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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.03.2024, RV/4100215/2020

Haftung des Geschäftsführers, GmbH, Insolvenz

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. H.P in der Beschwerdesache ***Bf1***, vertreten durch Firma mbH, Str 45, PLZ Ort, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Klagenfurt (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung gemäß § 9 Bundesabgabenordnung (BAO) zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der Haftungsbetrag wird auf Euro 2.826,54 verringert. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind der Berechnung in den Entscheidungsgründen zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Konkursverfahren am :

Die Beschwerdeführerin war gemeinsam mit Vn.NN Geschäftsführerin der ***1*** GmbH. Über die GmbH wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom , Zl. ***2***, das Konkursverfahren eröffnet. Infolge Eröffnung des Konkurses wurde die Gesellschaft aufgelöst. Das Landesgericht hat mit Beschluss vom das Konkursverfahren nach erfolgter Schlussverteilung aufgehoben und die Firma gemäß § 40 Firmenbuchgesetz (FBG) gelöscht.

Das Finanzamt ersuchte mit Ergänzungsvorhalt vom unter ausführlicher Darlegung der Rechtslage um Darstellung der finanziellen Mittel und deren Verwendung in der Zeit von bis zur Konkurseröffnung. Um Darstellung der Zahlungen im Zeitpunkt der Fälligkeit der nicht mehr entrichteten Abgaben wurde ersucht.

Schriftsatz vom :

Mit Schriftsatz vom teilte die Beschwerdeführerin mit, dass das Unternehmen von Beginn an aufgrund der Einhaltung der vorgegebenen Öffnungszeiten, der Einhaltung vorgegebener Preise, des hohen Pachtzinses und der hohen Werbungsbeiträge nicht betriebswirtschaftlich geführt werden konnte. Wörtlich wurde ausgeführt:

"Das laufende Bankkonto hat sich von einem negativen Saldo in Höhe von EUR -9.076,01 am und EUR - 10.213,01 zu einem negativen Saldo von EUR -99.395,79 entwickelt, einerseits da die kreditvergebende ***3*** GmbH die Garantie in Höhe von 68.299,06 in Anspruch genommen hat und andererseits, da die Verpächterin, die ***4*** G.m.b.H & Co KG die bei Abschluss des Pachtvertrages vereinbarte Bankgarantie in Höhe von EUR 19.660,00 gezogen hat."

Die Beschwerdeführerin stellte die geleisteten Zahlungen für den Zeitraum bis zur Konkurseröffnung () dar.
Daraus errechnet sich eine Quote der Zahlungen der Lieferungen und Leistungen ohne Berücksichtigung der gezogenen Bankgarantie von 2,46%, die Quote der Zahlungen der Löhne und Gehälter habe 14,52% betragen, wobei im Juni EUR 390,00 als Teilzahlung für den Monat Mai 2018 und im Juli 2018 EUR 960,00 als Teilzahlungen für Löhne des Monates Juni bezahlt worden seien. Unter Berücksichtigung der Lohnkosten für August errechnet sich eine Quote der Zahlungen der Löhne und Gehälter von 10,13%.

Tabellarisch wurden die Verbindlichkeiten zum in Höhe von insgesamt Euro 152.881,88 und deren Entwicklung dargestellt. Im Zeitraum 07 und 08/2018 wurden Kleinstbeträge für Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes gezahlt. Ein verbliebenes Kassaguthaben in Höhe von Euro 4.000,00 wurde für die Eröffnung des Konkursverfahrens verwendet.

Der Durchschnitt an geleisteten Zahlungen errechnete sich laut tabellarischer Darstellung wie folgt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Verbindlichkeiten
Zlg. mit Bankgarantie
Quote
Zlg. Ohne
Bankagrantie
Quote
L + L
128.822,09
22,831,43
17,7%
3.171,43
2,46%
Löhne Gehälter
9.294,96
1.350,00
14,52%
1.350,00
14,52%
GKK
6.681,21
0,00
0,00%
0,00
0,00%
Magistrat
2.372,96
0,00
0,00%
0,00
0,00%
Durchschnitt Zahlung
147.171,22
24.181.43
16,43%
4.521,43
3,07%
Durchschnitt FA
6.100,66
0,00
0,00%
0,00%

Bescheid vom :

Das Finanzamt zog in der Folge die Beschwerdeführerin und den weiteren Geschäftsführer zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten in Höhe von Euro 21.589,10 heran.

