Anspruch auf Familienbeihilfe bei Abschluss der Berufsschule nach Ende des Lehrverhältnisses
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2024/16/0025.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe für den Zeitraum April bis September 2022 zum Ordnungsbegriff ***OB*** zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe nur mehr für die Monate August und September 2022 ausgesprochen wird.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
A. Antrag, Abweisungsbescheid, Beschwerde, Ersuchen um Ergänzung
Am hat der Beschwerdeführer die Gewährung von Familienbeihilfe für seinen Sohn, ***Sohn*** (geboren am ***GebDat***), für den Zeitraum April bis September 2022 beantragt. Hintergrund sei die in diesem Zeitraum noch andauernde Berufsausbildung von ***Sohn***. Beiliegend wurde ein Schreiben der WKO vom übermittelt, wonach ***Sohn*** im August bzw. September 2022 zu den theoretischen und praktischen Teilen der Lehrabschlussprüfung angemeldet sei.
Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Familienbeihilfe abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die Anmeldung von ***Sohn*** für die Lehrabschlussprüfung zu spät erfolgt sei, weshalb keine Auszahlung von Familienbeihilfe erfolgen könne.
Mit Eingabe vom hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den obig angeführten Bescheid erhoben. Begründend wurde wie folgt ausgeführt:
[…] Ich berufe mich auf mein Schreiben samt Anhang vom . Da ich darauf nach 8.Monaten !!!! keine Antwort erhalten habe fragte ich im April dieses Jahres Tel. nach. Wo mir der Empfang bestätigt wurde welcher aber wegen angeblicher Überlastung nicht bearbeitet werden konnte. So wurde mir geraten einen neuen Antrag zu stellen und mich in Geduld zu üben!! Was ich dann wie ersichtlich tat. So möchte ich festhalten das ich nicht nur wie Abweisungsbescheid angeführt am den Antrag eingebracht habe sondern erstmalig im Aug.2022!!!! Bitte um Korrektur und Anerkennung. […]
Mit Schreiben vom hat das belangte Finanzamt um die Übermittlung von weiteren Informationen/Unterlagen gebeten. Konkret wurde wie folgt ausgeführt:
Lt. Aktenlage absolvierte Ihr Sohn bis eine Lehrausbildung. Wurde diese Lehrausbildung neuerlich verlängert? Wenn ja, bitte den betreffenden Ausbildungsvertrag vorlegen. Wenn nein, wird ein Nachweis benötigt, wann genau die Zulassung zur Lehrabschlussprüfung beantragt wurde (aus dem Schreiben der WKO vom nicht ersichtlich).
Im Rahmen der Beantwortung vom hat der Beschwerdeführer eine E-Mail übermittelt, aus der ersichtlich ist, dass die Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung am erfolgt ist. Zudem geht aus der E-Mail hervor, dass ***Sohn*** die Jahresklasse Büro am positiv abschließen werde.
B. Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Begründend wurde - unter Verweis auf die Rechtsgrundlage des § 2 Abs. 1 lit. b bis e Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ("FLAG 1967") wie folgt ausgeführt:
Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (jedenfalls) alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom , 2006/15/0076, und vom , 2008/13/0127).
Bei der Absolvierung einer Lehre besteht grundsätzlich für die aufrechte Dauer des Lehrverhältnisses Anspruch auf Familienbeihilfe. Gemäß § 14 Berufsausbildungsgesetz 1969 endet das Lehrverhältnis mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit. Für die Zeit zwischen Beendigung des Lehrverhältnisses bis zur Absolvierung der LAP besteht (im Einklang mit der Judikatur des VwGH, des UFS sowie des BFG) ein Anspruch auf Familienbeihilfe nur unter der Voraussetzung, dass der Lehrling (Prüfungswerber) im Sinne des § 23 Abs. 2 BAG zeitgerecht die Zulassung zur LAP beantragt (§ 23 Abs. 2 BAG) hat.
