Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.03.2024, RV/3100508/2023

Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für Medikamente bei Vorliegen von altersbedingten Mehrfacherkrankungen, Pflegebedürftigkeit und Behinderung der Abgabepflichtigen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***34***, vertreten durch ***3***, ***35***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020 und 2021 zu Recht erkannt:

I.) Den Beschwerden wird Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben betragen:

Einkommen 2020: € 12.052,33, Einkommensteuergutschrift 2020: € 1.966,00

Einkommen 2021: € 2.691,53, Einkommensteuergutschrift 2021: € 2.543,00

II.) Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.) Verfahrensgang/Sachverhalt:

1.) Die Beschwerdeführerin (Bf) wurde am ***1*** geboren und ist am ***2*** verstorben. Sie wurde bzw. wird durch ***39*** ***3*** vertreten.

2.) Die Bf hat vom bis Pflegegeld der Stufe 3, vom bis Pflegegeld der Stufe 4, vom bis Pflegegeld der Stufe 5 und vom bis ***2*** Pflegegeld der Stufe 6 bezogen.

3.) Die Bf litt in den Beschwerdejahren ua an Diabetes Typ 2, Vorhofflimmern, Niereninsuffizienz, chronischer Blasenentzündung, intrazerebraler Hämorrhagie (Blutungen) sowie an den Folgen einer Darmkrebserkrankung, eines Herzinfarktes und eines Schlaganfalles. Darüber hinaus hatte sie beidseitig eine Hüft TEP (Totalendoprothese des Hüftgelenks). Der Grad ihrer Behinderung betrug in den Beschwerdejahren 80% (2020) bzw. 100% (2021). Die Bf wurde von ***39*** (***37***) mit Unterstützung durch die ***31*** (***36***) bzw. durch einen Pflegedienst gepflegt. Die Bf wurde auch physiotherapeutisch betreut.

4.) In den Anträgen auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2020 und 2021 wurden Kosten der Heilbehandlung in Höhe von € 7.925,03 (2020) und € 17.251,02 (2021) als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht. Diese Beträge beinhalten Medikamentenkosten von € 863,27 (2020) und € 1.221,11 (2021). Zusätzlich wurden Taxikosten von € 29,40 (2020) und 619,30 (2021) geltend gemacht.

5.) In den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2020 und 2021 wurden lediglich Kosten von € 7,311,55 (2020) und € 16.986,85 (2021) als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Diese Beträge beinhalten die jeweiligen Taxikosten. Von den geltend gemachten Medikamentenkosten des Jahres 2020 von € 863,27 wurden die Kostenanteile für die Krankenkassenrezepte (€ 220,50) berücksichtigt. Für das Jahr 2021 wurden von den beantragten Kosten (€ 1.221,11) die Kosten für Krankenkasserezepte (€ 364,00) und die Selbstbehalte für diese Rezepte (€ 99,95) als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Begründend wurde ausgeführt, nur ärztlich verordnete (zusätzliche) Krankheitskosten seien steuerlich absetzbar. Der Freibetrag für Behinderung sei wegen ganzjährigem Bezug von Pflegegeld nicht zu gewähren.

6.) In der gegen die genannten Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerde vom wurde ausgeführt, in den Beschwerdejahren seien alle von der Apotheke bezogenen Medikamente von ***32*** verordnet worden seien. Die entsprechende Verordnung sei bereits übermittelt worden.

7.) Die Bestätigung von ***32*** datiert vom 22/02/2023 und weist nachstehenden Inhalt auf:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
***4***
Beinkrämpfe
***5***
Schlafförderung
***6***
Schlafförderung
***7***
Pflege - offene Hautstellen
***8***
Pflege - offene Hautstellen
***9***
Beruhigung
***10***
Verdauung
***11***
Verdauung-Zäpfchen
***12***
Harnwegsinfekt
***13***
Analpflege
***14***
Analpflege
***15***
Schmerz
***16***
Bluterguß
***17***
Beruhigung
***18***
Darmberuhigung
***19***.
Harnwegsinfektion


Tabelle in neuem Fenster öffnen
***20***
Grippaler Infekt
***21***
Darm
***22***
B-Vitamine - Beruhigung
***23***
Harnwegsinfektion
***24***
Erkältung
***25***
Allergischer Schnupfen
***26***
Blutzuckerspiegel
***27***
Schmerz
***28***
Schmerz
***29***
Mundgeruch
***30***
Verdauung

8.) In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom wurde ausgeführt, die Verordnung sei im Nachhinein erstellt worden sei; medizinischen Indikationen seien nicht bekannt.

9.) Mit Eingabe vom wurde fristgerecht der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt. Wiederum wurde vorgebracht, die geltend gemachten Kosten für Medikamente seien außergewöhnlich. Die Bf sei im Jahr ***33*** geboren, habe ein hohes Alter erreicht und an mehreren schweren Erkrankungen gelitten. Die Kosten seien auf die Erkrankungen bzw. die Pflegebedürftigkeit zurückzuführen. Die Verordnung der Medikamente sei nicht im Nachhinein erfolgt. Dies treffe lediglich auf die von der Abgabenbehörde angeforderte Bestätigung zu.

