Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.03.2024, RV/7102909/2023

Beurteilung des Grades der Behinderung eines Kleinkindes durch drei Sozialministeriumservice-Gutachter

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages vom 3. Mai 20222 auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung für ***Kind(O...)*** für den Zeitraum November 2019 bis November 2021, Steuernummer ***Bf1StNr*** (SVNR ***Bf1SVNR***), zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Monats November 2021 aufgehoben. Hinsichtlich des übrigen Zeitraumes, sohin der Monate November 2019 bis Oktober 2021, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) stellte den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihren im November 2019 geborenen Sohn:
Bei dem Kind besteht folgende erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung:
"V.d auf Autismus, massive Einschränkungen in der körperlichen und sprachlichen Entwicklung sowie ernährung
Ich beantrage den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung
ab Monat/Jahr 11 2019"

Das Finanzamt erließ (am ) folgenden beschwerdegegenständlichen Bescheid:
Abweisungsbescheid
"Ihr/e Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung
vom wird abgewiesen für:
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Zeitraum
(Nachname wie Bf.) O… … 1119 Nov. 2019 - Nov. 2021
Begründung:
Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung besteht, wenn:
• Der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent beträgt
• Die Behinderung nicht nur vorübergehend ist, sondern mehr als 3 Jahre andauert
Diese Punkte treffen nicht zu (§ 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).
Für den genannten Zeitraum wurde keine erhebliche Behinderung festgestellt."

Die Bf. erhob (am ) Beschwerde wie folgt:
"Mein Sohn befindet sich seid Dezember.2021 in regelmäßigen Therapieintervalen und zur vollständigen Abklärung auf der VKKJ in Behandlung.
Mein Sohn wies bereits von Baby an Auffälligkeiten auf.
Drehen von Rücken in Bauchlage oder umgekehrt erst mit 13-14 Monaten
Freies Sitzen mit 16-17 Monaten
Krabbeln mit 21 Monaten
Gehen mit 30 Monaten
Sprachlich kann er keine Wörter sagen, er gibt lediglich laute von sich.
Aufgrund seiner mittlerweile festgestellten Wahrnehmungsstörung ist auch das Essen ein sehr schwieriges Thema er nimmt nicht wirklich Nahrung zu sich.
Laugenbrezen, Backerbsen, Pommbären nur Original und Hipp Babybrei in der Flasche wodurch ständig Nahrungsergänzungsmittel untergemischt werden müssen um hier Mangelerscheinungen ausschließen zu können.
Mein Sohn ist ein keinster weiße selbstständig und braucht bei allem Rund um die Uhr Unterstützung.
Aufgrund seiner gesamten "Defizite" liegt der Verdacht auf Autismus nach Aussagen von
Dr. Ha... von der VKKJ sehr nahe, da mein Sohn allerdings noch zu jung ist, wäre eine
Testung irrelevant da laut der Clusterordnung des ICD-10 für jede gestellte Diagnostik ein Mindestalter gegeben ist.
Dies war auch der Grund warum erst im Dezember.2021 die VKKJ aufgesucht wurde.
Laut der MKP Untersuchungen wurden bereits in den frühen Lebensmonaten auf eine Entwicklungsverzögerung/Störung hingewiesen.
Gerne kann hierfür mit der VKKJ Dr. Ha... Kontakt aufgenommen werden.
Der Zeitraum der Behinderung ist im Falle meines Sohnes von Geburt an vorhanden und
daher auch ab diesem Tag mit der erhöhten Familienbeihilfe zu Gewährleisten."

Das Finanzamt erließ (am ) eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, dies mit folgender Begründung:
"Mit gegenständlicher Beschwerdevorentscheidung wird über den Abweisungsbescheid vom mit welchem Ihr Antrag vom auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für Ihren Sohn O… für den Zeitraum November 2019 bis November 2021 abgewiesen wurde, abgesprochen.
Begründung
Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung besteht, wenn:
• Der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent beträgt
• Die Behinderung nicht nur vorübergehend ist, sondern mehr als 3 Jahre andauert
Diese Punkte treffen nicht zu (§ 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).
Für den genannten Zeitraum wurde keine erhebliche Behinderung festgestellt."

