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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.03.2024, RV/1100613/2016

Rechtmäßigkeit einer Haftungsinanspruchnahme

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1*** als ehemaliger Geschäftsführer der ***1*** (zuletzt firmiert als ***2***), ***3***, vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH, Julius Raab-Platz 4, 1010 Wien, sowie TJP Austroexpert Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., Mosetiggasse 1, 1230 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, Steuernummer ***Bf1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (im Folgenden abgekürzt Bf.) mit, dass auf dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin die im beiliegendem Rückstandsausweis angeführten Abgaben in Höhe von insgesamt 269.222,03 € uneinbringlich aushafteten. Aufgrund der Funktion des Bf. als das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ habe ihm die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen oblegen. Da die im Rückstandsausweis angeführten Abgabenbeträge während der Vertretungsperiode des Bf. fällig bzw. nicht entrichtet worden seien, müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. der ihm obliegenden Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft nicht ausreichend nachgekommen sei.

Vertreter von Kapitalgesellschaften hafteten mit ihrem persönlichen Einkommen und Vermögen für deren Abgaben, wenn sie an deren Nichtentrichtung ein Verschulden treffe, wobei hierfür bereits leichte Fahrlässigkeit genüge. Kein Verschulden bestünde beispielsweise, wenn alle anderen Gesellschaftsgläubiger gleich behandelt worden seien wie das Finanzamt. Die Pflichtverletzung müsse darüber hinaus in ursächlichem Zusammenhang mit der Nichtentrichtung stehen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müsse das Finanzamt somit bis zum Beweis des Gegenteiles von einer schuldhaften und für den Abgabenausfall zudem auch ursächlichen Verletzung der Pflicht des Bf. zur Entrichtung der fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln ausgehen. Unter diesen Umständen müsste der Bf. mit der Erlassung eines Haftungsbescheides im Ausmaß der uneinbringlich gebliebenen Abgaben rechnen.

Sofern die Gesellschaft bereits zu den Fälligkeitszeitpunkten der betreffenden Abgaben nicht mehr über ausreichend liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügt habe, könne dieser Umstand durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen dargelegt werden. In dieser Aufstellung müssten alle damaligen Gläubiger der Gesellschaft (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) enthalten sein. Anzugeben bzw. gegenüberzustellen seien zudem alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) und es sei die Verschuldenssituation umfassend darzustellen.

Der obige, an die dem Finanzamt bekannte Wohnadresse des Bf. zugestellte Haftungsvorhalt wurde dem Finanzamt mit dem Vermerk "nicht abgeholt" rückübermittelt.

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Bf. gemäß § 9 iVm § 80ff BAO zur Haftung für folgende aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von insgesamt 269.222,03 € herangezogen (Anmerkung: Im Spruch des Haftungsbescheides wurde sowohl eine Haftungssumme von 269.222,03 € als auch eine solche von 259.846,37 € angeführt):


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag
Körperschaftsteuer
2011
875,00 €
Umsatzsteuer
2009
43.074,40 €
Umsatzsteuer
2010
54.096,00 €
Umsatzsteuer
2011
10.856,00 €
Körperschaftsteuer
2009
32.071,66 €
Anspruchszinsen
2009
1.934,91 €
Körperschaftsteuer
2010
43.678,00 €
Anspruchszinsen
2010
1.549,97 €
Körperschaftsteuer
2011
29.831,00 €
Anspruchszinsen
2011
318,00 €
Dienstgeberbeitrag
2009
3.918,84 €
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2009
339,63 €
Lohnsteuer
2009
15.801,84 €
Dienstgeberbeitrag
2010
4.309,50 €
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2010
373,49 €
Lohnsteuer
2010
14.974,63 €
Lohnsteuer
2011
1.186,63 €
Dienstgeberbeitrag
2011
504,00 €
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2011
152,88 €
259.846,37 €

Begründend wurde ausgeführt, der Bf. sei laut Handelsregisterbuch ***4***, ***5***, im Zeitraum zwischen 2009 bis 2011 Haftungspflichtiger der Fa. ***1***, ***6*** (im Folgenden Primärschuldnerin), gewesen. Aus diesem Zeitraum hafte für die Gesellschaft noch eine Abgabenschuld von 259.846,37 € aus.

Gemäß § 9 iVm § 80ff BAO sei der Bf. als Haftungspflichtiger der Primärschuldnerin insbesondere verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Abgaben des Betriebes entrichtet würden.

Da im Zuge des Vorhalteverfahrens seitens des Bf. keine weiteren Fakten/Unterlagen beigebracht worden seien, müsse das Finanzamt ***7*** bei der derzeitigen Aktenlage bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. diese gesetzlichen Verpflichtungen schuldhaft verletzt hätte. Die Haftung sei auszusprechen gewesen, da seit Mai 2012 erfolglos Exekution gegen die Primärschuldnerin geführt worden sei.

In der gegen den Haftungsbescheid nach mehrfachen Fristverlängerungen fristgerecht eingebrachten Beschwerde begehrten die ausgewiesene rechtliche sowie die ausgewiesene steuerliche Vertreterin des Bf. die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides. In der Begründung wurde bemängelt, dass der Bf. für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin im Ausmaß von 269.222,03 € in Anspruch genommen worden sei, aus der Bescheidbegründung jedoch hervorgehe, dass Abgabenschuldigkeiten in Höhe von 259.846,37 € aushafteten, ohne dass diese Differenz begründet worden sei.

  1. Bescheide über den Abgabenanspruch

Zudem sei aus den gegenüber der Primärschuldnerin erlassenen Umsatzsteuer- sowie den Körperschaftsteuerbescheiden ersichtlich, dass die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege ermittelt worden seien. In den Bescheidbegründungen fehle allerdings die notwendige Bezugnahme auf die Schätzungsmethode, die der Schätzung zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Berechnung der Schätzungsergebnisse (Ritz, BAO5, § 184 Rz 21).

  1. Geschäftstätigkeit der Primärschuldnerin

Die Primärschuldnerin sei ein im Handelsregister B des Amtsgerichts ***4*** zu ***5*** eingetragenes Unternehmen. Der Firmenwortlaut zum Zeitpunkt der Eintragung habe "***8***" gelautet und im Laufe der Zeit sei die Umfirmierung in "***1***" erfolgt.

