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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.02.2024, RV/5100070/2024

Rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung zum Ordnungsbegriff ***OB*** zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung nur mehr für die Monate März bis Mai 2018 abgewiesen wird.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

A. Antrag, Abweisungsbescheid, Beschwerde

Der Beschwerdeführer hat am die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für seinen Sohn, ***Sohn*** (geboren am ***GebDat***), beantragt, und zwar rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von fünf Jahren ab Antragstellung. Im Rahmen des Antrages wurde angegeben, dass der Sohn des Beschwerdeführers an "psychischen Erkrankungen" leide.

Im Rahmen des angefochtenen Bescheides vom wurde der Antrag als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde wie folgt ausgeführt:

Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung besteht, wenn:

  1. Der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent beträgt

  2. Die Behinderung nicht nur vorübergehend ist, sondern mehr als 3 Jahre andauert.

Diese Punkte treffen nicht zu (§ 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Mit Eingabe vom hat der Beschwerdeführer die Verlängerung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den obigen Abweisungsbescheid beantragt, und zwar bis zum . Diesem Antrag wurde mit Bescheid vom entsprochen und die Frist zur Einbringung einer Beschwerde bis zum verlängert.

Mit Eingabe vom hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom erhoben. Begründend wurde wie folgt ausgeführt:

Gegen den Bescheid vom betreffend Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe für meinen Sohn ***Sohn***, erhebe ich innerhalb offener Frist das Rechtmittel der Beschwerde. Sie haben vom März 2018 bis Februar 2023 mein Antrag abgewiesen. Sie haben geschrieben, dass mein Sohn keine mindestens 50% der Behinderung hat und die Behinderung nicht mehr als 3 Jahre andauert. Mit dieser Begründung bin ich nicht einverstanden. Mein Sohn ist seitdem Geburt fast 90% leider behindert. Ich habe Ihnen das Gutachten vom Jahr 2022 geschickt wo genau steht, dass mein Sohn zu den Behinderten Personen anzurechnen ist. Als Vater eines kranken Kindes fällt es mir nicht leicht, damit zu leben. Ich möchte mich wie andere Eltern über ein gesundes Kind freuen, mit ihm spazieren gehen, mit ihm rätseln oder auch ruhig mit ihm reden. Leider ist dies nicht möglich. Ich liebe ihn wie meine anderen Kinder, aber leider ist es nicht das Leben für uns so einfach. Die Sorge für unser Kind verdanke ich meiner Frau, die leider nicht arbeiten könnte, keine Freundinnen hat, weil sie sich 24 Stunden am Tag um unserem Sohn kümmert, (außer wenn er in der speziellen Schule ist). Ich arbeite seit paar Jahren in Österreich, da ich in Polen leider keine gute Arbeit gefunden habe. Bis März 2023 war ich nicht in Wisse, dass ich ein Anspruch auf Familienbeihilfe und dann auf erhöhte aufgrund der BEHINDERUNG meines Sohnes, habe. Dies möchte ich nutzen, wenn mir/uns zusteht. Im Anhang habe ich noch ein Bescheid vom über die Festsetzung der Behinderung ab Geburt meines Sohnes hinzugefügt. Alle späteren Bescheide waren nur Verlängerungen den alten Bescheiden. Ich Bitte um noch einmal Überprüfung meines Antrages ab 03/2018.

B. Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Begründung entspricht jener, die bereits auf dem angefochtenen Abweisungsbescheid enthalten war.

Am wurde durch den Beschwerdeführer ein Vorlageantrag eingebracht. Im Zuge dessen wurde - auszugsweise - wie folgt ausgeführt:

Ich habe Ihnen das Gutachten vom Jahr 2022 geschickt wo genau steht, dass mein Sohn ab dem Geburt zu den Behinderten Personen anzurechnen ist. Ich wusste das nicht, dass ich Ihnen noch zusätzliche ärztliche Untersuchungen von Jahren 2018 bis 2023 vorlegen sollte. Deswegen sende ich noch paar Untersuchungen, die ich damals von Ärzten bekommen habe. Ich beantrage somit die Aufhebung des oben genannten Bescheides und die Erlassung eines neuen Bescheides.

C. Gutachten des Sozialministeriumservice

a) Gutachten des Sozialministeriumservice vom (auszugsweise Wiedergabe)

[…]

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

E407 Formular, Ärztliche Bescheinigung zur Gewährung einer besonderen Familienleistung oder einer erhöhten Familienleistung

Dr. ***Ärztin***, Fachärztin für Psychiatrie der Kinder und Jugendlichen, ***Ort***, Stempel und Unterschrift, schlecht leserlich

Diagnosen:

  • Sehbehinderung

  • Motorische Behinderung

  • Geistige Behinderung

  • Adipositas

  • Epilepsie

  • Verhaltensstörungen

  • Arachnoidalzyste

  • Selbständigkeit: Kann sitzen, sprechen, alleine essen, gehen und sich alleine anziehen.

