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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.03.2024, RV/4100685/2019

Wiederaufnahme nach der allgemeinen 5-jährigen Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 BAO; Prüfung des Vorsatzes bei angeblich hinterzogenen Abgaben, Unschuldsvermutung und Zweifelsgrundsatz ("in dubio pro reo"); Vorsatz, das Standesrecht (hier: WTBG) zu umgehen?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Martin C. WITTMANN in der Beschwerdesache ***1***, vertreten durch Dr. ***2***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Klagenfurt (nunmehr Finanzamt Österreich) jeweils vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gem § 303 BAO hinsichtlich Umsatzsteuer 2004 und Umsatzsteuer 2005 sowie betreffend Umsatzsteuer 2004 und Umsatzsteuer 2005,

zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren Umsatzsteuer 2004 und 2005 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

beschlossen:

III. Die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 wird als unzulässig geworden zurückgewiesen.

IV. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Zwischen den Parteien ist - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - die Frage strittig, ob die Erlassung der Wiederaufnahmsbescheide für die Jahre 2004 und 2005 zu Recht erfolgten bzw, ob in concreto die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: Bf) vorsätzlich Abgaben hinterzogen hat und somit gem § 207 Abs 2 BAO die verlängerte Verjährungsfrist von zehn Jahren zur Anwendung gelangt.

Mit einer Kontrollmitteilung im Dienstwege vom teilte das (damalige) Finanzamt Graz-Stadt dem (damaligen) Finanzamt Klagenfurt zusammenfassend Folgendes mit: "Mit Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft Graz (Mag. ***6***, Staatsanwalt) wurde das Finanzamt Graz-Stadt zu einer Hausdurchsuchung betreffend Stb Mag. ***4*** zur Unterlagensichtung und weiterer Auswertung hinzugezogen. Basis für die durchgeführte Hausdurchsuchung ist der Verdacht, dass Anlegergelder treuwidrig verwendet wurden. Verdächtigt neben anderen wurde auch Dr. ***7***. Im Zuge der durchgeführten Einvernahmen durch Mag. ***8*** (LPK Steiermark Landeskriminalamt) wurde klar, dass von Projektinitiatoren und Mitbetreibern des Projektes nicht nur Leistungen, sondern auch Vermittlungsprovisionen abgerechnet wurden.[…]"

In Folge der Kontrollmitteilung begann die belangte Behörde mit Prüfungsauftrag vom mit einer Außenprüfung (im Folgenden AP) gem § 147 BAO iVm § 99 FinStrG für die Jahre 2004 bis 2005 hinsichtlich ua der - hier ausschließlich verfahrensggst - USt. Nach Ansicht des Finanzamtes Klagenfurt habe die Verdachtslage bestanden, dass VStn "wider besseren Wissens zu Unrecht" geltend gemacht worden seien. Dadurch habe der Verdacht auf Vorliegen einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung bestanden, weshalb die Verjährungsfrist für die strittige Abgabe gem § 207 Abs 2 BAO zehn Jahre betrage; es werde somit die Wiederaufnahme der Verfahren für den Zeitraum 2004 und 2005 zu erfolgen haben.

Im Zuge dieser AP wurde im Bericht vom die (hier strittige) Feststellung getroffen, dass Provisionen für die Vermittlung von Geschäftsanteilen gem § 6 Abs 1 Z 8 lit g UStG erzielt worden seien. Dass die Vermittlung von Anteilen der wesentliche Inhalt der in Rechnung gestellten Leistungen gewesen sei, ergäbe sich laut AP daraus, "dass das Entgelt nach der Zahl der Personen bemessen wurde, die letztlich als Anleger gewonnen werden konnten. Es besteht eine direkte Proportionalität zwischen der Anzahl der Anleger und der Höhe des vereinbarten Entgeltes. Entscheidendes Kriterium für den zu leistenden Geldbetrag ist der Umfang, in dem Rechtsgeschäfte über Geschäftsanteile abgeschlossen werden konnten. Es wurde ein Entgeltanspruch pro vermittelten Umsatz generiert."

Die belangte Behörde schloss sich der Rechtsauffassung der AP an und nahm mit Bescheiden jeweils vom die Verfahren betreffend USt 2004 und 2005 wieder auf. Mit selbem Datum wurden neue Sachbescheide unter Berücksichtigung des Ergebnisses der AP erlassen.

