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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.03.2024, RV/5100596/2022

Auswärtige Berufsausbildung eines Kindes

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer 2020 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer zur Einkommensteuer 2019 veranlagt. Am wurde ein Antrag auf Aufhebung dieses Bescheides gemäß § 299 BAO gestellt.

Im Zuge dieses Verfahrens wurde der Beschwerdeführer um nähere Angaben zur auswärtigen Berufsausbildung seines Sohnes ***V*** (Masterstudium Technische Physik an der TU Wien) ersucht.

In der Stellungnahme vom betreffend "auswärtiges Studium 2019 und 2020" gab der Beschwerdeführer an, dass das Interesse seines Sohnes in der Astrophysik (dunkle Materie) liege, worüber er auch seine Diplomarbeit verfasst habe und nunmehr für seine Dissertation am Institut Laue-Langevin (weltweit stärkste Neutronenquelle) an der Universität in Grenoble-Frankreich forsche. Aus diesem Grund sei ein Studium an der JKU in Linz nicht in Frage gekommen, da dieser Bereich von der JKU in Linz nicht ausreichend vermittelt werde. Der Schwerpunkt der JKU Linz liege auf Aspekten der Technik, sowie auf engen Industriepartnerschaften mit dem Oberösterreichischen Wirtschaftsstandort. Sein Sohn möchte nach Abschluss seines Doktoratsstudiums in der Forschung (Neutronenphysik) wissenschaftlich beruflich tätig sein. Seine Bildungschancen und Berufsaussichten würden nur an der TU-Wien abgedeckt. Die TU-Wien arbeitet eng mit dem Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der österreichischen Akademie der Wissenschaft zusammen, welches Österreichs Mitgliedschaft am CERN in der Schweiz darstelle. Zur wissenschaftlichen Infrastruktur zähle außerdem der Forschungsreaktor des Atominstituts und die Mitgliedschaft am Institut Laue-Langevin in Grenoble. Für die Spezialisierung auf die Kern- und Teilchenphysik biete die TU-Wien zweifellos den einzigen Studienstandort in Österreich, da diese Kernbereiche nur an der TU-Wien entsprechen abgedeckt würden.

Am wurde die Einkommensteuererklärung 2020 elektronisch eingereicht, in der als außergewöhnliche Belastung die auswärtige Berufsausbildung des Sohnes aufgrund dessen Masterstudiums Technische Physik an der TU Wien geltend gemacht wurde.

Im Einkommensteuerbescheid 2020 vom wurde diesem Antrag mit der Begründung nicht entsprochen, dass es auch im Einzugsgebiet des Wohnortes eine entsprechende Möglichkeit zur Ausbildung gäbe.

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom , in der auf die Stellungnahme vom verwiesen wurde. Im Wahlfachkatalog des Curriculums der TU Wien fänden sich eine Reihe von Lehrveranstaltungen, die kein Äquivalent an der JKU Linz hätten. Aus diesem Katalog habe der Sohn des Beschwerdeführers insbesondere Astro-Teilchenphysik, das Praktikum aus Neutronenphysik, Quantenoptik I und II Theorie komplexer Systeme, Supraleitung und andere besucht. Da Forschungsschwerpunkte des Sohnes in Linz nicht abgedeckt würden, wären seine Berufsaussichten bei einem Studium in Linz nicht gewährleistet gewesen.

Diese Beschwerde wurde vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen. Das "formale Ausbildungsziel" sei das Erreichen des Masterabschlusses in Technischer Physik. Dies sei sowohl an der TU Wien als auch an der JKU Linz ident. Daher könne von einer gleichartigen Ausbildungsstätte gesprochen werden. Da das gleichwertige Ausbildungsziel bei beiden Studien erreicht werde, würden eine unterschiedliche Unterrichtsmethodik und spezielle Fächer nicht ausreichen, nur deshalb den möglichen Besuch an der JKU Linz als "nicht entsprechende Ausbildungsmöglichkeit" zu beurteilen.

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom . Auf den Hinweis von unterschiedlichen Bildungschancen und Berufsaussichten sei das Finanzamt nicht eingegangen. Aufgrund des großen internationalen Netzwerkes zu Partneruniversitäten der TU Wien habe der Sohn des Beschwerdeführers in Grenoble ein Praktikum absolvieren können und sei zum Doktoratstudium in Grenoble zugelassen worden, wo er seine wissenschaftliche Forschung fortsetze. Diese Möglichkeit hätte er durch die JKU Linz nicht gehabt. Seine beruflichen Aussichten wären durch die TU Wien wesentlich erweitert und verbessert worden.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte deren Abweisung.

