Außergewöhnliche Belastungen: Pflegekosten sind um Pflegegeld zu kürzen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***A***, ***1***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig .
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Da trotz Aufforderung zur Erklärungsabgabe im Pflichtveranlagungsfall keine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung eingebracht worden war, erging am ein Einkommensteuerbescheid für 2020 ohne Berücksichtigung von Sonderausgaben (ausgenommen des Kirchenbeitrages und des Pauschalbetrages von 60 Euro), Werbungskosten oder außergewöhnlichen Belastungen.
2. In der Beschwerde vom wurden Kosten iHv. 1.046,52 Euro für die Betreuung durch die Tochter geltend gemacht.
3. Das Ersuchen um Ergänzung vom hinsichtlich der Vorlage von Unterlagen wurde nicht beantwortet, daher erging am eine abweisende Beschwerdevorentscheidung.
4. Am langte beim Finanzamt ein handgeschriebener Schriftsatz mit der Bezeichnung "Beschwerde gegen den Bescheid vom /Beschwerdevorentscheidung" ein. Dem Inhalt ist zu entnehmen, dass das Schriftstück von Mag.a ***A***, der Tochter der Beschwerdeführerin, verfasst und unterschrieben wurde.
Es wird ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin ein Monat zuvor unter anderem die rechte Schulter gebrochen sowie die rechte Hand verletzt habe. Beantragt werden "Sonderausgaben" in Höhe von 1.046,52 Euro für die Hilfe der Tochter, die ab bei der Krankenkasse Innsbruck offiziell gemeldet sei, im Haushalt und bei der persönlichen Pflege. Zusätzlich wird angeführt, dass die Wahlarztrechnungen von der ÖGK noch immer nicht vergütet worden seien.
Dieses Schriftstück wurde vom Finanzamt als Vorlageantrag qualifiziert.
5. Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Zurückweisung des Vorlageantrages mangels Aktivlegitimation in eventu die Abweisung der Beschwerde, weil auch bei Anerkennung der Pflegekosten iHv. 1.042,52 Euro für die Betreuung durch die Tochter das Pflegegeld iHv. 1.921,20 Euro abzuziehen und der Selbstbehalt zu berücksichtigen wäre.
6. Mit Beschluss vom wurde Mag.a ***A*** gem. § 85 Abs. 2 iVm Abs. 4 BAO aufgetragen die Bevollmächtigung zur Vertretung ihrer Mutter im Beschwerdeverfahren nachzuweisen.
7. Am erschien die Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter beim erkennenden Richter und erklärte ausdrücklich, dass sie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren von ihrer Tochter vertreten werde. Es wurden der Sachverhalt und die Rechtslage erörtert und die Übermittlung einer Bestätigung über die Prämienvorschreibung zur Krankenversicherung angekündigt. Diese Bestätigung langte am beim Bundesfinanzgericht ein.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)
1.1. Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
Gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 103/2019) können u.a. folgende Aufwendungen ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
"- Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen."
Der Bundesminister für Finanzen kann nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.
§ 35 EStG 1988 lautet (auszugsweise):
"(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- …
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 (idF BGBl. II Nr. 430/2010) lautet auszugsweise:
"§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- …
so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.
(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.
§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."
Zu den von der Beschwerdeführerin als steuerlicher Abzugsposten geltend gemachten Zahlungen iHv. 1.046,52 Euro für persönliche Pflege ergibt sich nach geltender Rechtslage Folgendes:
Die Beschwerdeführerin bezog im Jahr 2020 Bundespflegegeld iHv. 1.921,20 Euro. Dies geht hervor aus dem Vorlagebericht des Finanzamtes.
a. Ein Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 steht nicht zu, weil die Behinderung nicht durch eine amtliche Bescheinigung nachgewiesen wurde.
b. Gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988 stehen Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung nur zu, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
Anders als betreffend den Freibetrag ist nicht normiert, dass die Tatsache der Behinderung nur durch bestimmte amtliche Bescheinigungen nachgewiesen werden könnte. Ob eine Behinderung vorliegt, ist demnach gemäß § 166 BAO zu beurteilen. Als Beweismittel kommt somit alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und zweckdienlich ist. Der Bezug des Pflegegeldes indiziert dabei das Vorliegen einer Behinderung ().