Lt. dem Ausbildungsvertrag vom betr. die Ausbildung Ihres Sohnes zum Bürokaufmann bei der WIFI ÖFA GmbH, 4020 Linz, Wiener Straße 150 endete die tatsächliche Ausbildungszeit am . Mittels E-Mail vom erfolgte dann die Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung am , welche im Schreiben der WKO-Lehrlingsstelle vom bestätigt wurde.
Da die Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung nicht bereits vor dem Lehrzeitende () erfolgte, besteht ab April 2022 kein Anspruch auf Familienbeihilfe (vgl. GZ. RV/0306-W13).
Mit Eingabe vom hat der Beschwerdeführer die Vorlageder Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragt.
Begründend wurde wie folgt ausgeführt:
Laut Ausbildner BFI liegt kein Versäumnis bezüglich Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung vor. Begründet das das Lehrverhältnis schon im März endete und seitens der Wirtschaftskammer keine Termine vor Mai vergeben werden wäre eine Anmeldung gar nicht möglich gewesen. Zudem auch noch die schulische Ausbildung erst mit Juli 2023 endete. Es sollte jetzt daraus hingegen den üblich im Sommer beginnenden Lehrverträgen kein Nachteil entstehen.
C. Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht
Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Anschreiben vom wurde der Beschwerdeführer um Übermittlung von weiteren Unterlagen/Informationen betreffend den Berufsschulbesuch, den Ausbildungsvertrag sowie die Lehrabschlussprüfung von ***Sohn*** ersucht.
Im Rahmen des Schreibens vom wurden durch den Beschwerdeführer unter anderem die folgenden Unterlagen für ***Sohn*** übermittelt:
Jahres- und Abschlusszeugnis vom
Bestätigung über die erfolgreiche Ablegung der Lehrabschlussprüfung am
Mit Anschreiben vom wurden diese Unterlagen an das belangte Finanzamt zur Stellungnahme übermittelt.
Im Rahmen der Stellungnahme vom wurde durch das belangte Finanzamt mitgeteilt, dass weiterhin die Abweisung der Beschwerde beantragt werde. ***Sohn*** habe die Zulassung zur LAP nicht zeitgerecht (d.h. vor Ende der Lehrzeit) beantragt, es bestehe somit seit dem April 2022 kein Anspruch auf Familienbeihilfe mehr.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Sohn des Beschwerdeführers, ***Sohn***, ist am ***GebDat*** geboren und hat somit am ***Datum*** das 18. Lebensjahr vollendet. ***Sohn*** hat eine Lehre zum Bürokaufmann absolviert, der zugrundeliegende Lehrvertrag (und somit das Lehrverhältnis) hat am geendet. Die dritte und letzte Klasse der Berufsschule hat ***Sohn*** am erfolgreich abgeschlossen.
Die Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung ist am erfolgt, die Lehrabschlussprüfung wurde schließlich am erfolgreich abgelegt. Der Beschwerdeführer hat die Gewährung der Familienbeihilfe für seinen Sohn ***Sohn*** für den Zeitraum April bis September 2022 beantragt.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zu den Daten des Sohnes des Beschwerdeführers (Name, Geburtsdatum) ergeben sich aus dem Antrag bzw. dem angefochtenen Bescheid. Die Feststellung, dass ***Sohn*** eine Lehre zum Bürokaufmann absolviert und der entsprechende Lehrvertrag am geendet hat, ergibt sich aus dem zwischen der WIFI ÖFA GmbH als Ausbildungseinrichtung, der Jugend am Werk GmbH als Berufsausbildungsassistenz und ***Sohn*** als Lehrling am abgeschlossenen Ausbildungsvertrag gemäß § 8b Abs. 1 BAG. Aus diesem Ausbildungsvertrag ergibt sich außerdem, dass ***Sohn*** zum Besuch der Berufsschule verpflichtet war.
Die Feststellung zum Datum der Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung ergibt sich aus der im Akt einliegenden E-Mail vom , die von der für ***Sohn*** zuständigen Sachbearbeiterin der Jugend am Werk GmbH an die zuständige Stelle der Wirtschaftskammer übermittelt wurde.
