Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.01.2024, RV/5100398/2023

Verlängerung der Anspruchsdauer aufgrund der COVID-19-Krise.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe für den Zeitraum 03-12/2022 zum Ordnungsbegriff ***OB*** zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe nur mehr betreffend die Monate Oktober bis Dezember 2022 abgewiesen wird.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

A. Antrag, Abweisungsbescheid, Beschwerde

Mit Antrag vom wurde durch den Beschwerdeführer die Gewährung der Familienbeihilfe für seine Tochter, ***T*** (geboren am ***GebDat***), für den Zeitraum März bis Dezember 2022 beantragt.

In einem den Antrag ergänzenden Schreiben wurde wie folgt ausgeführt:

Der Antrag bezieht sich auf die Monate März 2022 bis einschließlich Oktober 2022.

Im März 2022 wurde die Leistung der Familienbeihilfe eingestellt, obwohl sich gemäß § 2 Abs. 9 lit. b FamLAG die Anspruchsdauer infolge der COVID-Krise um ein weiteres Semester verlängert hat.

Es ist offenkundig, dass die sog. COVIDKRISE von 2020 bis etwa Frühling 2022 gedauert hat und auch Studenten, die erst mit WS 2020 das Studium begonnen haben, davon betroffen waren.

Deshalb besteht ein Anspruch im obig angeführten Zeitraum.

Im Fall der Abweisung begehre ich einen Bescheid.

FG ***Bf***

Mit Bescheid vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Familienbeihilfe abgewiesen.

Begründend wurde wie folgt ausgeführt:

Familienbeihilfe steht für volljährige Studierende unter folgenden Voraussetzungen zu:

  1. Das Kind hat das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet

  2. Das Kind besucht eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung

  3. Das Kind ist ordentliche Studierende oder ordentlicher Studierender

  4. Das Kind befindet sich innerhalb der vorgesehenen Studienzeit

Diese Voraussetzungen treffen bei Ihrem Kind nicht zu (§ 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Der 1. Studienabschnitt des Rechtswissenschaftsstudiums Ihrer Tochter endete mit Ende des Wintersemesters 2022. Der 1. Studienabschnitt kann nicht wegen Covid um 1 Semester verlängert werden, da das Studium erst im Wintersemester 2020 begonnen wurde. Das Covid-Semester, das zu einer Verlängerung der Studiendauer führt ist das Sommersemester 2020.

Gegen diesen Abweisungsbescheid wurde durch den Beschwerdeführer mit Eingabe vom Beschwerde erhoben.

Begründend wurde wie folgt ausgeführt:

Ab März 2022 wurde die Leistung der Familienbeihilfe mitder Begründung eingestellt, dass meine Tochter ***T*** den ersten Studienabschnitt des Studiums derRechtswissenschaften (Mindeststudiendauer 2 Semester)nach 3 Semestern noch nicht abgeschlossen habe. Ab Jänner2023 setzte die Leistung der Familienbeihilfe wieder ein,nachdem meine Tochter im Jänner 2023 den erstenStudienabschnitt erfolgreich abschließen konnte. Nachdemdie Leistung der Familienbeihilfe eingestellt worden war,habe ich (Beschwerdeführer) einen Antrag auf Leistung derFamilienbeihilfe ab März 2022 eingebracht. Ich brachte vor,dass in Bezug auf die Familienbeihilfe meiner Tochter nochdas Covid-19-Verlängerungssemester gemäß § 2 Abs 9 FLAGins Kalkül zu ziehen sei, sodass sich eine Verlängerung desFamilienbeihilfenbezuges zumindest bis zum September2022 (einschließlich) ergebe. Im abweisenden Bescheid desFA Österreichs heißt es: Der 1. Studienabschnitt kann nichtwegen Covid um 1 Semester verlängert werden, da das Studium erst im Wintersemester 2020 begonnenwurde. DasCovid-Semester, das zu einer Verlängerung der Studiendauerführt, ist das Sommersemester 2020. Dagegen bringe ichvor: Die Covid 19 Krise hat offenbar lange über dasSommersemester 2020 hinaus bis in den Frühling 2022angedauert und meine Tochter war wiederholt von Covid 19bedingten Erschwernissen und Einschränkungen beimStudium betroffen, wie insbesondere distance learning undeingeschränktem Zugang zur Bibliothek. Die angezogeneBestimmung ist auch auf Studierende anzuwenden, die dasStudium erst im WS 2020/21 begonnen haben (so auchENTSCHEIDUNG DES BUNDESFINANZGERICHTS zuRV/6100200/2022), sodass unter Einbeziehung des sogCovid-Verlängerungssemesters eine Berechtigung zum Bezugder Familienbeihilfe bis zum September 2022 besteht. Daherbegehre ich die Abänderung des Bescheides, dassFamilienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für die Monate März2022 bis Sept. 2022 gewährt werden. ***Bf***

