Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.02.2024, RV/5100146/2023

Kein Eigenanspruch gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967, wenn der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird und kein eigenständiger Haushalt geführt wird

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff: ***OB***, betreffend (erhöhte) Familienbeihilfe zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit den am beim Finanzamt eingelangten Vordrucken "Beih 100-PDF" und "Beih 3-PDF" beantragte der am ***GebDat*** geborene Beschwerdeführer (Bf.) die Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Eigenantrag).
In einer beigefügten Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ, vom wurde ein Grad der Behinderung von 70 % sowie eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 08/1997 festgestellt.
Die ***NG*** in ***Adr.***, bestätigte in ebenfalls beigefügten Schreiben, dass der Bf. seit in einer näher genannten Einrichtung der gGmbH wohne, die Leistung "Wohnen in vollbetreuter Wohneinrichtung nach § 12 Abs. 2 Z. 2 Oö Chancengleichheitsgesetz" erhalte und Heimfahrten des Bf. zu seiner Mutter aus näher genannten Gründen nicht möglich seien.
Laut einer im Zuge der Antragstellung vorgelegten Meldebestätigung ist die Anschrift einer Einrichtung der ***NG*** seit als Hauptwohnsitz des Bf. eingetragen.

In Beantwortung eines Ergänzungsersuchens des Finanzamtes gab die ***NG*** im Auftrag des Bf. an, dass der Bf. Unterhaltsleistungen, Kostenersätze oder regelmäßige Heimfahrten nicht nachweisen könne, da er weder Unterhalt beziehe noch Aufenthalte bei seiner Mutter möglich seien. Er habe keinen Erwachsenenvertreter und verfüge auch über kein Einkommen. Eine Unterstützung erfolge durch die Betreuer in der Einrichtung.

Mit den angefochtenen Bescheiden vom wies das Finanzamt die Anträge des Bf. auf Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für die Zeiträume ab Jänner 2018 ab.
Da der Bf. keinen Kostenersatz, keine Unterhaltsleistungen, keine regelmäßigen Heimfahrten und kein eigenes Einkommen nachgewiesen habe und daher die Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. des Wohnbedarfs zur Gänze aus öffentlichen Mitteln getragen werde, bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Da die allgemeine Familienbeihilfe nicht zustehe, könne auch der Erhöhungsbetrag nicht ausbezahlt werden.

Dagegen richtet sich die mit Eingabe vom erhobene Beschwerde.
Darin heißt es im Wesentlichen:
Die Anträge seien mit der Begründung abgelehnt worden, dass der Bf. keinen Kostenersatz nachgewiesen habe bzw. der Wohnbedarf zur Gänze aus öffentlichen Mitteln getragen werde. In Wohneinrichtungen der ***NG*** sei jedoch ein Kostenbeitrag zu erbringen, welcher im Fall des Bf. als Kostenersatz über die Familienbeihilfe zu leisten sei. Da der Bf. erwerbsunfähig sei, könne er den genannten Kostenbeitrag nicht selbst erbringen.
Im Anhang werde die zwischen der ***NG*** und dem Bf. geschlossene Vereinbarung über die Leistung eines Kostenbeitrages in Wohneinrichtungen der ***NG*** vorgelegt. Die Vereinbarung beinhalte eine Aufschlüsselung über die Höhe und den Zweck des Beitrags. Es werde ersucht, die Anträge erneut zu überprüfen.

Der Beschwerde beigeschlossen ist eine mit datierte schriftliche Vereinbarung zwischen dem Bf. einerseits und der ***NG*** andererseits über die Leistung eines Kostenbeitrages in Wohneinrichtungen der ***NG***.
Nach dieser Vereinbarung verpflichte sich der Bf., einen Betrag in Höhe des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe auf ein Konto der ***NG*** monatlich zu überweisen. Die Familienbeihilfe sowie der Kinderabsetzbetrag werde demnach auf ein Konto des Bf. bzw. Sparbuch überwiesen.
Nach Punkt 3.) der vorgelegten Vereinbarung verpflichte sich die ***NG***, mit dem Kostenbeitrag in Höhe der erhöhten Familienbeihilfe (inkl. 10 % USt) folgende Leistungen für den Bf. monatlich ergänzend sicherzustellen:
Beitrag für Freizeitaktivitäten (inkl. der über die Grundbetreuung hinausgehenden Betreuung bei Freizeitaktivitäten im Ausmaß von 3,5 h) i.H.v. ca. 111,00 Euro.
Beitrag für allgemeine Hygiene- und Toiletteartikel in Höhe von ca. 6,00 Euro.
Beitrag für Spiel- und Therapiemittel in Höhe von ca. 3,00 Euro.
Rücklage für Wäsche, Bettzeug etc. in Höhe von ca. 6,00 Euro.
Beitrag für Fahrtkosten (Arzt, Einkauf, Freizeit etc) in Höhe von ca. 23,90 Euro.
Beitrag für Foto, Video, Geburtstagsgeschenke etc. in Höhe von ca. 6,00 Euro.
Der Betrag in der Höhe der Familienbeihilfe sowie des Kinderabsetzbetrages sei für die nachstehend angeführten Leistungen:
Taschengeld, Beitrag für Bekleidung des/der Leistungsnehmerin sowie der Rücklagenbildung zur Abrechnung von Urlaubsaktivitäten durch die Leistungserbringerin.

Nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet ab.
Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Bf. keine regelmäßigen Einkünfte erhalte und auch keine Unterhaltsbeiträge vorliegen würden. Die Familienbeihilfe könne nur gewährt werden, wenn der Unterhalt nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln geleistet werde.

In der als Vorlageantrag zu wertenden Eingabe vom brachte der Bf. im Wesentlichen vor, dass aus den Regelungen in Punkt 3.) der oben angeführten Vereinbarung deutlich erkennbar sei, dass im Rahmen der ChG Leitung nicht zur Gänze für den Lebensunterhalt des Bf. aufgekommen werde, da das ChG weder für Bekleidung noch für Dinge des alltäglichen Bedarfs aufkomme. Zudem sei der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe als Kostenbeitrag abzuführen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

In einer Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ (Sozialministeriumservice) vom wurde der Grad der Behinderung des am ***GebDat*** geborenen Beschwerdeführers (Bf.) mit 70 % sowie eine ab 08/1997 und somit vor Vollendung des 21. Lebensjahres vorliegende voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ausgewiesen.

Nach den Eintragungen im Zentralen Melderegister ist der Bf. seit mit Hauptwohnsitz in ***Ort***, gemeldet. Unterkunftgeberin ist die ***NG***, die Menschen mit psychosozialem Betreuungsbedarf betreut und an der genannten Anschrift im Auftrag des Landes Oberösterreich eine vollbetreute Wohneinrichtung für fünf Jugendliche und junge Erwachsene betreibt.

Nach den im Abgabeninformationssystem der Finanzverwaltung gespeicherten Daten ging der Bf. im hier maßgeblichen Zeitraum ab Jänner 2018 keiner Erwerbstätigkeit nach. Er bezog kein Pflegegeld und laut Versicherungsdatenauszug erhielt er im genannten Zeitraum auch keinerlei Leistungen durch das AMS.
Die Eltern des Bf. erbrachten keine Unterhaltsleistungen.
Da der Bf. den in Wohneinrichtungen der ***NG*** vorgesehenen Kostenbeitrag nicht selbst erbringen kann, wurde zwischen der ***NG*** und dem Bf. zwar schriftlich vereinbart, dass ein Kostenbeitrag über die Familienbeihilfe zu leisten ist, eine tatsächliche Leistung eines Kostenersatzes erfolgte jedoch bislang nicht.
Der Unterhalt des Bf. wird sohin zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen.

2. Beweiswürdigung

Der unter Punkt 1. festgestellte entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.
Im gesamten abgabenbehördlichen Ermittlungsverfahren wurde auch nicht behauptet, dass der Bf. aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit zur Deckung der Unterhaltskosten beigetragen hätte. Im Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ist angegeben, dass kein Pflegegeld bezogen wird. In der Beschwerde vom wird eingeräumt, dass der Bf. erwerbsunfähig ist und den in Wohneinrichtungen der ***NG*** vorgesehenen Kostenbeitrag nicht selbst erbringen kann.
Das Bundesfinanzgericht sieht es daher bei der vorliegenden Sach- und Beweislage als erwiesen an, dass im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FLAG 1967 der Unterhalt des Bf. zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wurde.

Das Wohnheim bzw. das vollbetreute Wohnen stellt ein langfristiges Wohnangebot für Menschen mit Beeinträchtigungen dar. Je nach den individuellen Bedürfnissen steht eine Betreuung mit bis zu 24 Stunden pro Tag und eine Vollversorgungsstruktur zur Verfügung (Quelle: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/18374.htm).
Für den Beschwerdezeitraum ist unstrittig, dass der Bf. eine vollbetreute Wohneinrichtung nach § 12 Abs. 2 Z. 2 Oö. ChG bewohnte und ihm daher eine Betreuung mit bis zu 24 Stunden pro Tag sowie eine Vollversorgungsstruktur zur Verfügung stand.