II. Sachverhalt

Der am ***1*** geborene Sohn des Beschwerdeführers (***V***) war in der Zeit vom bis an der TU Wien zum Masterstudium Technische Physik (UE 066 461) zugelassen.

Gemäß § 5 des Master-Studienplans "Technische Physik" der TU Wien werden die Inhalte und Qualifikationen des Studiums durch "Module" vermittelt. Ein Modul ist eine Lehr- und Lerneinheit, welche durch Eingangs- und Ausgangsqualifikationen, Inhalt, Lehr- und Lernformen, den Regel-Arbeitsaufwand sowie die Leistungsbeurteilung gekennzeichnet ist. Die Absolvierung von Modulen erfolgt in Form einzelner oder mehrerer inhaltlich zusammenhängender "Lehrveranstaltungen". Thematisch ähnliche Module werden zu "Prüfungsfächern" zusammengefasst, deren Bezeichnung samt Umfang und Gesamtnote auf dem Abschlusszeugnis ausgewiesen wird.

Das Masterstudium Technische Physik besteht aus folgenden Prüfungsfächern im Umfang von insgesamt 120 ECTS:

Pflichtfächer 35 ECTS
Technische Qualifikationen 46 ECTS
Zusatzqualifikationen (Soft Skills) und Freie Wahlfächer 9 ECTS
Diplomarbeit 30 ECTS

Das Masterstudium Technische Physik ist aus folgenden Modulen im Umfang von 120 ECTS aufgebaut:

Pflichtfächer

Modul Theoretische Physik 14 ECTS
Modul Atom-, Kern- und Teilchenphysik 8 ECTS
Modul Grundlagen und Analyseverfahren der kondensierten Materie 7 ECTS
Modul Numerische Methoden und Simulation 6 ECTS

Technische Qualifikationen

Modul Vertiefung 1 12 ECTS
Modul Vertiefung 2 14 ECTS
Modul Projektarbeit 1 10 ECTS
Modul Projektarbeit 2 10 ECTS

Zusatzqualifikationen (Soft Skills) und Freie Wahlfächer

Modul Zusatzqualifikationen 9 ECTS

Diplomarbeit

Modul Diplomarbeit 30 ECTS

In den Modulen des Masterstudiums Technische Physik werden folgende Inhalte (Stoffgebiete) in den Pflichtfächern vermittelt:

1) Modul Theoretische Physik

Quantentheorie II (6 ECTS)
Symmetrien in der Quantenmechanik; Messprozess und Dichteoperator; Streutheorie; semiklassische Methoden; Quantenmechanik von Vielteilchensystemen; relativistische Quantenmechanik.

Elektrodynamik II (4 ECTS)
Elektrodynamik in Materie; Abstrahlung; Wellen in Materie; skalare Beugungstheorie; Streuung und Absorption von Strahlung; ausgewählte Anwendungen; relativistische Elektrodynamik; Lagrangesche Feldtheorie

Statistische Physik II (4 ECTS)
Statistische Theorie von Nichtgleichgewichtssystemen; Brownsche Bewegung und Diffusion; Transporttheorie; Phasenübergänge und kritische Phänomene; Ginzburg-Landau-Theorie; Computersimulationen (Monte Carlo. Molekulardynamik); Supraleitung; Einführung in die nichtlineare Dynamik.

2) Modul Atom-, Kern- und Teilchenphysik

Atom-, Kern- und Teilchenphysik II (8 ECTS)
Prinzipien der Teilchenbeschleunigung - und Nachweis; Struktur von Nukleonen und Atomen; fundamentale Wechselwirkungen und Symmetrien; Standardmodell der Teilchenphysik.

3) Modul Grundlagen und Analyseverfahren der kondensierten Materie

Festkörperphysik II (4 ECTS)
Materialien der aktuellen Forschung; Landau Theorie der Fermiflüssigkeit; elementare Anregungen; Wechselwirkungen; materialspezifische Methoden in der Festkörperphysik.

Physikalische Analytik (3 ECTS)
Untersuchungsmethoden aus der Sicht des Analyseziels und der realen Probeneigenschaften; physikalische Untersuchungsmethoden und die dafür angewandten physikalischen Effekte; Probenvorbereitung; Probenauswahl; Fehleranalysen; Auswerteverfahren.

4) Modul Numerische Methoden und Simulation

Numerische Methoden und Simulation (6 ECTS)
Numerische Methoden und deren Anwendung in der Physik; Computersimulationen.

Im Anhang 3 zu diesem Curriculum finden sich die äußerst umfangreichen Wahlfachkataloge, in denen unter anderem die in der Beschwerde erwähnten Lehrveranstaltungen angeführt sind.