Der (als erneute Beschwerde bezeichnete) Vorlageantrag wurde (am ) eingebracht wie folgt:
"Mein Sohn hat von Säuglingsalter auf massive defizite diese laut Clusterzuordnung des ICD-10 klassifikation erst ab einem bestimmten alter Ordnungsgemäß diagnostiziert werden können. Es wurden bereits mehrmals Befunde vorgelegt. Auch seitens des zuständigen Arztes der VkkJ wurde im Bericht mitgeteilt das sehrwohl ein Rückwirkender Anspruch bestehen würde da die Symptomatik von Geburt an besteht.
Ich ersuche daher um erneute Prüfung meines Antrages
Alle aktuellen Befunde liegen vor"

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Am brachte die Beschwerdeführerin (Bf.) per FinanzOnline einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe betreffend ihren Sohn O… ein (Dok.1).
Mittels Ergänzungsersuchen vom (Dok.7) wurde die Bf. aufgefordert zusätzlich ein ausgefülltes Formular Beih 3 einzureichen.
Dieser Aufforderung kam die Bf. nach und legte einen Antrag vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab November 2019 vor (Dok.2).
Das Sozialministeriumservice (SMS) teilte dem Finanzamt mit Bescheinigung vom mit, dass bei O… ein Grad der Behinderung von 50 % ab vorliege und eine Nachuntersuchung in 3 Jahren erforderlich sei (Dok.8).
Mit Abweisungsbescheid vom (Dok.3) wurde der Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung für O… betreffend den Zeitraum November 2019 bis November 2021 mit Hinweis, dass keine erhebliche Behinderung festgestellt worden sei, abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der Bf. vom (Dok.4). Darin führt sie aus, dass die Behinderung ihres Sohnes bereits seit der Geburt vorliege und dies auch aus den Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen ersichtlich sei.
In der Bescheinigung vom (Dok.10) bestätigte das SMS seine Einschätzung vom vollinhaltlich.
Mittels Beschwerdevorentscheidung vom (Dok.5) wurde die Beschwerde der Bf. als unbegründet abgewiesen, da für den Zeitraum November 2019 bis November 2021 keine erhebliche Behinderung des Sohnes festgestellt worden sei.
Die am von der Bf. eingebrachte Beschwerde wurde vom Finanzamt als Vorlageantrag gewertet (Dok.6).
Ein erneutes SMS-Gutachten wurde am in Auftrag gegeben. Die zum Vorlageantrag übermittelten Unterlagen wurden an das SMS weitergeleitet.
Die BSB-Bescheinigung vom (Dok.12) bestätigte nunmehr einen Grad der Behinderung von 50 Prozent bereits ab . Eine Stellungnahme ist der Bescheinigung nicht zu entnehmen.
Aufgrund der wenig aussagekräftigen BSB-Bescheinigungen (keine Stellungnahmen enthalten), wurden vom SMS auch die zugehörigen SMS-Gutachten abverlangt (Dok.9, 11 und 13).
Beweismittel:
insbesondere
BSB-Bescheinigung vom (Dok.8)
SMS-Gutachten vom (Dok.9)
BSB-Bescheinigung vom (Dok.10)
SMS-Gutachten vom (Dok.11)
BSB-Bescheinigung vom (Dok.12)
SMS-Gutachten vom (Dok.13)
Stellungnahme:
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Beim Sohn der Bf. wurde vom SMS Grad der Behinderung von 50 % ab festgestellt (Dok.12). In dem Gutachten vom (Dok.13) ist aus Sicht des Finanzamtes auch schlüssig dargestellt, warum nicht schon ein früherer Eintritt der Behinderung festgestellt werden konnte.
Das Finanzamt ist bei der Beurteilung des Sachverhalts gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 an die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens ausgestellten Bescheinigungen gebunden.
Das Finanzamt beantragt aufgrund des aktuellen SMS-Gutachtens vom (Dok.13) die Abweisung der Beschwerde betreffend die Monate November 2019 bis Oktober 2021.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage Dr.in B...Sch..., Fachgebiet: Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, vom :
Aktengutachten erstellt am:
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
2022-06-14 Dr. Ha...-L..., VKKJ, Entwicklungsneurologische Stellungnahme:
O… wird seit 12/2021 im Ambulatorium betreut. Es besteht eine allgemeine Entwicklungsretardierung auf Basis einer Sprachentwicklungs- sowie Wahrnehmungsstörung. Therapieangebot umfasst Marte Meo und Besuch einer Kleinkindgruppe. Regelmäßige entwicklungsneurologische Kontrollen. Kriterien für den Erhalt der erhöhten Familienbeihilfe auch rückwirkend sind gegeben.
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
Marte Meo, Kleinkindgruppe
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
[blank] (Anmerkung des Richters: weil nur eine Behinderung)
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
[blank] (Anmerkung des Richters: weil nur eine Behinderung)
Stellungnahme zu Vorgutachten
[blank] (Anmerkung des Richters: erstmaliges SMS-Gutachten)
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
x ja □ nein
GdB liegt vor seit: 12/2021
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Befund Dr. Ha...-L..., VKKJ
□ Dauerzustand
x Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
NU in 3 Jahren zur Überprüfung des Entwicklungsstandes

