erhebliche Bindegewebsschwäche zur Folge haben, die bereits entsprechend ihres Ausmaßes eingeschätzt wurde - die Änderung des Syndroms bewirkt daher (abgesehen von der Bezeichnung) keine Änderung der Bewertung und auch nicht bezüglich der Rückdatierungen.
Definitiv ist die demonstrative Medikamenteningestion 2003 kein neuer Hinweis auf Selbsterhaltungsunfähigkeit!
Die Stellungnahme des LKH
***3*** beschreibt die an sich bekannte Bindegewebsschwäche mit ihren Auswirkungen, die eben allesamt bereits vorbewertet und vorbekannt sind - nur als Marfan-Syndrom gewertet wurden.
Weiterhin gilt daher:
Dem Umstand, dass bereits in der Vergangenheit depressive Veränderungen bestanden haben, mag nicht widersprochen werden, eine Unfähigkeit für eine Ausbildung bzw. produktive Tätigkeit wurde damals jedoch nicht erreicht. Erst mit 2013 erreichte die Krankheitslast ein derartiges Ausmaß, dass eine weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich war; weshalb dann auch 03/2013 die Invaliditätspension zuerkannt wurde. Davor war eine berufliche Tätigkeit gegeben, wodurch sich erst auch ein Anspruch auf I-Pension ergab!
Rückdatierung des GdB 50% entsprechend Vermerk Dr
***6*** 06/2003, GdB 60vH ab 2011 wie in den VGA angeführt.
Erwerbsunfähigkeit seit 3/2013 entsprechend Zuerkennung der I-Pension.
Abermals gibt die AW im Beschwerdeschreiben an, dass der Zeitpunkt der Zuerkennung der I-Pension für sie nicht der Zeitpunkt sei, an die ihre Selbsterhaltungsunfähigkeit endgültig begonnen habe, sondern vielmehr eine solche nie bestanden habe und sie daher auch den Bezug der FB einfordere.
Zur Unterstützung ihres Anliegens werden diesmal keine neuen Befunde oder Bestätigungen vorgelegt, sondern ein Versicherungsdatenauszug, zu dem angeführt wird, dass dieser bereits durch Unterbrechungen und Krankenstände ihre nie bestandene Selbsterhaltungsfähigkeit zeigen soll.
Versicherungsdatenauszug, Stand : Beginnt überraschend bereits mit einem Arbeitslosengeld 2004 (zuvor kein Eintrag). Dann Lehrling 2004 - 2006, Arbeitslosengeldbezug, Notstandshilfe, 1 Monat Arbeiterin, dann Krankengeldbezug, wieder Arbeitslosengeld und Notstandsbezug im Wechsel mit meist kurzen Anstellungen - dieser Rhythmus wiederholt sich mehrfach 09-10/2012 wieder Arbeiterin, gefolgt von Urlaubsentschädigung, Notstandshilfe und dann am 02/2013 erstmals Pensionsvorschuss bzw. Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit; REHA-Geld 02/2015 - 04/2020 und dann ab 05/2020 endgültig wieder Pensionsbezug wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Weder das abermalige Beschwerdeschreiben zu den mehrfachen Vorablehnungen noch der Versicherungsdatenauszug zeigt tatsächlich fassbare neue Sachlage.
Abermals wird, wie bisher jedes Mal nicht bestritten, dass bereits in der Vergangenheit körperliche und offenbar auch psychische Probleme bestanden, die, aus welchen Gründen genau auch immer, wiederkehrend zu Abbrüchen von Anstellungen und Phasen von Krankenständen führten. Definitiv kann aber ein Bezug einer Notstandsbeihilfe und Überbrückungsgeld nicht automatisch mit einer generellen Selbsterhaltungsunfähigkeit gleichgesetzt werden.
Dass sich die AW gegen die "Behauptung" ausspricht, dass durch die berufliche Tätigkeit ein Anspruch auf I-Pension erwirkt wurde (2.Seite 3.Absatz) ist nicht ganz verständlich, handelt es sich hierbei doch um eine Tatsachenfeststellung.
Aus welchen Gründen die Anstellungen abgebrochen wurden, ist gutachterlich ebenso wenig objektiv eruierbar wie die Ursache bzw. die persönlichen Inhalte der Phasen der Notstandsbeihilfe und Überbrückungsgeld.
Tatsache bleibt jedoch, dass sich Frau
Bf1 im Zeitraum von 2004 bis 2013 den Anspruch auf eine I-Pension durch Tätigkeit am Arbeitsmarkt unter Inklusion der ihr sozial zustehenden Zeiten, die sich aus den Anstellungen ergaben (Urlaub, Arbeitslosengeld, Krankenstandsgeld) den Unterhalt im Ausmaß der gesetzlichen Rahmen verschafft hat und daher ab 2013 auch den erworbenen Pensionsbezug in Anspruch nehmen konnte.
Frau
***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 03/2013
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Auch bei nochmaliger Prüfung muss diese nach einer Phase der Erwerbstätigkeit mit erstmaliger Zuerkennung der befristeten I-Pension 03/2013 angenommen werden - also im 26. Lebensjahr.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat die AW ihren Lebensunterhalt selbst bestritten und sich damit auch den Anspruch auf eine I-Pension erworben.
Zur Angabe von Frau
Bf1, dass sie über kein "ausreichendes Einkommen" verfügt habe, muss angeführt werden, dass es nicht die Aufgabe eines ärztlichen Sachverständigen sein kann, darüber zu entscheiden, über welches Einkommen aus welcher Quelle eine Person verfügen muss, um grundsätzlich als selbsterhaltungsfähig zu gelten!"
Dieses Gutachten vidierte die leitende Ärztin am .