Die Abgabenschuldigkeiten wurden wie folgt dargestellt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Betrag in Euro
Umsatzsteuer
12/2017
772,79
Umsatzsteuer
01/2018
939,69
Umsatzsteuer
02/2018
607,05
Umsatzsteuer
03/2018
1.259,91
Umsatzsteuer
04/2018
152,94
Körperschaftsteuer
04-06/2018
125,00
Körperschaftsteuer
07-09/2018
125,00
Dienstgeberbeitrag
02/2018
145,08
Dienstgeberbeitrag
03/2018
158,57
Dienstgeberbeitrag
04/2018
151,71
Dienstgeberbeitrag
05/2018
156,07
Dienstgeberbeitrag
06/2018
166,08
Dienstgeberbeitrag
07/2018
109,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2018
15,25
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2018
16,67
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/2018
15,95
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
05/2018
16,41
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
06/2018
17,46
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
07/2018
11,56
Pfändungsgebühr
2018
62,13
Barauslagenersatz
2018
1,36
Umsatzsteuer
2018
15.999,99
Körperschaftsteuer
2018
562,50
Summe
21.589,10

Begründend wurde unter Darlegung der Rechtslage gemäß § 9 und 80 BAO ausgeführt, dass die Abgabenbehörde von einer schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ausgehe, weil das Unternehmen von Beginn an, wie im Schriftsatz vom dargestellt, nicht wirtschaftlich geführt worden sei.

Beschwerde vom :

In der Beschwerde vom führte die Beschwerdeführerin aus, dass das Unternehmen trotz größter Anstrengungen nicht verlustfrei geführt werden konnte. Im Jahr 2016 wurde ein Verlust in Höhe von - 25.674,35 und im Jahr 2017 ein Verlust in Höhe von
Euro - 89.610,89 erwirtschaftet. Zu Beginn des Unternehmens habe man mit dem Franchisegeber eine positive Planrechnung erstellt, sodass von einem wirtschaftlich positiv zu führenden Betrieb ausgegangen worden sei. Der Abgabengläubiger sei nicht schlechter als andere Gläubiger gestellt worden.

Die GmbH verfügte im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über keinerlei liquide Mittel mehr. Dies betreffe insbesondere die mit Bescheiden vom festgesetzte Körperschaft- und Umsatzsteuer für das Jahr 2018. Gegen beide Bescheid wurde Beschwerde erhoben. Infolge der Zahlungsunfähigkeit konnte die am festgesetzte U 07/2018 nicht mehr entrichtet werden. Die am fällige U 06/2018 und die am fälligen Lohnnebenkosten konnten nicht mehr entrichtet werden.

Man habe im Schriftsatz vom Mai 2019 bereits ausführlich dargelegt, dass andere Gläubiger im Wesentlichen nicht bevorzugt behandelt wurden.

Hinsichtlich jener Abgaben, welche im Jahr 2019 festgesetzt worden sind, komme eine Haftung nicht in Betracht, weil die Vertreterin der GmbH nachweislich über keine liquiden Mittel mehr verfügt hat. Die betreffe vor allem die Lohnnebenkosten 07/2018, die Umsatzsteuervorauszahlungen für Juni und Juli 2018 und die Lohnnebenkosten für 7-9/2018. Diese Abgaben summieren sich auf Euro 16.808,98.

Hinsichtlich des verbleibenden Betrages iHv Euro 4.780,12 werde beantragt, die allfällige Heranziehung zur Haftung lediglich in Höhe der errechneten Quote von 3,07% (Seite 3, Tabelle) zu belassen.

Beschwerdevorentscheidung vom :

Das Finanzamt hat mit Beschwerdevorentscheidung der Beschwerde teilweise stattgegeben und die Haftungssumme auf Euro 4.705,72 verringert.
Begründend wurde ausgeführt, dass den zugrundeliegenden Beschwerden gegen die Körperschaft- und Umsatzsteuerbescheide für das Jahr 2018 im Abgabenverfahren stattgegeben worden sei. Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Lohnnebenkosten wurde der Bf. eine Ungleichbehandlung zwischen den Gläubigern angelastet.

Vorlageantrag:

Im Vorlagenantrag beantragte die Beschwerdeführerin unter ausführlicher Darlegung der Bestimmung gemäß § 31 Abs. 1 Z 2erster Fall IO die Beachtung der zivilrechtlichen Bestimmungen im Haftungsverfahren.