Das Masterstudium Technische Physik an der JKU Linz umfasst ebenfalls Lehrveranstaltungen im Umfang von 120 ECTS. Dabei sind gemäß § 4 des Curriculums nur ein Pflichtfach Technische Physik im Umfang von 27 ECTS zu absolvieren, welches sich in die beiden Studienfächer Experimentalphysik (18 ECTS) und Theoretische Physik (9 ECTS) gliedert.

Im Rahmen der Experimentalphysik sind folgende Lehrveranstaltungen zu absolvieren (PR=Praktikum; UE=Übung, VL=Vorlesung):

PR Versuch aus aktuellen Themen der Physik , PR Versuch aus Angewandter Physik, PR Versuch aus Biomolekulare & selbstorganisierende Materie, PR Versuch aus Biophysik, PR Versuch aus Festkörperphysik, PR Versuch aus Halbleiterphysik, PR Versuch aus Oberflächen- und Nanoanalytik, PR Versuch aus Oberflächenphysik, PR Versuch aus Physik der weichen Materie, PR Versuch aus Theoretischer Physik, UE Fortgeschrittene Messtechnik, VL Fortgeschrittene Messtechnik, UE Photonik, VL Photonik, UE Physik der kondensierten Materie, VL Physik der kondensierten Materie.

Im Rahmen der theoretischen Physik sind zu absolvieren:

UE Statistische Physik, VL Statistische Physik, UE Theoretische Quantenmechanik II, VL Theoretische Quantenmechanik II.

Auch an der JKU besteht daneben ein Katalog an allgemeinen Wahlfächern und Wahlfächern mit Beziehung zur Masterarbeit. Die vom Sohn des Beschwerdeführers an der TU Wien besuchten Wahlfächer werden von der JKU Linz nicht angeboten.

Ein Vergleich der beiden Masterstudien zeigt nicht nur erhebliche Unterschiede in den Wahlfächern, sondern bereits in den Pflichtfächern (Kernfächern). Während sich die Pflichtfächer an der JKU Linz auf Experimentalphysik und Theoretische Physik beschränken, zählt zu den Pflichtfächern an der TU Wien die Atom-, Kern- und Teilchenphysik, die an der JKU Linz selbst im Rahmen der Wahlfächer nicht angeboten wird. Zutreffend hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass auch die von seinem Sohn besuchten Wahlfächer an der JKU Linz nicht angeboten werden. Für die Atom-, Kern- und Teilchenphysik bietet damit allein die TU-Wien ein entsprechendes Studienangebot.

III. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 gelten Aufwendungen für eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht. Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von 110 Euro pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt.

Die Voraussetzung des § 34 Abs. 8 EStG 1988, wonach keine "entsprechende Ausbildungsmöglichkeit" im Einzugsbereich des Wohnortes bestehen darf, ist nach der Gleichartigkeit des Ausbildungsabschlusses und der Vergleichbarkeit der Ausbildung der Art nach zu beurteilen (vgl. z.B. ).

Inwieweit zwei Studien ihrer Art nach vergleichbar sind, ist eine auf Ebene der Sachverhaltsermittlung zu lösende Frage (; Doralt, EStG, § 34 Tz 63/1). Entscheidend ist dabei bei einem Vergleich der Studienordnungen der Umstand, ob von den Universitäten im Rahmen des Studiums weitgehend die gleichen Kernfächer angeboten werden oder Unterschiede in den Studienordnungen vorliegen, die den Kernbereich des Studiums betreffen (siehe auch dazu ). Ein solcher Unterschied wurde im gegenständlichen Fall festgestellt: für die Atom-, Kern- und Teilchenphysik, die an der TU Wien zu den Pflichtfächern zählt, bietet allein die TU-Wien ein entsprechendes Studienangebot. Im Einzugsbereich des Wohnortes des Beschwerdeführers besteht keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit, da insbesondere die JKU Linz eine solche nicht anbietet.

Der Familienwohnsitz in ***BF1-Adr*** ist von der Ausbildungsstätte (TU Wien) mehr als 80 km entfernt (§ 1 der Verordnung BGBl 624/1995 idgF zu § 34 Abs. 8 EStG 1988). Die Ausbildungsstätte liegt daher nicht innerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes. Der Sohn des Beschwerdeführers war im gesamten Jahr 2020 zum Masterstudium an der TU Wien zugelassen. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Pauschbetrages iSd § 34 Abs. 8 EStG 1988 liegen damit vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Rechtsfrage war gegenständlich nicht zu klären. Inwieweit zwei Studien ihrer Art nach vergleichbar sind, ist eine im konkreten Einzelfall auf Ebene der Sachverhaltsermittlung zu lösende Frage (). Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100596.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at