  • Kann nicht schreiben. Ist nicht inkontinent.

  • Hilfestellung: Täglich, doch nicht ununterbrochen

  • Sozialanamnese: Besucht eine Sonderschule mit Betreuungslehrer, kann nicht lesen und schreiben.

Private Sonder-Branchenschule 1. Grades in ***Ort***

Bescheinigung

  • ***Sohn*** ist im Schuljahr 2022/2023 Schüler der 2. Klasse der Privaten Sonder-Branchenschule 1. Grades in ***Ort***

Städtisches Gutachterzentrum für das Entscheiden über die Behinderung, ***Ort*** Bescheid über den Grad der Behinderung

Ergebnis: ***Sohn*** ist zu den Personen mit dem erheblichen Grad der Behinderung anzurechnen.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


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Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung Unterer Rahmensatz, da regelmäßiger Besuch der Sonderschule unter mehrfachen Förder- und Therapiemaßnahmen möglich.
50

Gesamtgrad der Behinderung50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Alleiniges Leiden.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Epilepsie, da keine weiterführenden Befunde und keine Dokumentation einer antikonvulsiven Dauertherapie vorliegend.

[…]

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

x jao nein

GdB liegt vor seit: 03/2023

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Erstmaliger schriftlicher Nachweis der kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörung im März 2023.

[…]

b) Gutachten des Sozialministeriumservice vom (auszugsweise Wiedergabe)

[…]

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Es erfolgt Beschwerde des KV vom gegen Vorgutachten(VGA)aus , dass der GdB rückwirkend ab 03/2018 zu berücksichtigen gewünscht wird.

Es wurden leider keine fachärztlichen kinderpsychiatrischen, psychologischen Befunde vom 2018 vorgelegt, damit keine rückwirkende Anerkennung des GdB ab 03/2028 [Anmerkung: gemeint wohl 03/2018] möglich. Vorgelegt sind folgende Befunde:

: Formular E407: Ärztliche Bescheinigung: Dr. ***Ärztin***, FÄ f. Kinder- und Jugendpsychiatrie; ***Ort***, Polen

Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Untersuchung: 16,5 Jahre; KG:125kg; KL: 194cm. Selbständigkeit: kann sitzen, gehen, sprechen, allein essen, sich allein anziehen. Er kann nicht schreiben, ist nicht inkontinent. Hilfestellung eines Dritten tgl., jedoch nicht ununterbrochen. Es bestehen: Sehbehinderung( kein Augenbefund vorhanden), motorische Behinderung( keine nähere Angaben sowie kein Befund vorhanden), geistige Behinderung und Verhaltensstörung( kein FÄ Befund vorhanden); weiters wurde Adipositas, Epilepsie , Arachnoidalzyste angegeben( keine Befunde vorgelegt). Beginn der Behinderung: seit dem 8.LJ; Zeitpunkt der Diagnose:ll/2014( kein FÄ-Befund vorhanden); Beginn der Therapie: 08/2013 (?); Unfalldatum: 03/2020, keine näheren Angaben; Behandlungen: medikamentöse Therapie(?); Psychotherapie, Rehabilitation, orthopädische OP 2020, Logopädie lx/Woche in der Schule seit 09/2021; Psychotherapie seit 09/2021 lx/Woche in der Schule; seit dem 8.LJ: Neurologe, Psychiater, Augenarzt, Endokrinologe. Maßnahmen zur Ausbildung: Sonderschule und Hilfe des Betreuungslehrers seit Beginn der Grundschule. Er schreibt und liest nicht; Prognose unsicher. ICD-Kode der Krankheiten: F91.3; F70: G40. Beginn der Krankheit: 8.LJ.

: Städtisches Gutachtenzentrum für das Entscheiden über die Behinderung, ***Ort***, Polen

Bescheid über den Grad der Behinderung(GdB):

***Sohn*** ist zu den Personen mit dem erheblichen GdB anzurechnen. Die Behinderung besteht seit dem 8.LJ.

Im Bescheid keine Diagnosen festgestellt.

: Stadtgutachtenzentrum für das Entscheiden über die Behinderung, ***Ort***, Polen

Bescheid über die Festsetzung der Behinderung

Ergebnis: Das Kind ***Sohn*** ist zu den behinderten Personen anzurechnen. Die Behinderung besteht von Geburt an.