Das Datum der Lehrabschlussprüfung sowie die erfolgreiche Ablegung dieser Prüfung ergibt sich aus der vom Beschwerdeführer übermittelten Bestätigung der Wirtschaftskammer Oberösterreich.
Der Antragszeitraum ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Familienbeihilfe.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)
A. Rechtliche Grundlagen
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 220/2021 lautet auszugsweise:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
[…]
b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. […]
d) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und volljährige Kinder, die erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5) und die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für vier Monate nach Abschluss der Schulausbildung; im Anschluss daran für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und volljährige Kinder, die erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5) und die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bis zum Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird,
[…]
§ 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 idF vor BGBl. I Nr. 220/2021 lautet:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
[…]
für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird; für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem ehestmöglichen Beginn eines Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd für längstens drei Monate,
§ 55 Abs. 52 FLAG 1967 lautet auszugsweise:
§§ 2 Abs. 1 lit. d und 6 Abs. 2 lit. b in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 220/2021 treten mit in Kraft. […]
§ 8b BAG lautet auszugsweise:
(1) Zur Verbesserung der Eingliederung von benachteiligten Personen mit persönlichen Vermittlungshindernissen in das Berufsleben kann am Beginn oder im Laufe des Lehrverhältnisses im Lehrvertrag eine gegenüber der für den Lehrberuf festgesetzten Dauer der Lehrzeit (§ 7 Abs. 1 lit. b) längere Lehrzeit vereinbart werden. Die sich auf Grund der Lehrberufsliste ergebende Lehrzeit kann um höchstens ein Jahr, in Ausnahmefällen um bis zu zwei Jahre, verlängert werden, sofern dies für die Erreichung der Lehrabschlussprüfung notwendig ist.
[…]
(13) Personen, die eine Berufsausbildung gemäß § 8b oder § 8c absolvieren, gelten als Lehrlinge im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes, BGBl. Nr. 376/1967, im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, im Sinne des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes (IESG), BGBl. Nr. 324/1977 und im Sinne des Einkommensteuergesetzes. Dies gilt weiters für Personen, die sich in einer diesen Ausbildungen vorgelagerten Berufsorientierungsmaßnahme befinden, bis zum Ausmaß von sechs Monaten einer solchen Berufsorientierungsmaßnahme. Personen, die im Rahmen einer Berufsausbildung gemäß Abs. 1 ausgebildet werden, sind hinsichtlich der Berufsschulpflicht Lehrlingen gleichgestellt. […]
§ 14 Abs. 1 BAG lautet:
Das Lehrverhältnis endet mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit.
§ 23 BAG lautet auszugsweise:
(1) Zur Lehrabschlußprüfung im erlernten oder in einem verwandten Lehrberuf sind unter der Voraussetzung, daß die im Abs. 3 geforderten Nachweise erbracht werden, zuzulassen:
a) Lehrlinge;
[…]
(2) Die Zulassung zur Lehrabschlußprüfung ist im Fall des Abs. 1 lit. a bei der für den Lehrbetrieb (die Ausbildungsstätte) des Lehrlings örtlich zuständigen Lehrlingsstelle frühestens sechs Monate vor Beendigung der festgesetzten Lehrzeit, sonst nach Wahl des Prüfungswerbers entweder bei der nach dem Arbeitsort oder bei der nach dem Wohnort des Prüfungswerbers örtlich zuständigen Lehrlingsstelle zu beantragen. […]
B. Erwägungen
Um von einer Berufsausbildung sprechen zu können, ist außerhalb des im § 2 Abs. 1 lit b FLAG besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung im Sinn des § 3 des Studienförderungsgesetzes nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das ernstliche, zielstrebige und nach außen erkennbare Bemühen um einen Ausbildungserfolg erforderlich. Ziel einer Berufsausbildung in diesem Sinn ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Berufsausbildung liegt daher nur dann vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die erfolgreiche Absicht tatsächlich gelingt. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist festzuhalten, dass sich die Berufsausbildung im Lehrberuf Veranstaltungstechnik im Beschwerdefall jedenfalls auf die Dauer eines Lehrverhältnisses und des Berufsschulbesuches erstreckt. Die anschließende Zeit bis zur Lehrabschlussprüfung ist dann zur Berufsausbildung zu zählen, wenn der Prüfungswerber das in der Rechtsprechung geforderte ernstliche und zielstrebige Bemühen erkennen lässt. Dies ist der Fall, wenn er zeitgerecht (§ 23 Abs. 2 BAG) die Zulassung zur Lehrabschlussprüfung beantragt ( mwN zur Rechtsprechung des VwGH).