Mit Eingabe vom erhob die Bf gegen sämtliche Bescheide das Rechtsmittel der Beschwerde und monierte darin einerseits die Qualifikation der strittigen Leistungen als "Vermittlung", sowie andererseits die Annahme der 10-jährigen Verjährungsfrist für in casu angeblich hinterzogene Abgaben gem § 207 Abs 2 Satz 2 BAO. Die Bf sei "bisher immer (über alle Jahre deren Bestehens) von der USt-Pflicht derer Leistungen ausgegangen […], nämlich weil ust-rechtlich für Beratungs-und Betreuungsunternehmen für deren Leistungserbringung stets USt-Pflicht besteht, wenn der Leistungsumfang, also die Arbeitsstunden durch qualifizierte steuerliche und betriebswirtschaftliche Beratung und Anlegerbetreuung, welche für die Lukrierung des Umsatzes der [Bf] erforderlich sind (damit die [Bf] das gegenständliche Einmalentgelt, welches im AP-Bericht vom als unecht ust-frei eingestuft ist, als Umsatz erzielen konnte), entsprechend hoch ist. […] Damit stellt das Finanzamt mit den bekämpften Bescheiden Beratungsunternehmen, wie die [Bf], welche nur auf einer Geschäftsgrundlage wie oben ausgeführt, für deren Klienten, die sich an Beteiligungsgesellschaften beteiligen, arbeiten und damit ,arbeitsintensiv' ihr o.a. gedeckeltes ,Einmalentgelt' verdienen, ust-rechtlich jenen Beteiligungsvermittlern gleich, welche (da ihnen die betriebswirtschaftliche und steuerliche Qualifikation fehlt und ihnen damit auch die solchen Aufgaben immanente Betreuungsverpflichtung fehlt) nahezu ohne jede Beratung und Betreuung und jedenfalls ohne kostenlose Betreuung auf Beteiligungslaufzeit, ihr wie o.a. gedeckeltes ,Einmalentgelt' Geld verdienen." Auch würden von der Steuer befreite Umsätze durch die Art der erbrachten Dienstleistungen und nicht durch den Erbringer bzw den Empfänger der Leistung definiert, wie aus dem Volker Ludwig, C-453/05, ersichtlich sei. Schließlich fehlten Sachverhaltsfeststellungen zur subjektiven Tatseite.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde mit dem Hinweis, dass methodisch von einer bewussten Falschdeklarierung von Leistungen auszugehen sei, einerseits um die berufsrechtliche Problematik iZm Vermittlungsleistungen eines Steuerberaters zu umgehen, andererseits um steuerliche Effekte zu erzielen, ab. Demensprechende Aussagen seien von Mag. ***5*** mehrmals getroffen und auch niederschriftlich bestätigt worden. Aufgrund der Vorgangsweise sei deshalb die Annahme gerechtfertigt, dass sich auch die Bf mit einer Abgabenverkürzung im Bereich der USt abgefunden habe. Das Finanzamt unterstelle der Bf - so in der Beschwerdevorentscheidung weiter - zumindest bedingt vorsätzliches Handeln, sodass die 10-jährige Verjährungsfrist des § 207 Abs 2 BAO zu Recht angewendet worden sei. Der Gf der Bf als einer des Steuerrechts kundigen Person habe einerseits vom Verbot der Vermittlungsgeschäfte aus standesrechtlicher Sicht gewusst, andererseits habe ihm das Ergebnis der AP vom in Tz 2 bekannt sein müssen. Wenn vor diesem Hintergrund aus der unechten Steuerbefreiung von Vermittlungsleistungen keine Konsequenzen im Bereich des VSt-Abzuges gezogen worden seien, dann sei davon auszugehen, dass die Bf eine Verkürzung der Abgaben ernstlich für möglich gehalten und sich mit der Tatbildverwirklichung abgefunden habe. "Die weitwändigen Beschwerdeausführungen können demgegenüber die Beschwerdeführerin bzw. deren handelnde Organe nicht exkulpieren."