Sachverständigengutachten Dr.in E... Bi..., Fachgebiet der/des Sachverständigen Allgemeinmedizin, vom :
Begutachtung durchgeführt am
Anamnese:
Es liegt ein Vorgutachten von 07/2022 vor, wonach eine GdB von 50% bei allgemeiner Entwicklungsretardierung ab 12/2021 vorliegt.
Antrag auf rückwirkende Zuerkennung seit Geburt
Es liegt ein pädiatrisches Gutachten bezüglich Pflegegeld vom vor: Verdacht auf Frühkindlichen Autismus, Nahrungsaversion, chronisches Erbrechen, psychomotorische Retardierung, Ausbleiben der Sprachentwicklung, auffälliges Sozialverhalten, fehlende Gefahreneinsicht, aggressive Durchbrüche, selbstschädigendes Verhalten, diffuse Ängste, chronische Unruhe, Verdacht auf Absencen-Epilepsie, der Leidenszustand besteht seit Antragstellung. Eine Besserung der Selbständigkeit ist mittelfristig möglich, Pflegebedarf:
84,50 Stunden/Monat, Begutachtung durch die PVA am : Dg.: Entwicklungsrückstand, V.a. Absencen-Epilepsie, monatlicher Zeitaufwand: 47,5 Stunden
Derzeitige Beschwerden:
Isst nur bestimmte Nahrungsmittel, verweigert Schuhe anzuziehen, spricht nicht, braucht
Windel Tag und Nacht
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Logopädie, Ergotherapie, Eisen-Nahrungsergänzungsmittel
Sozialanamnese: -
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
siehe Anamnese und Ambulatorium für Entwicklungsneurologie Wr. Neustadt:
O… wird seit 12/2021 in unserem Ambulatorium betreut. Bei ihm besteht eine allgemeine Entwicklungsretardierung auf Basis einer Sprachentwicklungs- sowie einer Wahrnehmungsstörung sowie der Verdacht auf eine Autismusspektrumstörung
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
gut
Ernährungszustand:
gut
Größe: 98,00 cm Gewicht: 19,00 kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
auf die klinische Untersuchung wird wegen Unruhe verzichtet, Status vom
Pflegegeldgutachter vom : Herz/Lunge: o.B., HNO und Abdomen unauffällig,
Bewegungsapparat: OE und UE: reduzierte Feinmotorik, ansonsten normale aktive und
passive Beweglichkeit, normale Trophik, Kopf- und Rumpfkontrolle: normal,
Gangbild/Motilität: unauffällig
Gesamtmobilität-Gangbild:
Gangbild frei, kommt ohne Schuhe in die Ordination
Psycho(patho)logischer Status:
hochgradig verzögerte psychische Entwicklung, keine Sprache, lediglich Lautieren, das Kind praktisch nicht kontaktierbar
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
[blank] (Anmerkung des Richters: weil nur eine Behinderung)
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
[blank] (Anmerkung des Richters: weil nur eine Behinderung)
Stellungnahme zu Vorgutachten
Leiden 1 gleichbleibend
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
x ja □ nein
GdB liegt vor seit: 12/2021
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Es kann über den Zeitraum vor 12/2021 keine Aussage getroffen werden, da keinerlei Befunde vorliegen, die eine Beeinträchtigung im Ausmaß von 50% belegen
□ Dauerzustand
x Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Überprüfung des Entwicklungsstandes

