Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.01.2024, RV/5100769/2022

Indexierung Familienbeihilfe/Kinderabsetzbetrag

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals: Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr) vom betreffend Familienbeihilfe 01.2019-08.2021 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf) erzielte im Streitzeitraum in Österreich nichtselbstständige Einkünfte. Am ist vom Bf das Formular zur Überprüfung des Anspruchs auf Familienbeihilfe beim Finanzamt eingelangt. Weiters wurden dem Formular eine Kindergartenbestätigung, Bestätigung über das Arbeitsverhältnis sowie das Formular E 401 beigelegt (ON 1). Der Bf brachte am den Antrag vom auf volle nichtindexierte Familienbeihilfe beim Finanzamt ein (ON 2).

Dieser Antrag wurde vom Finanzamt mittels Abweisungsbescheid vom dahingehend erledigt, dass sich das Kind ständig in Tschechien aufhält und die Beträge an Familienbeihilfe an das Preisniveau des Wohnortstaates anzupassen sind (Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag EU-Anpassungsverordnung BGBI. II Nr. 318/2018) (ON 3). Der Zustellversuch für den Abweisungsbescheid erfolgte am . Da der Bf nicht anzutreffen war, wurde der Bescheid in die Abgabeeinrichtung eingelegt (ON 4).

Am brachte der Bf fristgerecht die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid vom ein, die lt. belangter Behörde unzweifelhaft als gegen diesen Bescheid gerichtet zu werten ist. In der Beschwerde ersucht der Bf um volle nichtindexierte Familienbeihilfe unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der EU sein Kind lebt (ON 5).

Die Beschwerde wurde vom Finanzamt mittels Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom als unbegründet abgewiesen (ON 6). Daraufhin brachte der Bf am fristgerecht einen Vorlageantrag ein (ON 7). Am wurde ein Vorhalt an den Bf übermittelt, um abzuklären, ob er einer Aussetzung gem § 271 BAO zustimmt (ON 8). Nachdem dagegen keine Einwände erhoben wurden, hat die belangte Behörde am den Bescheid betreffend Aussetzung der Beschwerde vom erlassen (ON 9).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom , C-328/20 sinngemäß ausgesprochen, dass Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem Mitgliedstaat wohnen, exakt jenen entsprechen müssen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.

Nach Entscheidung des EuGH über die oben genannte Rechtsfrage wird das ausgesetzte Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Die Nachzahlung für die Tochter ***K1*** (geb.: ***Dat***) erfolgte am für den Zeitraum 01/2019 bis 08/2021 (ON 10).

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Am wurde vom Bf, der als Tscheche Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist, für seine Tochter ein Antrag auf nicht indexierte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag gestellt. Die indexierte Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag wurden überwiesen. Das Kind ***K1*** wohnt tatsächlich in Tschechien und nicht in Österreich. Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Gewährung (ab bis laufend) des Differenzbetrages zwischen der indexierten Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag sowie den nicht indexierten Beträgen abgewiesen. Streitgegenständlich ist somit der angeführte Differenzbetrag.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen sowie den von der belangten Behörde elektronisch vorgelegten Unterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

§ 8a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) lautet:

(1) Die Beträge an Familienbeihilfe (§ 8) für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mit gliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, sind auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen.

(2) Die Beträge an Familienbeihilfe nach Abs. 1 gelten erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte nach Abs. 1. Die Beträge sind in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.

(3) Die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend oder der Bundesminister für Frauen, Familien und Jugend hat gemeinsam mit der Bundesministerin für Finanzen oder dem Bundesminister für Finanzen die Berechnungsgrundlagen und die Beträge nach Abs. 1 und 2 sowie die Beträge nach § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 mit Verordnung kundzumachen.

§ 33 Abs. 3 EStG 1988lautet:

Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Abweichend davon gilt:

1. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu.

2. Für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, ist die Höhe des Kinderabsetzbetrages auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:

a) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.

b) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist gemäß § 8a Abs. 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 kundzumachen.

Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

§ 13 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) lautet:

Über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe hat das Finanzamt Österreich zu entscheiden. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.

Die Europäische Kommission brachte beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Vertragsverletzungsklage gegen die Republik Österreich ein und beantragte, festzustellen, dass

- die Republik Österreich durch die Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4, 7 und 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1) sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1) verstoßen hat und

- die Republik Österreich durch die Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag für Wanderarbeitnehmer, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßen hat.

Mit erkannte dieser für Recht und entschied wie folgt:

1. Die Republik Österreich hat durch die - auf die Änderung von § 8a des Bundesgesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen vom in der durch das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung und von § 33 des Bundesgesetzes über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen vom in der durch das Jahressteuergesetz 2018 vom und das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung zurückgehende - Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union verstoßen.

2. Die Republik Österreich hat durch die - auf die Änderung von § 8a des Bundesgesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen vom in der durch das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung und von § 33 des Bundesgesetzes über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen vom in der durch das Jahressteuergesetz 2018 vom und das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung zurückgehende - Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag für Wanderarbeitnehmer, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßen.

Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig ob sie früher oder später als das Unionsrecht ergangen ist, - falls eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist - aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt. Nationales Recht, das im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, ist verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängung darf also bloß jenes Ausmaß umfassen, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. ).

Der Spruch des EuGH-Erkenntnisses stellt eindeutig fest, dass die Indexierung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages den unionsrechtlichen Bestimmungen widerspricht. Die Herstellung des unionsrechtskonformen Zustandes ist nur dadurch möglich, dass die Indexierungsbestimmungen des § 8a FLAG 1967 und des § 33 Abs. 3 Z. 2 EStG 1988 auf die verfahrensgegenständlichen Ansprüche der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages nicht angewendet werden.

Insoweit einem Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist gem. § 13 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) ein Bescheid zu erlassen.

Nach § 13 zweiter Satz FLAG hat ein Bescheid daher nur dann zu ergehen, wenn einem Antrag auf Familienbeilhilfe nicht oder nicht vollinhaltlich stattgegeben wird. Die Stattgabe eines Antrags auf Familienbeihilfe erfolgt durch deren Gewährung (Auszahlung). Das Bundesfinanzgericht darf daher bei Stattgabe der Beschwerde den abweisenden Bescheid des Finanzamts nicht abändern, sondern hat diesen ersatzlos zu beheben (vgl. ).

Infolge stattgebender Erledigung des Antrages vom erfolgte am eine Nachzahlung der Differenzbeträge für die Tochter ***K1*** für den Zeitraum 01/2019 bis 08/2021.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der gegenständlich zu lösenden Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil diese vom EuGH bereits geklärt wurde und sich das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes auch auf die angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stützen konnte.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100769.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at