Als Beilage zur dieser Beschwerde wurde eine Studienerfolgsbestätigung betreffend ***T*** übermittelt.

B. Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Begründet wurde die Abweisung wie folgt:

Gemäß § 2 Abs 9 lit b FLAG 1967 verlängert sich der Anspruch auf Familienbeihilfe fürvolljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtungbesuchen, abweichend von lit a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nachAbs. 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein weiteres Semester oder um einweiteres Ausbildungsjahr, bei einem vor Erreichung der Altersgrenze begonnenen Studiuminfolge der COVID-19-Krise.

Die Tochter hat mit WS 2020/21 das Diplomstudium "Rechtswissenschaften" an der JKU Linzbegonnen. Der Studienerfolgsnachweis wurde erbracht. Die vorgesehene Mindeststudiendauer für den 1. Abschnitt beträgt 3 Semester (max ZP wäre 02/2022).Die 1. Diplomprüfung wurde am abgelegt.

Eine Weiterverlängerung um 1 Covid-Semester ab 03/2022 kommt bei der Tochter nicht zurAnwendung, da sie im SS 2020 kein Studium betrieben hat.Das Familienministerium (BKA) sieht nur das Sommersemester 2020 als Covid-Semester an.

Mit Eingabe vom wurde durch den Beschwerdeführer ein Vorlageantrag eingebracht.

Begründet wurde dieser wie folgt:

Mit Beschwerdevorentscheidung vom zu meiner Beschwerde vom (Gewährung Familienbeihilfe für meine Tochter ***T*** für den Zeitraum 03/2022 bis 09/2022 aufgrund Verlängerung des Anspruchs gemäß § 2 Abs 9 lit b FLAG 1967) wurde meine Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Finanzamt Österreich begründete dies mit der Rechtsansicht des Familienministeriums, der gemäß nur das Sommersemester 2020 als Covid-Semester anzusehen sei. Diese Ansicht ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

1. Die Covid Krise und die dadurch verursachten Einschränkungen und Erschwernisse beim Studium dauerten bis in das Jahr 2022 hinein an. Dies ist offenkundig und bedarf keines gesonderten Beweises.

2. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Verlängerung des Anspruchs auf Familienbeihilfe nur jene Studierenden betrifft, die schon im SS 2020 an einer Uni inskribiert waren, hätte der Gesetzgeber dies auch so formuliert. Es gibt keinen Grund dafür, den an sich klarenWortlaut des Gesetzes so einschränkend zu interpretieren.Weiters verweise ich auf die Ausführungen in meinerBescheidbeschwerde und beantrage diese (samt meinenAusführungen im Vorlageantrag) dem Bundesfinanzgerichtzur Entscheidung vorzulegen.

FG ***Bf***

C. Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht

Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer beantragt die Gewährung von Familienbeihilfe für seine Tochter, ***T*** (geboren am ***GebDat***), für den Zeitraum März bis Dezember 2022 (im Zuge der Beschwerde eingeschränkt auf März bis September 2022). ***T*** hat im Wintersemester 2020/2021 (d.h. ab Oktober 2020) an der JKU Linz mit dem Diplomstudium "Rechtswissenschaften" begonnen. Dieses Studium ist in zwei Studienabschnitte geteilt, wobei der erste Studienabschnitt zwei Semester (44 ECTS-Punkte und der zweite Studienabschnitt sechs Semester (172 ECTS-Punkte zuzüglich "freie Studienleistungen" im Ausmaß von 24 ECTS-Punkten) dauert.