Dass unter eine Berufsausbildung auch das "duale System" der Ausbildung zu einem anerkannten Lehrberuf fällt, ergibt sich auch aus § 5 Abs. 1 lit. b FLAG, wonach Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis nicht in den einen Anspruch auf Familienbeihilfe verwirkenden Betrag an zu versteuerndem Einkommen zu zählen sind ().
Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass das anspruchsvermittelnde Kind des Beschwerdeführers (***Sohn***) zwar seine Lehrzeit am beendet, die (verpflichtend zu absolvierende) Berufsschule allerdings erst am erfolgreich abgeschlossen hat. Dass der Sohn des Beschwerdeführers keine "klassische" Lehrlingsausbildung, sondern eine Ausbildung gemäß § 8b Abs. 1 BAG absolviert hat, schadet - aufgrund der obig zitierten Norm des § 8b Abs. 13 BAG, wonach "Personen, die eine Berufsausbildung gemäß § 8b oder § 8c absolvieren" für Zwecke der Anwendung des FLAG als Lehrlinge gelten - nicht.
Dass die vom Sohn des Beschwerdeführers absolvierte Ausbildung in einem anerkannten Lehrberuf dem Grunde nach einen Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 zu begründen vermag, ergibt sich aus der obig zitierten Rechtsprechung des VwGH. Fraglich ist lediglich, ob die Dauer des Familienbeihilfebezuges mit dem Ende des Lehrverhältnisses (d.h. mit März 2022), mit dem Ende des Berufsschulbesuches (d.h. mit Juli 2022) oder mit einem noch späteren Datum begrenzt ist.
Gemäß der obig zitierten Rechtsprechung des VwGH erstreckt sich die Dauer der Berufsausbildung "jedenfalls auf die Dauer des Lehrverhältnisses und des Berufsschulbesuches". Dass an die Zeit zwischen dem Ende des Lehrverhältnisses und dem Ende des Berufsschulbesuches zusätzliche Anforderungen qualitativer oder quantitativer Natur zu stellen wären, kann der Rechtsprechung des VwGH nicht entnommen werden.
Es ist somit festzuhalten, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe jedenfalls bis zum Ende des Berufsschulbesuches und somit bis inklusive Juli 2022 zu Recht besteht. Diesbezüglich ist auf die Norm des § 10 Abs. 2 FLAG 1967 zu verweisen, wonach der Anspruch auf Familienbeihilfe erst mit Ablauf des Monats erlischt, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt. Da - wie vom belangten Finanzamt korrekt ausgeführt und auch dem festgestellten Sachverhalt entsprechend - die Anmeldung zur Lehrabschlussprüfung erst am und somit nach dem Ende der Lehrzeit erfolgt ist, scheidet die Gewährung von Familienbeihilfe auch für die Monate August und September 2022 (d.h. bis zur erfolgreichen Absolvierung der Lehrabschlussprüfung) aus dem Titel des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 aus. Dies entspricht auch der - obig zitierten - Rechtsprechung des VwGH.