Dagegen richtet sich der mit datierende Antrag, die Beschwerden dem BFGvorzulegen. Darin führt die Bf - auf das Wesentlichste zusammengefasst, zusätzlich zum bisherigen Beschwerdevorbringen - aus, dass die von der Bf als Dienstleisterin erbrachte Dienstleistung niemals ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes gewesen sei, das die spezifischen wesentlichen Funktionen - iSd Art 13 Teil B Buchstabe d Nr. 1 der 6. MwSt-RL - einer ust-freien Vermittlungsleistung erfülle. Vielmehr seien die Honorare, die allesamt als Einmalhonorare für je eine Gesamtleistung vereinbart und bezahlt worden seien, auch insoweit sie in Prozent der Anlagesumme verrechnet worden seien, klar für ust-pflichtige Gesamt-Dienstleistungen, weshalb sie mit USt fakturiert worden seien. Nicht frühere APen der Bf betreffend die beschwerdeggst Jahre, sondern erst(mals) die viel spätere AP durch den Prüfer ***9*** sei zur Steuerrechts-Ansicht gelangt, dass die via Einmalhonorare der Bf honorierten Leistungen und auch jener Partner, von welchen die Bf Subleistungen, die den beschriebenen Hauptleistungen im Wesentlichen entsprochen hätten, zugekauft habe, nicht ust-pflichtig, sondern vielmehr ust-freie Vermittlungsleistungen seien, dies trotz der oa Hauptleistungen über den langen Zeitraum von 15 Jahren. Mag. ***5***, damals Geschäftsführer einer österreichweit vertretenen Steuerberatungsgroßkanzlei, sei nur einer von vielen Partnern bezogen auf die Beteiligungsprojekte und es sei denkunmöglich, dass er etwas - wie in der Beschwerdevorentscheidung behauptet - in Bezug auf die Beteiligungsprojekte zu Lasten der Bf jemals gesagt haben kann (wie etwa, dass die Bf VStn wider besseres Wissen zu Unrecht geltend gemacht habe). Die Bf beantragte die Übermittlung der von der belangten Behörde behaupteten Aussagen von Mag. ***5*** (mit Unterschrift von ihm).

Zudem sei weder in der Bescheidbegründung noch in der Beschwerdevorentscheidung das Vorliegen der subjektiven Tatseite in Bezug auf die Vorfrage, ob eine Hinterziehung iSd § 207 Abs 2 BAO vorliege, durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen hinreichend untermauert.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem BFG zur Entscheidung vor und verwies - soweit für das ggst Verfahren von Relevanz - zur subjektiven Tatseite der Bf darauf, dass vor dem Hintergrund der standesrechtlichen Vorschriften (WTBG) davon ausgegangen werden könne, dass die in den strittigen Urkunden enthaltene Leistungsbeschreibung bewusst und wissentlich gewählt worden sei, um einem potentiellen Konflikt mit der standesrechtlichen Vertretung aus dem Weg zu gehen. Fakt sei, dass die Bf pro vermitteltem Umsatz einen bereits zuvor fix vereinbarten Prozentsatz (8 %) in Rechnung stellte. Bestätigt werde diese Tatsache vom ehemaligen Geschäftspartner Stb Mag. ***5***, wonach die verrechneten Beträge nicht aufgrund der tatsächlich erbrachten Leistungen ermittelt worden seien, sondern die Vertriebskomponente laut den jeweiligen Projektvorlagen einfach durch die involvierten Personen aufgrund der vermittelten Anleger dividiert worden sei. Die belangte Behörde gehe von einer "absichtlich falschen Leistungsbeschreibung" auf den Rechnungen aus und in weiterer Folge von der Abgabe "absichtlich falscher Umsatzsteuererklärungen der Jahre 2004 und 2005". Zumindest habe es die Bf ernsthaft für möglich gehalten, dass ihr Verhalten nicht dem UStG entspreche und sich trotzdem mit der Abgabe der "falschen Umsatzsteuererklärungen" abgefunden. Auch hier könne allein aus den Leistungsbeschreibungen - in concreto dem Fehlen der Vermittlungs- bzw Provisionskomponente - abgeleitet werden, dass sich die Bf sehr wohl Gedanken über die Textierung der Rechnungen gemacht habe. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung bzw aufgrund des täglichen Geschäftsbetriebs sei es nämlich nicht nachvollziehbar, dass Leistungen, aus denen ein Anspruch auf Vergütung zu einem großen Teil erwachse, den Rechnungsinhalten nicht entnommen werden könnten. Die Schlussfolgerung davon sei, dass in der Abgabe der "falschen Umsatzsteuererklärungen" das erforderliche Verschulden der Bf erblickt werden könne.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf ist eine im Firmenbuch des Landesgerichtes Klagenfurt zu FN ***14*** eingetragene Kapitalgesellschaft mit dem Sitz in der politischen Gemeinde Klagenfurt am Wörthersee; als deren Allein-Gf sowie Gesellschafter agiert seit dem Jahr 1994 der am ***10*** geborene Dr. ***3***. In den Streitjahren fungierte dieser darüber hinaus als Alleingesellschafter-Gf der Dr. ***11*** GmbH (FN ***15*** des LG Klagenfurt als FB-Gericht) und war in die Liste der Steuerberater eingetragen.