Allerdings ist gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988 auch im Fall einer festgestellten Behinderung das Pflegegeld von 1.921,20 Euro von den geltend gemachten Pflegekosten von 1.046,52 Euro in Abzug zu bringen, wodurch diese sich auf 0,- reduzieren.
c. Letztendlich bleibt zu untersuchen, ob im Fall der geltend gemachten Pflegekosten Kosten der Heilbehandlung gemäß § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen vorliegen könnten, welche nicht um eine pflegebedingte Geldleistung zu kürzen sind.
Allerdings bilden Aufwendungen, die regelmäßig durch die Pflegebedürftigkeit verursacht werden (Allgemeinpflege, die durch das Pflegegeld abgedeckt ist) keine Kosten der Heilbehandlung (, bezüglich Hauskrankenpflege).
Die Beschwerde war somit in diesem Punkt abzuweisen.
1.2. Freiwillige Krankenversicherung als Sonderausgaben
§ 18 Abs. 1 EStG 1988 erklärt den Abzug bestimmter Aufwendungen bei der Ermittlung des Einkommens als Sonderausgaben für zulässig, soweit sie nicht Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Nach der im anhängigen Verfahren anzuwendenden Fassung des BGBl. I Nr. 62/2018 gehören dazu Beiträge und Versicherungsprämien, wenn der der Zahlung zugrundeliegende Vertrag vor dem abgeschlossen worden ist, zu einer freiwilligen Kranken-, Unfall- oder Pensionsversicherung.
Für diese Ausgaben besteht ein einheitlicher Höchstbetrag von 2.920 Euro jährlich.
Sind diese Ausgaben insgesamt gleich hoch oder höher als der jeweils maßgebende Höchstbetrag, so ist ein Viertel des Höchstbetrags als Sonderausgaben abzusetzen (Sonderausgabenviertel).
Für die vor dem ( abgeschlossene) freiwillige Krankenversicherung wurde im Jahr 2020 eine Prämie von 7.285,88 Euro bezahlt. Dies ist durch den beim Bundesfinanzgericht nachgereichten Beleg der Krankenversicherungsgesellschaft erwiesen. Eine Abfrage im Abgabeninformationssystem ergibt außerdem, dass die Beschwerdeführerin zumindest seit dem Jahr 2000 jährlich einen vergleichbaren Betrag in Kennzahl 455 erklärt und das Finanzamt dies in der Veranlagung jeweils berücksichtigt hat. Die Beschwerdeführerin erklärte bei der Besprechung am , dass sie bei der Erklärung für das Jahr 2020 diesen Eintrag übersehen habe.
Es bestehen für das Bundesfinanzgericht keine Bedenken gegen die begehrte Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Ausgaben (7.285,88 Euro) als Sonderausgabenviertel im gesetzlichen Höchstbetrag.
Der Bescheid ist daher in diesem Sinn abzuändern.
1.2. Mängelbehebungsverfahren bei fehlender Vollmacht
Der vom Finanzamt als Vorlageantrag qualifizierte Schriftsatz wurde von der Tochter der Beschwerdeführerin unterschrieben.
Schreitet ein bevollmächtigter Vertreter ein, ohne sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen, so gilt § 85 Abs 2 BAO sinngemäß. Nach Ansicht des VwGH ist der Mängelbehebungsauftrag an den Einschreiter (somit an den Bevollmächtigten) zu richten ().
Bei der Besprechung mit dem erkennenden Richter am erklärte die Beschwerdeführerin ausdrücklich, dass sie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ihre Tochter mit der Vertretung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren bevollmächtigt hat.
2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Es war keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen, daher ist keine ordentliche Revision zulässig.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 35 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 4 Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 § 18 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100320.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at