Wörtlich wurde schriftlich ausgeführt:
"Gemäß § 31 Abs 1 Z 2ersterFall IO sind nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (innerhalb der letzten sechs Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens: § 31 Abs 2 IO) oder nach dem Antrag auf Insolvenzeröffnung vorgenommene Rechtshandlungen anfechtbar, durch die ein Insolvenzgläubiger Sicherstellung oder Befriedigung erlangt hat, wenn ihm die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder der Eröffnungsantrag bekannt war oder bekannt sein musste (Deckungsanfechtung). Solche Rechtshandlungen liegen im vorliegenden Fall in keinster Weise vor."

Der Tatbestand setzt eine bereits bestehende Gläubigerstellung voraus. Die anfechtbaren Rechtshandlungen müssen zu einer Deckung, also zu einer Sicherstellung oder Befriedigung eines (Konkurs)Gläubigers geführt haben.

"Zug um Zug Zahlungen, die vorgenommen wurden, um den Geschäftsbetrieb in den letzten Monaten aufrecht zu erhalten, sind gemäß Insolvenzordnung nicht anfechtbar. Darüber hinaus sind Sicherstellungen oder Befriedigungen von Insolvenzgläubigern nur anfechtbar, wenn die Zahlungsunfähgkeit des Schuldners bekannt war, alle Sicherstellungen fanden im gegenständlichen Fall bei Aufnahme des Geschäftsbetriebes statt und betrafen nur die Finanzierung durch ein Kreditinstitut und die Sicherstellung des Mietvertrages."

Wenn die angeführten Grundsätze im Zivilrecht Geltung haben, müssen diese auch im Abgabenverfahren berücksichtigt werden.

Um Aussetzung der Einhebung wurde ersucht.

Vorlagebericht:

Das Finanzamt legte die Akten mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht vor und stellte ausführlich die Rechtslage und Rechtsmeinung der Abgabenbehörde dar. Beantragt wurde die teilweise Stattgabe der Beschwerde im Sinne der Beschwerdevorentscheidung. Es wurde darauf hingewiesen, dass auch der weitere Geschäftsführer Beschwerde gegen die Heranziehung zur Haftung erhoben hat.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Sachverhalt steht, wie bereits dargestellt, fest. Die im Haftungsbescheid angeführten Abgaben wurden zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht entrichtet. Die Beschwerdeführerin war bis zur Konkurseröffnung am eine von zwei Geschäftsführern der GmbH. Die Gesellschaft wurde infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst und mit Beschluss des Landesgerichtes vom im Firmenbuch gelöscht. Auf die Gläubiger entfiel keine Quote. Strittig sind die daraus folgenden resultierenden Rechtsfolgen.

Das Finanzamt schränkte die Haftungssumme abzüglich der Körperschaft- und Umsatzsteuer für das Jahr 2018 und solchen Abgaben, deren Fälligkeit mit dem Datum der Konkurseröffnung zusammenfallen, ein (Umsatzsteuervorauszahlungen 6,7/2018 und Lohnabgaben 07/2018). Die GmbH war bereits vor Konkurseröffnung am zahlungsunfähig.

2. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung wurden der Haftungsbescheid, der Vorhalt des Finanzamtes, die Beschwerde, die Beschwerdevorentscheidung und der Vorlageantrag unterzogen. Aus dem Vorlagebericht ergibt sich, dass die Bf.in neben den weiteren Geschäftsführer zur Haftung herangezogen wurde.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabenpflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretenen auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den Vertretenen obliegen.

Die Inanspruchnahme als Haftender setzt daher:
- die Stellung als Vertreter(in),
- das Bestehen einer Abgabenforderung gegen den Vertretenen,
- die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeit,
- die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Vertreter,
- das Verschulden des Vertreters und
-die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus.

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Haftungsvoraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der Abgabe bei der Primärschuldnerin. Die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenforderung ergibt sich aufgrund des Insolvenzverfahrens, bei dem sich lediglich eine Quote von 0,00% ergeben hat. Die Abgabenschulden sind uneinbringlich.

Die Haftung des § 9 BAO ist subsidiär und akzessorsich.

Zu den Pflichten eines Vertreters gehört die termingerechte Entrichtung der Abgaben nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, die die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haftet der Vertreter für nicht entrichtete Abgaben des Vertretenden auch dann, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten des Vertretenen nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten.
Auf dem Vertreter lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote und des Betrages, der bei anteilsmäßiger Befriedigung aller Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre. Eine Betrachtung der Gläubigergleichbehandlung hat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfolgen. Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen. Dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, jene Informationen zu sichern, die ihm im Falle der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen (vgl. ).

Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht nach der ständigen Rechtsprechung eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung (Ritz, BAO7, § 9 Tz 24 mit Judikaturnachweisen). Es wurden keinerlei Gründe vorgebracht, die Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Kausal- bzw. des Rechtswidrigkeitszusammenhanges bieten würden; solche sind auch nicht aktenkundig.

