Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.12.2023, RV/6100030/2021

Kapitalertragsteuer, Hinterziehung, Bindungswirkung an ein Strafurteil (gekürzte Urteilsausfertigung)

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2024/15/0005.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Deloitte-MPD-QUINTAX Steuerberatungs GmbH, Ignaz-Rieder-Kai 13A, 5020 Salzburg, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Kapitalertragsteuer 03.2010-12.2010 und 01.2011-07.2011 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die ***1*** betrieb im beschwerdegegenständlichen Zeitraum ein Gasthaus in Salzburg.

Mit Bescheiden vom jeweils wurde dem Beschwerdeführer (Bf) als Gesellschafter der ***1*** die Kapitalertragsteuer (KESt) aufgrund einer verdeckten Ausschüttung für die Zeiträume bis und bis vorgeschrieben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Zuge einer abgabenbehördlichen Außenprüfung bei der ***1*** Schwarzumsätze festgestellt worden seien. Derartige Mehrgewinne seien grundsätzlich den Gesellschaftern nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen. Dass Mehrgewinne überhaupt nicht an Gesellschafter zur Auszahlung gekommen wären, müsse der Abgabepflichtige beweisen. Einen diesbezüglichen Nachweis gebe es jedoch nicht. Laut Firmenbuch sei ***2*** von bis zu 100% Gesellschafter der ***1*** gewesen. Aufgrund des Treuhandvertrages und des Abtretungsvertrages vom sei jedoch der Bf wirtschaftlicher Eigentümer von 51% der Anteile an der Gesellschaft gewesen.
Abweichend von den Feststellungen der Betriebsprüfung habe eine Auswertung der "Schwarzlohnlisten" für einzelne Monate der Jahre 2010, 2015 und 2016 ergeben, dass weitere Arbeitnehmer Schwarzlöhne erhalten hätten. Der fehlende Schwarzlohnaufwand werde daher mit € 3.000,- monatlich geschätzt.
Die KESt sei dem Bf als Empfänger der Kapitalerträge nach § 95 Abs 4 EStG 1988 direkt vorgeschrieben worden, da bei der haftungsverpflichteten GmbH mit das Konkursverfahren eröffnet worden sei und in den vorliegenden Bilanzen weder verwertbare Wirtschaftsgüter noch sonstige Vermögensgegenstände vorhanden seien.
Aufgrund des Vorliegens des strafrechtlichen Tatbestandes der Abgabenhinterziehung komme nach § 207 Abs 2 zweiter Satz BAO jedenfalls die verlängerte Verjährungsfrist von 10 Jahren zur Anwendung.

Dagegen brachte der Bf mit Schriftsatz vom Beschwerde ein und führte zur Begründung aus, dass er aufgrund der Auflösungsvereinbarung vom nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile in der Höhe von 51 % gewesen sei und diese auch nicht treuhändig von ***2*** gehalten worden seien.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass mit dem Abtretungsvertrag vom 51% der Geschäftsanteile von ***3*** an ***2*** um einen Abtretungspreis von € 1,- übertragen worden seien. Aufgrund der Formulierungen in den Verträgen habe ***2*** jegliche Weisungsgewalt bezüglich der Anteile gefehlt. Sogar die Bezahlung eines Abtretungspreises sei unterblieben, nachdem die Geschäftsanteile dem Treugeber aufgrund des bestehenden Treuhandverhältnisses ohnehin wirtschaftlich zustünden. Unterlagen über eine Neubestellung eines Treuhänders nach erfolgter Auflösungsvereinbarung lägen keine vor. Sämtliche Verträge seien mit Notariatsakt errichtet worden (bspw. das Abtretungsanbot vom , die Annahmeerklärung vom , der Abtretungsvertrag vom ). Auch die Bestellung eines neuen Treuhänders hätte in Notariatsaktform erfolgen sollen (siehe Treuhandvertrag vom , Punkt IV).

Die 2011 erfolgte Abtretung der Anteile in der Höhe von 51% an ***4*** wäre außerdem nicht um € 1,- erfolgt, wenn bspw. ***2*** wirtschaftlicher Eigentümer der 51 % Anteile gewesen wäre. ***4*** stehe in einem Naheverhältnis zum Bf. Fremde pflegen sich grundsätzlich einander nichts zu schenken und würden niemals eine Abtretung zu den vertragsgegenständlichen Konditionen vornehmen.