Am wurden von der Bf. dem Finanzamt folgende Unterlagen nachgereicht:
- Bescheid der PVA vom über eine vorläufige Leistung aus der Invaliditätspension vom bis von monatlich 201,38 € (ohne Ausgleichszulage),
- Bescheid der PVA vom über die Leistung aus der Invaliditätspension ab von monatlich 837,63 € (mit Ausgleichszulage) und ab von monatlich 585,99 € (mit Ausgleichszulage), wobei bei der Pensionsberechnung 95 leistungswirksame Versicherungsmonate berücksichtigt wurden,
- Bescheide der PVA vom und über die Anerkennung des Anspruches auf Invaliditätspension ab und eine vorläufige Leistung von monatlich 966,65 € (incl. Ausgleichszulage) bzw. ab Oktober 2020 auch Pflegegeld der Stufe 1 (160,10 €).

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab und verwies auf das Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom , in dem eine Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin vor ihrem vollendetem 21. Lebensjahr nicht festgestellt worden sei, sondern erst ab März 2013, als sich die Beschwerdeführerin bereits im 26. Lebensjahr befunden habe.

Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) mit der ergänzenden Begründung:
"Der Sachverständige Dr. ***9*** wiederholt in seinem Gutachten vom seine Argumentation, dass dem Umstand, dass bereits in der Vergangenheit depressive Veränderungen bestanden hätten, nicht widersprochen werde, eine Unfähigkeit für eine Ausbildung bzw. produktive Tätigkeit jedoch damals nicht erreicht worden sei. Nach seiner Einschätzung hätte die Krankheitslast erst mit 2013 ein derartiges Ausmaß erreicht, dass eine weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich gewesen wäre, weshalb dann auch 03/2013 die Invaliditätspension zuerkannt worden wäre. Davor wäre eine berufliche Tätigkeit gegeben gewesen, wodurch sich ein Anspruch auf Invaliditätspension ergeben hätte.
Diese Argumentation ist für mich nach wie vor nicht nachvollziehbar. Der Gutachter stellt fest, dass es wiederkehrend zu Abbrüchen von Anstellungen und Phasen von Krankenständen aufgrund von körperlichen und psychischen Problemen gekommen sei. Daraus wird aber von ihm offenbar nicht abgeleitet, dass diese Abbrüche der Anstellungen und Phasen der Krankenstände auf meine Grunderkrankung zurückgehen.
Ich weise neuerlich darauf hin, dass sich für mich aufgrund meines labilen Gesundheitszustandes nach Beendigung der Schulzeit bald herausstellte, dass ich den Anforderungen einer ganztägigen Tätigkeit am ersten Arbeitsmarkt nicht gewachsen war. Es war mir auch nicht möglich, eine Berufsausbildung abzuschließen. Ich war aufgrund meiner Erkrankungen nicht belastbar und musste die von mir eingegangenen Arbeitsverhältnisse regelmäßig nach kurzer Zeit wieder auflösen. Dazwischen war ich oft und lange krank und arbeitslos. Die maximale Arbeitsdauer am Stück betrug knapp 7 Wochen. Ich konnte mir nie entsprechende Einkünfte erwirtschaften, da ich in der Regel den Hilfsarbeiterlohn erhielt. Mein Einkommen lag meist unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz. Ich erhielt auch in der Regel Aufstockungen aus der Sozialhilfe. Ich verweise dazu auf meinen Versicherungsdatenauszug, den ich nachgereicht habe.
Dies wird vom Sachverständigen allerdings nicht anerkannt. Vielmehr hält der Sachverständige in diesem Zusammenhang fest, dass es nicht Aufgabe eines ärztlichen Sachverständigen sein könne, "darüber zu entscheiden, über welches Einkommen aus welcher Quelle eine Person verfügen müsse, um grundsätzlich als selbsterhaltungsfähig zu gelten!".