***T*** hat den ersten Studienabschnitt am beendet. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden - nach Semestern gegliedert - insgesamt Lehrveranstaltungen/Prüfungen im Wert von 51 ECTS-Punkten absolviert:

  1. Wintersemester 2020/2021 - 8 ECTS-Punkte

  2. Sommersemester 2021 - 17,5 ECTS-Punkte

  3. Wintersemester 2021/2022 - 5 ECTS-Punkte

  4. Sommersemester 2022 - 6,5 ECTS-Punkte

  5. Wintersemester 2022/2023 - 14 ECTS-Punkte

Dem Beschwerdeführer wurde bis 02/2022 sowie ab 01/2023 Familienbeihilfe für ***T*** gewährt. Durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie war der Studienbetrieb an den österreichischen Universitäten auch nach dem Sommersemester 2020 beeinträchtigt. Von diesen Beeinträchtigungen waren somit auch Studierende betroffen, die erst im Wintersemester 2020/2021 ein Studium begonnen haben.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen betreffend den Antrag sowie die Daten des anspruchsvermittelnden Kindes (Geburtsdatum, Studienbeginn, Studienfach) ergeben sich aus dem Antrag. Die Einschränkung des begehrten Zeitraumes auf März bis September 2022 ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen. Die Feststellung zur Gliederung des Studiums in zwei Studienabschnitte und die jeweilige Dauer eines Studienabschnittes ergeben sich aus § 2 des Curriculums zum Diplomstudium Rechtswissenschaften an der JKU Linz.

Die Feststellungen zu den von ***T*** erreichten ECTS-Punkten sowie der Zuordnung zu den jeweiligen Semestern und die Beendigung des ersten Abschnittes ergeben sich aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Studienerfolgsnachweis der JKU Linz betreffend das anspruchsvermittelnde Kind. Die Feststellung zum Bezugszeitraum ergeben sich aus den Datenbanken der Finanzverwaltung, in die vom erkennenden Richter Einsicht genommen wurde.

Dass der universitäre Betrieb auch nach dem September 2020 (d.h. nach dem Sommersemester 2020) noch durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt war, ergibt sich für den erkennenden Richter vor allem aus den nachstehenden Gründen:

Erstens, aufgrund der "Gesamtsituation" im Zusammenhang mit den Ausgangsbeschränkungen und den damit verbundenen Beeinträchtigungen des universitären Betriebes ab November 2020 bis insbesondere Februar 2021 und dann erneut im November/Dezember 2021:

  1. "Lockdown light" vom bis , dies führt unter anderem zur Schließung von Universtäten und Ausgangsbeschränkungen

  2. "Harter Lockdown" vom bis

  3. Rückkehr zum "Lockdown light" vom bis

  4. "Harter Lockdown" vom bis

  5. "Harter Lockdown" vom mit ersten bundesweit nicht einheitlichen Öffnungsschritten am

Die Daten zur obigen Aufzählung sind dem Corona-Blog der Universität Wien - "Chronologie der Corona-Krise" (https://viecer.univie.ac.at/corona-blog/themenuebersicht/) entnommen.

Zweitens, aufgrund des "Berichtes des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Distance Learning an österreichischen Universitäten und Hochschulen im Sommersemester 2020 und Wintersemester 2020/21" - https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/III/420. In diesem Bericht wird ab Seite 66ff auszugsweise wie folgt ausgeführt:

  1. Sowohl auf Seiten der Studierenden, als auch der Lehrenden, ergab sich ein hoher privater (und finanzieller) Einsatz, um die technischen Voraussetzungen der Studien- und Prüfungsbedingungen zu erfüllen. Gleichwohl ging die Umstellung auf Distance Learning sowohl bei den Lehrenden, als auch bei den Studierenden (Workload pro ECTS-Punkt), mit einem sehr hohen zeitlichen Aufwand einher.

  2. Lehrende waren vor allem in den frühen Phasen der Pandemie mit fehlender technischer Infrastruktur zur Durchführung hochqualitativer Lehre im Homeoffice konfrontiert. Dies ging, was den adäquaten Einsatz von Hard- als auch Software betraf mit einem erhöhten Schulungsbedarf einher. Herausfordernd war hier die Heterogenität der jeweils eingesetzten Geräte und Produkte, was eine generische Anleitung zur Problemlösung erschwerte. Auch hier zeigen die Beiträge jedoch, dass sich die Lage in den späteren Phasen des Betrachtungszeitraums aufgrund von steigender Erfahrung und verbesserter Ausstattung entspannte.