Fraglich ist nun noch, ob die obig zitierte Norm des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 220/2021 einen über Juli 2022 hinausgehenden Anspruch auf Familienbeihilfe, und zwar für vier Monate nach Abschluss der Schulausbildung, eröffnet. Diese Bestimmung ist - gemäß der ebenfalls zitierten Vorschrift des § 55 Abs. 52 FLAG 1967 - mit in Kraft getreten. Begründet wurde die Änderung des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 wie folgt (entnommen dem Stenographischen Protokoll zur 137. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich am , XXVII. Gesetzgebungsperiode - https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/NRSITZ/137/fname_1438187.pdf, abgerufen am ):
Grundvoraussetzung für die Gewährung der Familienbeihilfe für volljährige Kinder ist, dass sie sich in Berufsausbildung befinden. Wird eine Berufsausbildung beendet, fällt der Anspruch auf die Familienbeihilfe weg. Als Altersgrenze für die Gewährung der Familienbeihilfe ist die Vollendung des 24. Lebensjahres festgelegt, wobei einige Ausnahmen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres vorgesehen sind (zB für erheblich behinderte Kinder nach § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG 1967).
Die Familienbeihilfe wird auch für Zeiten zwischen dem Abschluss einer Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn einer weiteren Berufsausbildung gewährt (sogenannte "Zwischenzeiten"), um Unterbrechungen des Familienbeihilfenbezuges zu vermeiden. Die Eltern sind nämlich in der Regel auch für diese Zeiten verpflichtet, den Unterhalt für die Kinder zu leisten. Diese Regelung verursacht einen hohen Verwaltungsaufwand für das Finanzamt Österreich, da dieses verschiedene Prüfschritte zu setzen hat, um den Familienbeihilfenanspruch zu verlängern.
Es ist ein Anliegen der Bundesregierung, den Verwaltungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger sowie auch für das Finanzamt Österreich zu minimieren bzw. möglichst effizient auszugestalten. Wie oben dargelegt, ist die Prüfung der sogenannten "Zwischenzeiten" für die Finanzverwaltung sehr aufwändig und belastet auch die Bürgerinnen und Bürger.
Abhilfe soll dadurch geschaffen werden, als nach dem Abschluss der Schulausbildung ein weiterlaufender Familienbeihilfenanspruch von vier Monaten festgelegt werden soll, unabhängig davon, ob nachher eine Berufsausbildung absolviert wird.
Diese Regelung ist im Zusammenhang mit der geplanten automatisierten Anspruchsüberprüfung bzw. -verlängerung des Familienbeihilfenbezuges auf Basis externer Daten aus dem Datenverbund der Universitäten und Hochschulen von Studierenden zu betrachten (siehe auch Ausführungen zu Z 4; § 46a Abs. 2 Z 4 FLAG 1967). Es kann folgender Beispielsfall angeführt werden:
Ablegung der Matura im Juni 2022; dann Anspruch auf die Familienbeihilfe für vier Monate bis inklusive Oktober 2022. Wird keine weitere Berufsausbildung absolviert, endet der Anspruch mit Oktober 2022. Wird ab Oktober ein Studium betrieben kann die Familienbeihilfe durchgehend automatisiert weitergewährt werden, zumal ein Studium eine für die Gewährung der Familienbeihilfe erforderliche Berufsausbildung darstellt und der Studienbeginn aus dem Datenverbund der Universitäten und Hochschulen an das Finanzamt Österreich gemeldet wird.
Der in Rede stehende Bezugszeitraum wurde deshalb mit vier Monaten bemessen, um zu gewährleisten, dass die externen Daten aus dem Datenverbund der Universitäten und Hochschulen vorliegen, um eine automationsunterstützte Weitergewährung der Familienbeihilfe zu ermöglichen.
Die Regelung soll erstmals unter Berücksichtigung der Implementierung der technischen Voraussetzungen ab zur Anwendung kommen.
