Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.02.2024, RV/6100125/2023

Haftung gemäß § 11 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Maria-Luise Wohlmayr über die Beschwerde der ***Bf1***, Adr. Bf., vertreten durch Hübel & Payer Rechtsanwälte OG, Paris-Lodron Straße 5, 5020 Salzburg vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung gemäß § 11 BAO zu Recht erkannt:


1.
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 11 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der Fa. XY GmbH in Liqui. im Ausmaß von EUR 11.134,64 herangezogen wird.

Die Haftungssumme gliedert sich wie folgt:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag (Euro)
Umsatzsteuer
11/2018
3.124,84
Umsatzsteuer
12/2018
990,71
Umsatzsteuer
01/2019
3.699,80
Umsatzsteuer
04/2019
3.319,29
Summe
11.134,64

2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

A. Verfahrensgang und Sachverhalt

A/1. Die Beschwerdeführerin (kurz: Bf.) war im Zeitraum von bis alleinige Geschäftsführerin der XY GmbH. Während dieser Zeit wurden die Umsatzsteuervoranmeldungen für 11/2018, 12/2018, 1/2019 und 4/2019 verspätet eingereicht und die Umsatzsteuerzahllasten nicht entrichtet.

Mit Strafverfügung des Finanzamtes Salzburg - Stadt als Finanzstrafbehörde vom wurde die Bf. für schuldig erkannt, als verantwortliche Geschäftsführerin der genannten GmbH Umsatzsteuer für die Zeiträume 11/2018, 12/2018, 1/2019 und 4/2019 in Höhe von insgesamt EUR 13.662,99 nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet zu haben und dadurch Finanzordnungswidrigkeiten nach § 49 Abs 1 lit a FinStrG begangen zu haben. Die Verurteilung wurde rechtskräftig.

A/2. Am wurde über die XY GmbH ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet. Im Februar 2020 wurde das Verfahren in ein Konkursverfahren abgeändert. Nach Abwicklung des Konkursverfahrens wurde die Firma im August 2021 wegen Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht.

Mit Bescheid vom wurde die Bf. zur Haftung für Umsatzsteuerschulden der XY GmbH im Ausmaß von EUR 11.794,34 herangezogen. Die aushaftenden Abgabenschulden resultieren aus den Umsatzsteuervoranmeldungen für
• 11/2018 EUR 3.784,54
• 12/2018 EUR 990,71
• 1/2019 EUR 3.699,80 und
• 4/2019 EUR 3.319,29.

In der Begründung bezog sich das Finanzamt auf § 11 BAO und führte aus, dass die Bf. als verantwortliche Geschäftsführerin der XY GmbH rechtskräftig für schuldig erkannt worden sei, die Umsatzsteuer 11/2018, 12/2018, 1/2019 und 4/2019 nicht spätestens am 5. Tag nach Fälligkeit entrichtet und dadurch Finanzordnungswidrigkeiten gemäß § 49 Abs 1 lit FinStrG begangen zu haben.

Als Beilagen zum angefochtenen Bescheid übermittelte das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide 2018 und 2019 sowie die Strafverfügung vom .

A/3. Dagegen erhob die Bf. durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter Beschwerde und beantragte den Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben. Als Begründung ist dem Schreiben zu entnehmen, dass die Bf. nicht bestreite, die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Zeiträume 11/2018, 12/2018, 01/2019 und 04/2019 verspätet abgegeben zu haben. Zutreffend sei auch, dass sie mit Strafverfügung vom rechtskräftig wegen einer angeblichen Finanzordnungswidrigkeit verurteilt wurde.

Die Bf. bestreite jedoch nach wie vor, einen Straf- bzw. Finanzstraftatbestand begangen zu haben. Sie sei von ihrem ehemaligen Lebensgefährten, N.N., dazu überredet worden, die Funktion der Geschäftsführerin der XY GmbH zu übernehmen. Er habe ihr versichert, dass sie "nichts machen müsse und er sich um alles kümmern werde." Ihr sei zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen, welche - insbesondere steuerlichen - Verpflichtungen und etwaige Haftungen sie als Geschäftsführerin treffen. Hätte sie dies gewusst bzw. auch nur geahnt, hätte sie sich zu keinem Zeitpunkt bereit erklärt, die Funktion der Geschäftsführerin zu übernehmen.

Tatsächlich habe der ehemalige Lebensgefährte faktisch die Geschäftsführung ausgeübt und sich "um alles gekümmert". Konkret habe er im Namen der Bf. (als Geschäftsführerin der XY GmbH) unter anderem die anfallenden Rechnungen bezahlt, die Überweisungen vorgenommen und sich um die steuerlichen Belange gekümmert, insbesondere die Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die angefallenen Steuern entsprechend abgeführt. Dies habe auch ein Jahr lang ordnungsgemäß funktioniert.