  3. Studierende waren mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie Lehrende. Auch hier zeigten sich vor allem zu Beginn der Pandemie technische Herausforderungen. Die Notwendigkeit der Steigerung des verfügbaren Datenvolumens der (oft mobilen) Internetanbindung schien zumindest für Teile der Studierenden mit erhöhten Kosten einhergegangen zu sein. Spezifisch für diese Gruppe waren auch Herausforderungen bei der Durchführung von Prüfungen, die an manchen Hochschulen mit bestimmten Hardware-Anforderungen (etwa zwei Kameras, Drucker, Scanner) verbunden waren, die nicht bei allen Studierenden vorhanden bzw. einfach beschaffbar waren.

  4. Prüfungen im Distanzmodus bzw. ihre notwendige Umstellung stellten organisatorisch, technisch und rechtlich eine große Herausforderung für österreichische Hochschulen dar. Hier geeignete Lösungen zu finden, ist eine wesentliche Aufgabe für die Zukunft, da derzeit noch kein ausgeprägter Diskurs zum Thema der Distanzprüfungen stattfand. Weiterhin stellen aber insbesondere digitale Massenprüfungen und die damit verbundene digitale Prüfungsaufsicht große Herausforderungen dar und bedeuten vor allem zusätzlichen Stress für Studierende.

  5. Die Anforderungen an die Technik und Ausstattung der Studierenden beim Distance Learning ist teils sehr hoch, entsprechende Strukturen (Finanzierung, Service) fehlen häufig.

  6. Die Pandemie brachte sehr viele Unsicherheiten mit sich, die insbesondere die Studierenden betrafen. Vor allem die Frage, wann der normale Präsenzbetrieb an Hochschulen wiederaufgenommen werden kann, konnte von keiner Seite abschließend beantwortet werden. Die zusätzliche Belastung durch Distance Learning hat die Studierenden im Lehrbetrieb vor besonderen Herausforderungen gestellt. Dadurch zeigte sich sowohl die Wichtigkeit von psychologischen Beratungsangeboten an Hochschulen, als auch des kontinuierlichen Austauschs mit Lehrenden, aber auch den Studienkolleg/inn/en.

  7. Die Studierenden sind durch die COVID-bedingte Umstellung auf Distance Learning mehrfach belastet: Es haben sich die örtlichen, zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie die technischen Voraussetzungen verändert (z.B. Anforderungen an Technik, Internetanschluss, oder dass Einkommen ist nicht mehr gesichert).

Auf Basis der obigen Ausführungen ergibt sich für den erkennenden Richter zweifelsfrei, dass die durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Beeinträchtigungen des universitären Betriebes nicht mit Ende des Sommersemesters 2020 (d.h. ab Oktober 2020) spontan verschwunden sind. Vielmehr waren die Auswirkungen jedenfalls noch im Wintersemester 2020/2021 (nahezu durchgehende Ausgangsbeschränkungen in unterschiedlich strenger Ausprägung von bis und damit verbundene Erschwernisse im Zusammenhang mit "distance learning", Bibliothekszugang und den entsprechenden Prüfungen) und wohl fallweise auch danach noch spürbar. Den Ausführungen des belangten Finanzamtes im Vorlagebericht, dass im WS 2021/22 "die Covid-19-Krise an den Universitäten längst überwunden" war, kann vom erkennenden Richter - nicht zuletzt aus Mangel an diesbezüglichen Nachweisen - nicht gefolgt werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

A. Rechtliche Grundlagen

§ 2 Abs. 1 FLAG 1967 lautet auszugweise:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

[…]

b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert.

[…]

Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird;

[…]

§ 2 Abs. 9 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

Die Anspruchsdauer nach Abs. 1 lit. b und lit. d bis j verlängert sich im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise, unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung durch diese Krise, nach Maßgabe folgender Bestimmungen:

[…]

b) für volljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtung besuchen, abweichend von lit. a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nach Abs. 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein weiteres Semester oder um ein weiteres Ausbildungsjahr, bei einem vor Erreichung der Altersgrenze begonnenem Studium infolge der COVID-19-Krise,

[…]

d) für volljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtung besuchen möchten (Abs. 1 lit. d bis g), abweichend von lit. a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nach Abs. 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein Semester oder um ein Ausbildungsjahr, wenn zum Zeitpunkt der Erreichung der Altersgrenze der Beginn oder die Fortsetzung des Studiums infolge der COVID-19-Krise nicht möglich ist.§ 55 Abs. 45 FLAG 1967 lautet:

§§ 2 Abs. 9 und 6 Abs. 7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 28/2020 treten mit in Kraft.