Am legte die Bf an die ***12*** Unternehmensberatung GmbH (zB Herrn Mag. ***5***) eine Rechnung Nr 156 mit folgendem wesentlichen Inhalt: "Für die Mitwirkung an der Konzeption, gesellschafts- und steuerrechtliche Stellungnahmen samt Mitwirkung an der Erstellung der betriebswirtschaftlichenGrundlagen, samt Barauslagen, Leistungszeitraum Jänner bis Dezember 2004, erlauben wir uns zu verrechnen wie folgt:

€ 343.175,--

20% Umsatzsteuer€ 68.635,--

€ 411.810,--"

Weder gegen die Bf noch gegen deren Allein-Gf bzw den Geschäftspartner, Mag. ***5***, wurde ein Finanzstrafverfahren iZm den geltend gemachten VStn eingeleitet bzw geführt.

Es kann nicht festgestellt werden, ob sich die Bf (bzw deren Steuerberater und Allein-Gf) iZm der Geltendmachung der VStn im Rahmen der verfahrensggst Veranlagungen einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung schuldig gemacht hat.

2. Beweiswürdigung

Der vorstehende Sachverhalt gründet auf nachfolgender Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Bf, deren Allein-Gf sowie der stV resultieren aus einer Einschau in das offene Firmenbuch. Dass Herr Dr. ***3*** im Streitzeitraum nicht nur als Allein-Gf sowie als Gesellschafter der Bf agierte, sondern darüber hinaus auch als Steuerberater tätig war, ist im Übrigen zwischen den Parteien unstrittig.

Sowohl die erfolgten Rechnungs- und Gutschriftenlegungen, als auch deren Inhalt gehen unzweifelhaft aus den im Akt erliegenden Urkunden hervor.

Die Fakten der Erklärung der USt, der Geltendmachung von VStn bzw deren Höhe ergeben sich einerseits aus einer Einschau des Gerichtes in den elektronischen Veranlagungsakt die Bf betreffend und andererseits aus den Ausführungen des Prüfers.

Dass keine Finanzstrafverfahren iZm den verfahrensgegenständlichen VStn geführt wurden, ergab eine Nachfrage des Gerichtes bei der belangten Behörde.

Die (Negativ-)Feststellung zum fehlenden Vorsatz der Bf bzw der stV ergibt sich aus nachfolgenden Überlegungen: Eingangs ist festzuhalten, dass das Beweisverfahren vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung beherrscht wird (§ 167 BAO). Dieses Prinzip bedeutet, dass alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig sind und es - anders als etwa im anglo-amerikanischen Rechtskreis - keine Beweisregeln (keine gesetzliche Rangordnung, keine formalen Regeln) gibt. Ausschlaggebend ist der innere Wahrheitsgehalt der Ergebnisse der Beweisaufnahmen. Nach st Rsp genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (zB Ritz/Koran, BAO7, 2021, § 167, Rz 8 und die dort referierte Jud).