Aus dem Handelsregisterauszug sei zu ersehen, dass die Gesellschaft vormals die Geschäftsanschrift "***9***" gehabt habe, jedoch seit September 2012 die Geschäftsanschrift auf "***10***", laute. Die Änderung der Geschäftsanschrift sei zumindest gegenüber dem Amtsgericht ***4*** bekanntgegeben worden, da die Änderung am im Handelsregister vorgenommen worden sei.

  1. Geschäftsführung

Richtig sei, dass der Bf. als Geschäftsführer der Primärschuldnerin im Handelsregister eingetragen sei. Im Zeitraum bis sei auch ***11*** Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen. Es habe eine Geschäftsordnung bestanden, in welcher festgelegt worden sei, dass der Bf. für in Österreich ausgeübte Tätigkeiten nicht zuständig gewesen sei.

***11*** sei als Geschäftsführer für Buchhaltung, den operativen Betrieb und die Mitarbeiter verantwortlich gewesen sowie eigenverantwortlich für die in weiterer Folge in Österreich ausgeübte Tätigkeit. Der Bf. sei für den Betrieb, Kooperationen und Business-Development verantwortlich gewesen.

Nachdem ***11*** gegen Ende 2009 seine Tätigkeit beendet habe, sei ***12*** mit der Aufarbeitung der Tätigkeit von ***11*** betraut worden. Eine Entlastung des Geschäftsführers ***13*** sei nicht erfolgt.

Der Bf. sei aufgrund der Geschäftsverteilung von der Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten entbunden worden und es habe für diesen keine konkreten Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des mit den steuerlichen Agenden betrauten Geschäftsführers ***13*** gegeben. Die Pflichtverletzung des vormals bestellten Geschäftsführers ***13*** hinsichtlich abgabenrechtlicher Agenden in Österreich sei dem Bf. erst im Rahmen der Insolvenz der Primärschuldnerin sowie durch den gegenständlichen Bescheid bekannt geworden.

  1. Österreich

In Österreich habe die Primärschuldnerin in den Geschäftsräumlichkeiten der "***14***, ***15***", Tätigkeiten für diese ausgeübt. Es seien Leistungen von März 2009 bis Juli 2011 erbracht worden. Danach sei jegliche Tätigkeit in Österreich beendet worden.

  1. Insolvenz der Primärschuldnerin

Mit Beschluss des Amtsgerichtes ***4*** zu ***16*** vom sei über das Vermögen der Primärschuldnerin die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden. Ferner sei bestimmt worden, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien.

Zur vorläufigen Insolvenzverwalterin sei Rechtsanwältin ***17***, ***18***, bestellt worden, welcher gemäß der modifizierten Vertretertheorie ab diesem Zeitpunkt die Stellung als Vertretungsorgan der Primärschuldnerin zukomme.

Der Bf. habe im Zuge der Korrespondenz mit der Insolvenzverwalterin hinsichtlich des österreichischen Standortes sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Informationen offengelegt und sie für weitergehende Informationen an den deutschen Steuerberater der Primärschuldnerin, ***19***, sowie an die österreichische Steuerberatungskanzlei ***20***, ***21***, verwiesen.

Mit Beschluss des Amtsgerichtes ***4*** zu ***22*** vom sei über das Vermögen der Primärschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Edikt vom seien die Gläubiger aufgefordert worden, bis Anmeldungen bei der Insolvenzverwalterin vorzunehmen. Es sei nicht bekannt, dass seitens der belangten Behörde eine Forderungsanmeldung erfolgt sei.

Hintergrund der Insolvenz sei gewesen, dass der für Akquise zuständige Bf. am in die USA gereist und dort schwer erkrankt sei. Erst Ende Februar habe er in Begleitung eines Arztes zurückkehren können. Während seiner Abwesenheit habe die ***23*** ein Gründungsdarlehen fällig gestellt und die Kunden der Primärschuldnerin schriftlich aufgefordert, fällige Rechnungsbeiträge auf das von ihr angegebene Konto zu zahlen, während sich das Geschäftskonto bei der ***24*** befunden habe. Dieses Manöver der ***23*** sei für den Bf. völlig unerwartet gewesen, da der Bf. gegenüber diesem Kreditinstitut mit einem Privatdarlehen hafte. Aufgrund dieses Vorgehens sei es dann nicht mehr möglich gewesen, Verbindlichkeiten zu bedienen und es seien die Aufträge verloren gegangen, weswegen die Tätigkeit eingestellt worden sei.

  1. Exekutionsführung

Im Bescheid werde vorgebracht, dass aufgrund erfolgloser Exekutionsführung seit dem der Haftungsbescheid erlassen worden sei. Diesbezüglich sei festzuhalten, dass dem Bf. eine Exekutionsführung nicht bekannt sei. Den Aufzeichnungen zur Folge seien keine Behörden- bzw. Gerichtsstücke aus Österreich bei der Primärschuldnerin eingegangen.

Eine Exekutionsführung seit dem genannten Zeitpunkt stehe auch in Widerspruch zur Erlassung der Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2011, der Körperschaftsteuerbescheide 2009 bis 2011 sowie der Anspruchszinsenbescheide 2009 bis 2011 am sowie der Bescheide hinsichtlich Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag 2009 bis 2011 am . Einzig der Vorauszahlungsbescheid 2011 sei am erlassen worden. Die Fälligkeit der ersten Teilzahlung sei somit aber erst mit eingetreten.

  1. Voraussetzungen des § 9 BAO nicht erfüllt

Der Haftungsbescheid vom werde in allen Spruchpunkten bekämpft. Insbesondere seien die Voraussetzungen des § 9 BAO nicht erfüllt. § 9 Abs. 1 BAO begründe eine Haftung der in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen. Dies jedoch nur insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden könnten. Voraussetzung für die Haftung des Bf. sei sohin, dass einerseits eine uneinbringliche Abgabenschuld bestehe, deren Uneinbringlichkeit zudem durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Bf. als früheren Geschäftsführer verursacht worden sei. Keine der beiden Voraussetzungen sei im Beschwerdefall erfüllt und der angefochtene Bescheid sei somit aufzuheben.

  1. Keine Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld

Die von der belangten Behörde behaupteten Abgabenschuldigkeiten seien nicht uneinbringlich. Die Uneinbringlichkeit setze voraus, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen des Schuldners oder seiner Mitverpflichteten erfolglos gewesen seien oder voraussichtlich erfolglos sein würden (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO8, § 9 E 42 mit Verweis auf ).