Gegen die Beschwerdevorentscheidung vom brachte der Bf durch seinen Verfahrenshelfer mit Schriftsatz vom in verlängerter Rechtsmittelfrist einen Vorlageantrag ein. Diesen Antrag begründete er zusammengefasst damit, dass das gegenständliche Einkommensteuerverfahren nach § 303 BAO wiederaufgenommen hätte werden müssen.
Bei der Kapitalertragsteuer handle es sich um eine Erhebungsform der Einkommensteuer. Das Recht auf Festsetzung der Kapitalertragsteuer hänge von der Verjährung des Rechtes auf Festsetzung der Einkommensteuer ab. Eine verlängerte Verjährungsfrist verlange eine vorsätzliche Abgabenhinterziehung. Die verdeckte Ausschüttung im Zusammenhang mit Schwarzumsätzen sei nur eine fingierte Ausschüttung. Ein Vorsatz könne sich damit nicht auf die Hinterziehung der KESt beziehen. Die Beträge seien dem Bf auch nie zugeflossen. Hinsichtlich der verdeckten Ausschüttung sei anzuführen, dass im gegenständlichen Zeitraum laut Firmenbuch ***2*** Alleingesellschafter gewesen sei. Die Treuhandschaft über die 51% (Treuhandvertrag und Abtretungsanbot vom ), die beim Finanzamt ordnungsgemäß angezeigt worden sei, sei mit Auflösungsvereinbarung vom beendet worden. Die Auflösungsvereinbarung sei auch von ***2*** unterzeichnet worden. Von dem Zeitpunkt an sei jedenfalls ***2*** alleiniger Gesellschafter der GmbH gewesen. Der Bf sei lediglich im Dienstverhältnis beschäftigt gewesen. Leitende Aufgaben seien von ihm keine übernommen worden. Dass die Auflösung eines Notariatsaktes bedürfe, werde ebenso angezweifelt. Als Abtretungspreis sei € 1,- vereinbart worden, da die Anteile zuvor im Jahr 2008 vom Bf an ***2*** ebenfalls de facto geschenkt worden seien. Die Abtretung im Jahr 2012 an ***4*** bzw. den Bf sei daher auch zu einem Preis von € 1,- erfolgt. Die Schwarzumsätze seien außerdem ausschließlich für die Bezahlung der Mitarbeiter und den Einkauf von Waren verwendet worden. Ein Teil der geschätzten Schwarzumsätze sei von den Mitarbeitern direkt vereinnahmt worden. Die Schwarzumsätze seien daher nie ausgeschüttet worden. Ebenso seien offene Ausschüttungen ausschließlich ***2*** zugekommen.
Es werde überdies die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Das Finanzamt legte am die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte in seiner Stellungnahme ergänzend aus, dass der Treuhandvertrag vom entgegen dem Vorbringen im Vorlageantrag nicht beim Finanzamt angezeigt worden sei. Außerdem seien bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für die verdeckte Ausschüttung Schwarzeinkäufe von Waren sowie Schwarzlöhne bereits in Abzug gebracht worden. Zur Rolle des Bf werde auf die Einvernahmen der Mitarbeiter ***5*** und ***6*** verwiesen.

Mit Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom wurde das Finanzamt dazu aufgefordert zu den Ausführungen im Vorlageantrag Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom führte das Finanzamt dazu aus, dass es sich bei den beschwerdegegenständlichen Bescheiden um keine Einkommensteuerbescheide, sondern um Abgabenbescheide gemäß § 95 Abs 4 EStG handle, mit denen ausschließlich eine Festsetzung der Kapitalertragsteuer vorgenommen worden sei. Folglich sei keine Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2010 und 2011 nötig gewesen.
Über die Vorfrage der Hinterziehung der Kapitalertragsteuer habe die Abgabenbehörde bzw. das Bundesfinanzgericht nur dann eigenständig zu entscheiden, wenn noch kein Strafverfahren durchgeführt worden sei oder das Strafverfahren mit einem Freispruch geendet habe. Im gegenständlichen Beschwerdefall liege aber eine rechtskräftige Verurteilung des Bf vor. Bezüglich der Kapitalertragsteuer für das Jahr 2010 sei zwar eine Verurteilung nicht ausgesprochen worden, nach Ansicht der Abgabenbehörde sei die Kapitalertragsteuer für das Jahr 2010 in Einklang mit der Beurteilung des Landesgerichts hinsichtlich der Kapitalertragsteuer 2011 ebenso als hinterzogen anzusehen.

