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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.02.2024, RV/3100322/2016

Verlängerte Verjährungsfrist aufgrund von Abgabenhinterziehung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, vertreten durch ***Stb***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** (jetzt Finanzamt Österreich) vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2006, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer erzielte im Beschwerdejahr gewerbliche Einkünfte aus einer Tätigkeit als Handelsvermittler und (negative) gewerbliche Einkünfte aus einer Beteiligung an einer Personengesellschaft.

2. Diese Einkünfte wurden vom Beschwerdeführer in der Steuererklärung erfasst und am vom Finanzamt ein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 erlassen.

3. Mit Datum vom wurde das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2006 wiederaufgenommen und am selben Tag ein neuer Sachbescheid erlassen.

Im Beschwerdeverfahren betreffend Umsatzsteuer 2006 habe sich herausgestellt, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2006 Einkünfte in Deutschland in Höhe von ***X*** Euro erwirtschaftet habe, die in der Einkommensteuererklärung nicht als Progressionseinkünfte angeführt worden seien. Diese neu hervorgekommene Tatsache rechtfertige eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erlassung eines neuen Sachbescheides.

4. In der am eingebrachten Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2006 wurde vorgebracht, dass die Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO grundsätzlich fünf Jahre betrage und sich um jeweils ein weiteres Jahr verlängere, insoweit eine Verlängerungshandlung gesetzt werde. Im vorliegenden Fall sei mit Ablauf des Jahres 2012 Verjährung eingetreten, weshalb der Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2006 und daraus folgend der Einkommensteuerbescheid 2006 ersatzlos aufzuheben seien.

5. In der Beschwerdevorentscheidung vom wurde vom Finanzamt in der Begründung dargelegt, dass bei unbeschränkter Steuerpflicht in der Steuererklärung grundsätzlich das gesamte Welteinkommen anzugeben sei, was allgemein bekannt sei.

Vom Beschwerdeführer sei die ihm obliegende Offenlegungspflicht verletzt worden, da er in seiner am eingereichten Einkommensteuererklärung Einkünfte in Höhe von ***X*** Euro nicht in der Kennziffer 440 erfasst habe. Aufgrund der Verletzung dieser Offenlegungspflicht sei von der Abgabenbehörde "sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht von einem Hinterziehungstatbestand gem. § 33/1 FinStrG auszugehen". Es komme daher die 10-jährige Verjährungsfrist gem. § 207 Abs. 2 Bundesabgabenordnung zur Anwendung.

6. Im Vorlageantrag vom wurde vom Beschwerdeführer entgegnet, dass die Frage, ob eine Abgabe hinterzogen worden sei, eine Vorfrage darstelle, die - wenn keine finanzstrafrechtliche Verurteilung vorliege - von der Abgabenbehörde selbständig beurteilt werden müsse. Dabei sei neben der Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht, die zu einer Abgabenverkürzung führe, ein Tatvorsatz notwendig.

Aus der - erst in der Beschwerdevorentscheidung angeführten - Verletzung der Offenlegungspflicht könne nicht ohne weiteres auf das Vorliegen eines Vorsatzes geschlossen werden.

Aus der Begründung der Abgabenbehörde müsse sich ergeben, "auf Grund welcher Überlegungen zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Beurteilung die Annahme der Hinterziehung gerechtfertigt ist (vgl. )."

7. Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom vorgelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer hatte im Beschwerdejahr (nur) in Österreich einen Wohnsitz und bezog neben österreichischen Einkünften auch Einkünfte aus einer Tätigkeit in Deutschland.

2. In der Einkommensteuererklärung hat der Beschwerdeführer die in Deutschland erzielten Einkünfte nicht in der Kennziffer 440 erfasst, wodurch diese nicht bei der Berechnung des Durchschnittsteuersatzes für die im Inland zu besteuernden Einkünfte berücksichtigt werden konnten.

3. Aufgrund des Beschwerdeverfahrens betreffend Umsatzsteuer 2006, in dem vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers (u.a.) eine "Einnahme- Überschussrechnung für die Zeit vom 01. Januar bis " der Firma "***Y***", vorgelegt wurde, hat das Finanzamt im Jahr 2015 von diesen deutschen Einkünften Kenntnis erlangt.