Dem Bf. sei nicht bekannt, in welchem Ausmaß derartige Vollstreckungsmaßnahmen gesetzt worden seien und es seien keine Behörden- bzw. Gerichtsstücke aus Österreich an der ab September 2012 bestehenden Geschäftsadresse der Primärschuldnerin eingelangt. Die Adresse sei im zuständigen Handelsregister des Amtsgerichtes ***4*** eingetragen worden. Weiters sei auch aus dem ersten Bericht der Insolvenzverwalterin vom ersichtlich, dass die vom Finanzamt ***7*** herangezogene Adresse nicht aktuell sei. Dies sei selbst dem Haftungsbescheid vom zu entnehmen, der die Geschäftsadresse der Primärschuldnerin mit "vormals ***25***" anführe.

Es werde daher bestritten, dass rechtmäßige Zustellungen an die Adresse der Primärschuldnerin erfolgt seien. Ebenso sei die Rechtmäßigkeit der behaupteten exekutionsrechtlichen Betreibung von Ansprüchen gegen die Primärschuldnerin in Abrede zu stellen. Hierzu werde insbesondere angemerkt, dass die Geschäftstätigkeit in Österreich im Jahr 2011 beendet worden sei, weshalb exekutionsrechtliche Schritte im Jahr 2012, welche allenfalls an die vormalige inländische Adresse zugestellt worden seien, nicht rechtmäßig seien.

Darüber hinaus sei im Jahr 2013 über das Vermögen der Primärschuldnerin ein Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Weiters bedeute auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Primärschuldnerin keineswegs, dass die Abgabenschuld auch uneinbringlich im Sinne des § 9 BAO werde. Aus der Insolvenzeröffnung allein ergebe sich noch nicht zwingend die Uneinbringlichkeit einer Abgabenschuld. Diese sei erst dann anzunehmen, wenn im Laufe des Insolvenzverfahrens feststehe, dass die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht befriedigt werden könne ().

Da die belangte Behörde es jedoch verabsäumt habe, die hier gegenständliche Abgabenschuld als Insolvenzforderung im die Primärschuldnerin betreffenden Insolvenzverfahren anzumelden, könne nicht die notwendige Feststellung getroffen werden, ob die Abgabenschuld mangels ausreichenden Vermögens befriedigt werden könne oder nicht.

Das Tatbestandserfordernis der Uneinbringlichkeit einer Abgabenschuld sei daher vom Finanzamt ***7*** nicht im notwendigen Ausmaß geprüft und es seien nicht alle Möglichkeiten der Einbringlichmachung der festgestellten Abgabenschuld ausgeschöpft worden, weswegen der Bf. nicht zur Haftung herangezogen werden könne. Denn der Bf. dürfe nur für jenen Teil der ausständigen Abgabenschulden zur Haftung herangezogen werden, welcher im Insolvenzverfahren voraussichtlich nicht einbringlich gemacht werden könne (VwGH 99/14/0233).

In keinem Fall liege somit die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld im Sinne des § 9 BAO vor. Dies weil die belangte Behörde weder die Exekution in das gesamte Vermögen der Schuldnerin geführt habe, noch die diesbezügliche Forderung als Insolvenzforderung angemeldet habe und somit die Uneinbringlichkeit weder eingetreten noch für die belangte Behörde absehbar gewesen sei.

  1. Keine schuldhafte Pflichtverletzung des Bf.

Dem Bf. sei zudem auch keine schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten. Diese müsste ursächlich für die Uneinbringlichkeit sein, welche ebenfalls nicht bestehe ().

Gemäß der geschlossenen Ressortverteilung unter den Geschäftsführern sei der Bf. zu keinem Zeitpunkt für die Angelegenheiten der österreichischen Betriebsstätte zuständig gewesen. Dies treffe jedoch während seiner Zeit als Geschäftsführer der Primärschuldnerin auf ***11*** und nach dessen Austritt auf ***12*** zu.

Der Bf. selbst habe sich nie über einen längeren Zeitraum in Österreich befunden und er sei auch niemals für das operative Geschäft der österreichischen Betriebsstätte zuständig gewesen. Aufgrund dieser internen Ressortverteilung sei auch das Vorliegen eines Verschuldens des Bf. auszuschließen, da er mit der Besorgung der entsprechenden Angelegenheiten der österreichischen Betriebsstätte, insbesondere der Bereiche Buchhaltung, operativer Betrieb und Mitarbeiter nicht betraut gewesen sei (). Da sich der Bf. zudem auch beruflich in Österreich für die Betriebsstätte nicht verantwortlich gezeichnet habe, hätte er für eine taugliche Vertretung im Inland zu sorgen gehabt. Dies habe er mit der Einigung über die interne Ressortverteilung getan. Es sei dem Bf. sohin auch kein Organisationsmangel vorzuwerfen, der die Ausfallshaftung des § 9 BAO hinsichtlich seiner Person begründen würde ().

Darüber hinaus habe der Bf. im Rahmen der Insolvenz der Primärschuldnerin umfassende Informationen an die bestellte Verwalterin erteilt. Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Primärschuldnerin gehe gemäß § 80 Abs. 1 der deutschen Insolvenzordnung das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Die Stellung des Vertreterorgans komme daher ab diesem Zeitpunkt der Insolvenzverwalterin zu (Kroth in Braun, Insolvenzordnung Kommentar5, § 80 Rz 23).

  1. Dem Finanzamt anzulastende Unterlassungen

Die belangte Behörde habe es unterlassen, im Rahmen der Betreibungshandlungen die Prüfung der Daten der Gesellschaft vorzunehmen. Aus dem bekämpften Bescheid sei der Rückschluss zu ziehen, dass das Finanzamt ***7*** jegliche Zustellungen an die ***26*** vorgenommen habe. Hierbei handle es sich jedoch um eine seit September 2012 nicht mehr zutreffende Geschäftsanschrift. Die von der Gesellschaft danach genutzte Geschäftsanschrift lasse sich aus dem offenen Handelregister erschließen.

