Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.02.2024, RV/7104172/2018

Doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin MMag. Elisabeth Brunner über die Beschwerde des R***A*** vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 zu Recht:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Die vom Beschwerdeführer in seiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2017 als Werbungskosten geltend gemachten Kosten für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten wurden vom Finanzamt im Einkommensteuerbescheid 2017 nicht berücksichtigt. Begründend führte das Finanzamt dazu zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer habe zum Vorhalt vom keine Stellungnahme abgegeben und die angeforderten Unterlagen nicht nachgereicht.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrfacher Aufforderung durch das Finanzamt die nötigen Unterlagen nicht beigebracht. Er habe weder den entsprechenden Mietvertrag seiner Linzer Wohnung noch Fahrtkostenbelege nachgereicht und die geleisteten Mietzahlungen nicht nachgewiesen. Es könne daher aufgrund der Aktenlage nicht beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer doppelte finanzielle Belastungen getragen habe.

Der Beschwerdeführer beantragte die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

Über die Beschwerde wurde erwogen

Auszugehen ist von nachstehendem Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war von September 2016 bis Mitte 2018 in Linz nichtselbständig als Filialleiter einer Bank tätig. In dieser Zeit mietete er am Beschäftigungsort in Linz eine Wohnung und begründete einen Nebenwohnsitz. Die Miete für diese Wohnung iHv € 761,06 pro Monat wurde vom Beschwerdeführer im Streitjahr 2017 regelmäßig und in voller Höhe bezahlt. Vermieterin war I***C***.

Den Familienwohnsitz, ein Reihenhaus im 21. Wiener Gemeindebezirk behielt der Beschwerdeführer während der Zeit seiner Beschäftigung in Linz bei. Den Familienwohnsitz bewohnte er bis August 2017 gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen, minderjährigen Kind (Geburtsjahr 2013). Der Beschwerdeführer blieb weiter (bis laufend) auch an diesem Wohnsitz wohnhaft. Die Ehe des Beschwerdeführers war im Mai 2017 einvernehmlich geschieden worden. Die (geschiedene) Ehefrau des Beschwerdeführers war noch bis an diesem gemeinsamen Wohnsitz gemeldet; ab August 2017 hat sie eine neue (Haupt)Meldeadresse im 21. Wiener Gemeindebezirk (vgl ZMR).

Die Entfernung vom Beschäftigungsort in Linz, Hauptplatz zum Familienwohnsitz betrug 215 Kilometer, die Fahrtdauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln ca 150 Minuten (jeweils in eine Richtung - laut Google Maps).

Der Beschwerdeführer ist im Streitjahr regelmäßig mit der "Westbahn" von Linz nach Wien an seinen Familienwohnsitz gefahren. Für diese Strecke war er im Besitz einer Jahresnetzkarte der "Westbahn". Die Kosten für diese Jahresnetzkarte können nicht festgestellt werden.

Die monatlichen Fahrtkosten werden gemäß § 184 BAO mit € 100,00 geschätzt.

Beweiswürdigung:

Der Beschwerdeführer hatte einen Nebenwohnsitz in Linz gemeldet (ZMR). Unterkunftgeberin war laut dem ZMR-Auszug I***C***. Ein Mietvertrag für die Wohnung in Linz liegt zwar nicht vor, die monatlichen Mietzahlungen an die Unterkunftgeberin, I***C*** können aber der vorliegenden Transaktionsliste entnommen werden.

Die Feststellungen betreffend den Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers sind ebenso dem ZMR entnommen, wie der Wechsel des Hauptwohnsitzes mit durch seine (Ex)Ehefrau.