Dazu verweise ich auf die einschlägige Rechtsprechung, wonach die Höhe des Einkommens für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit sehr wohl relevant ist, da die für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Ausgleichszulagen-Richtsätze für Alleinstehende eine entsprechende Richtschnur für die Beurteilung darstellen. Der Unabhängige Finanzsenat hat hier bewusst eine Einkommensgrenze eingezogen. Die Anmerkung im Gutachten vom in einem Verfahren zur Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit ist sehr erstaunlich. Im Übrigen wurde von mir der Tatsache, dass ich den Anspruch auf die Invaliditäts-Pension erworben habe - wie vom Sachverständigen behauptet - nie widersprochen; vielmehr trete ich der Darstellung des Sachverständigen, dass bei mir im Zeitraum vor Erwirkung dieses Anspruchs (bis 03/2013) die Selbsterhaltungsfähigkeit bestanden hätte und dann abrupt mit 03/2013 geendet hätte, entgegen. Diese Argumentation ist für mich angesichts meiner Krankengeschichte nicht nachvollziehbar.
Ich halte daher abschließend nochmals fest, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit auch vor dem März 2013 bei mir nicht bestanden hat, da von mir nie selbständig Einkünfte in einer zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreichenden Höhe erzielt werden konnten.
Ich stelle daher den Antrag auf Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und ersuche um dauerhafte Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe rückwirkend auf 5 Jahre vom Zeitpunkt der Antragsstellung
."
Beigefügt wurden der Versicherungsdatenauszug vom und das Sachverständigengutachten des SMS vom , nicht aber weitere Befunde wie im Schreiben erwähnt.

Mit dem Vorlagebericht vom legte das Finanzamt auch zur Vorgeschichte Unterlagen vor:

Lt. Auszug aus der Familienbeihilfen-Datenbank wurde für die Beschwerdeführerin von Juni 2003 bis November 2008 (Vollendung des 21. Lebensjahres) Familienbeihilfe mit dem Erhöhungsbetrag ausgezahlt.

Der Antrag der Bf. auf (erhöhte) Familienbeihilfe vom wurde mit Bescheid vom ab November 2008 abgewiesen, da im Sachverständigengutachten vom eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt wurde.

Mit Bescheid vom wurde ihr Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe für den Zeitraum Jänner 2009 bis Oktober 2013 abgewiesen.

Der Antrag der Bf. auf (erhöhte) Familienbeihilfe vom wurde mit Bescheid vom ab November 2013 abgewiesen, da im Sachverständigengutachten vom eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht festgestellt wurde. Der Zeitpunkt des Eintrittes der dauernden Erwerbsunfähigkeit wurde ab März 2013 bescheinigt, da die Bf. im Jahr 2013 durch Zuerkennung einer Invaliditätspension aus dem Erwerbsleben (Beschäftigung/Arbeitslosengeldbezug/ Notstandshilfe/AMS-Kursmaßnahmen) ausgeschieden ist.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist am xx.xx.1987 geboren und vollendete am xx.xx.2008 das 21. Lebensjahr.

Sie erwarb sich durch ihr Erwerbseinkommen (beginnend vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres) einen Anspruch auf die Invaliditätspension ab März 2013. Zu diesem Zeitpunkt stand sie im 26. Lebensjahr.

Ab diesem Zeitpunkt wurde in den im Zuge des Verfahrens vom Sozialministeriumservice erstellten Gutachten vom , vom und vom der Beschwerdeführerin übereinstimmend eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt.

Das Gericht geht aus den nachstehend angeführten Gründen in freier Beweiswürdigung davon aus, dass die Gutachten mit größter Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen.

Die Gutachten sind vollständig, schlüssig und nachvollziehbar.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf den Inhalt des Verwaltungsaktes, auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen der belangten Behörde bzw. der Beschwerdeführerin sowie auf die Ergebnisse der vom Gericht durchgeführten Ermittlungen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen ().