All diese Prämissen vorausgeschickt, konnte vorsätzliches Verhalten aus folgenden Überlegungen nicht bejaht werden: Gem § 8 Abs 1 FinStrG handelt nämlich vorsätzlich nur, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet, wobei die Begründung auch aufzuzeigen hat, dass der Täter den Verstoß gegen die Rechtsordnung erkannt hat (zB , mwN; , 2003/13/0171). Der Täter muss also einerseits den Eintritt des verpönten Erfolges als naheliegend ansehen und anderseits bereit sein, diesen Erfolgseintritt in Kauf zu nehmen (vgl wiederum ). Der Vorsatz, Abgaben zu verkürzen, tritt als innere Tatsache nach außen hin nicht selbst in Erscheinung (zB ; , 2004/15/0113). Er kann deshalb in aller Regel nur im Wege mittelbarer Beweisführung aus äußeren Umständen erschlossen werden, konkret über den sog Indizienbeweis (zB Ritz/Koran, BAO7, 2021, § 166, Rz 5 mwN). Für die Beurteilung der Frage der "hinterzogenen Abgabe" gilt die Unschuldsvermutung (Art 6 EMRK) und wegen der die Abgabenbehörde treffenden Beweislast für die Hinterziehung auch der Zweifelsgrundsatz ("in dubio pro reo") als verfahrensrechtliche Richtschnur (zB , mwN; Ritz/Koran, BAO7, 2021, § 207, Rz 15).

Aus dem Geschehenen lässt sich aber nicht mit der notwendigen Überzeugung ableiten, dass die Bf bzw ihr Gf eine Abgabenhinterziehung ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hätten. Die belangte Behörde betont an mehreren Stellen, dass sich die subjektive Tatseite aus der zwar primär auf die Umgehung des Standesrechtes abzielenden unrichtigen Abfassung des Leistungsinhaltes der verfahrensgegenständlichen Urkunden ergäbe; Steuerberater unterlägen dem sog "Provisionsannahmeverbot" (vgl § 95 WTBG in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung). Unabhängig von der Frage, ob gegen dieses Verbot tatsächlich verstoßen wurde - die belangte Behörde hat keinerlei Ermittlungen in dieser Hinsicht vorgenommen, respektive nicht geprüft, ob gegen den Allein-Gf überhaupt disziplinäre Maßnahmen der zuständigen Kammer gesetzt wurden -, geht die belangte Behörde offenbar selbst davon aus, dass ein Konflikt mit dem Standesrecht das Motiv für die "falsche Leistungsbeschreibung" war. Sie konnte hingegen nicht überzeugend darlegen, weshalb die Bf "von Anfang an eine bewusst falsche Darstellung ihrer tatsächlich erbrachten Leistung beabsichtigte" bzw warum sie es "zumindest ernstlich für möglich gehalten [hat], dass ihr Verhalten nicht dem Umsatzsteuergesetz entspricht, und sich trotzdem mit der Abgabe der ,falschen' Umsatzsteuererklärungen abgefunden [hat]."

Der (allfällige) Vorsatz, das Standesrecht zu umgehen, umfasst nach Auffassung des Gerichtes nämlich nicht uno actu auch jenen, eine Abgabenhinterziehung zu begehen. Zumindest hegt das Gericht an dieser Argumentation erhebliche Zweifel, zumal die UStn selbst - wie das Beweisverfahren ergeben hat - ordnungsgemäß erklärt wurden und somit kein "klassischer" Fall einer Abgabenhinterziehung im Bereich der VStn vorliegt. Auch der Hinweis auf die Verantwortung des Geschäftspartners, Mag. ***4***, kann dem Rechtsstandpunkt der belangten Behörde nicht zum Durchbruch verhelfen: Einerseits beziehen sich die Angaben laut Beilage 1 zur Kontrollmitteilung vom auf das Projekt "Asia ***13***", das nicht verfahrensggst ist, wie sich aus einer Zusammenschau zwischen der Eingangsfrage und dem Inhalt des darin zitierten Mails vom ergibt. Andererseits ist aus dessen Angaben schon deshalb nichts für die Frage der subjektiven Tatseite zu gewinnen, zumal Mag. ***5*** lediglich bestätigt, dass die Diktion des Rechnungsinhaltes dem Berufsrecht der Steuerberater geschuldet war, was vom Gericht ohnedies als den Tatsachen entsprechend gewürdigt wurde.