Dass der Beschwerdeführer bis Mai 2017 verheiratet war und bis Anfang August 2017 mit seiner (Ex)Ehefrau und dem gemeinsamen Kind einen gemeinsamen Haushalt in Wien führte ist unstrittig.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer regelmäßig mit der Westbahn von Linz nach Wien und retour gefahren ist, beruht insbesondere auf der Tatsache, dass er für diese Strecke im Besitz einer Jahresstreckenkarte war. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass er, auch nach der Ehescheidung regelmäßig persönlichen Kontakt zu seinem in Wien wohnhaften Sohn hatte.

Zur Schätzung der Fahrtkosten mit monatlich € 100,00: Der Beschwerdeführer verfügte über eine Jahresstreckenkarte der "Westbahn" für die Strecke Wien - Linz - Wien. Eine Jahresstreckenkarte der "Westbahn" für die Strecke Amstetten - Wien kostete im Jahr 2021 € 1.449,00 (Abgefragt am von https://www.stadt-wien.at/wien/oeffentl-verkehrsmittel/westbahn-ticket.html). Die Schätzung mit € 1.200,00 für das Jahr 2017 für die längere Strecke Wien - Linz, plus innerstädtische Verkehrsmittel erscheint im Vergleich dazu jedenfalls gerechtfertigt. Die Schätzung in dieser Höhe wurde den Parteien vorgehalten und von diesen nicht beanstandet.

Die übrigen Feststellungen sind unstrittig.

Rechtlich folgt daraus:

Werbungskosten sind gemäß § 16 Abs 1 erster Satz EStG die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

Nach § 20 Abs 1 Z 1 EStG dürfen die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Dies gilt gemäß § 20 Abs 1 Z 2 lit a EStG auch für Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.

Aufwendungen des Steuerpflichtigen für einedoppelte Haushaltsführung (Familienwohnsitz, weiterer Wohnsitz am Beschäftigungsort) sind steuerlich nur zu berücksichtigen, wenn eine berufliche Veranlassung für diedoppelte Haushaltsführungbesteht. Von einer beruflichen Veranlassung ist dem Grunde nach auszugehen, wenn der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen so weit von seinem Beschäftigungsort entfernt ist, dass ihm die tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann und die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes noch als durch die Einkunftserzielung veranlasst gilt (). Die tägliche Zurücklegung einer Distanz von insgesamt 230 Kilometern bei einem Zeitaufwand von jeweils insgesamt 135 Minuten wurde vom VwGH als jedenfalls nicht zumutbar angesehen ().

Kosten für doppelte Haushaltsführung können grundsätzlich nur dann anfallen, wenn neben dem Familienwohnsitz ein gesonderter Wohnsitz am Beschäftigungsort aus beruflichen Gründen begründet wird.

Als Familienwohnsitz gilt jener Ort, an dem ein verheirateter Steuerpflichtiger mit seinem Ehegatten oder ein lediger Steuerpflichtiger mit seinem in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Partner (auch ohne Kind iSd § 106 Abs 1 EStG) einen gemeinsamen Hausstand unterhält, der den Mittelpunkt der Lebensinteressen dieser Personen bildet. Er liegt dort, wo der Steuerpflichtige seine engsten persönlichen Beziehungen (zB Familie, Freundeskreis) und einen eigenen Hausstand hat. Der Steuerpflichtige hat einen eigenen Hausstand, wenn er eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht. Auch ein alleinstehender Steuerpflichtiger kann einen Familienwohnsitz haben. Das ist jener Ort, an der seine engsten persönlichen Beziehungen hat (Zorn in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21, § 16 Tz 201/6).

Im vorliegenden Fall war die tägliche Rückkehr an den Familienwohnsitz (einfache Fahrtstrecke 215 Kilometer, einfache Fahrtzeit ca 150 Minuten) nicht zumutbar.

Der Beschwerdeführer hatte nach den Feststellungen am Beschäftigungsort einen zweiten Hausstand.

Der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers war während des gesamten Jahres 2017 in Wien, wo er zunächst bis mit seiner Ehefrau und dem minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt wohnte. Aber auch danach hatte er die engsten persönlichen Beziehungen zu Wien, da sein Kind weiter in Wien, teilweise davon mit dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt wohnhaft war.