Sachverständigengutachten Dr. R... Se..., Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde,
vom :
Begutachtung durchgeführt am
Anamnese:
letzte Begutachtung, mit Anerkennung eines GdB von 50 %, ab 12/2021, für eine allgemeine Entwicklungsstörung, mit Verdacht Autismus. Neuerliches Ansuchen erfolgte wegen rückwirkender Anerkennung ab 11/2019. Beschwerde schriftlich durch
die Mutter, ihr Sohn habe vom Säuglingsalter an massive Defizite. Es wurden bereits
mehrmals Befunde vorgelegt. Auch seitens des zuständigen Arztes im Ambulatorium,
bestünde Anspruch ab Geburt.
Nicht vorgelegt wurde ein pädiatrisches Gutachten bezüglich Pflegegeld vom ,
mit Verdacht Autismus Spektrum Störung.
Derzeitige Beschwerden:
Verdacht Autismus Spektrum Störung
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Ergotherapie, Betreuung in einem Ambulatorium
Sozialanamnese:
Lebt bei den Eltern [gemeint: Mutter] und deren Lebensgefährten
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. Ha...-L...: seit 12/2021 im Ambulatorium betreut, allgemeine Entwicklungsretardierung auf Basis einer Sprachentwicklung-und Wahrnehmungsstörung, Mutter Kind Pass, unleserliches Datum, unleserliche Diagnose, Begutachtung 22-26
Monate (wurde etwa 11/2021 entsprechen), laut Mutter 6/2020 erstmals
Entwicklungsstörung festgestellt
(Bf.): ich erhebe erneut Beschwerde gegen die Vorentscheidung
der erhöhten Familienbeihilfe von Geburt an.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Gut
Ernährungszustand:
Gut
Größe: 104,00 cm Gewicht: 19,00 kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
3 8/12 Jahre alter Knabe, intern-pädiatrisch unauffällig
Gesamtmobilität-Gangbild:
Unauffällig
Psycho(patho)logischer Status:
Besucht derzeit keinen Kindergarten, ist auf der Warteliste für eine integrative Betreuung,
wird im Ambulatorium betreut. Reduzierte Kommunikation und Interaktion, sehr selektives Essverhalten, mangelnde Gefahreneinschätzung, Dyspraxie der Körper- und Feinmotorik, Sprachentwicklungsverzögerung. In den ADL ständige Anleitung/Unterstützung notwendig. Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
[blank] (Anmerkung des Richters: weil nur eine Behinderung)
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine
Stellungnahme zu Vorgutachten
Keine Änderung gegenüber Vorgutachten
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
x ja □ nein
GdB liegt vor seit: 11/2021
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Rückwirkende Anerkennung entsprechend der vorliegenden Befunde (Mutter-Kind-Pass, Untersuchung 22-26 Monate) möglich. Eine rückwirkende Anerkennung ab Geburt, wie beantragt ist nicht möglich, da ein GdB von 50 % im Rahmen einer Entwicklungsstörung erst mit zunehmenden Problemen bei zunehmenden sozialen Anforderungen eingeschätzt werden kann.
□ Dauerzustand
x Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Eine neuerliche Evaluation ist notwendig.