3. Rechtslage und rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967, in der Fassung der mit rückwirkend in Kraft getretenen Änderung durch das BGBl I Nr. 77/2018) haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Gemäß § 6 Abs. 1 und 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

§ 6 Abs. 5 gilt nicht für Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden (§ 6 Abs. 6 FLAG 1967).

Die für den Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Oö. ChG (Landesgesetz betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen, LGBl. Nr. 41/2008) lauten auszugsweise:

"§ 7 Begriffsbestimmungen

Im Sinn dieses Landesgesetzes bedeutet

25. Wohnheim: ein Wohnangebot mit einem Vollzeitbetreuungsangebot, einschließlich Verpflegung."

"§ 12 Wohnen

(1) Menschen mit Beeinträchtigungen ist eine möglichst freie und selbstbestimmte Wahl der Wohnform zu eröffnen.

(2) Als Maßnahmen nach Abs. 1 kommen in Betracht:

1. …
2. Einräumung einer Wohnmöglichkeit in einem Wohnheim mit der je nach Eigenart der Beeinträchtigung erforderlichen Betreuung und Hilfe, wenn eine andere Wohnform auf Grund der Beeinträchtigung nicht möglich ist;
3. …

…"

"§ 46 Kostentragung

(1) Die Kosten für Leistungen nach diesem Landesgesetz, die nicht nach §§ 20 und 39 bis 45 gedeckt sind oder die nicht von anderen Trägern zu übernehmen sind, sind unbeschadet des Abs. 2 vom Land zu tragen.

…"

In den Materialien (AB 1434/2008, XXVI. GP) heißt es zu § 12 Oö. ChG:
"…
Die jeweiligen Leistungen nach Abs. 2 Z. 1 bis 3 beinhalten auch die erforderliche Betreuung und Hilfe (im Sinn der seit der Neuregelung der Pflegevorsorge gebräuchlichen Terminologie). Während bei Abs. 2 Z. 1 stets eine individuelle Lösung zu finden sein wird, wird bei Leistungen nach Abs. 2 Z. 2 und 3 auf das in der jeweiligen Einrichtung bestehende Angebot zu greifen sein. Durch diese "Leistungspakete" werden eigene stationäre Pflegeangebote, wie bisher insbesondere im § 29 Oö. BhG 1991, entbehrlich."

§ 7 Oö SOHAG (Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz, LGBl. Nr. 107/2019 idgF.) sieht die monatlichen Leistungen der Sozialhilfe mit Rechtsanspruch wie folgt vor:

(7) Für volljährige Personen, die in stationären Einrichtungen gemäß § 63 Oö. SHG 1998 oder § 12 Abs. 2 Z 2 Oö. ChG untergebracht sind, erfolgt die Leistung der Sozialhilfe in Form einer pauschalen monatlichen Geld- oder Sachleistung zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse in Höhe von 16 % des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende pro Person.

Der Verwaltungsgerichtshof brachte in zahlreichen Erkenntnissen zum Ausdruck, dass nach Absicht des Gesetzgebers in Fällen, in denen der Unterhalt der behinderten Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen soll. Es komme dabei nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die Kostentragung durch die öffentliche Hand zur Gänze an (vgl. ; ; ; ; ). Dies sei nicht der Fall, wenn zum Unterhalt durch die untergebrachte Person selbst - etwa auf Grund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches - beigetragen werde. Soweit die betreffenden Aufwendungen zur Gänze aus öffentlichen Mitteln getragen würden, befänden sich Behinderte in Wohnheimen auf Kosten der Sozialhilfe im Sinne des § 6 Abs. 5 FLAG 1967; dies auch dann, wenn diese Kosten formell aus Mitteln der Behindertenhilfe gedeckt werden (vgl. ; ).

In der jüngeren Rechtsprechung vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, dass vor allem beim sogenannten Eigenanspruch von Kindern, denen die Eltern nicht überwiegend Unterhalt leisten (§ 6 Abs. 5 FLAG 1967), der Anspruch auf Familienbeihilfe voraussetze, dass sich das Kind nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinde. Hier leuchte der Gedanke hervor, dass ein Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sei, wenn die öffentliche Hand überwiegend oder grundsätzlich für den Unterhalt des Kindes sorge, auch wenn die Eltern zum Teil Unterhalt leisten würden (). Ein Anspruch auf Familienbeihilfe scheide aus, wenn der typische Lebensunterhalt (u.a. Unterkunft, Bekleidung, Verpflegung) durch die öffentliche Hand gedeckt werde ().