Wenn die belangte Behörde darüber hinaus vermeint, dass der bedingte Vorsatz aus der beruflichen Stellung des Allein-Gf resultiere, so ist dem Folgendes entgegen zu halten: Wie aus dem Akt ersichtlich, hat die Bf die Form der monierten Leistungsbeschreibung offenbar über mehrere Jahre praktiziert, ohne, dass die belangte Behörde die USt-Erklärungen in irgendeiner Art und Weise beanstandet hätte. Erst durch eine Kontrollmitteilung einer anderen Dienststelle wurde eine AP eingeleitet. Hält man sich idZ die VwGH-Jud vor Augen, wonach etwa das Vertrauen eines Steuerberaters auf die Vollständigkeit der Angaben des von ihm Jahre hindurch vertretenen Steuerpflichtigen in Anlehnung an die bisher vom Finanzamt unbeanstandet gebliebenen Steuererklärungen kein schweres Verschulden bildet (zB , mwN), hegt das Gericht (neuerliche) Zweifel an der Bejahung der subjektiven Tatseite. Berücksichtigt man darüber hinaus die Verantwortung der Bf, die nach wie vor der Ansicht ist, keine Vermittlungsleistungen erbracht und somit völlig korrekt gehandelt zu haben, so werden diese Zweifel verstärkt.

Nur der Grund alleine, dass es sich beim Allein-Gf der Bf um einen Steuerberater handelt, kann nicht gleichzeitig zur Bejahung des Vorsatzes führen (vgl dazu etwa auch ). Man mag der belangten Behörde zwar zugestehen, dass durch diese Tätigkeit der Sorgfaltsmaßstab erhöht wird, was jedoch nicht gleichzeitig bedeutet, dass jeder Verstoß eines Steuerberaters gegen steuerrechtliche Bestimmungen zur Bejahung der subjektiven Tatseite zu führen hat.

Schließlich ist nach Ansicht des Gerichtes auch auf § 9 FinStrG hinzuweisen, wonach dem Täter weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zugerechnet wird, wenn ihm bei der Tat ein entschuldbarer Irrtum unterlief, der ihn das Vergehen oder das darin liegende Unrecht nicht erkennen ließ; ist der Irrtum unentschuldbar, ist dem Täter Fahrlässigkeit zuzurechnen. Auch ein nicht entschuldbarer Rechtsirrtum schließt Vorsatz aus und bewirkt lediglich das Vorliegen von (grober) Fahrlässigkeit (). Eine nicht den geltenden und anzuwendenden Rechtsnormen entsprechende Geltendmachung von VStn stellt nach Ansicht des Gerichtes kein Vorbringen eines "wahrheitswidrigen Sachverhaltes" dar; auch in der Leistungsbeschreibung selbst ist ein solcher nicht erkennbar, sind doch - was zwischen den Parteien unstrittig ist - nicht ausschließlich Vermittlungsleistungen erbracht worden (vgl zu einer rechtlich verfehlten Methode der AfA-Berechnung). Die diesem Vorgang auf Seiten der Bf offenbar zugrundeliegende Rechtsauffassung, wonach eine USt-Pflicht vorliegen würde, hat sich in der Folge in den unrichtigen Angaben in den USt-Erklärungen respektive der Geltendmachung von VStn manifestiert. Angesichts der Fachkenntnis, die bei einem Steuerberater im Wirtschaftsleben allgemein vorausgesetzt wird, würde - den Rechtsstandpunkt der belangten Behörde, wonach es sich um Vermittlungsleistungen handelt, unterstellend - das fehlende Wissen um eine seit Jahren in Geltung stehende Rechtslage zweifellos einen besonders groben Sorgfaltsverstoß darstellen. Allerdings lässt sich aus dem Gewicht dieses Sorgfaltsverstoßes nicht zwingend ableiten, dass die Bf bzw ihr Steuerberater bei ihrem Handeln von der Absicht getragen waren, Abgaben zu hinterziehen. Daher ist der Bf bzw ihrem Steuerberater kein vorsätzliches Handeln vorzuwerfen. Untermauert wird diese Rechtsauffassung schließlich auch dadurch, dass - wie der Akteninhalt zeigt - die rechtliche Beurteilung (nämlich Vorliegen von unecht steuerbefreiten Vermittlungsleistungen) auch durch die belangte Behörde einiger Recherchen, Rücksprachen und Zeit bedurfte, somit auch für sie die Rechtslage "nicht so eindeutig" war.