Ermessen

Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen zu halten hat (§ 20 BAO). Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Die Geltendmachung der Haftung stellt die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar, wobei die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles ein wesentliches Ermessenskriterium darstellt. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweckes der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist.

Das Bundesfinanzgericht hat in seiner Entscheidung vom , GZ RV/5101146/2019, ausführlich zur Ermessensübung festgehalten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Geltendmachung der Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt. Dieses Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens (). Das bedeutet, dass bei Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 BAO nicht allein und in jedem Fall nur eine volle Inanspruchnahme für jene aushaftenden Abgaben in Betracht kommt, hinsichtlich derer die Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind (dies wäre nur bei einer gebundenen, kein Ermessen einräumenden Haftungsbestimmung der Fall).

"Innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens sind Ermessensentscheidungen gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Interesse an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. Ritz, BAO7, § 20 Tz 7 mit Judikaturnachweisen)

Die "Billigkeit" gebietet bei einer Ermessenentscheidung im Regelfall die Berücksichtigung des steuerlichen Verhaltens und auch der wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen wären damit im Rahmen der Ermessenübung bei der Geltendmachung der Haftung zu beachten (Ritz, BAO, § 7 Tz 7mit Judikaturhinweisen und Hinweis auf Stoll, Ermessen, 392). Allerdings vertritt der Verwaltungsgerichtshof demgegenüber in ständiger Rechtsprechung zu § 9 BAO die Ansicht, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen des Haftungsschuldners im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung keine Bedeutung zukommt. Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung ( mit Hinweis auf ). Diese kann auch dann zweckmäßig sein, wenn die Haftungsschuld im Zeitpunkt der Geltendmachung uneinbringlich ist, da dies nicht ausschließt, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (z.B. 2006/14/0044 mit zahlreichen weiteren Judikaturnachweisen; ebenso ). Die wirtschaftliche Lage des Haftungspflichtigen steht für sich allein noch in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (). Eine allfällige persönliche Unbilligkeit in der Einhebung der haftungsgegenständlichen Abgaben ist im Rahmen der Ermessensübung zur Geltendmachung der Haftung nicht zu berücksichtigen."

3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Die Beschwerdeführerin war im maßgeblichen Zeitraum Geschäftsführerin der GmbH. Über die GmbH wurde mit beim Landesgericht das Konkursverfahren eröffnet. Die GmbH ist aufgelöst und im Firmenbuch gelöscht. Auf die Gläubiger entfiel keine Quote.

Die Heranziehung zur Haftung nach der BAO ist subsidiär und akzessorisch. Die im Jahr 2019 festgesetzte Körperschaft- und Umsatzsteuer für das Jahr 2018 waren infolge deren Festsetzung nach erfolgter Konkurseröffnung über die GmbH aus der Haftung auszuscheiden. (Beschwerdevorentscheidung, Vorlagebericht). Die Haftungssumme verringert sich daher wie folgt:

Umsatzsteuer 2018: Euro 15.999,99
Körperschaftsteuer 2018: Euro 562,50.

Im Beschwerdefall hat die Beschwerdeführerin die ihr obliegende Berechnung unter Berücksichtigung der Fälligkeitszeitpunkte nicht in der erforderlichen Art und Weise erbracht.

Die tabellarische Darstellung der Verbindlichkeiten zum und deren Entwicklung bis zur Konkurseröffnung am dient der Veranschaulichung der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung in den letzten zwei Monaten vor Konkurseröffnung, vermag aber die Gleichbehandlung des Abgabenbgläubigers zum Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Abgaben nicht nachzuweisen.

Die Auflistung der Verbindlichkeiten und deren Entwicklung erfüllt nicht die Voraussetzungen einer entsprechenden Liquiditätsrechnung, aus der sich der Betrag ergibt, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der zum maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden Forderungen an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre.

In eine solche Liquiditätsrechnung ist die gesamte Liquiditätssituation einzubeziehen und somit auch die Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes (so genannte Zug-um-Zug Geschäfte) erforderlich sind.

Im Beschwerdefall ist somit hinsichtlich der in die Haftung einbezogenen Abgabenschuldigkeiten von einer schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten und der Kausalität dieser Pflichtverletzung für den Abgabenausfall auszugehen.

Das gesamte Beschwerdevorbringen reduziert sich auf die letzten 2 Monate vor Konkurseröffnung, wobei sich der negative Saldo am Bankkonto von EURO -9.7076,01 auf
-99.395,79 erhöht hat. Die Ursache liegt in der Inanspruchnahme von Bankgarantien, welche zu Beginn der unternehmerischen Tätigkeit als Sicherheit geleistet werden mussten.

