Freiwilliges Praktikum als Berufsausbildung?
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung der Familienbeihilfe für März 2022, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang und entscheidungsrelevanter Sachverhalt
Die Tochter der Beschwerdeführerin (Bf), I., absolvierte die Matura im Juni 2021. Anschließend war die Tochter der Bf mit Wintersemester 2021/22 als Studierende im Bachelorstudium Medizinische Biologie an der Universität ***Ort3*** gemeldet.
Daraufhin erfolgte seitens der Abgabenbehörde die Zuerkennung der Familienbeihilfe (FB) bis (siehe dazu FB-Mitteilung vom ).
Am gab die Bf über FinanzOnline bekannt, dass die Tochter in der Zeit von - ein unbezahltes Praktikum absolvieren und vermutlich im Sommersemester 2022 die erforderlichen ECTS Punkte nicht erreichen würde.
Eine Abfrage der Studiendaten am durch die Abgabenbehörde ergab, dass für das Sommersemester 2022 keine Fortsetzungsmeldung für das Bachelorstudium Medizinische Biologie an der Universität ***Ort3*** mehr gegeben war.
In der Folge forderte das Finanzamt mit Bescheid vom die von der Bf für den Zeitraum März 2022 bezogene FB (und Kinderabsetzbetrag) wegen fehlender Berufsausbildung zurück (siehe dazu Rückforderungsbescheid).
Am beantragte die Bf durch Einbringung eines Antrages über FinanzOnline die Zuerkennung der Familienbeihilfe für Ihre Tochter für die Monate März bis Mai 2022.
Vorgelegt wurde eine Bescheinigung der Kliniken ***1-AG*** vom darüber, dass die Tochter der Bf am Standort ***Ort1*** vom - ein freiwilliges und unentgeltliches Praktikum absolvieren würde.
Der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe wurde innerhalb eines Monats nach Erhalt des Rückforderungsbescheides eingebracht, sodass seitens der Finanzbehörde dieser Antrag (auch) als Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid gewertet wurde.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde der Bf gegen den Rückforderungsbescheid vom als unbegründet abgewiesen.
Der Antrag der Bf auf Zuerkennung der FB für die Tochter für die Monate April bis Mai 2022 wurde als unbegründet abgewiesen (siehe dazu Abweisungsbescheid vom ).
Am stellte die Bf den Antrag, die Beschwerde betreffend die Rückforderung der FB (KB) für den Monat März 2022 dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorzulegen (siehe dazu Vorlageantrag). Sie begründet, dass das Pflegepraktikum zwar keine Voraussetzung für die Studienaufnahme in Deutschland wäre, aber die Möglichkeit bestehen könnte, das Praktikum im geplanten Studium der Medizin später anrechnen zu lassen.
Im Herbst 2022 reichte die Bf die Immatrikulationsbescheinigung der Tochter für das Studienfach Medizin Vorklinik ab an der Universität ***Ort2*** nach.
Das Finanzamt legte die Beschwerde dem BFG am vor (siehe dazu Vorlagebericht).
II. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die Angaben der Bf, auf die dem Gericht vorgelegen Urkunden der Bf sowie auf Ergebnisse der von der Behörde bzw. vom Bundesfinanzgericht durchgeführten Ermittlungen.
III. Rechtsausführungen
§ 2 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) igF lautet:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,
b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden.
…. .
§ 26 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 igF lautet:
(1) Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
(2) Zurückzuzahlende Beträge nach Abs 1 können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden.
(3) Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.
(4) Die Oberbehörde ist ermächtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das zuständige Finanzamt anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.
(Anm.: Abs 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 142/2000)
§ 10 Abs 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 igF lautet:
Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
IV. Erwägungen
Einleitend ist festzuhalten, dass die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten ist. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl ).
Für volljährige Kinder wird Familienbeihilfe grundsätzlich nur für die Monate gewährt, in denen sich das Kind in Berufsausbildung befindet.
Die volljährige Tochter der Bf war seit dem Wintersemester 2021/2022 als Studierende des Bachelorstudiums "Medizinische Biologie" inskribiert. Dieses Studium stellt eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 dar. Dementsprechend wurde die Familienbeihilfe für das Wintersemester und Sommersemester 2022 gewährt und nach der Aktenlage bis März 2022 bereits ausbezahlt.
In der Zeit von bis absolvierte die Tochter der Bf ein freiwilliges Praktikum.