2. Beweiswürdigung

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den jeweils angeführten Grundlagen, den drei Sachverständigengutachten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Nach § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährigen Kinder.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahre neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

Die Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet (hinsichtlich der in den Sachverständigengutachen angeführten Funktionseinschränkung):
03 Psychische Störungen

03.02 Entwicklungseinschränkung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr
Erfasst werden umschriebene Entwicklungseinschränkungen des Sprechens und der Sprache, des Kommunikationsvermögens, schulische Fertigkeiten, motorische Funktionen sowie kombinierte umschriebene Entwicklungseinschränkungen und typische Begleiterscheinungen wie emotionale Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung).
Entwicklungsstörung leichten Grades 10 - 40-%
10 - 20 %:
Ohne wesentliche soziale Beeinträchtigung,
(Familie, Schule, Beziehung zu Gleichaltrigen und Erwachsenen außerhalb der Familie & Schule)
Kein zusätzlicher Unterstützungsbedarf beim Lernen
30 - 40 %:
Leichte bis mäßige soziale Beeinträchtigung in ein bis zwei Bereichen, beispielsweise Schulausbildung und alltägliche Tätigkeiten, Freizeitaktivitäten
in Teilbereichen Unterstützungsbedarf beim Lernen
Entwicklungsstörung mittleren Grades 50 - 80 %
Ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung in 1 bis 2 Bereichen
Globaler Unterstützungsbedarf beim Lernen
Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung
50 - 60%: alleinige kognitive Beeinträchtigung
70 - 80%: Zusätzliche motorische Defizite
Entwicklungsstörung schweren Grades 90 - 100 %
Schwere und durchgängige soziale Beeinträchtigung, schwer eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit,
Tiefgreifende Entwicklungsstörung, desintegrative Störung

Die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten.
Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa ).
Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa ). Nichts anderes gilt für die Entscheidung über den gemäß § 10 Abs. 1 FLAG gesondert zu beantragenden Erhöhungsbetrag (vgl. ).

Zufolge der Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen
(vgl. , , , ).

Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Kompetenz für die Beurteilung des Grades der Behinderung und der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ausdrücklich an eine dafür qualifizierte Institution übertragen. Daraus folgt, dass der Entscheidungsfindung durch die Behörde weder Bekundungen der Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes noch anderer Personen, mögen sie auch über fachärztliche Kenntnisse verfügen, zu Grunde zu legen sind ().

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden (vgl. , , ) und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, , vgl. auch die bei Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ).

Der Verfassungsgerichtshof äußerte in seinem Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen. Von Gutachten könne nur nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" abgegangen werden, wenn diese nicht schlüssig seien (vgl. hierzu auch ; ; , ).

Zur Schlüssigkeit von Gutachten des Sozialministeriumservice besteht umfangreiche Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts (vgl. etwa ; ; ; ; ).

Formale Anforderungen an Gutachten des Sozialministeriumservice

Bescheinigungen des Sozialministeriumservice müssen gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhen.

Die Beweisregel des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 geht als Spezialnorm den allgemeinen Bestimmungen des § 166 BAO betreffend Beweismittel und des § 177 BAO betreffend den Sachverständigenbeweis vor.

Gemäß ständiger Rechtsprechung sowohl des Verwaltungs- als auch des Verfassungsgerichtshofes sind Amtssachverständige bei der Erstattung ihrer Gutachten ausschließlich der Wahrheit verpflichtet und hinsichtlich des Inhaltes ihrer Gutachten an keine Weisungen gebunden (vgl. VfgH , E , V53/1; uvam.).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bislang keine Bedenken gegen die Erstattung von Bescheinigungen gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen herangezogene Ärzte ().

Weder das Behinderteneinstellungsgesetz (vgl. ) noch das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 enthalten eine Regelung, aus der erschlossen werden kann, dass ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtung bestünde. Es besteht demnach im allgemeinen kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an.

Inhaltliche Anforderungen an das Gutachten des Sozialministeriumservice

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa , mwN) muss ein Sachverständigengutachten, das von einer Behörde - oder einem Verwaltungsgericht (vgl. , mwN) - der jeweiligen Entscheidung zu Grunde gelegt wird, einen Befund und das Gutachten im engeren Sinn enthalten sowie ausreichend begründet sein (vgl. ).

Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten (im engeren Sinn) aufbaut, und der Art, wie sie beschafft wurden. Während somit der Befund die vom Sachverständigen vorgenommenen Tatsachenfeststellungen enthält, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten benötigt, das Gutachten im engeren Sinn (vgl. , mwN).

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen (vgl. für viele ).

Die Behörde hat - im Rahmen ihrer Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes (§ 115 BAO) - ein Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen und ist dabei auch gehalten, sich im Rahmen der Begründung des Bescheides mit dem Gutachten auseinander zu setzen und es entsprechend zu würdigen (vgl. etwa oder , mwN).

Auch die Gutachten der Ärzte des Sozialministeriumservice haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen (vgl. etwa ).

Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. , mwN). Die Behörde hat sich dann mit dem Inhalt dieses Gegengutachtens auseinanderzusetzen (vgl. ).

Was ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG anlangt, hat ein solches - nach der Rechtsprechung des VwGH - Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten ().

Der Verwaltungsgerichtshof erwog im Erkenntnis vom , 2013/16/0170, unter Hinweis auf VwGH Ra 2014/16/0010 vom :
Eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einem Grad von mindestens 50 v.H. kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht.

Das Bundesfinanzgericht erwog im Erkenntnis vom , RV/2100996/2017, im Zusammenhang mit einer seit Geburt bestehenden Autismus-Spektrum-Störung betreffend das im Beschwerdezeitraum zwischen 6 und 10 Jahre alte Kind:
Die steuerliche Vertretung der Bf. bemängelt, dass die Sachverständigen des Sozialministeriumservice in ihren Gutachten nicht einen Grad der Behinderung von zumindest 50% für fünf Jahre rückwirkend festgestellt haben, da bereits ein frühkindlicher Autismus bzw. eine Autismus-Spektrums-Störung im frühkindlichen Alter vorgelegen habe; die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe erst ab Mai 2017 sei nicht nachvollziehbar.
Der klinisch-psychologische Befund des Vereins "B" vom wurde in den Sachverständigen-Gutachten des Sozialministeriumsservice vom und berücksichtigt. Die in der Beschwerde zusätzlich angeführten Erkrankungen bzw. Operationen verursachen lt. Sachverständigen-Gutachten vom keine Beschwerden.
Im Sachverständigen-Gutachten vom wurde der Gesamtgrad der Behinderung auf 40% reduziert, da der Sohn der Bf. drei Jahre vom IZB-Team betreut worden ist und dadurch Entwicklungsrückstände in vielen Bereichen aufgeholt worden sind und auf Grund des vom Sachverständigen erhobenen Untersuchungsbefundes.
Zum Vorbringen in der Beschwerde, dass bereits seit Geburt bzw. Frühkindalter ein Grad der Behinderung von zumindest 50% vorgelegen sei, führt der Sachverständige des Sozialministeriumservice im Gutachten vom aus:
"Festzuhalten ist hierzu, dass sich die Einschätzung des Behinderungsgrades nach FLAG auf tatsächliche Funktionseinschränkungen bzw. Auswirkungen von Erkrankungen im Alltag bezieht; selbstverständlich im Vergleich mit dem üblichen altersgemäßen Entwicklungsverlauf. Eine Behinderung ergibt sich daher aus den Einschränkungen einer Erkrankung im Vergleich zum gleichaltrigen Normkollektiv und nicht aus der Anlage für eine Erkrankung per se. Gerade bei Entwicklungsstörungen wird anfangs eine leichte Abweichung beobachtet, die sich im Verlauf der weiteren Entwicklung dann immer weiter verstärkt bis sich ein "erheblicher" Rückstand bzw. eine "erhebliche" Abweichung vom natürlichen Verlauf manifestiert. Aus diesem Grund erfolgte dann auch 04/2017 eine intensivere Abklärung, nachdem zuvor durch ein IHB-Team 2012 eher nur mäßige Einschränkungen beschrieben werden. Daher ist auch bei einer Veranlagung zu einer Autismus-Spektrum-Störung unmittelbar nach der Geburt und auch eine Zeit danach noch gegenüber dem nicht betroffenen Säugling und Kleinkind nicht automatisch eine Schwerbehinderung gegeben, sondern entwickelt sich erst mit der Zeit, manchmal auch in verschiedenen Phasenabläufen." [Hervorhebung, auch nachfolgend, durch den Richter]