Gemäß § 6 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich darauf zu erstrecken, ob ein Antragsteller wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. etwa ).

Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (vgl. , , mwN, und )).

Es ist nach der hg. Rechtsprechung nicht (mehr) zulässig, dass die Behörde entgegen einem Gutachten oder ohne ein Gutachten die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auf Grund einer langjährigen Berufstätigkeit abspricht. Dass sich jedoch der fachärztliche Sachverständige neben der medizinischen Anamnese […] nicht auch auf eine langjährige Berufstätigkeit als weiteres Indiz stützen dürfte, ist der Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/16/0063) nicht zu entnehmen (vgl. auch Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, Familienlastenausgleichsgesetz, Rz 30 zu § 8); (vgl. ).

Damit eine volljährige Person die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe erfüllt, muss die Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sein und dies durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) aufgrund der erstellten Sachverständigengutachten bescheinigt werden.
Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. um den Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit feststellen zu können, neben ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran. Hilfreich sind dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe etc., die darauf schließen lassen, dass die Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer schulischen Ausbildung aufgetreten ist; aber derartige Befunde stehen den Sachverständigen erfahrungsgemäß kaum zur Verfügung, vermutlich auch deswegen, weil sich viele Erkrankungen mit zunehmendem Alter verschlechtern und demgemäß ärztliche Hilfe erst später in Anspruch genommen wird.
Damit kann aber die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (vgl. ).

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise / "Sozialwaise" auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (, , , und ).

Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt ().
Um Wiederholungen zu vermeiden wird in diesem Zusammenhang auf die ausführlichen Begründungen der Sachverständigengutachten verwiesen.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes sind im vorliegenden Beschwerdefall die Gutachten vollständig, ausführlich, schlüssig und widersprechen einander nicht.
Es wurden sämtliche von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde und Unterlagen bei der Erstellung der Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice einbezogen.

Das Gesetz geht klar davon aus, dass die Behinderung kausal sein muss für das geforderte "außer Stande Sein, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" und dieser Umstand muss bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder - im ggst. Fall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, gegeben sein (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 21).
Andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit, oÄ) dürfen für die Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres).

Anspruch auf Arbeitslosengeld hat grundsätzlich jede Person, die arbeitslos, arbeitswillig und arbeitsfähig ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, zur Aufnahme einer Beschäftigung in einem bestimmten Mindestausmaß bereit ist, eine gewisse Mindestbeschäftigungsdauer nachweisen kann und die maximale Bezugsdauer von Arbeitslosengeld nicht bereits ausgeschöpft hat.
Im Allgemeinen muss die arbeitslose Person sich während des Bezugs von Arbeitslosengeld für Arbeit im Ausmaß von zumindest 20 Wochenstunden bereithalten. Von dieser Grundregel bestehen Ausnahmen, z.B. wenn Kinder betreut werden müssen.

Anspruch auf Notstandshilfe hat grundsätzlich jede Person, die arbeitslos, arbeitswillig und arbeitsfähig ist, sich in einer Notlage befindet, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr hat und den Antrag auf Notstandshilfe innerhalb von fünf Jahren seit dem letzten Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe stellt.

In mehreren Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen wurde entsprechend den vorliegenden Befunden und Unterlagen die dauernde Unfähigkeit der Bf., sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, übereinstimmend festgestellt, dass diese ab März 2013 und somit nicht vor ihrem vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten ist.
Daher wurde die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin iSd FLAG nicht vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres (am xx.xx.2008) festgestellt. Eine spätere Berufsausbildung der Bf. vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegt nicht vor.

Dem Vorbringen in der Beschwerde und im Vorlageantrag ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin von November 2004 bis Jänner 2013 (mit kurzen Unterbrechungen) im Erwerbsleben stand bzw. Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezog. Dieser Umstand spricht gegen das Vorliegen einer dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, da die Bf. mit diesen Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestritten hat. Darüber hinaus ergab sich dadurch ein Anspruch auf die Invaliditätspension (siehe auch die ausführlichen Begründungen der Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice).

Somit liegen nach Ansicht des BFG im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen der Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 nicht vor und es war wie im Spruch zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im Beschwerdefall kein Rechtsproblem strittig ist, sondern der als erwiesen anzunehmende Sachverhalt in freier Beweiswürdigung festgestellt wurde, ist gegen dieses Erkenntnis eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Graz, am

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