Aufgrund der Beendigung der Lebensgemeinschaft im Frühsommer 2019 sei die Bf. nicht mehr bereit gewesen, weiterhin die Funktion der Geschäftsführerin auszuüben. Am sei daher die entsprechende Löschung im Firmenbuch und gleichzeitige Eintragung von N.N. als Geschäftsführer erfolgt. Die Bf. habe zu keinem Zeitpunkt einen Geschäftsführerbezug oder sonstige Vergütungen erhalten.

Erst im November 2019 sei der Bf. im Rahmen eines rechtlichen Aufklärungsgespräches bewusst geworden, welche konkreten Pflichten und etwaige Haftungen sie als Geschäftsführerin tatsächlich treffen. Wäre ihr dies bereits früher bekannt gewesen, hätte sie sich keinesfalls dazu überreden lassen, sich als Geschäftsführerin im Firmenbuch eintragen zu lassen. Die Bf. habe ihrem ehemaligen Lebensgefährten vertraut und sei davon ausgegangen, dass sich dieser gemäß seinem Versprechen um alle Belange der GmbH kümmern würde.

Die Bf. habe sich daher keines vorsätzlichen Abgabendeliktes schuldig gemacht, ihr könne lediglich fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden.

Die Bf. wies weiters auf ein gerichtliches Strafverfahren gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten und sie, u.a. wegen des gegenständlichen Sachverhaltes, hin. Sie sei in allen Belangen rechtskräftig freigesprochen worden.

Die Bf. befinde sich derzeit ohne Anstellung, ihr Dienstverhältnis sei mit aufgekündigt worden. Unter entsprechender Würdigung der Ermessenskriterien sei daher von einer Inanspruchnahme zur Haftung abzusehen gewesen.

A/4. Das Finanzamt wies die Beschwerde mittels Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Der dagegen rechtzeitig erhobene Vorlageantrag wurde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht stellte im Zuge der Bearbeitung der Beschwerde fest, dass sich der haftungsgegenständliche Rückstand durch eine Umbuchung auf EUR 11.134,64 verringert hat.

B. Rechtliche Würdigung

Das Bundesfinanzgericht legt seiner Entscheidung den zuvor geschilderten Sachverhalt zugrunde, der in den Akten des Finanzamtes abgebildet und unstrittig ist.

B/1. Bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden haften rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden (§ 11 BAO).

Vorsätzliche Finanzvergehen sind in diesem Zusammenhang (betreffend Bundesabgaben) neben der Abgabenhinterziehung (§ 33 FinStrG), dem Schmuggel und der Hinterziehung von Eingangsabgaben (§ 35 FinStrG) und der Abgabenhehlerei (§ 37 FinStrG) auch Finanzordnungswidrigkeiten nach § 49 FinStrG.

Die Haftung des § 11 BAO setzt eine rechtskräftige Verurteilung im finanzbehördlichen bzw. gerichtlichen Finanzstrafverfahren voraus (, unter Berufung auf Stoll, BAO, 143, wonach § 11 auch finanzbehördliche Finanzstrafverfahren erfasse, obwohl dort nicht "verurteilt", sondern "erkannt" wird; ). Die rechtskräftige Verurteilung ist Tatbestandsmerkmal (zB Kopecky, Haftung, 62; Stoll, WT 1981, H 6, 3; : "Tatbestandswirkung"; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 11 Anm 2), somit keine Vorfrage iSd § 116 (zB BMF, AÖF 2006/186, Abschn 4; Unger in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB, § 11, 60).

Der Haftungspflichtige selbst muss wegen eines vorsätzlichen Finanzvergehens rechtskräftig verurteilt worden sein. § 11 BAO fordert nicht, dass alle Täter oder an der Tat Beteiligten das Finanzvergehen vorsätzlich begangen haben ().

Die Haftungsinanspruchnahme darf keinen höheren Verkürzungsbetrag umfassen als der im Spruch des Strafurteiles festgestellte (; , 2010/16/0169; ).

B/2. Die einzige Tatbestandsvoraussetzung für eine Haftung nach § 11 BAO ist die rechtskräftige Bestrafung wegen eines vorsätzlichen Finanzvergehens. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall unstrittig erfüllt. Es hat daher im Haftungsverfahren gemäß § 11 BAO (anders als bei der Haftung nach § 9 BAO) keine eigenständige Prüfung des Verschuldens stattzufinden. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung ist dieses als gegeben anzunehmen (vgl. etwa ; , RV/6100010/2015).