Weiters sei dem Bescheid nicht zu entnehmen, dass das Finanzamt ***7*** die behauptete Abgabenschuld der Primärschuldnerin im eingeleiteten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin angemeldet habe. Der Behörde sei daher ein Verschulden anzulasten, welches sie nicht im Zuge der Ausfallshaftung auf den Bf. überwälzen könne. Mit Edikt vom seien die Gläubiger aufgefordert worden, Anmeldungen bei der Insolvenzverwalterin vorzunehmen. Dieses Recht stünde auch der belangten Behörde offen.

Es habe die Abgabenbehörde jedoch die gesetzlichen Möglichkeiten zur Erlangung der vollen Befriedigung von Masseforderungen auszuschöpfen. Verabsäumt sie die Durchsetzung dieser Rechte im Insolvenzverfahren, könne sie die Abgabenschuldigkeiten nicht beim Vertreter im Wege der Ausfallshaftung einheben ().

Der Beschwerde beigefügt waren die folgenden Unterlagen:

  1. Auszug des Handelsregisters B des Amtsgerichtes ***4*** zu HRB ***27***

  2. Bericht der Insolvenzverwalterin vom

  3. Organigramm der Primärschuldnerin

  4. Edikt vom des Amtsgerichtes ***4*** zu ***16***

  5. Edikt vom des Amtsgerichtes ***4*** zu ***16***

  6. Arztbrief vom

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid abgewiesen. Begründend wurde unter Wiedergabe der §§ 9 Abs. 1 und 80 Abs. 1 BAO sowie der zu diesen Normen ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur ausgeführt, die in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin würden aus der Geschäftstätigkeit am Sitz ihrer Betriebsstätte in ***28***, resultieren. Dabei seien in Ermangelung von Abgabenerklärungen die Bemessungsgrundlagen für die Umsatzsteuer und die Körperschaftsteuer 2009-2011 auf Basis der an den einzigen inländischen Kunden der Abgabenpflichtigen (***14***) verrechneten Leistungen (geltend gemachte Vorsteuerbeträge) ermittelt worden. Die für die Dienstnehmer ***29***, ***30***, ***31*** sowie ***32*** nicht abgeführten Lohnabgaben seien anhand der Anstellungsverträge bzw. auf Basis der eingereichten Lohnzettel ermittelt worden.

Erst im Zuge von Vollstreckungshandlungen in der ersten Hälfte des Kalenderjahres 2012 sei bekannt worden, dass die Betriebsstätte in ***33*** nicht mehr existiere. Eine Information der Abgabenbehörde durch den Betrieb sei unterblieben.

Die Primärschuldnerin habe zu Beginn zwei Geschäftsführer mit geteiltem Aufgabenbereich gehabt. So sei ***11*** bis zum für Steuerangelegenheiten und für das Österreichgeschäft zuständig gewesen und der Bf. für die übrigen Aufgaben. Nach Zurücklegung der Geschäftsführerfunktion durch ***11*** zum sei für ihn kein Ersatz bestellt worden, sondern es sei lediglich intern ein Mitarbeiter mit der "Aufarbeitung" betraut worden. Der Bf. sei sohin als Alleingeschäftsführer für sämtliche Geschäftsbereiche zuständig gewesen. Eine Beschränkung der Verantwortung des einzigen Geschäftsführers nach außen sei nicht möglich. Die Nichtentlastung ***34*** durch die Generalversammlung sei kein haftungsbegründender oder haftungsverlängernder Umstand. Dieser Umstand vermöge allenfalls Wirkungen im Innenverhältnis der Gesellschaft zu erzeugen, sei jedoch für die Haftungsfrage irrelevant.

Die vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge wären gemäß § 19 UStG 1994 per monatlicher Umsatzsteuervoranmeldung regelmäßig bis zum 15. des auf die Vereinnahmung zweitfolgenden Kalendermonats beim Finanzamt anzumelden und abzuführen gewesen. Der Lohnsteuerabzug vom Arbeitslohn und die Abfuhr der Lohnabgaben (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag) an das Finanzamt hätte gemäß § 78 Abs. 1 EStG 1988 jeweils bis zum 15. des auf den Lohnzahlungszeitraum folgenden Monats durchgeführt werden müssen. Im Beschwerdefall seien jedoch weder eine solche Meldung noch eine Zahlung dieser Selbstbemessungsabgaben erfolgt. Eine Bescheidausfertigung sei bei Selbstbemessungsabgaben nicht vorgesehen.

Die Umsatzsteuerjahresbescheide und die Körperschaftsteuerbescheide vom seien an die Adresse "***25***" ergangen. Am , 12:00 Uhr, sei beim Amtsgericht ***4*** unter ***5*** die Namens- und Adressänderung auf "***2***, ***10***" eingetragen worden. Ebendort sei mit , 12:00 Uhr, die Auflösung der Gesellschaft infolge Insolvenzeröffnung bekannt gegeben worden.

Die Zustellung des Bescheides betreffend das Verfügungsverbot vom sei an die Primärschuldnerin an die Adresse "***25***" erfolgt, und somit zu einem Zeitpunkt, an dem diese Adresse noch bestanden habe. Die betreffende Zustellung sei daher rechtens gewesen. Es hätte daher der Primärschuldnerin entgegen ihrem Beschwerdevorbringen bekannt geworden sein müssen, dass Vollstreckungsmaßnahmen gesetzt würden.

Ebenso hätte der Primärschuldnerin bekannt gewesen sein müssen, dass ein Verfahren gegen sie bei der Abgabenbehörde anhängig gewesen sei. Dennoch seien keine Kommunikationsversuche mit der Abgabenbehörde versucht worden. Die Änderung der Zustelladresse sei entgegen der gesetzlichen Mitteilungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 ZustellG nicht bekannt gegeben worden. Die Bescheide, die am an die Adresse "***25***" versendet worden seien, seien von der Deutschen Post nicht zurückgesandt worden. Es sei daher davon auszugehen, dass sie der Primärschuldnerin tatsächlich zugegangen seien.