Zur Frage, inwieweit dieses Praktikum eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 darstellt, ist Folgendes auszuführen:
Außerhalb des in § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung im Sinne des § 3 des Studienförderungsgesetzes (Studium) fallen nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter den Begriff "Berufsausbildung" alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl , , ).
Der Begriff Praktikum bezeichnet eine auf eine bestimmte Dauer angelegte Vertiefung erworbener oder noch zu erwerbender Kenntnisse in praktischer Anwendung oder für das Erlernen neuer Kenntnisse und Fähigkeiten durch Mitarbeit in einer Organisation oder Firma. Dies ist für sich keine Berufsausbildung im vorgenannten Sinn. Das Sammeln von Erfahrungen, Aneignung von Fertigkeiten oder eines bestimmten Wissenstandes durch verschiedene Tätigkeiten stellt für sich allein keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 dar (vgl , , , , , http://de.wikipedia.org/wiki/Praktikum).
Ein Praktikum fällt nur dann unter diesen Begriff, wenn es eine unbedingte Voraussetzung für die Aufnahme an eine Lehranstalt bzw. zwingender Teil der Ausbildung für den angestrebten Beruf darstellt. Der bloße Umstand, dass durch den Besuch des Praktikums die Aufnahmechancen erhöht werden, reicht nicht aus. Auch der Umstand, dass die im Praktikum gewonnenen Erfahrungen für die künftige Berufsausbildung bzw. -ausübung wertvoll sind, ändert nichts daran (vgl , , , , RV/0315-I/05, , ).
Ein Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag vermittelndes Praktikum muss also entweder - wie zuvor ausgeführt - nachweislich Voraussetzung für die Aufnahme an einer Lehranstalt bzw. zwingender Teil einer insgesamt als Berufsausbildung anzusehenden Ausbildung sein oder aber selbst in Form einer schulischen oder kursmäßigen Ausbildung organisiert sein. Letzteres setzt eine etwa einer Lehrlingsausbildung ("duales System") vergleichbare Ausbildung voraus. Ein Praktikum, das sich auf praktische Erfahrungen auf einem Arbeitsplatz oder verschiedenen Arbeitsplätzen in einer Firma beschränkt, ohne dass eine "schulische oder kursmäßige Ausbildung" vorliegt, erfüllt das Kriterium einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 nicht (vgl , , , , , , , , ).
Das von der Tochter der Bf in den Monaten März bis Mai 2022 absolvierte Praktikum in den Kliniken "***1-AG***", Bildungszentrum für Gesundheitsberufe war - für sich alleine betrachtet - zweifellos nicht in Form einer schulischen oder kursmäßigen Ausbildung organisiert. Eine theoretische Wissensvermittlung in Form eines Unterrichts oder Bestätigung von erlernten Kenntnissen durch die Ablegung von Prüfungen war während dieses Praktikums nicht vorgesehen. Das in den Monaten März bis Mai 2022 absolvierte Praktikum war somit für sich alleine betrachtet nicht als schulische oder kursmäßige Ausbildung organisiert.
Das verfahrensgegenständliche absolvierte Praktikum stellt auch keine unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme zum Medizinstudium dar. Der bloße Umstand, dass durch den Besuch des Praktikums die Aufnahmechancen erhöht werden, reicht - wie bereits ausgeführt - nicht aus.
Letztlich stellt das auf freiwilliger Basis absolvierte Praktikum kein Pflichtpraktikum des als Berufsausbildung anzusehenden Bachelorstudiums Medizinische Biologie dar.
Nach all dem zuvor Gesagten erfüllt das gegenständliche Praktikum nicht die Kriterien einer Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967.
Das Bundesfinanzgericht stellt nicht in Abrede, dass die Erfahrungen des Praktikums wertvoll sowohl für das Studium als auch für eine spätere Berufsausübung (Medizinstudium) sind, es begründet aber keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.
Eine Abfrage der Studiendaten am durch die Abgabenbehörde ergab, dass für das Sommersemester 2022 keine Fortsetzungsmeldung für das Bachelorstudium Medizinische Biologie an der Universität ***Ort3*** mehr gegeben war, und die Tochter der Bf damit ab März 2022 nicht mehr in Berufsausbildung war.
Der Rückforderungsbescheid vom besteht daher zu Recht.
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
V. Zulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art 133 Abs 4 B-VG).
Das gegenständliche Erkenntnis beurteilt den Begriff "Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967" anhand der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des festgestellten Sachverhaltes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war somit nicht zu lösen. Eine Revision ist dementsprechend nicht zulässig.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 10 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100447.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at