Im Bescheid keine Diagnosen angegeben.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung Unterer Rahmensatz, da Besuch der Sonderschule unter Förder-und Therapiemaßnahmen möglich.
50

Gesamtgrad der Behinderung50 v. H.

[…]

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Keine Änderung des GdB zu VGA 04/2023, sowie kein rückwirkender Datum der Behinderung vom 03/2018 möglich,da keine fachärztliche entwicklungspsychologischen/psychiatrischen Befunde vom 2018 vorgelegt wurden.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

x jao nein

GdB liegt vor seit: 03/2023

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Da keine FÄ-Befunde( entwicklungsdiagnostischen, psychiatrischen/psychologischen) vom 2018 vorgelegt wurden, kann der GdB rückwirkend ab 03/2018 nicht berücksichtigt werden.

[…]

c) Gutachten des Sozialministeriumservice vom (auszugsweise Wiedergabe)

[…]

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle St. Pölten Ärztliches FLAG-Sachverständigengutachten: GdB 50% (kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung)

E407 Formular, Ärztliche Bescheinigung zur Gewährung einer besonderen Familienleistung oder einer erhöhten Familienleistung

Dr. ***Ärztin***, Fachärztin für Psychiatrie für Kinder und Jugendliche, ***Ort***

  • Diagnosen nach ICD-Code:

  • F 91.3

  • F 70

  • G 40

  • Zeitpunkt der Diagnose: 11/2014

  • Selbständigkeit: Kann sitzen, sprechen, alleine essen, gehen und sich alleine anziehen.

  • Kann nicht schreiben. Ist nicht inkontinent.

  • Hilfestellung: Täglich, doch nicht unterbrochen.

  • Sozialanamnese: Bildung in der Sonderschule und Hilfe eines Betreuungslehrers.

***KH***, 1. klinische Abteilung für Pädiatrie,Neurologie

  • Patientenbrief

  • Diagnosen:

  • Epilepsie

  • Adipositas

  • Störung des Sozialverhaltens

  • Therapie: Devikap 2000 Einheiten oral Ixl Kapsel für 2 Monate, danach Kontrolle des Vitamin-D-Spiegels

  • ***Fachambulanz***, Ambulantes Fachbehandlung, ***Ort***

  • Psychologisches Gutachten

  • Zusammenfassung: Psychologische Untersuchungen zeigen, dass das Niveau der kognitivenEntwicklung des Kindes auf das Niveau der leichten geistigen Behinderung herabgesetzt ist. Die Funktionen des arithmetischen Denkens und des visuell-motorischen Lernens werden reduziert. Schwerwiegende Defizite betreffen das Allgemeinwissen, das Verständnis sozial moralischer Normen und das auditive Direktgedächtnis. In Interviews und Unterlagen aus der Schule treten große Schwierigkeiten bei der Kontrolle von Emotionen und Verhalten, Vorfälle von verbaler und körperlicher Aggression auf. In Bezug auf die schulischen Leistungen hat der Junge immer noch keine Lese- und Schreibfähigkeiten gemeistert. Verglichen mit der letzten psychologischen Untersuchung aus dem Jahr 2018 gab es einen Rückgang der intellektuellen Funktionsfähigkeit von einem niedrigen Niveau zu einem Spitzenwert im Bereich der leichten Behinderung.

  • ***Fachambulanz***, Ambulantes Fachbehandlung, ***Ort***

  • Psychologisches Gutachten

  • Zusammenfassung: Basierend auf den psychologischen Untersuchungen, die ich durchgefuhrt habe, stelle ich eine Disharmonie in der Entwicklung der geistigen Funktionen fest. Die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit des Probanden liegt im unteren Bereich der Durchschnittswerte. Der Junge bleibt in neurologischer Behandlung wegen Epilepsie mit Verhaltens- und Emotionsstörungen unterschiedlichen Schweregrads. ***Sohn*** zeigt erhebliche Anpassungsschwierigkeiten. Im Verhalten des Jungen werden Merkmale der emotionalen und sozialen Unreife beobachtet: verminderte Kritik, Impulsivität, die Tendenz, die Distanz zu verkürzen und seinen Willen aufzuzwingen, infantile Reaktionen auf schwierige Situationen oder Misserfolge.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung Unterer Rahmensatz, da Besuch der Sonderschule unter mehrfachen Förder-und Therapiemaßnahmen möglich.
50

Gesamtgrad der Behinderung50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Alleiniges Leiden.

[…]

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Der Gesamtgrad der Behinderung bleibt unverändert zum Vorgutachten vom , da bei Leiden 1 keine signifikante Besserung oder Verschlechterung zu bemerken ist, die eine Herabstufung oder Höherstufung des Gesamtgrades der Behinderung rechtfertigt.