Nach Weiterleitung der Stellungnahme des Finanzamtes an den Bf führte dieser per E-mail vom dazu aus, dass er im Gegensatz zu ***2*** für das Jahr 2010 hinsichtlich der KESt nicht verurteilt worden sei. Für das Jahr 2011 sei er nur für einen Betrag von € 13.418,17 verurteilt worden. Hierbei handle es sich um 12 Monate. Relevant seien im gegenständlichen Fall jedoch nur 6 Monate, dies ergebe daher € 6.709,09.
Die Lohnkosten seien außerdem für die KESt-Bemessungsgrundlage mindernd heranzuziehen.

Zu dieser E-Mail nahm das Finanzamt mit Schreiben vom Stellung und führte dabei zusammengefasst aus, dass angesichts des Spruchs der gekürzten Urteilsausfertigung unter Punkt B. III. a) eine Verurteilung des Bf für das Jahr 2010 hinsichtlich der nicht erfolgten KESt-Anmeldung betreffend ***2*** vorliege. Eine Bindungswirkung komme diesem Urteil jedoch in Bezug auf den Bf nach der Rsp des VwGH nicht zu, da es nicht ihn, sondern eine dritte Person zum Gegenstand habe und es sich um eine steuerrechtliche Würdigung des Sachverhalts handeln würde.
In Bezug auf das Jahr 2010 sei bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage entsprechend dem BP-Bericht bei der ***1*** ein zusätzlicher Lohnaufwand in Höhe von insgesamt € 74.228,84 berücksichtigt worden. Darüber hinaus sei im Rahmen der beschwerdegegenständlichen Bescheide eine Berücksichtigung weiterer Schwarzlöhne in Ausmaß von € 36.000,- erfolgt.

Mittels Schreiben vom nahm der Bf dazu wiederum Stellung und führte aus, dass er nur hinsichtlich der ***2*** betreffenden Kapitalertragsteuer im Jahr 2010 verurteilt worden sei.
Vor einer Zurechnung der bei einer Gesellschaft festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter treffe die Behörde die Pflicht zur Untersuchung der Frage, ob und inwieweit solche verdeckt ausgeschütteten Beträge einzelnen Gesellschaftern zugeflossen seien. Die Kapitalertragsteuer sei folglich sowohl aufgrund des Gewinnverteilungsschlüssels zu 100% ***2*** zuzurechnen, als auch aufgrund des vom Strafgericht festgestellten tatsächlichen Zuflusses. Im Übrigen sei auch von der Außenprüfung festgestellt worden, dass die Kapitalertragsteuer in den Jahren 2010 und 2011 zu 100% ***2*** zuzurechnen wäre. ***2*** sei für schuldig erkannt worden die Kapitalertragsteuer für den Zeitraum 02-12/2010 hinterzogen zu haben. Als vorsätzlich verkürzt seien lediglich € 13.418,17 festgestellt worden und zwar für den gesamten Zeitraum 2011. Der als nicht vorsätzlich festgestellte verkürzte Teil unterliege demnach nicht der langen Verjährungsfrist von 10 Jahren. Das Landesgericht Salzburg habe nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Würdigung sämtlicher Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft festgestellt, dass im Jahr 2011 ***2*** aus den verdeckten Ausschüttungen € 52.810,79 zuzurechnen wären, dem Bf hingegen lediglich € 13.418,17.

Die Berechnung der Schwarzlöhne durch das Finanzamt sei nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus seien die Lohnnebenkosten in Abzug zu bringen.

In einem weiteren Schriftsatz vom verwies der steuerliche Vertreter des Bf auf den § 116 BAO und führte dazu aus, dass gem. § 116 Abs 2 BAO insofern eine Bindung an das Strafurteil des Landesgerichtes Salzburg bestehe, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem Entscheidungen ergangen sind, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen sei. Das sei in einem Strafverfahren der Fall.