Insgesamt konnte sohin - aufgrund der zuvor aufgezeigten Zweifel - nicht festgestellt werden, ob sich die Bf (bzw deren Steuerberater und Allein-Gf) iZm der Geltendmachung der VStn im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Veranlagungen einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung schuldig gemacht haben.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens kann von Amts wegen ua dann verfügt werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und deren Kenntnis allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs 1 lit b BAO). Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnamhe des Verfahrens nach § 304 BAO (idF FVwGG 2012, BGBl I 2013/14) nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmsantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht ist.

Die für die Festsetzung der USt maßgebliche Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre. Insoweit eine Abgabe hinterzogen wurde, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre (§ 207 Abs 2 BAO). Diese Verlängerung der Verjährungsfrist setzt eine Hinterziehung von Abgaben iSd § 33 Abs 1 FinStrG voraus. Der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG macht sich schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt. Eine (allenfalls auch grob) fahrlässige Abgabenverkürzung (§ 34 FinStrG) bewirkt keine Verlängerung der Verjährungsfrist.

Da keine finanzstrafbehördliche oder gerichtliche Entscheidung hinsichtlich einer allfälligen Abgabenhinterziehung vorliegt, war die belangte Behörde zu diesbzgl Feststellungen berechtigt. Entgegen ihrer Würdigung ist der Bf bzw ihrem Steuerberater hinsichtlich der Geltendmachung von VStn nicht vorsätzliches, sondern (allenfalls) bloß grob fahrlässiges Handeln vorzuwerfen. Daher hat sich die Bf keiner Hinterziehung von Abgaben schuldig gemacht.

Die Bf hat die USt-Erklärung für 2004 am eingereicht; der Bescheid datiert mit . Die Verjährung das Jahr 2004 betreffend ist angesichts dieser Verlängerungshandlung (§ 209 Abs 1 BAO) mit Ablauf des Jahres 2011 eingetreten. Für 2005 langte die Erklärung am ein, der Jahresbescheid ist mit datiert; Verjährung trat somit am ein. Die Wiederaufnahme der Verfahren am ist somit jeweils außerhalb der (allgemeinen, fünfjährigen) Verjährungsfrist des § 207 Abs 2 erster Satz BAO erfolgt, weshalb der Beschwerde Folge zu geben war.

3.2. Zu Spruchpunkt III. (Zurückweisung)

Gem § 307 Abs 3 BAO tritt durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Daher scheiden die angefochtenen USt-Bescheide die Jahre 2004 und 2005 betreffend ex lege aus dem Rechtsbestand aus (Ritz/Koran, BAO7, 2021, § 307, Rz 8 mit Judikaturhinweisen). Die Beschwerde richtet sich somit gegen nicht mehr existente Bescheide und war daher zurückzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt II. und IV. (Revision Erkenntnis und Revision Beschluss)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen iSd Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die in casu strittigen Fragen, insb ob die Erlassung der Wiederaufnahmsbescheide für die Jahre 2004 und 2005 zu Recht erfolgte, konkret, ob vom Vorliegen hinterzogener Abgaben ausgegangen werden konnte und damit, ob die Anwendung der verlängerten Verjährungsfrist gem § 207 Abs 2 BAO rechtmäßig war, sind in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren iRd freien Beweiswürdigung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu klärende Tatfragen des BFG. Hiezu liegt (einheitliche) Rsp des VwGH vor, von dieser in casu auch nicht abgewichen wurde. Allgemein ist darauf zu verweisen, dass eine in freier Beweiswürdigung getroffene Feststellung des BFG auf Sachverhaltsebene zu treffen und daher nicht revisibel ist (vgl , mwN). Ob sohin die Beweiswürdigung idZ materiell richtig ist, dass die Ergebnisse mit der objektiven Wahrheit übereinstimmen, entzieht sich der Prüfung durch den VwGH (vgl ). Eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG auf (), weshalb insgesamt die Revision für nicht zulässig zu erklären war.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.4100685.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at