B. Erwägungen

a) Zeitraum Oktober 2020 bis September 2021

Das erste Studienjahr dauerte vom Oktober 2020 bis September 2021.

Gemäß dem obig zitierten § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 gilt die Aufnahme als ordentlicher Hörer als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Weitere Voraussetzungen sind dem FLAG 1967 nicht zu entnehmen. Für die Berechtigung der Annahme, dass eine Berufsausbildung vorliegt, stellt das FLAG 1967 insofern eine gesetzliche Beweisregel auf, als für Studierende nach dem ersten Studienjahr die Ablegung bestimmter Prüfungen nachzuweisen ist ( unter Verweis auf Hebenstreit/Lenneis/Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 2, Rz 68).

Wird jedoch über die Aufnahme als ordentlicher Hörer hinaus von vorneherein keinerlei Aktivität in Richtung eines Studiums gesetzt, liegt auch noch keine Berufsausbildung vor ().

Davon kann im Falle von ***T*** keine Rede sein. Sie ist im ersten Studienjahr nicht nur zu diversen Prüfungen angetreten, sondern hat auch Prüfungen im Ausmaß von insgesamt 25,5 ECTS-Punkten erfolgreich abgelegt.

b) Oktober 2021 bis Februar 2022

Das zweite Studienjahr hat im Oktober 2021 begonnen.

Gemäß dem obig zitierten § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ist eine Berufsausbildung bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 StudFG genannten Einrichtung besuchen, nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester überschreiten. Gemäß dem festgestellten Studienabschnitt besteht das von ***T*** im streitgegenständlichen Zeitraum betriebene Studium der Rechtswissenschaften an der JKU Linz aus zwei Studienabschnitten, wobei der erste Studienabschnitt zwei Semester dauert.

Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht - ebenfalls gemäß dem obig zitierten § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 - nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird.

In Zusammenschau der obigen Regelungen ergibt sich, dass ***T*** den erforderlichen Nachweis von 16 ECTS-Punkten erfolgreich erbringen konnte. Zudem handelt es sich bei dem gegenständlichen dritten Semester um das sogenannte "Toleranzsemester" (d.h. jene Überschreitung der Mindeststudiendauer, die gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 für den Anspruch auf Familienbeihilfe unschädlich ist).

c) Zeitraum März 2022 bis Dezember 2022

Auf Basis der obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfe im Zeitraum Oktober 2020 bis Februar 2022 erfüllt waren. Dies wird auch vom belangten Finanzamt nicht angezweifelt.

***T*** hat den ersten Studienabschnitt am (und somit deutlich nach Ende des "Toleranzsemesters" betreffend den ersten Studienabschnitt, siehe oben) abgeschlossen. Fraglich ist, ob im streitgegenständlichen Fall die Bestimmung des § 2 Abs. 9 FLAG 1967 einschlägig ist.

Durch das 6. COVID-19-Gesetz, BGBl I 28/2020, wurde dem § 2 FLAG 1967 ein Abs. 9 angefügt, der gemäß § 55 Abs. 45 FLAG 1967 mit in Kraft getreten ist und nach dessen lit. b sich die Anspruchsdauer nach Abs. 1 lit. b im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise verlängert.

In den Materialien (126 BlgNR XXVII. GP - Ausschussbericht NR - https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/I/126) heißt es dazu:

"Für Volljährige wird die Familienbeihilfe grundsätzlich nur dann gewährt, wenn sie sich in Berufsausbildung befinden (z.B. ein Studium betreiben). Mit Vollendung des 24. Lebensjahres endet der Familienbeihilfenbezug, wobei einige Ausnahmen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres vorgesehen sind (z.B. Ableistung des Präsenz- oder Zivildienstes).