Wie aus den obig zitierten Begründungen ersehen werden kann, hatte der Gesetzgeber bei der Neuregelung jenen Fall vor Augen, dass ein anspruchsvermittelndes Kind nach Ablegung der Matura ab dem daran anschließenden Semester ein Studium an einer Universität bzw. Fachhochschule beginnt. Dies ergibt sich erstens aus dem angeführten Beispiel und zweitens aus dem explizit genannten Zusammenhang mit der "geplanten automatisierten Anspruchsüberprüfung bzw. -verlängerung des Familienbeihilfenbezuges auf Basis externer Daten aus dem Datenverbund der Universitäten und Hochschulen von Studierenden". In derartigen Fällen soll es - aufgrund der geplanten Automatisierung - zur standardmäßigen Weitergewährung von Familienbeihilfe für vier Monate kommen. Dass der Gesetzgeber durch diese Neuregelung auch Fälle wie den gegenständlichen (d.h. die Weitergewährung der Familienbeihilfe für vier Monate nach erfolgreicher Absolvierung der Berufsschule) erfassen wollte, kann den Begründungen zur Gesetzesänderung nicht entnommen werden. Zudem hat sich der Gesetzgeber explizit des Begriffes "Abschluss der Schulausbildung" (und nicht "Abschluss der Berufsausbildung") bedient. Der Gesetzgeber dürfte gemäß den obig zitierten Begründungen unter dem Begriff "Abschluss der Schulausbildung" eine "Schulausbildung" verstehen, die mit Matura abgeschlossen wird (siehe zu diesen bereits in der alten Rechtslage verwendeten Begriffen auch Hebenstreit/Lenneis/Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. (2020), § 2, Rz 118, wonach die "Schulausbildung" - verstanden als engerer Begriff einer "Berufsausbildung" - jedenfalls auch eine "Berufsausbildung" sein kann, während nicht jede "Berufsausbildung" als "Schulausbildung" angesehen werden kann). Dies erscheint schlüssig. Die Berufsschule ist im Rahmen des "dualen Systems" zur Ausbildung in einem anerkannten Lehrberuf zu absolvieren, sie steht demnach - im Unterschied zu einer höheren Schule, die mit Matura abgeschlossen wird - nicht "alleine da", sondern ist in eine Ausbildung zu einem konkreten Lehrberuf eingebettet. Es erscheint aufgrund dieses faktischen Unterschieds somit sachgerecht, den Besuch der Berufsschule als Teil der Berufsausbildung - und somit nicht als Schulausbildung im engeren Sinn - zu qualifizieren.
Nichts anderes ergibt sich aus der obig zitierten Entscheidung des VwGH zur Geschäftszahl 2011/16/0077. Im Rahmen dieser Entscheidung hat der VwGH eine Weitergeltung des Anspruches auf Familienbeihilfe für drei Monate nach dem Ende der Berufsschule gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 bejaht. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 in der damalig anwendbaren Fassung explizit vom "Abschluß der Berufsausbildung" gesprochen hat und sich somit von der Formulierung der für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Fassung ("Abschluss der Schulausbildung", siehe die obig zitierte Norm) unterscheidet.
Im Ergebnis ist somit nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der für den gegenständlichen Fall anwendbaren Norm des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 220/2021 eine Weitergeltung des Anspruchs auf Gewährung von Familienbeihilfe in Fällen wie dem vorliegenden normieren wollte. Der Anspruch auf Familienbeihilfe besteht somit bis inklusive Juli 2022.
Auf Basis der obigen Ausführungen war der angefochtene Bescheid somit dahingehend abzuändern, dass die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe nur für die Monate August und September 2022 ausgesprochen wird.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das gegenständliche Erkenntnis folgt der obig zitierten Rechtsprechung des VwGH. Die Frage, ob die Norm des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 220/2021 auch in Fällen wie dem gegenständlichen (d.h. Abschluss der Berufsschule nach dem Ende des Lehrverhältnisses) einen Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelt, wurde nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes sowie dem in den Begründungen des Gesetzgebers zur Gesetzesänderung dargelegten Erwägungen gelöst. Im Ergebnis war somit das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu verneinen.
Linz, am
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100719.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at