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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.11.2023, RV/2100318/2023

Änderung der Bemessungsgrundlage als neue Tatsache

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Vorsteuererstattung 2012 sowie Vorsteuererstattung 2012, 2013 und 2014 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, die ***Bf1*** (im Folgenden: Bf) ist ein Telekommunikationsunternehmen aus dem Drittland. Kunden der Bf. telefonierten mit ihrem Mobiltelefon in Österreich. Für die Nutzung der österreichischen Netzte haben österreichische Telekommunikationsunternehmen der Bf. Roaminggebühren und Umsatzsteuer verrechnet.

Im Streitjahr 2012 hat die Bf. für die Umsatzsteuer aus Roaminggebühren einen Antrag auf Erstattung der Vorsteuern für ausländische Unternehmer eingereicht und das Finanzamt hat die Vorsteuern mit Bescheid vom erstattet.

Im Jahr 2017 kam es zu einer Außenprüfung, bei der das Finanzamt laut Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom unter anderem festgestellt hat, dass es im Streitjahr 2012 durch einen gewährten Rabatt (Gutschrift vom ) zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage kam, die die Höhe der Vorsteuern verminderte. Diesen Rabatt hat die Bf. in ihrem Erstattungsantrag nicht berücksichtigt.

In Folge dieser Feststellung nahm das Finanzamt das Verfahren betr. Vorsteuererstattung 2012 mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wieder auf und verwies begründend auf den Außenprüfungsbericht bzw. die Niederschrift.

In den gleichzeitig erlassenen Bescheiden betr. Vorsteuererstattung 2012 - 2014 wurden die Erstattungsanträge abgewiesen (durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit Null), weil das Finanzamt auch feststellte, dass die Bf. gem. Verordnung BGBl II 2003/383 idF BGBl II 2009/221 (im Folgenden kurz: "Telekom-Verordnung") Umsätze im Inland erzielt hatte, da ihre Kunden in Österreich telefonierten. Auch in diesen Bescheiden wurde begründend auf den Außenprüfungsbericht bzw. die Niederschrift verwiesen.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde vom gegen die Wiederaufnahme 2012 erklärte die Bf., dass dem Finanzamt alle Umstände bekannt gewesen sein müssten, da die Bf. alle Rechnungen im Original vorgelegt habe.

Hinsichtlich der Erstattungsbescheide 2012 - 2014 führte die Bf. in den Beschwerden vom selben Tag aus, dass keine Ortsverlagerung der erbrachten Telekommunikationsleistungen in das Inland auf Grund der Telekom-Verordnung stattgefunden habe. Die Verordnung sei aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt sämtliche Beschwerden betr. Wiederaufnahme 2012 und Vorsteuererstattung 2012 - 2014 unter Verwies auf die innerstaatliche Rechtslage ab.

Mit Schreiben vom beantragte die Bf. die Entscheidung über die Beschwerden durch das BFG.

Der Vorlageantrag wurde hinsichtlich der Wiederaufnahme damit begründet, dass in der Beschwerdevorentscheidung vom auf Rabatte nicht eingegangen worden sei. Die Rabatte seien auch nicht Thema der Schlussbesprechung am gewesen (Anmerkung: der Niederschrift ist zu Rabatten wörtlich zu entnehmen: "Die Anfrage nach eventuellen Gutschriften (mit Frist ) wurde bis zum Schlussbesprechungstermin am nicht beantwortet. In den vorgelegten Anträgen auf Vorsteuer-Rückerstattung wurden jedenfalls ausschließlich Rechnungen, aber keine Gutschriften eingereicht" ).
Die näheren Umstände, die zu einer Abweisung des Erstattungsantrages führen müssten, seien dem Finanzamt bereits durch die eingereichten Rechnungen bekannt gewesen.

Hinsichtlich der Sachbescheide führte die Bf. aus, dass die Telekom-Verordnung durch Art 59a MwSt-SystRL nicht gedeckt sei: Der Anwendungsbereich betreffe unionsrechtlich nur Nichtunternehmer aus der EU, die vergleichbare Steuerbelastung finde im Unionsrecht auch keine Deckung und die Verordnung sei nur möglich, um Doppelbesteuerung, Nichtbesteuerung und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, was nicht gegeben sei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der Sachverhalt stellt sich wie im Verfahrensgang beschrieben dar und wird nicht bestritten:

Die Bf. ist ein Telekomunternehmen im Drittland und hat für die Streitjahre 2012 - 2014 die Erstattung von Vorsteuern aus Roaminggebühren für Telefonate ihrer Kunden in Österreich beantragt.

Der Erstattungsbescheid vom wurde mit Bescheid vom wiederaufgenommen. Begründet wurde die Wiederaufnahme im Außenprüfungsbericht vom , auf den der Bescheid verweist, u.a. mit der neuen Tatsache, dass es im Streitjahr 2012 durch einen gewährten Rabatt (Gutschrift vom ) zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage kam, die die Höhe der Vorsteuern verminderte. Diesen Rabatt hat die Bf. in ihrem Erstattungsantrag nicht berücksichtigt und diese Gutschrift war auch dem Finanzamt bis dahin nicht bekannt.