Auf Grund der COVID-19-Krise wird die Absolvierung einer Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) im Regelfall beeinträchtigt und daher die Fortsetzung bzw. der Abschluss verzögert.

Innerhalb der derzeit im FLAG 1967 vorgesehenen Altersgrenze kann eine Unterbrechung der Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) insofern saniert werden, als die Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verlängert werden kann. Die derzeitige COVID-19-Krise ist als derartiges Ereignis anzusehen und zwar unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung. Diese Verlängerung wird unmittelbar in Bezug auf jene Studienphase wirksam, in der die Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise erfolgt.

Um die angesprochenen Nachteile für die in Rede stehende Personengruppe zu kompensieren, deren Gesamtstudiendauer, die für die Gewährung der Familienbeihilfe im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise zur Verfügung steht, über die Vollendung des 24. oder 25. Lebensjahres hinausgeht, soll die Zeitdauer der Gewährung der Familienbeihilfe über diese derzeit geltende Altersgrenze hinaus verlängert werden. Damit soll gewährleistet werden, dass auch - zusätzlich zur bereits vorgesehenen Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird - für jene Zeiten Familienbeihilfe weiter gewährt werden kann, in denen der Studienbetrieb beeinträchtigt war. Dies soll durch eine Verlängerung des Anspruches auf die Familienbeihilfe im Falle einer allgemeinen Berufsausbildung um längstens sechs Monate und im Falle eines Studiums um ein Semester bzw. ein Studienjahr erfolgen."

Ausgehend von den obigen Ausführungen kann somit das Folgende festgehalten werden:

  1. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Absolvierung eines Studiums durch die COVID-19-Krise im Regelfall beeinträchtigt wird.

  2. Die COVID-19-Krise ist als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd FLAG 1967 anzusehen, das die Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird, verlängern kann, und zwar unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung. Diese Verlängerung wird unmittelbar in Bezug auf jene Studienphase wirksam, in der die Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise erfolgt.

Gemäß dem festgestellten Sachverhalt und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung steht für den erkennenden Richter fest, dass (zumindest) im Wintersemester 2020/2021 der Betrieb an den Universitäten durch die COVID-19-Krise beeinträchtigt war.

Gemäß dem expliziten Wortlaut des Gesetzes verlängert sich - unter anderem - die Anspruchsdauer des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise. Einen besonderen Nachweis für diese Beeinträchtigung in zeitlicher Hinsicht verlangt die Bestimmung des § 2 Abs. 9 FLAG 1967 nach ihrer Formulierung nicht, wenn die Verlängerung der Anspruchsdauer "unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung" erfolgen soll. In sachlicher Hinsicht ist den Materialien lediglich zu entnehmen, dass die COVID-19-Krise die Absolvierung einer Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) im Regelfall beeinträchtigt und daher die Fortsetzung bzw. den Abschluss verzögert. Der Gesetzgeber ist somit offenkundig davon ausgegangen, dass eine Beeinträchtigung im Regelfall vorliegt, ein besonderer Nachweis wird auch diesbezüglich nicht verlangt. Zudem ist dem Beschwerdeführer dahingehend zuzustimmen, dass sich weder in den Materialien noch dem Gesetz selbst eine Einschränkung auf das Sommersemester 2020 finden lässt.

Insgesamt ergibt sich somit, dass es im Falle des Beschwerdeführers bzw. der anspruchsvermittelnden Tochter ***T*** aufgrund der Bestimmung des § 2 Abs. 9 lit. b FLAG 1967 zu einer Verlängerung der Anspruchsdauer um ein weiteres Semester (d.h. Sommersemester 2022) gekommen ist.

Dem Beschwerdeführer steht die Familienbeihilfe sowie - daran gemäß § 33 EStG 1988 anknüpfend - der Kinderabsetzbetrag für die Monate März bis September 2022 zu. Soweit sich der bekämpfte Bescheid auf die Monate Oktober bis Dezember 2022 bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer explizit nur die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe für den Zeitraum März bis September 2022 bekämpft. Für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2022 kann sich somit keine Änderung ergeben.

Auf Basis der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit ersichtlich liegt zur verfahrensgegenständlichen Bestimmung des § 2 Abs. 9 FLAG 1967 noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Aus diesem Grund war die Revision zuzulassen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100398.2023

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