Im Erkenntnis vom , RV/2100020/2019, erwog das Bundesfinanzgericht:
Der Bf. bemängelt, dass die Sachverständigen des Sozialministeriumservice in ihren Gutachten nicht einen Grad der Behinderung von zumindest 50% für fünf Jahre rückwirkend festgestellt haben, da eine Autismus-Spektrum-Störung eine angeborene Erkrankung sei und immer von Geburt an bestehe; ein Grad der Behinderung von 50% erst ab November 2017 sei nicht nachvollziehbar.
Die mit dem Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe vorgelegten Befunde und sonstige Nachweise wurden entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in allen Sachverständigengutachten des Sozialministeriumsservice berücksichtigt (siehe "Zusammenfassung relevanter Befunde"). Ein Verweis auf ein Vorgutachten beinhaltet selbstverständlich den gesamten Inhalt samt zu Grunde gelegter Befunde.
Der mit dem Vorlageantrag zusätzlich übermittelte Arztbrief des Dr. ***9*** vom und der nachträglich vorgelegte Befund der Dr. ***1*** vom widersprechen den Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice nicht, da - wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat - eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einem Grad von mindestens 50 v.H. durchaus die Folge einer Krankheit sein kann, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht.

Im Erkenntnis vom , RV/5100671/2023, erwog das Bundesfinanzgericht:
Hinzuweisen ist auch darauf, dass der Behinderungsgrad selbst bei gleichbleibendem Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes abhängt. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes etwa stellt sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich dar, da die Fertigkeiten, die ein Kind im Kindergartenalter beherrschen sollte, sich wesentlich von jenen, die beispielsweise von einem Schulkind erwartet werden, unterscheiden. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes ist daher immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen. So kann schon im Kindergartenalter ein gewisser Entwicklungsrückstand vorliegen, der sich aber bis zum Schulalter weiter vergrößern und einen höheren Behinderungsgrad herbeiführen kann (vgl. ; Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG2 § 8 Rz 11 unter Hinweis auf ).

Im Erkenntnis vom , RV/7101144/2023, erwog das Bundesfinanzgericht:
Die Feststellung, ob auf Grund einer körperlichen oder geistigen Behinderung die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit vorliegt, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, hat nach den Bestimmungen des zitierten § 8 Abs. 6 FLAG auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen (ohne dass bloßen Bekundungen des anspruchswerbenden Elternteiles oder der untersuchten Person dabei entscheidende Bedeutsamkeit zukäme; vgl. ).

In der Entscheidung vom , RV/2465-W/08, erwog der Unabhängige Finanzsenat:
Soweit die Bw. im Vorlageantrag ausführt, durch die …krankheit sei ein erhöhter Pflegeaufwand verbunden, die höhere Lebenshaltungskosten nach sich ziehen würden, ist darauf hinzuweisen, dass diesem Umstand auch Rechnung getragen wurde. Das BSB hat den Grad der Behinderung mit 30 % festgestellt.

Zum gegenständlichen Fall:

Betreffend den Sohn der Bf. wurden drei Sachverständigengutachten erstellt, das erste am , das zweite am und das dritte am .

Das Fachgebiet der ersten Sachverständigengutachterin und des dritten Sachverständigengutachters ist das fachärztliche für Kinder- und Jugendheilkunde, das der zweiten ist Allgemeinmedizin.

Allen drei Begutachtungen liegt die Entwicklungsneurologische Stellungnahme 2022-06-14 Dr. Ha...-L..., VKKJ, zugrunde.

Unstrittig ist, dass die Entwicklungsstörung des Sohnes der Bf. eine frühkindliche ist, ihren Ausgangspunkt im Babyalter hat, nach der Beteuerung der Bf. wies ihr Sohn bereits von Baby an Auffälligkeiten auf.