10.) Im Vorlagebericht der Abgabenbehörde vom wurde bezüglich des Jahres 2020 beantragt, den Selbstbehalt für Krankenkassenrezepte (€ 108,10) noch zu berücksichtigen. Für das Jahr 2021 wurde darauf hinzuweisen, dass das steuerpflichtige Einkommen unter der Besteuerungsgrenze liege, weshalb sich die Berücksichtigung (weiterer) Kosten steuerlich nicht auswirken könne.

II.) Rechtslage und Erwägungen:

1.) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen (§ 34 Abs. 1 EStG 1988). Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen: Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2). Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3). Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4). Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt.

Ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes können ua folgende Aufwendungen abgezogen werden:

Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen (§ 34 Abs. 6 Teilstrich 5).

2.) Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind (§ 34 Abs. 6 letzter Satz EStG 1988).

Nach § 4 der - auf Grund der §§ 34 und 35 EStG ergangenen - Verordnung BGBl. Nr. 303/1996 sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, blinden Hilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der VO sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen (§ 1 Abs. 3 der VO).

3.) Kosten der Heilbehandlung sind Kosten für den Arzt, das Spital, ärztlich verordnete Kuren, Therapien sowie von Medikamenten, sofern sie mit der Behinderung im Zusammenhang stehen. Krankheitsbedingte Mehraufwendungen, die nicht unmittelbar der Behandlung bzw. Linderung der betreffenden - im ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehenden - Krankheit dienen, können als Kosten der Heilbehandlung im Sinne des § 4 der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen angesehen werden, sofern über die Zwangsläufigkeit dieser Mehraufwendungen ein ärztliches Zeugnis oder Gutachten vorliegt (vgl. ).

Die Bf war in den Beschwerdejahren bereits 95 bzw. 96 Jahre alt, behindert, pflegebedürftig und hat an einer erklecklichen Anzahl von zum Teil auch chronischen Krankheiten, Gebrechen und Nachwirkungen von Operationen/Erkrankungen gelitten. Bei einer derartigen Sachlage kann nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes nicht (einfach) davon ausgegangen werden, die Verwendung der unter Punkt I. 7 dieses Erkenntnisses angeführten Medikamente sei nicht medizinisch indiziert, zumal das Krankheitsbild der Bf von ***38*** detailliert beschrieben wurde. Zutreffend mag sein, dass die Bestätigung von ***32*** (erst) nachträglich ausgestellt worden ist. Dennoch ist im Beschwerdefall von einer Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Medikamentenkosten auszugehen. Die Abgabenbehörde lässt bei ihrer Argumentation nämlich unberücksichtigt, dass mit zunehmendem Alter das Risiko zu erkranken steigt und Mehrfacherkrankungen die Regel sind. Zu den Krankheiten, die im Alter gehäuft auftreten gehören Demenz, Depression, Erkrankung des Bewegungsapparates, Schwächung des Immunsystems, erhöhtes Krebsrisiko, Herz- und Kreislauferkrankungen udgl. Aufgrund des hohen Alters der Bf, die an Mehrfacherkrankungen gelitten hat, ihrer Behinderung gepaart mit ihrer Pflegebedürftigkeit kann im Beschwerdefall - wie bereits dargelegt - die Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Aufwendungen nicht einfach mit Standardbegründungen in Zweifel gezogen werden.

Den Beschwerden war daher Folge zu geben und führt diese Stattgabe im Jahr 2020 zu einer Änderung der Steuergutschrift. Für das Jahr 2021 hat hingegen die Berücksichtigung weiterer Krankheitskosten -- wie die Abgabenbehörde aufgezeigt hat - keine steuerlichen Auswirkungen (steuerliches Einkommen unter € 11.000). Das (steuerpflichtige) Einkommen des Jahres 2021 beträgt € 2.691,53 [Gesamtbetrag der Einkünfte von € 21.111,36 abzüglich € 45,51 (Kirchenbeitrag), abzüglich € 504 (Pauschbetrag nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen), abzüglich € 17.870,32 (Taxikosten + Kosten der Heilbehandlung)]. Da die ausländischen Einkünfte lediglich € 610,52 betragen habe, unterbleibt (auch)die Anwendung eines Durschnittsteuersatzes auf das Einkommen. Die Abgabengutschrift 2021 beträgt unter Berücksichtigung des Pensionistenabsetzbetrages, der erstattungsfähigen SV-Beiträge, der Steuer auf sonstige Bezüge sowie der er anrechenbarer Lohnsteuer (unverändert) € 2.543,00; insoweit wird auf den Erstbescheid vom verwiesen. Hinsichtlich des Jahres 2020 wird auf das angeschlossene Berechnungsblatt verwiesen.

IV.) Zulässigkeit einer Revision:

Eine Revision ist nicht zulässig, da es sich ausschließlich um die Beantwortung von Tatfragen handelt. Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung liegen nicht vor.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100508.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at