Laut dem Beschwerdevorbingen hat es in den letzten 2 Monaten eine durchschnittliche Befriedigung der Verbindlichkeiten mit einer Quote von 3,07% ergeben. Daraus leite sich ab, dass der Abgabengläubiger auch lediglich in Höhe dieser Quote zu befriedigen gewesen wäre.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass Gegenstand des Haftungsbescheides durchaus Abgabenforderungen sind, die als Selbstbemessungsabgaben zu entrichten gewesen wären. Es liegt hinsichtlich dieser zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht entrichteten Abgaben eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten vor.

Der ausführliche Hinweis auf die Anfechtungsbestimmung des § 31 Insolvenzordnung (IO) vermag nichts daran zu ändern, zumal diese Bestimmung im vorliegendem Verfahren nicht anzuwenden ist.

Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, dass es dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche, wenn das Finanzamt mehr als die Insolvenzquote fordere, verkennt sie die Rechtslage.
Die Haftung des Vertreters erstreckt sich auf den von der Insolvenzquote nicht gedeckten Teil der Abgabenschulden der Primärschuldnerin.

Mit dem Beschwerdevorbringen, welches inhaltlich den Zeitraum zwischen und wirtschaftlich beleuchtet, wurde der Nachweis der Gläubigergleichbehandlung im jeweiligen Zeitpunkt der Fälligkeit nicht erbracht, sodass das Finanzamt zu Recht von einer Ungleichbehandlung der Gläubiger ausgeht, die kausal für den Abgabenausfall (eingetretenen Schaden) gewesen ist.

Abgaben, deren Fälligkeit zum bzw. nach dem eingetreten ist, sind von der Haftung nicht zu erfassen, weil die GmbH an diesem Tag (Mittwoch) bereits zahlungsunfähig gewesen ist. Eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch die Beschwerdeführerin liegt insoweit nicht vor.

Ermessen:

Bei der Ermessensübung ist eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Partei und dem Anspruch der Abgabenbehörde, die ihr zustehenden Abgabeansprüche durchzusetzen, vorzunehmen.

Die Beschwerdeführerin steht in einem erwerbsfähigen Lebensalter. Es ist durchaus zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin neben dem weiteren Geschäftsführer als Haftenden in der Lage sein wird, den Haftungsbetrag gegenüber dem Abgabengläubiger zu bezahlen.

Der abgabenrechtlich relevante Sachverhalt reicht zurück in die Jahre 2017 und 2018. Die Beschwerdeführerin hat anschaulich dargestellt, dass das Unternehmen trotz positiver Entwicklungsprognosen von Anbeginn an nur mit Verlusten geführt werden konnte.

Nach herrschender Lehre kann die lange Verfahrensdauer und der Umstand, dass der abgabenrechtliche Sachverhalt bereits sechs Jahre zurückliegt, bei der Ermessensübung zu Gunsten der Haftungspflichtigen berücksichtigt werden, sodass aus der Sicht des erkennenden Richters der jeweilige Haftungsbetrag im verringerten Ausmaß von 3/5 des tatsächlich verkürzten Abgabenbetrages festzusetzen war.

Folgende Abgaben sind daher Gegenstand der Haftungsinanspruchnahme:


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Abgabenart
Zeitraum
Abgabenbetrag
Haftungsbetrag
Umsatzsteuer
12/2017
772,79
463,20
Umsatzsteuer
01/2018
939,69
563,40
Umsatzsteuer
02/2018
607,05
364,20
Umsatzsteuer
03/2018
1.259,91
755,40
Umsatzsteuer
04/2018
152,94
91,20
Körperschaftsteuer
04-06/2018
125,00
75,00
Dienstgeberbeitrag
02/2018
145,08
87,04
Dienstgeberbeitrag
03/2018
158,57
94,80
Dienstgeberbeitrag
04/2018
151,71
90,60
Dienstgeberbeitrag
05/2018
156,07
93,60
Dienstgeberbeitrag
06/2018
166,08
99,60
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2018
15,25
9,00
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2018
16,67
9,60
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/2018
15,95
9,57
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
05/2018
16,41
9,85
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
06/2018
17,46
10,48
Summe in Euro
4.716,63
2.826,54

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen. Darüber hinaus wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, die über den Einzelfall hinaus Relevanz entfalten würden. Die ordentliche Revision war daher als unzulässig zu erklären.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 31 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.4100215.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at