Nach Bekanntwerden der Insolvenzeröffnung am (Beantwortung des Betreibungsersuchens) und Rücksprache mit der Insolvenzverwalterin ***35*** am sei von dieser die Einschätzung getroffen worden, dass es aufgrund der Sachlage schon bisher (ohne Forderungen des Abgabengläubigers) zu keiner Insolvenzquotenausschüttung an Gläubiger der Abgabenpflichtigen kommen werde. Auf eine Insolvenzanmeldung habe daher aus Zweckmäßigkeitsgründen verzichtet werden können, da eine solche lediglich weitere Kosten verursacht hätte. Dies führe jedoch nicht dazu, dass die Möglichkeit der Haftungsinanspruchnahme eingeschränkt werde. Es liege daher kein Versäumnis der Abgabenbehörde vor, ebensowenig könne von einer Ausfallshaftung beim Bf. die Rede sein. Die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung bei der Primärschuldnerin sei im Rahmen des Betreibungsersuchens und durch die Insolvenzverwalterin bestätigt worden.

Die Geltendmachung der Haftung des ehemaligen Geschäftsführers sei gemäß den zitierten Bestimmungen der BAO erfolgt. Eine Haftung bestehe für den Geschäftsführer für jene Abgaben, welche innerhalb seiner aufrechten Vertretungstätigkeit fällig geworden wären, sohin vom Beginn seiner Tätigkeit bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am .

Dem Bf. sei es nicht gelungen, darzulegen, dass er keine schuldhafte und für die Nichtentrichtung der Abgaben kausale Pflichtverletzung zu vertreten habe. Der beschwerdegegenständliche Haftungsbescheid sei daher rechtens gewesen.

Im fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag wurde kein ergänzendes Vorbringen erstattet.

Im Vorlagebericht vom verwies das Finanzamt in seiner Stellungnahme zum Haftungsbescheid auf die in der Beschwerdevorentscheidung getätigten Sachverhaltsfeststellungen und zwar insbesondere auf

  1. die Zuständigkeitsaufteilung unter den beiden Geschäftsführern

  2. die anzulastenden Pflichtverletzungen

  3. die Zustellung der Abgabenbescheide sowie

  4. auf den Verzicht auf eine Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren in Deutschland

Beantragt wurde eine Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Bei der Primärschuldnerin handelt es sich um eine mit Gesellschaftsvertrag vom nach deutschem Recht gegründete GmbH. Ort der Geschäftsführung war zu Beginn ***36*** und ab Juli 2006 ***4*** (zuletzt in der ***37***). Durch Beschluss des Amtsgerichts ***4*** (AZ. ***38***) vom wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst.

Der Bf. fungierte laut deutschem Handelsregister vom bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am als einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Ebenfalls einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin war im Zeitraum vom bis zum ***39*** sowie im Zeitraum vom bis zum ***11***. Letzterer wurde allerdings nachweislich bereits mit Gesellschafterbeschluss vom mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen. Ab bis zum war der Bf. Alleingeschäftsführer der Primärschuldnerin.

Im Zeitraum vom bis zum war aufgrund einer internen Vereinbarung ***11*** für die Betreuung der Bestandskunden, die Finanzen, die Steuern und die österreichische Betriebsstätte zuständig und der Bf. für die Neukundengewinnung, den Vertrieb sowie strategische Kooperationen.

Am wurde durch die beiden damaligen Geschäftsführer der Primärschuldnerin dem Finanzamt die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit im Inland mit Stichtag bzw. die Gründung einer inländischen Betriebsstätte in ***40***, angezeigt. Der voraussichtliche Jahresumsatz ab dem Jahr 2009 wurde mit 150.000,00 € beziffert.

Am schloss die Primärschuldnerin mit der ebenfalls in ***40***, ansässigen Fa. ***14*** einen Untermietvertrag. Die Fa. ***14*** war zugleich die einzige inländische Kundin der Primärschuldnerin.

Die Primärschuldnerin hat der Fa. ***14*** im Zeitraum bis Mitte 2012 monatlich Leistungen (unter anderem Personalkosten für 2 Mitarbeiter) in Rechnung gestellt. Die Fa. ***14*** machte aus diesen Rechnungen laufend den Vorsteuerabzug geltend, von der Primärschuldnerin wurden jedoch keine Umsatzsteuern abgeführt.

Im Zuge von Vollstreckungshandlungen des Finanzamtes in der ersten Hälfte des Jahres 2012 wurde bekannt, dass die Primärschuldnerin bereits keinen Sitz (Betriebsstätte) mehr an der Adresse der Fa. ***14*** hatte.

In der Folge wurden die Besteuerungsgrundlagen der Umsatzsteuern und der Körperschaftsteuern der Jahre 2009 bis 2011 wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen von Amts wegen wie folgt ermittelt bzw. geschätzt: Da die inländische Betriebsstätte der Primärschuldnerin, wie erwähnt, lediglich einen einzigen Leistungsempfänger hatte (die Fa. ***14***) hatte, wurden als Umsätze die an diese Kundin verrechneten Leistungen in Ansatz gebracht. Die Schätzung der Vorsteuern sowie der Betriebsausgaben der Jahre 2009 bis 2011 erfolgte auf Basis der Umsatzsteuervoranmeldung 01-06/2011. Die Personalkosten wurden von den vorgelegten Jahreslohnzetteln übernommen. Auf diesen Grundlagen wurden am Umsatzsteuer-, Körperschaft- sowie Anspruchszinsenbescheide für die Jahre 2009 bis 2011 erlassen.

Die Bemessungsgrundlagen der nicht abgeführten Lohnabgaben wurden anhand der Anstellungsverträge bzw. auf Basis der übermittelten Lohnzettel ermittelt und es wurden nachfolgend am Bescheide betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2009 bis 2011 erlassen.

Die Zustellung der Umsatzsteuerjahresbescheide, der Körperschaftsteuerbescheide und der Anspruchszinsenbescheide vom sowie des Bescheides betreffend das Verfügungsverbot vom erfolgte an die Adresse "***6***". Die gegenständlichen Bescheide wurden von der Deutschen Post nicht an die Abgabenbehörde zurückgesandt.

Die Namensänderung der Primärschuldnerin von "***1***" auf "***2***" sowie die Adressänderung von "***9***" auf "***10***" wurden am , 12:00 Uhr, beim Amtsgericht ***4*** unter ***5*** eingetragen. Am , 12:00 Uhr, wurde beim Amtsgericht ***4*** die Auflösung der Gesellschaft infolge Insolvenzeröffnung bekannt gegeben.