GdB liegt vor seit: 06/2018

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Erstmalige Diagnosestellung der kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörung mit Defiziten in den kognitiven und sozio-emotionalen Fertigkeiten im Juni 2018.

[…]

D. Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht

Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt. Im Rahmen des Vorlageberichtes wurde durch das Finanzamt die Abweisung des Antrages nur mehr für die Monate März bis Mai 2018 beantragt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hat am einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung gestellt, dies rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von fünf Jahren ab Antragstellung (d.h. März 2018). Anspruchsvermittelndes Kind ist der Sohn des Beschwerdeführers, ***Sohn*** (geboren am ***GebDat***).

Im bisherigen Verfahren wurden durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich - Sozialministeriumservice (idF "SMS") drei Aktengutachten betreffend das anspruchsvermittelnde Kind erstellt, wobei das erste Gutachten am , das zweite Gutachten am und das dritte Gutachten am erstellt wurde (siehe den obigen Punkt "I.C." zum Inhalt der Gutachten). Beim anspruchsvermittelnden Kind liegt ein Grad der Behinderung von 50% vor, dies ab 06/2018. Dieser wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern.

2. Beweiswürdigung

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des (unten zitierten) § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen ().

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden sind und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten einander nicht widersprechen (z.B. ; und 2009/16/0310, mwN).

Wurden von der Abgabenbehörde bereits solche Sachverständigengutachten eingeholt, erweisen sich diese als schlüssig und vollständig und wendet der Beschwerdeführer nichts Substantiiertes ein, besteht für das Bundesfinanzgericht kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen ().

Eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit der gegenständlichen Gutachten vom , vom sowie vom liegt aus den folgenden Gründen ebenso wenig vor wie ein Widerspruch zwischen den Gutachten:

Im Rahmen sämtlicher Gutachten wurde die idente Funktionseinschränkung ("Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung") und ein Grad der Behinderung von 50% festgestellt. Lediglich zur Frage, seit wann der festgestellte Grad der Behinderung vorliegt, gelangen die ersten beiden Gutachten - anders als das dritte Gutachten - zum Ergebnis, dass der Grad der Behinderung erst ab 03/2023 vorgelegen ist. Es wird allerdings in beiden Gutachten darauf verwiesen, dass eine weiter zurückreichende Feststellung des Grades der Behinderung daran scheitert, dass keine fachärztlichen Befunde oder sonstigen geeigneten Nachweise aus Zeiträumen vor März 2023 vorgelegt wurden.

Da derartige Befunde vor Erstellung des dritten Gutachtens an das SMS übermittelt wurden, konnte im dritten Gutachten eine Feststellung des Grades der Behinderung von 50% ab Juni 2018 erfolgen. Grundlage hierfür dürfte das psychologische Gutachten der ***Fachambulanz***, ***Ort***, vom (siehe oben, Punkt "I. C. c)") gewesen sein.

Im Ergebnis erweisen sich die Gutachten somit als schlüssig, vollständig und widerspruchsfrei. Dass erst im Rahmen des dritten Gutachtens vom eine rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung ab Juni 2018 - und somit einem Zeitpunkt, der deutlich von jenem abweicht, der in den anderen Gutachten festgestellt wurde - liegt lediglich daran, dass erst bei der Erstellung des dritten Gutachtens geeignete Nachweise/Befunde aus den Jahren vor 2023 vorgelegt wurden. Ein darüberhinausgehender, nicht logisch erklärbarer Widerspruch, war nicht festzustellen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

A. Rechtliche Grundlagen

§ 8 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

(1) Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird.

[…]

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist,

[…]

3. ab um 155,9 €

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. […]

B. Erwägungen

Gemäß der obig zitierten Bestimmung des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht, als erheblich behindert im Sinne des FLAG 1967.

Diese Funktionsbeeinträchtigung muss voraussichtlich länger als sechs Monate bestehen und der festgestellte Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen. Gemäß dem festgestellten Sachverhalt sind sowohl die zeitliche Komponente (d.h. das voraussichtliche Bestehen der Funktionsbeeinträchtigung für länger als sechs Monate) als auch der erforderliche Grad der Behinderung von mindestens 50% ab Juni 2018 erfüllt.

Der angefochtene Bescheid war daher dahingehend abzuändern, dass die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung nur mehr für die Monate März bis Mai 2018 ausgesprochen wird. Für den Zeitraum ab Juni 2018 war der Beschwerde stattzugeben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung wirft daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (z.B. mwN). Die Prüfung der Schlüssigkeit eines Gutachtens des Sozialministeriumservice ist nichts anderes als eine Würdigung dieses Beweises. Eine ordentliche Revision ist daher im gegenständlichen Fall nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100070.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at