Der Haftungstatbestand ist durch jede Art der Beteiligung am Finanzvergehen erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, welche Bedeutung dem Tatbeitrag für die Verwirklichung der Tat beizumessen ist ().

Wenn die Bf. einwendet, sie sei "nur auf dem Papier" Geschäftsführerin gewesen, ihr ehemaliger Lebensgefährte sei der faktische Geschäftsführer gewesen, sie habe ihm vertraut, dass er sich um alles Erforderliche kümmere, und sie selbst habe somit lediglich fahrlässig gehandelt, so können diese Einwendungen im Haftungsverfahren nach § 11 BAO nicht zum Erfolg führen.

Die Beschwerde weist zu Recht darauf hin, dass sich die Bf. keiner Abgabenhinterziehung strafbar gemacht hat. Dabei übersieht die Beschwerde jedoch, dass sich das Finanzamt im angefochtenen Bescheid auf die rechtskräftige Verurteilung der Bf. wegen einer Finanzordnungswidrigkeit gemäß § 49 FinStrG bezieht und auch dieses Delikt ein Vorsatzdelikt ist (siehe Pkt. B/1).

B/3. Die Haftung nach § 11 BAO trägt den Charakter einer Schadenersatzhaftung (vgl. z.B. Ritz, BAO3, § 11 Tz 1, mit Hinweis auf Kopecky, Die Haftung im österreichischen Steuerrecht, Wien 1971, 62, der auch auf die Haftung nach § 11 BAO als "Besicherungsinstitut" hinweist). Es handelt sich um eine unbeschränkte Primärhaftung ().

Zutreffend ist, dass die Geltendmachung einer Haftung - auch nach § 11 BAO - in das Ermessen der Abgabenbehörden gestellt ist (vgl. ; , Ra 2022/13/0090). Die Ermessensübung hat sich am Zweck der Norm zu orientieren (etwa ). § 11 BAO dient der Sicherung und Hereinbringung der verkürzten Abgaben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Haftung nach § 11 BAO - anders als jene nach § 9 BAO - keine Ausfallshaftung, sondern eine unbeschränkte Primärhaftung ist.

Weder aus dem Gesetz (§ 11 BAO), der dazu vorliegenden Kommentarmeinungen, noch aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich das Erfordernis, dass bei einem Schuldspruch wegen einer Finanzordnungswidrigkeit eine Abstufung des Haftungsumfanges bei der Ermessensentscheidung vorzunehmen ist. Demnach stellt auch eine Verurteilung nach § 49 FinStrG eine ausreichende Grundlage für die Haftungsinanspruchnahme im Ausmaß des vollen Verkürzungsbetrages dar ().

B/4. Im Rahmen der Prüfung der Zweckmäßigkeit ist u.a. auch die Einbringlichkeit der in Frage stehenden Abgabenschulden zu prüfen (vgl. ; , 97/16/0006). Das Finanzamt hat im Haftungsbescheid dazu ausgeführt, dass die Abgabenschulden bei der Abgabenschuldnerin aufgrund der Löschung im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit nicht einbringlich sind.

Nach der Rechtsprechung zu § 11 BAO stehen persönliche Umstände wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder eine Vermögenslosigkeit des Haftenden in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (; , 97/16/0006; siehe auch Ritz/Koran, BAO21, § 11 Tz 2 ff.). Die Behörde kann daher die Frage der Einbringlichkeit beim Haftenden in ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigen ().

Der Ermessensentscheidung des Finanzamtes ist daher zu folgen, wenn es aufgrund der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin dem Interesse der Allgemeinheit an der Abgabeneinbringung (Zweckmäßigkeitserwägungen) den Vorzug gegenüber dem Interesse der Bf., nicht zur Haftung herangezogen zu werden (Billigkeitsgründe), den Vorzug gab. Diese Ermessenentscheidung steht im Einklang mit der ständigen (höchstgerichtlichen) Rechtsprechung.

Zur teilweisen Stattgabe der Beschwerde ist auf die Feststellungen zum Abgabenkonto der Primärschuldnerin zu verweisen, wonach sich der haftungsgegenständliche Rückstand durch eine Umbuchung auf den nunmehrigen Haftungsbetrag verringert hat.

Aus den angeführten Gründen war somit spruchgemäß zu entscheiden.

C. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art 133 Abs 4 B-VG).

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Das Bundesfinanzgericht orientierte sich bei den zu lösenden Rechtsfragen an der zitierten einheitlichen höchstgerichtlichen Judikatur. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher unzulässig.

Salzburg, am

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