Die Verlegung des Familienwohnsitzes ist idR nach einer gewissen Zeit, die im Einzelfall zu beurteilen ist, zumutbar. Bei einem verheirateten Steuerpflichtigen mit einem minderjährigen Kind, wie es der Beschwerdeführer im Streitjahr überwiegend war, ist dieser Zeitraum in etwa mit zwei Jahren anzunehmen (LStR 2002 Rz 354). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass dem Beschwerdeführer im Streitjahr auch eine Verlegung des Familienwohnsitzes nicht zumutbar war.

Die Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung liegen daher vor.

Kosten für Familienheimfahrten sind dann steuerlich absetzbar, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen, und nur insoweit, als den Steuerpflichtigen ein Mehraufwand trifft und die durch § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG gesetzte Begrenzung mit dem höchsten Pendlerpauschale nicht überschritten wird (Jakom/Ebner, EStG, 2022, § 16 Tz 56 Stichwort "Doppelte Haushaltsführung"; LStR 2002 Rz 354).

Über die anzuerkennende Häufigkeit der Familienheimfahrten bestehen keine gesetzlichen Regelungen, weshalb die anzuerkennende Anzahl der Familienheimfahrten im Einzelfall zu prüfen ist, wobei insbesondere die Distanz zwischen den beiden Wohnsitzen und die familiären Verhältnisse zu berücksichtigen sein werden. Bei einem verheirateten (in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden) oder in Gemeinschaft mit einem minderjährigen Kind lebenden Steuerpflichtigen sind grundsätzlich die Kosten von wöchentlichen Familienheimfahrten zu berücksichtigen. Sind wöchentliche Familienheimfahrten mit Rücksicht auf die Entfernung (insbesondere ins Ausland) völlig unüblich so ist nur eine geringere Anzahl von Familienheimfahrten steuerlich absetzbar (Jakom/Ebner, EStG, 2022, § 16 Tz 56 Stichwort "Doppelte Haushaltsführung"; LStR 2002 Rz 356).

Als Fahrtkosten sind jene Aufwendungen absetzbar, die durch das tatsächlich benützte Verkehrsmittel anfallen (Bahnkarte, Kfz-Kosten, Flugkosten). Die Höhe der absetzbaren Kosten ist durch § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG mit dem höchsten Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs 1 Z 6 EStG begrenzt (€ 3.672,00).

Da die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung erfüllt sind, liegen somit auch die Voraussetzungen für den Abzug von Kosten für Familienheimfahrten als Werbungskosten dem Grunde nach vor.

Der Beschwerdeführer kehrte regelmäßig an den Familienwohnsitz zurück. Er benützte dafür die "Westbahn". Die (geschätzten) Kosten für die verwendete Jahresstreckenkarte plus innerstädtische Verkehrsmittel von € 1.200,00 sind daher anzuerkennen.

Die monatlichen Mietkosten inklusive Betriebskosten betrugen, wie festgestellt € 761,06.
Es resultieren daraus somit Kosten für doppelte Haushaltsführung von € 9.132,72 (= 761,06 x 12).

An Werbungskosten, die der Arbeitgeber nicht berücksichtigen konnte werden somit insgesamt € 10.332,72 angesetzt.

Die Beschwerde erweist sich somit als berechtigt, der angefochtene Bescheid ist daher entsprechend abzuändern.

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die zu lösenden Rechtsfragen beschränken sich einerseits auf Rechtsfragen, welche bereits in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beantwortet wurden und solche, welche im Gesetz eindeutig gelöst sind. Im Übrigen hängt der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen ab. Tatfragen sind kein Thema für eine ordentliche Revision. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zuzulassen.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
LStR 2002, Lohnsteuerrichtlinien 2002 Rz 354


LStR 2002, Lohnsteuerrichtlinien 2002 Rz 356
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7104172.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at