Auf Grund dieser Feststellung ist jedoch das Schicksal der Beschwerde (noch) nicht entschieden:

Gemäß den obigen Rechtsausführungen ist nicht entscheidungswesentlich, dass betreffend einen bestimmten Zeitraum (den Beschwerdezeitraum - ab dem Monat der Geburt des Sohnes der Bf.!) eine Erkrankung besteht, sondern ab welchem Zeitpunkt mittels eines ärztlichen Sachverständigengutachtens ein Grad der Behinderung im Ausmaß von 50 v. H. festgestellt werden kann.

Der dritte Sachverständigengutachter setzt das Vorliegen des Grades der Behinderung 50 v.H. mit "seit: 11/2021" an und begründet die mögliche rückwirkende Anerkennung entsprechend den vorliegenden Befunden: Mutter-Kind- Pass, Untersuchung 22-26 Monate; ihm wurde von der Bf. der Mutter-Kind- Pass vorgelegt.
Die erste und die zweite Sachverständigengutachterin hatten die rückwirkende Anerkennung auf den Umstand gestützt (der Mutter-Kind- Pass ist [mangels Vorlage durch die Bf.?] in ihren Gutachten nicht angeführt), dass der Sohn der Bf. laut der ihnen vorgelegten Entwicklungsneurologischen Stellungnahme (2022-06-14 Dr. Ha...-L..., VKKJ,) "seit 12/2021 im Ambulatorium betreut (wird)".

Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen und der obigen Rechtsausführungen ist nicht zu erkennen, die drei Gutachter wären unzutreffend vorgegangen; der dritte Gutachter nimmt gegenüber der ersten und zweiten den Eintritt des 50%-igen Grades der Behinderung infolge der Berücksichtigung des Mutter-Kind-Passes um 1 Monat früher - der Sohn der Bf. war 24 Monate alt - an.

Einer rückwirkenden Anerkennung - des 50%-igen Grades der Behinderung - ab Geburt, wie beantragt, erteilt der Gutachter mit der Begründung, dass ein GdB von 50 % im Rahmen einer Entwicklungsstörung erst mit zunehmenden Problemen bei zunehmenden sozialen Anforderungen eingeschätzt werden kann, die Absage.

Dass auf Grund der die Zeit vor dem Erreichen des Alters von 24 Monaten betreffenden Angaben der Bf.
- "Drehen von Rücken in Bauchlage oder umgekehrt erst mit 13-14 Monaten
- Freies Sitzen mit 16-17 Monaten
- Krabbeln mit 21 Monaten
- Sprachlich kann er keine Wörter sagen, er gibt lediglich laute von sich."
ein Grad der Behinderung im Ausmaß von 50 v. H. nicht festgestellt werden kann, bedarf, da es sich um die Zeit bis zum vollendeten zweiten Lebensjahres handelt, keiner Erörterungen, verlaufen die frühkindlichen Entwicklungen nach der Lebenserfahrung mit gewissen Bandbreiten, was auch auf die Sprachentwicklung zutrifft. Kleinkinder sprechen nach der Lebenserfahrung bis Vollendung des zweiten Lebensjahres kaum "normale Wörter", ein Teil auch im dritten Lebensjahr nur eine beschränkte Anzahl.

Der Vollständigkeit halber sei bemerkt:
Wenngleich krankheitsbedingte Mehrkosten nicht zu den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Bewilligung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe zählen, wird doch festgehalten: Krankheitsbedingte Mehrkosten, die von ihr selbst im ersten und zweiten Lebensjahr für ihren Sohn abgedeckt wurden, führt die Bf. nicht an.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes werden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, da dieses in rechtlicher Hinsicht der in dieser Entscheidung zitierten Rechtsprechung folgt. Soweit darin Sachverhaltsfeststellungen getroffen werden, liegen keine Rechtsfragen, sondern Sachverhaltsfragen vor, die grundsätzlich keiner Revision zugänglich sind.

Wien, am

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Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise













ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102909.2023

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