Am fand am Bundesfinanzgericht ein Gespräch mit dem steuerlichen Vertreter des Bf hinsichtlich der noch offenen Sachverhaltsfragen statt. Dabei wurden folgende Punkte außerstreit gestellt:

  1. Höhe der Schwarzumsätze

  2. Hinzurechnung zusätzlicher Lohnnebenkosten und Sozialversicherungsbeiträge inklusive der Frage nach einer eventuellen Rückstellung in den Streitjahren.

  3. Verlängerte Verjährungsfrist

Ergänzend wird vom steuerlichen Vertreter ausgeführt:

1. Die Zurechnung der KESt habe nach Maßgabe des geltenden Gewinnverteilungsschlüssels der Beteiligungsinhaber zu erfolgen. Abweichend davon könne die KESt nur dann vorgeschrieben werden, wenn konkret der Zufluss der Kapitalerträge nachgewiesen werden könne. Entsprechende Feststellungen des Finanzamtes seien nicht vorhanden. Mit Auflösung des Treuhandvertrages 2009 kämen ***2*** sämtliche Anteile zu. Der Bf selbst habe weder offene noch verdeckte Ausschüttungen in dieser Zeit erhalten.

2. Die KESt stelle eine besondere Erhebungsform der ESt dar. Daraus ergebe sich die Frage, ob nicht die Einkommensteuerbescheide wiederaufgenommen hätten werden müssen.

3. Zur Bindungswirkung des Strafurteils des Landesgerichtes für Strafsachen sei festzuhalten, dass es für das Jahr 2010 keine Feststellung hinsichtlich des Zuflusses an den Bf und für das Jahr 2011 lediglich in der Höhe von € 1.118,18,- monatlich gebe.

Der steuerliche Vertreter führte in einer ergänzenden E-Mail vom zur Bindungswirkung des Strafurteils weiters aus, dass die Bindung nur den festgestellten Sachverhalt, nicht jedoch dessen steuerliche Beurteilung betreffe. Im gegenständlichen Strafurteil werde festgestellt, dass dem Bf im Jahr 2010 keine KESt zuzurechnen wäre und im Jahr 2011 lediglich ein Teil. Die Aufteilung stamme offenbar aus den angenommenen Beteiligungsverhältnissen. In weiterer Folge seien diese Beteiligungsverhältnisse vom Finanzamt abweichend festgestellt worden. Gekürzte Urteilsausfertigungen enthalten im Spruch die als erwiesen angenommenen Tatsachen. Hierauf werde auch im Urteil hingewiesen. Außerdem werde auf das Erkenntnis des , verwiesen, in dem die Beurteilung ob eine GesBR vorliege oder nicht, eine Sachverhaltsfeststellung darstelle. Die Frage der Beteiligungsverhältnisse sei daher ebenso eine Sachverhaltsfeststellung und keine steuerrechtliche Beurteilung.

Diese E-Mail wurde mit Schreiben vom dem Finanzamt weitergeleitet. Vom Finanzamt wurde dazu keine weitere Stellungnahme abgegeben.

Mit Schreiben vom zog der Bf den im Vorlageantrag gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

1. Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Die ***1***, die in Salzburg ein Gasthaus betrieb, wurde im Jahr 1998 gegründet. Gesellschafter waren zunächst ***2*** mit 49% der Geschäftsanteile und die ***1*** mit 51%, die aber bereits im Jahr 1999 an ***7*** übertragen wurden.

Mit übernahm ***3*** (der Vater des Bf) 51% der Geschäftsanteile von ***7***; ***2*** behielt weiterhin 49 %.

Mit notariell errichtetem Abtretungsvertrag vom übernahm sodann ***2*** die 51 % der Anteile an der ***1*** um den Preis von € 1,- von ***3***. Mit Treuhandvertrag ebenfalls vom wurde vereinbart, dass ***2*** die Anteile nur treuhändig für den Bf halten sollte. Der Treuhandvertrag wurde dem Finanzamt am , der Abtretungsvertrag am , im Zuge des Beschwerdeverfahrens betreffend ***2***, vorgelegt.
Im Firmenbuch war ***2*** ab als alleiniger Gesellschafter eingetragen.

Aktenkundig ist außerdem eine nicht notariell errichtete Auflösungsvereinbarung vom zum Abtretungsvertrag vom zwischen dem Bf und ***2***. Eine Neubestellung eines Treuhänders - wie unter Punkt IV. des Treuhandvertrages vom vereinbart - erfolgte nicht. Diese Vereinbarung legte der Bf im Rahmen seines Vorlageantrages vor.