Der Gesetzgeber hat auf diese Rechtsprechung, wonach ein Eigenanspruch bereits dann ausgeschlossen sein soll, wenn die öffentliche Hand überwiegend oder grundsätzlich für den Unterhalt des Kindes sorgt, durch eine Änderung der rückwirkend mit in Kraft getretenen Bestimmung des § 6 FLAG 1967 idF BGBl I Nr. 77/2018 reagiert.
Den Materialien (Initiativantrag 386/A BlgNR 26. GP 3) ist zu entnehmen:

"Für den Fall, dass keinem Elternteil ein Anspruch auf Familienbeihilfe zusteht, besteht durch eine Sonderregelung die subsidiäre Möglichkeit, dass das Kind für sich selbst die Familienbeihilfe beanspruchen kann (Eigenanspruch auf Familienbeihilfe). Ein solcher Eigenanspruch ist nach der derzeitigen Rechtslage ausgeschlossen, wenn sich die Kinder auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht, dass in Konstellationen, bei denen typischer Unterhalt der Kinder (überwiegend) durch die öffentliche Hand gedeckt ist, ein Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen ist, wobei es nicht auf die Form der Unterbringung ankommt. Die in diesem Zusammenhang stehende Thematik, inwieweit ein Beitrag zu den Unterhaltskosten trotzdem einen Anspruch vermitteln kann, ist durch eine gesetzliche Präzisierung zu lösen.

Es soll nun sichergestellt werden, dass ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben ist, wenn das Kind selbst aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches (z.B. Pflegegeld) oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit regelmäßig zur Deckung der Unterhaltskosten beiträgt. Gleiches soll gelten, sofern die Eltern zwar nicht überwiegend jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen.

Sofern der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe (bei Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung) oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand (zB durch eine Bedarfsorientierten Mindestsicherung oder die Grundversorgung) getragen wird, ohne dass ein oben angesprochener Beitrag geleistet wird, soll kein Anspruch auf die Familienbeihilfe bestehen, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist.

Diese Regelungen sollen in Bezug auf alle Kinder gelten, grundsätzlich auch für Kinder, die erheblich behindert sind und demzufolge die erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sowie in Bezug auf Vollwaisen.

In Bezug auf erheblich behinderte Kinder, die nicht fähig sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, soll durch eine Sonderregelung der Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe jedenfalls gegeben sein, wenn sie einen eigenständigen Haushalt führen. Eine eigenständige Haushaltsführung wird in der Regel dann vorliegen, wenn das Kind über eine Wohnung verfügt, in welcher es sich um die allgemeinen Dinge der Lebensführung - wenn auch mit punktueller Unterstützung - selbständig kümmert, keiner regelmäßigen Aufsicht unterliegt und seinen Tagesablauf selbst strukturieren kann. In diesem Fall soll die Leistung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung einem Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe nicht entgegenstehen.

Im Falle von Maßnahmen, die nach dem Strafvollzugsgesetz angeordnet werden, bei welchen es sich insbesondere um den Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme handelt, soll ein Eigenanspruch der betroffenen Personen ausgeschlossen werden."

Sowohl nach der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch dem Willen des Gesetzgebers soll jedenfalls dann kein Beihilfenanspruch bestehen, wenn für den Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand gesorgt wird.
Aufgrund der Sonderregelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 FLAG 1967 besteht für ein erheblich behindertes Kind, das dauernd erwerbsunfähig ist und einen eigenständigen Haushalt führt, ein Eigenanspruch auf erhöhte Familienbeihilfe, selbst für den Fall, dass die Unterhaltskosten zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen werden. Die Leistung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung steht bei einer solchen Konstellation einem Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe nicht entgegen.

Eine eigenständige Haushaltsführung wird nach den oben zitierten Gesetzesmaterialien in der Regel dann vorliegen, wenn das Kind über eine Wohnung verfügt, in welcher es sich um die allgemeinen Dinge der Lebensführung - wenn auch mit punktueller Unterstützung - selbständig kümmert, keiner regelmäßigen Aufsicht unterliegt und seinen Tagesablauf selbst strukturieren kann.

Bewohnte der Bf. eine vollbetreute Wohneinrichtung nach § 12 Abs. 2 Z. 2 Oö. ChG und stand ihm daher eine Betreuung mit bis zu 24 Stunden pro Tag sowie eine Vollversorgungsstruktur zur Verfügung, ist eine solche eigenständige Haushaltsführung im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 2 FLAG 1967 nicht anzunehmen.

Mangels eigenständiger Haushaltsführung scheidet im Beschwerdefall daher ein Eigenanspruch auch nach der Sonderregelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 FLAG 1967 aus.

Aus den dargestellten Gründen war somit spruchgemäß zu entscheiden.

4. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Weder die im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausgeht.
Die Revision ist daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100146.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at