Mit Bescheiden vom wurden die Erstattungsanträge 2012 - 2014 durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit null abgewiesen. Begründet wurde die Abweisung damit, dass die Bf. nach der Telekom-Verordnung Umsätze im Inland erzielte, weil ihre Kunden in Österreich telefonierten. Damit sei eine Erstattung ausgeschlossen.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Wiederaufnahme

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann ua. von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs. 1 BAO).

Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen. Tatsachen in diesem Sinne sind Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten.

Es ist Aufgabe der Abgabenbehörden, die von ihnen verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind (). Dabei ist es nicht rechtswidrig, in der Begründung eines Bescheides auf die der Partei zugegangenen Schriftstücke (zB Betriebsprüfungsbericht) Bezug zu nehmen (; vgl. auch ).

Im Beschwerdefall hat das Finanzamt im Zuge der Außenprüfung unter anderem festgestellt, dass die Bf. die Änderung der Bemessungsgrundlage durch einen gewährten Rabatt (Gutschrift vom ) nicht berücksichtigt hat und damit die Erstattung von Vorsteuern in der falschen Höhe beantragt hat. Dieser Umstand ist dem Betriebsprüfungsbericht zu entnehmen.

Die Berufungsbehörde (das BFG) hat, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (). Damit ist eine allfällig nicht ausreichende Würdigung der Wiederaufnahmegründe in der Beschwerdevorentscheidung in diesem Verfahren unerheblich.

Die Tatsache, dass der Geschäftspartner der Bf. im Streitjahr einen Rabatt gewährt hat, der zur Minderung der Bemessungsgrundlage und damit zur Minderung der Vorsteuern geführt hat, ist im Zuge des Außenprüfungsverfahrens neu hervorgekommen und hätte auch einen anders lautenden Bescheid (mit niedrigeren Vorsteuern) herbeigeführt.

Zusätzlich dazu hat die Behörde festgestellt, dass die Bf. nach der Telekom-Verordnung Umsätze im Inland erzielt hat (siehe unten zu 2.2.). Daher hat sie den Erstattungsantrag im wieder aufgenommenen Verfahren abgewiesen.

Klaffen die steuerlichen Auswirkungen, die unmittelbar auf Wiederaufnahmsgründe zurückzuführen sind, gegenüber solchen, die auf einer geänderten Rechtsansicht beruhen, auseinander, so ist dies im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigen (vgl zB ).

Im Beschwerdefall hat die Bf. offenkundig in sämtlichen überprüften Zeiträumen (auch solchen, die in diesem Verfahren nicht strittig sind) bei ihren Anträgen die gewährten Rabatte nicht berücksichtigt und so die Erstattung von Vorsteuern in einem Ausmaß beantragt, das ihr nicht zusteht. Im Zuge der Außenprüfung hat sich die Bf. auch nicht bemüht, den Sachverhalt der Behörde gegenüber offen zu legen (vgl. dazu die Ausführungen in Niederschrift und Außenprüfungsbericht). Dieses Gesamtverhalten der Bf. rechtfertigt es, der Rechtsrichtigkeit Vorrang gegenüber der Rechtsbeständigkeit zu geben und das Postulat der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Abgabepflichtigen anzuwenden.

Die Wiederaufnahme erfolgte zu Recht weshalb die Beschwerde wie im Spruch ersichtlich abzuweisen war.

2.2. Vorsteuererstattung 2012 - 2014

Gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuer abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln.

Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 erging die Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 222/2009, "mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird ", wenn der Unternehmer (von gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) keine Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 ausgeführt hat.

Nach § 3a Abs. 13 lit. a iVm Abs. 14 Z 12 UStG 1994 idF BGBl. I Nr. 52/2009 werden Telekommunikationsdienste im Drittland ausgeführt, wenn der Empfänger ein Nichtunternehmer ist und er keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat.

Nach § 3a Abs. 16 UStG 1994 in der kann der Bundesminister für Finanzen, um Doppelbesteuerungen, Nichtbesteuerungen oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, durch Verordnung festlegen, dass sich bei sonstigen Leistungen, deren Leistungsort sich u.a. nach Abs. 13 lit. a UStG 1994 bestimmt, der Ort der sonstigen Leistungen danach richtet, wo die sonstige Leistung genutzt oder ausgewertet wird. Der Ort der sonstigen Leistung kann danach statt im Drittlandsgebiet als im Inland gelegen behandelt werden.

§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen (Telekom-Verordnung), BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:

"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird. "

Der , "SK Telecom Co. Ltd" entschieden, dass in Sachverhaltskonstellationen wie sie im Beschwerdefall gegeben sind, die Leistung im Inland erbracht wird. Im Tenor heißt es dazu:

"Art. 59a Abs. 1 Buchst, b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom mit Wirkung vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen"

Damit ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Telekom-Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in das Inland verlagern.

Da die Bf. Umsätze im Inland erzielt hat, ist die Anwendung des Vorsteuer-Erstattungsverfahrens ausgeschlossen. Die Abweisung der Erstattungsanträge erfolgte daher zu Recht. Daher waren die diesbezüglichen Beschwerden wie im Spruch ersichtlich abzuweisen.

2.3. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall sind die Rechtsfragen höchstgerichtlich einheitlich beantwortet, weshalb eine Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern, BGBl. Nr. 279/1995
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100318.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at