Die Primärschuldnerin hat im Zeitraum ihrer operativen Tätigkeit lediglich Daten für die Berechnung der Lohnabgaben bekanntgegeben und die Umsatzsteuervoranmeldung für 01-06/2011 eingereicht. Ansonsten hat sie auf behördliche schriftliche Anfragen und Erinnerungen zur Abgabe der Steuererklärungen nicht reagiert. Am erfolgte durch ein Anbringen über FinanzOnline durch den steuerlichen Vertreter der Primärschuldnerin die Mitteilung, dass diese ihre Tätigkeit per beendet hat.

Zum wies das Abgabenkonto der Primärschuldnerin einen Abgabenrückstand von 269.222,03 € aus. Zudem geht aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin hervor, dass die in Haftung gezogenen Abgaben nach wie vor zur Gänze aushaften.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den seitens der Abgabenbehörde vorgelegten Akten sowie aus den vom BFG durchgeführten Abfragen im Abgabeninformationsystem.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

In Streit steht die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme des Bf.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 224 Abs. 1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2, 4 und 5 sinngemäß.

Voraussetzung für die Vertreterhaftung nach § 9 Abs. 1 BAO sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit. Den Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren Abgaben nicht entrichtet wurden und uneinbringlich geworden sind, trifft im Haftungsverfahren die Obliegenheit darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. Im Fall des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. ; ).

Der Bf. bestreitet sowohl die Rechtmäßigkeit der den in Haftung gezogenen Umsatz- und Körperschaftsschuldigkeiten 2009 bis 2011 zugrundeliegenden Bescheide als auch deren ordnungsgemäße Zustellung, die Uneinbringlichkeit der in Haftung gezogenen Abgabenforderungen sowie das Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung. Bemängelt wurde zudem die Widersprüchlichkeit des Haftungsbescheides insofern, als im Spruch des Haftungsbescheides eine Haftungssumme von 269.222,03 € angeführt werde, laut Bescheidbegründung bei der Primärschuldnerin jedoch lediglich Abgabenschuldigkeiten in Höhe von 259.846,37 € aushafteten.

  1. Mangelnde Klarheit des Spruches des beschwerdegegenständlichen Bescheides

Spruch eines Haftungsbescheides ist die Geltendmachung der Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe (siehe dazu z.B. ). Wird die Haftung für mehrere Abgaben und/oder für unterschiedliche Zeiträume in einem Schriftstück ausgesprochen, handelt es sich um einen Sammelbescheid. Bestandteil des Spruches ist somit auch eine genaue Aufgliederung der Haftungssumme nach Abgabenart und Zeitraum.

Im Beschwerdefall wurde dem Erfordernis einer detaillierten Aufgliederung der Haftungssumme nach Abgabenart und Zeitraum dadurch entsprochen, dass im Spruch des Bescheides auf den beiliegenden Rückstandsausweis verwiesen wurde, wodurch dieser Spruchbestandteil wurde. Laut gegenständlichem Rückstandsausweis beträgt die Haftungssumme 259.846,37 € (diese Summe ergibt sich bei Addition sämtlicher dort aufgelisteter Abgaben unterschiedlicher Zeiträume), sodass schon dadurch deutlich wird, dass nicht der irrtümlich angeführte, im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme auf dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin insgesamt bestehende Abgabenrückstand von 269.222,03 € in Haftung gezogen wurde.

Zudem ist zur Deutung eines Bescheidspruches bei Unklarheiten auch die Begründung eines Bescheides heranzuziehen (siehe dazu z.B. ; ; ; ). Im Beschwerdefall wird in der Begründung nochmals die im Rückstandsausweis angeführte und insbesondere detailliert nach Abgabenart und Zeitraum aufgegliederte Haftungssumme von 259.846,37 € angegeben. Bei objektiver Betrachtung des Inhaltes des Bescheides ergibt sich somit, dass die Haftungssumme 259.846,37 € und nicht 269.222,03 € beträgt.

  1. Rechtmäßigkeit und ordnungsgemäße Zustellung der Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide 2009 bis 2011

Bereits in Pkt.II.1. wurde dargelegt, dass die Primärschuldnerin mit Ausnahme der Bekanntgabe der Daten für die Berechnung der Lohnabgaben und der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung für 01-06/2011 auf behördliche schriftliche Anfragen und Erinnerungen zur Abgabe der Steuererklärungen nicht reagiert hat. Die Besteuerungsgrundlagen der Umsatzsteuern und der Körperschaftsteuern der Jahre 2009 bis 2011 mussten deshalb von Amts wegen ermittelt bzw. geschätzt werden. Da die inländische Betriebsstätte der Primärschuldnerin laut Erhebungen der Abgabenbehörde während ihres Bestandes lediglich einen einzige(n) Leistungsempfänger(in) hatte, wurden als Umsätze bzw. Betriebseinnahmen die an diese Kundin verrechneten Leistungen in Ansatz gebracht. Die Schätzung der Vorsteuern sowie der Betriebsausgaben der Jahre 2009 bis 2011 erfolgte auf Basis der Umsatzsteuervoranmeldung 01-06/2011. Die Personalkosten wurden von den vorgelegten Jahreslohnzetteln übernommen. Auf diesen Grundlagen wurden am Umsatzsteuer-, Körperschaft- sowie Anspruchszinsenbescheide für die Jahre 2009 bis 2011 erlassen und an die Adresse "***6***" zugestellt.

Wie in der Beschwerdevorentscheidung vom , die insofern als Vorhalt anzusehen ist, dargelegt wurde, wurde der Primärschuldnerin an ihre damals noch aufrechte Adresse, "***6***" ein mit datierter Bescheid über ein Verfügungsverbot zugestellt. Der Primärschuldnerin musste daher bekannt sein, dass seitens der Abgabenbehörde Vollstreckungsmaßnahmen gesetzt wurden. Die Primärschuldnerin wäre daher gemäß § 8 Abs. 1 ZustG verpflichtet gewesen, der Abgabenbehörde die Adressänderung unverzüglich und nachweislich mitzuteilen. Da die laut Beschwerdevorbringen bereits im September 2012 erfolgte Adressänderung im deutschen Handelsregister erst am eingetragen wurde, wären überdies Ermittlungen über das Vorliegen einer Adressänderung vor Versendung der Umsatzsteuer-, Körperschaft- sowie Anspruchszinsenbescheide 2009 bis 2011 nicht zielführend gewesen.