Mit Notariatsakt vom bot ***2*** dem Bf oder einem von diesem namhaft gemachten Dritten 51 % der Geschäftsanteile um € 1,- an. Dieses Anbot wurde vom Bf bzw. ***4*** als Treuhänderin (ehem. Lebensgefährtin des Bf) am ebenfalls mit Notariatsakt angenommen. Die diesbezügliche Firmenbucheintragung erfolgte per .

Der Bf wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom Datum, Zahl wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 und 2 lit b FinStrG hinsichtlich der Jahre 2010 bis 2016 für schuldig erkannt.

Punkt B. III. der gekürzten Urteilsausfertigung des Strafurteils hat folgenden Wortlaut:

B. ***Bf1*** als faktischer und ab auch unternehmensrechtlicher Geschäftsführer der ***1*** (§ 80 Abs. 1 BAO, § 78 EStG, § 41 FLAG und§ 122 WKG) …

III. unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung der selbst zu berechnenden Kapitalertragsteuer bewirkt, indem der zum Abzug verpflichtete Geschäftsführer an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten die an die Gesellschafter zugeflossenen verdeckten Ausschüttungen und die sich daraus ergebende selbst zu berechnende und abzuführende Kapitalertragsteuer nicht einbehalten und nicht binnen einer Woche nach dem Zufließen der Kapitalerträge abführte, und zwar spätestens mit 8.1. des jeweiligen Folgejahres, und zwar

a) als faktischer Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit ***2*** als Geschäftsführer der ***1***, und zwar betreffend

1. ***2***

a. für den Zeitraum bis iHv EUR 42.874,84 (monatlich EUR 3.572,90)

b. für den Zeitraum bis iHv EUR 52.810,79 (monatlich EUR 4.400,90)

2. ***Bf1*** für den Zeitraum bis iHv EUR 13.418,17 (monatlich EUR 1.118,18);

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind aktenkundig.

3. Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist festzuhalten, dass das Beschwerdebegehren des Bf betreffend Verjährung, Höhe der Schwarzumsätze und die Frage der Lohnnebenkosten im Verfahren vom Bf außer Streit gestellt wurde (siehe dazu Besprechung mit dem Bf und Aktenvermerk vom ).

Zum Beschwerdepunkt Wiederaufnahme wird ausgeführt, dass nach § 303 Abs 1 BAO ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden kann, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 95 Abs 2 EStG 1988 ist Schuldner der Kapitalertragsteuer der Empfänger der Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer ist durch Abzug einzubehalten.

Gemäß § 97 Abs 1 EStG 1988 gilt für natürliche Personen und für Körperschaften, soweit die Körperschaften Einkünfte aus Kapitalvermögen beziehen, die Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) für Kapitalerträge gemäß § 93 Abs 2 Z 3 sowie Abs 3 die der Kapitalertragsteuer unterliegen, durch den Steuerabzug als abgegolten (Steuerabgeltung). Der Begriff der Steuerabgeltung in § 97 Abs 1 bedeutet, dass die davon erfassten Einkünfte grundsätzlich nicht mehr in der Steuererklärung zu deklarieren sind (vgl Marschner in Jakom EStG15, § 97 Rz 1).

Die Vorschreibung der Kapitalertragsteuer erfolgte im Beschwerdefall mittels "Bescheid über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer" im Wege der Direktvorschreibung an den Empfänger der Kapitalerträge. Bei den angefochtenen Bescheiden handelte es sich um Erstbescheide, die einer Wiederaufnahme nicht zugänglich sind.

Eine Wiederaufnahme setzt außerdem - neben dem Vorliegen von Wiederaufnahmegründen - voraus, dass die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. (Ritz/Koran, BAO7, § 303 Rz 44).
Die Abgeltungswirkung der KESt in Form von "Bescheiden über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer" bedeutet, dass die Kapitalerträge nicht Teil der Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 sind. Eine Wiederaufnahme der Einkommensteuerbescheide hätte daher keine im Spruch anderslautende Bescheide herbeigeführt.

Eine Wiederaufnahme der Einkommensteuerbescheide kommt daher nicht in Betracht.

Strittig bleibt nunmehr somit die Frage, inwieweit das rechtskräftige Strafurteil des Landesgerichtes Salzburg vom Datum, Zahl, für die Beurteilung des Sachverhaltes durch das Bundesfinanzgericht bindend ist.