In der Folge wurde das Verfahren betreffend Einkommensteuer am wiederaufgenommen und am selben Tag ein neuer Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 erlassen, in dem der in Deutschland erzielte Jahresüberschuss von ***X*** Euro (für die Berechnung des Durchschnittssteuersatzes) herangezogen wurde.

4. Der Beschwerdeführer war durchgehend steuerlich vertreten, in den Steuererklärungen der Jahre 2004 und 2005 wurden deutsche Verluste als (negative) Progressionseinkünfte angegeben. Dem Beschwerdeführer (und seinem steuerlichen Vertreter) war dementsprechend bekannt, dass die deutschen Einkünfte in der Steuererklärung des Beschwerdejahres zu erfassen sind. Der Beschwerdeführer hat dies unterlassen und sich trotz dieser Kenntnis damit abgefunden, eine Abgabenhinterziehung zu begehen.

5. Ein Finanzstrafverfahren wurde vom Finanzamt nicht durchgeführt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Akt und ist zwischen den Beschwerdeparteien grundsätzlich unstrittig.

Die Informationen betreffend die in den Vorjahren in den Steuererklärungen angegebenen und in den Einkommensteuerbescheiden enthaltenen deutschen Verluste, entstammen Abfragen im Abgabeninformationssystem der Finanzverwaltung.

Dass der Beschwerdeführer vorsätzlich gehandelt hat, ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer bekannt war, dass er in Deutschland eine Firma betreibt und die erzielten Einkünfte in Österreich anzugeben sind. Dies wird dadurch dokumentiert, dass in den Vorjahren die deutschen Einkünfte (Verluste) in den Steuererklärungen erfasst wurden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Rechtslage

1. Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF. BGBl I 2013/14 kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 304 BAO idF. BGBl I 2013/14 ist nach Eintritt der Verjährung eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmsantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht ist.

Durch die (Neu-)Fassung dieser Bestimmung wurde die Frist für die Wiederaufnahme von Amts wegen und die Wiederaufnahme auf Antrag einer Partei vereinheitlicht (vgl. Ritz, BAO6, § 304 Tz 1). Eine Wiederaufnahme sollte in jenen Fällen verhindert werden, in denen die Sachentscheidung (insbesondere die Abgabenfestsetzung) wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr erfolgen darf (vgl. Ritz, BAO6, § 304 Tz 3).

2. Gemäß § 207 ff BAO ist die Verjährung (auszugsweise) wie folgt geregelt:

§ 207. (1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.

(2) Die Verjährungsfrist beträgt bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. Das Recht, einen Verspätungszuschlag, Anspruchszinsen, Säumniszuschläge oder Abgabenerhöhungen festzusetzen, verjährt gleichzeitig mit dem Recht auf Festsetzung der Abgabe.

[…]

§ 208. (1) Die Verjährung beginnt

a)in den Fällen des § 207 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, soweit nicht im Abs. 2 ein anderer Zeitpunkt bestimmt wird;

[…]

§ 209. (1) Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist. Verfolgungshandlungen (§ 14 Abs. 3 FinStrG, § 32 Abs. 2 VStG) gelten als solche Amtshandlungen.

(2) Die Verjährung ist gehemmt, solange die Geltendmachung des Anspruches innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nicht möglich ist.

(3) Das Recht auf Festsetzung einer Abgabe verjährt spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4). In den Fällen eines Erwerbes von Todes wegen oder einer Zweckzuwendung von Todes wegen verjährt das Recht auf Festsetzung der Erbschafts- und Schenkungssteuer jedoch spätestens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der Anzeige.

(4) Abweichend von Abs. 3 verjährt das Recht, eine gemäß § 200 Abs. 1 vorläufige Abgabenfestsetzung wegen der Beseitigung einer Ungewissheit im Sinn des § 200 Abs. 1 durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches.

(5) In den Fällen, in denen aufgrund der Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes 1988 oder des Umgründungssteuergesetzes über die entstandene Einkommen- oder Körperschaftsteuerschuld abgesprochen, aber die Steuerschuld nicht festgesetzt worden ist, verjährt das Recht auf Festsetzung der genannten Abgaben insoweit jedoch spätestens zehn Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist.

Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer ist in Österreich aufgrund seines Wohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig, damit verbunden ist die Besteuerung des Welteinkommens.

2. Nachdem vom Finanzamt kein Finanzstrafverfahren durchgeführt wurde, ist als Vorfrage darüber zu entscheiden, ob im Beschwerdefall eine Abgabenhinterziehung vorliegt.

3. Für das Vorliegen einer Abgabenhinterziehung gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG ist vorsätzliches Handeln notwendig. Gem. § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Für diesen "bedingten Vorsatz" reicht es aus, wenn der Täter intellektuell erkannt hat, dass sein Verhalten zu einer Steuerverkürzung führen kann und er diesen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. Kotschnigg in Tannert/Kotschnigg, FinStrG § 33 Rz 216 (Stand , rdb.at) und die dort zitierte Rechtsprechung).

4. Nach der Rechtsprechung des VwGH (vgl. u.a. ) kann vorsätzliches Handeln nur aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters erschlossen werde. Dabei erweisen sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung.

5. Vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurde im Vorlageantrag die Ansicht vertreten, dass vom Finanzamt die subjektive Tatseite der Abgabenhinterziehung (der Tatvorsatz) nicht begründet worden sei, weshalb die Verjährungsfrist von fünf Jahren zur Anwendung kommen müsse und diese - unter Einbeziehung einer Verlängerungshandlung - im Jahr 2012 abgelaufen sei.

6. Vom Finanzamt wurde in der Begründung zur Beschwerdevorentscheidung ausgeführt, dass als "allgemein bekannt vorausgesetzt" werde, dass ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in seiner Einkommensteuererklärung sein gesamtes Welteinkommen anzuführen habe. Nachdem dies nicht passiert sei, sei von einem Hinterziehungstatbestand gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG auszugehen und die Verjährungsfrist betrage zehn Jahre.

7. Dies kann nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts - auch wenn die Begründung des Finanzamtes sehr knapp gehalten ist - (nur) so verstanden werden, dass beim Beschwerdeführer (zumindest) ein bedingter Vorsatz auf Abgabenhinterziehung vorgelegen hat.

8. Die Kenntnis über das prinzipielle Bestehen einer Einkommensteuerpflicht kann bei intellektuell durchschnittlich begabten Personen vorausgesetzt werden (vgl. ). Für einen Hinterziehungsvorsatz ist es ausreichend, wenn der Steuerpflichtige eine grundsätzliche Steuerpflicht seiner Einkünfte ernstlich für möglich hält.

9. In diesem Zusammenhang muss in die Beurteilung auch miteinbezogen werden, dass aktenkundig ist, dass der Beschwerdeführer seit vielen Jahren steuerlich vertreten war und in den Jahren 2004 und 2005 (negative) Progressionseinkünfte aus Deutschland in Höhe von ***Z***,- Euro bzw. ***A***,- Euro erklärt hat, es sich diesbezüglich also nicht um eine erstmalige steuerliche Beurteilung gehandelt hat.

10. Vom Beschwerdeführer wurde weder in der Beschwerde noch im Vorlageantrag ein Vorbringen erstattet, weshalb sein Nichterklären der deutschen Einkünfte, das unbestritten zu einer Steuerverkürzung geführt hat, nicht auf eine Abgabenhinterziehung gerichtet gewesen sein sollte. Somit kann der Ansicht des Finanzamtes, dass er diese zumindest billigend in Kauf genommen hat, nicht wirksam entgegengetreten werden und das Finanzamt konnte von einer (bei Abgabenhinterziehungen verlängerten) Verjährungsfrist von 10 Jahren ausgehen.

11. Nachdem die Wiederaufnahme unstrittig innerhalb dieser Verjährungsfrist erfolgt ist, war die Beschwerde abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Erkenntnis waren Fragen der Beweiswürdigung und keine Rechtsfragen zu lösen, weshalb die Revision nicht zuzulassen war.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 ff BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100322.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at