Das BFG teilt auch die in der Beschwerdevorentscheidung getroffene Feststellung, dass der Umstand, dass die an die Adresse "***6***" versendeten Umsatzsteuer-, Körperschaftsteuer- sowie Anspruchszinsenbescheide für die Jahre 2009 bis 2011 von der Deutschen Post nicht zurückgesandt wurden, dafür spricht, dass sie der Primärschuldnerin tatsächlich zugegangen sind (Bestand eines Nachsendeauftrags, etc.), zumal der Bf. dieser Feststellung im Vorlageantrag auch nicht entgegengetreten ist. Das Finanzgericht geht daher ebenso wie die Abgabenbehörde von einer rechtswirksamen Zustellung der betreffenden Bescheide aus.

Selbst wenn jedoch von einer Rechtsunwirksamkeit der gegenständlichen Abgabenbescheide mangels ordnungsgemäßer Zustellungen ausgegangen würde, hätte dies keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides. Eine Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 iVm § 80 BAO setzt lediglich das Bestehen von Abgabenschuldverhältnissen (§ 4 BAO) voraus, nicht jedoch, dass diese Schuldigkeiten dem Erstschuldner gegenüber bereits geltend gemacht bzw. dass gegenüber dem Primärschuldner rechtsrichtige oder formell rechtskräftige Bescheide erlassen wurden (z.B. ; ; ). Eine nicht bescheidmäßige Absprache über jene Abgabenschulden, für die der Haftungspflichtige in Anspruch genommen wurde, hätte bloß zur Folge, dass im Haftungsverfahren selbst über die Richtigkeit der Abgaben zu entscheiden wäre. Sofern gegenüber dem Primärschuldner entsprechende Abgabenbescheide ergangen sind, ist die Behörde bzw. das Gericht daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diese Abgabenbescheide zu halten. In einem solchen Fall kann der Haftungspflichtige im Haftungsverfahren somit nicht mit Erfolg Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben erheben. Sein Rechtsschutzinteresse ist aber deshalb gewahrt, weil ihm § 248 BAO das Recht einräumt, auch gegen die Abgabenanspruchsbescheide Beschwerde einzulegen (siehe dazu ; ).

Angemerkt werden soll, dass für das BFG überdies auch keine Unrichtigkeit der Umsatz- und Körperschaftsfestsetzungen 2009 bis 2011 erkennbar ist. Aus den obigen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Abgabenbehörde die Besteuerungsgrundlagen, soweit ihr das möglich war, nachvollziehbar ermittelt hat, und soweit ihr das nicht möglich war, ihre Schätzung auf Ergebnissen anderer Zeiträume dieser Betriebsstätte aufgebaut hat.

  1. Uneinbringlichkeit der in Haftung gezogenen Abgabenforderungen

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus (; ). Unerheblich ist, ob die offenen Abgabenforderungen im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit einbringlich gewesen wären () sowie ob bzw. wann die Abgabenbehörde Exekutionsmaßnahmen zur Hereinbringung der offenen Abgabenforderungen gesetzt hat (; ).

In der Beschwerdevorentscheidung vom wurde hinsichtlich der objektiven Uneinbringlichkeit der in Haftung gezogenen Abgaben dargelegt, dass das Finanzamt von der mit Beschluss des Amtsgerichts ***4*** (AZ. ***38***) vom verfügten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Primärschuldnerin durch die am erfolgte Beantwortung ihres Betreibungsersuchens Kenntnis erlangte. In der Folge wurde am die Insolvenzverwalterin ***35*** kontaktiert. Diese teilte mit, dass es ihrer Einschätzung nach bereits ohne Berücksichtigung der Forderungen des Abgabengläubigers zu keiner Insolvenzquotenausschüttung kommen wird. Das Finanzamt hat daher aus Kosten- und Zweckmäßigkeitsgründen auf eine Insolvenzanmeldung verzichtet und in der Folge den beschwerdegegenständlichen Haftungsbescheid erlassen.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts, dem der Bf. im Vorlageantrag nicht entgegengetreten ist, konnte die Abgabenbehörde nach Auffassung des BFG zu Recht von der objektiven Uneinbringlichkeit der in Haftung gezogenen Abgaben am , dem Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides, ausgehen.

• Stellung des Bf. als verantwortlicher Vertreter der Primärschuldnerin für die in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten

Der Bf. bestreitet das Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung mit dem Vorbringen, für die in Österreich ausgeübten Tätigkeiten, für Buchhaltung, den operativen Betrieb und die Mitarbeiter sei im Zeitraum bis aufgrund einer internen Ressortverteilung nicht er, sondern der zweite Geschäftsführer, ***11***, zuständig gewesen. Seine Zuständigkeit habe sich auf den Betrieb, Kooperationen und Business-Development beschränkt.

Nach Ausscheiden des ***11*** sei ***12*** mit der Aufarbeitung von dessen Tätigkeiten betraut worden. Eine Entlastung des Geschäftsführers ***13*** sei nicht erfolgt.

Zudem sei er nicht nur aufgrund der Geschäftsverteilung von der Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten entbunden gewesen, es habe für ihn auch keine konkreten Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des mit den steuerlichen Agenden betrauten Geschäftsführers ***13*** gegeben. Die Pflichtverletzung des vormals bestellten Geschäftsführers ***13*** hinsichtlich abgabenrechtlicher Agenden in Österreich sei dem Bf. erst im Rahmen der Insolvenz der Primärschuldnerin sowie durch den angefochtenen Bescheid bekannt geworden.

Zutreffend ist, dass im Zeitraum vom bis zum ***11*** nicht nur ebenso wie der Bf. einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin war, sondern ***11*** aufgrund einer internen Vereinbarung überdies zuständig für den Bereich "Steuer" sowie das "Österreichgeschäft" war. Ab dem bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung, dem , war der Bf. allerdings Alleingeschäftsführer der Primärschuldnerin (siehe dazu die in Pkt.II.1. getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sowie die insofern unwidersprochen gebliebenen Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung vom ).

Nach dem Gesetz vom über Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) idgF obliegt die Geschäftsführung einer Gesellschaft den Geschäftsführern (siehe dazu §§ 15ff GmbHG). Eine Übertragung der steuerlichen Agenden im Innenverhältnis auf Personen, denen eine solche Funktion gesetzlich nicht zukommt, ändert somit nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nichts an der Zuständigkeit des Geschäftsführers für die abgabenrechtlichen Belange der Gesellschaft im Außenverhältnis (; ; ; ; Althuber/Muntean, Vertretbare Rechtsansichten, Rechtsirrtümer und Auslagerung von abgabenrechtlichen Pflichten im Anwendungsbereich des § 9 BAO, in RdW 2011/247ff; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO³ § 9 E 171ff). Daher hat der Geschäftsführer die im Innenverhältnis mit der Wahrnehmung dieser Geschäfte betrauten Personen laufend zu überwachen, auch ohne dass ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit ihrer Tätigkeiten zu zweifeln. Zu den Pflichten eines Geschäftsführers gehört nun nicht nur, solche Überwachungsmaßnahmen zu setzen, die es ausschließen, dass ihm Steuerrückstände verborgen bleiben; er hat auch durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen, insbesondere durch Einrichtung von Kontrollmechanismen, zu veranlassen, dass die steuerlichen Agenden ordnungsgemäß wahrgenommen werden. Dazu gehören unter anderem die Abgabenerklärungspflichten (§§ 133ff BAO) sowie die Abgabenentrichtungspflichten (§§ 210ff BAO; siehe dazu z.B. ; ; ; ; ).

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass den Bf. der Einwand der Übertragung der abgabenrechtlichen Belange der Gesellschaft auf einen Dritten ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens des zweiten Geschäftsführers nicht zu exkulpieren vermag. Hätte der Bf. seine Kontrollpflichten wahrgenommen, hätte ihm zumindest auffallen müssen, dass während jenes Zeitraumes, als er Alleingeschäftsführer der Primärschuldnerin war, weder die Umsatz- und die Körperschaftsteuerjahreserklärungen 2009 bis 2011 abgegeben wurden noch die betreffenden Steuern zu den jeweiligen Fälligkeitstagen entrichtet wurden. Auch die Lohnabgaben wurden nicht in der richtigen Höhe zu den Fälligkeitstagen gemeldet und entrichtet. Überdies hätte nach Auffassung des BFG gerade der Umstand, dass der für den Bereich "Steuer" sowie das "Österreichgeschäft" zuständige Geschäftsführer ***11*** mit Gesellschafterbeschluss vom mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen und von der Generalversammlung nicht entlastet wurde, den Bf. als nunmehrigen Alleingeschäftsführer veranlassen müssen, zu prüfen, ob ***11*** seinen ihm obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten tatsächlich vollständig nachgekommen ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu z.B. ; ; ; ) endet die Pflicht einer GmbH zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Steuerpflichten auslösenden Sachverhalte vor dem Zeitraum der Verantwortlichkeit des Bf. als alleiniger Geschäftsführer der Primärschuldnerin lagen. Dem Bf. ist insofern zumindest eine fahrlässige Vernachlässigung seiner abgabenrechtlichen Pflichten vorzuwerfen - für die Heranziehung des Vertreters zur Haftung ist ein solcher Vorwurf ausreichend (siehe dazu z.B. ; ).

Die in Haftung gezogenen Abgaben hatten die folgenden Fälligkeitstage: Die Umsatzsteuern 2009, 2010 und 2011 gemäß § 210 Abs. 1 BAO iVm § 21 Abs. 1 und Abs. 5 UStG 1994 den , den und den , die Körperschaftsteuern 2009, 2010 und 2011 sowie die Anspruchszinsen 2009, 2010 und 2011 gemäß § 210 Abs. 1 BAO den , die Lohnsteuern der Jahre 2009, 2010 und 2011 gemäß § 210 Abs. 1 BAO iVm § 79 EStG 1988 den , den und den , die Dienstgeberbeiträge der Jahre 2009, 2010 und 2011 sowie die Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen der Jahre 2009, 2010 und 2011 gemäß § 210 Abs. 1 iVm § 43 Abs. 1 FLAG den , den und den .

Somit wurde auch keine der in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten erst nach Beendigung der Vertretertätigkeit des Bf. fällig.

Wie obig aufgezeigt wurde, konnte der Bf. hinsichtlich der in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten nicht widerlegen, dass ihn an ihrer Nichtentrichtung kein Verschulden trifft. In einem solchen Fall spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung (siehe dazu z.B. ; ; ), sodass das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für die Vertreterhaftung nach § 9 Abs. 1 BAO im Beschwerdefall zu bejahen ist.

Die Heranziehung zur Haftung ist eine Ermessensentscheidung, die im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Bf. beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht wurde. Unter dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" ist das "öffentliche Interesse an der Einhebung der Abgaben" zu verstehen.

Das Finanzamt hat für Abgabenrückstände der Primärschuldnerin im Ausmaß von 48.356,53 € nicht nur den Bf., sondern auch ***11*** gemäß § 9 iVm § 80 BAO zur Haftung herangezogen, sodass insofern ein Gesamtschuldverhältnis besteht. Eine solche gemeinsame Inanspruchnahme mehrerer Vertreter wertet das BFG im Beschwerdefall aufgrund der Höhe der Haftungssumme als zweckmäßig, da so eine höhere Wahrscheinlichkeit der Einbringlichkeit der Forderungen gegeben ist. Allerdings waren die Betreibungshandlungen bei ***11*** bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfolglos, sodass die in Haftung gezogenen Abgaben nach wie vor zur Gänze aushaften.

Seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse hat der Bf. nicht bekanntgegeben. Dies ist gegenständlich nach Auffassung des BFG aber deshalb nur von eingeschränkter Bedeutung, weil die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden darf (siehe dazu z.B. ; ). Denn eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließt nicht aus, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen (), sodass selbst eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen der Geltendmachung der Haftung nicht entgegenstünden (siehe dazu z.B. ; ; ).

Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt jedenfalls vor allem darin, dass nur durch diese Maßnahme überhaupt eine zumindest teilweise Einbringlichkeit der betreffenden Abgaben gegeben ist, und nur so dem öffentlichen Interesse an der Abgabenerhebung nachgekommen werden kann. Gesamthaft war daher in Ausübung des freien Ermessens dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben gegenüber dem Interesse des Bf., nicht zur Haftung herangezogen zu werden, der Vorzug zu geben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall waren die zu beurteilenden Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das gegenständliche Erkenntnis nicht abweicht, geklärt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist deshalb nicht zulässig.

Gesamthaft war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.1100613.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at