Nach ständiger Judikatur des VwGH entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Ein vom bindenden Strafurteil abweichendes Abgabenverfahren würde zulasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch die Verwaltung gleichkommen (vgl. zB. ; ).

Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Urteilsspruch gedeckten Tatsachen, wogegen keine Bindung hinsichtlich der bloß in den Entscheidungsgründen genannten Feststellungen des Gerichtes gegeben ist.
Liegt nun eine rechtskräftige Entscheidung des zuständigen Gerichtes vor, sind damit auch andere Behörden, etwa die Abgabenbehörde, aber auch das BFG somit hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen daran gebunden. Die Bindungswirkung ist Ausfluss der Rechtskraft der betreffenden Entscheidung. Die Rechtsordnung misst der Beweiskraft von Beweismitteln, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung führen, besondere Bedeutung zu, dies auch deshalb, weil anders als im Abgabenverfahren, wo die größte Wahrscheinlichkeit genügt, hier die volle Überzeugung der Strafbehörde gegeben sein muss (vgl. zB. ).

Die Abgabenbehörden sind dabei an den im Spruch des verurteilenden Strafurteils genannten Abgabenbetrag gebunden. Der Betrag der Abgaben ist als strafbestimmender Wertbetrag Tatbestandsmerkmal des Finanzvergehens. Er ist als einen bestimmten Strafsatz bedingender Tatumstand im Urteilsspruch ziffernmäßig anzuführen ().

Nur dann, wenn der Betrag der hinterzogenen Abgaben der Höhe nach im Strafurteil nicht durch den Spruch bestimmt, sondern lediglich in den Entscheidungsgründen genannt ist, besteht daran keine Bindung (vgl. zB ).

Die Bindungswirkung besteht selbst dann, wenn die maßgebliche Entscheidung rechtswidrig ist ().

Im vorliegenden Beschwerdefall liegt ein rechtskräftiges Urteil des Landesgerichtes Salzburg vor, worin im Spruch des Strafurteiles die Höhe der Verkürzungsbeträge der Kapitalertragsteuer angeführt sind. Weiters hält das Strafgericht im Spruch fest, dass der zum Abzug verpflichtete Geschäftsführer an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten die an die Gesellschafter zugeflossenen verdeckten Ausschüttungen und die sich daraus ergebende und selbst zu berechnende und abzuführende Kapitalertragsteuer nicht einbehalten und nicht binnen einer Woche nach dem Zufließen der Kapitalerträge abführte… .
Es wird daher im Spruch des Urteiles die Zuordnung der Kapitalertragssteuer im Verhältnis des angenommenen Zuflusses der Kapitalerträge vorgenommen, welcher sich wiederum aus dem Verhältnis der im Firmenbuch ausgewiesenen Gesellschaftsanteile ergibt. Danach hielt ***2*** bis 100% der Gesellschaftsanteile und ab 49% der Gesellschaftsanteile, der Bf 51% ab .
Im Strafurteil Zahl wurde ein Zufluss der Kapitalerträge beim Bf damit erst mit August 2011 festgestellt.
Das Strafurteil erging in gekürzter Urteilsausfertigung. Die gekürzte Urteilsausfertigung enthält keinen eigens festgestellten Sachverhalt. Auf S. 12 des Urteiles wird aber hingewiesen, dass der Spruch die als erwiesen angenommenen Tatsachen enthält: "Erwiesen angenommene Tatsachen: Es wird auf den Spruch verwiesen".
Die Bindungswirkung eines Strafurteils erstreckt sich nach der Rechtsprechung des VwGH auf die Tatsachenfeststellungen, auf denen der Schuldspruch beruht.
Auch wenn die Höhe der Beteiligungsverhältnisse der beiden Gesellschafter ***2*** und ***BF1*** an der ***1*** nicht explizit im Spruch des (verkürzten) Strafurteiles angeführt ist, so ist aus dem Spruch klar und zweifelsfrei erkennbar, dass die dort angeführten Verkürzungsbeträge und damit die Aufteilung der Mehrgewinne auf die beiden Gesellschafter genau nach Maßgabe der Beteiligung im Firmenbuch erfolgte und die vom Gericht vorgenommene Zurechnung die Beteiligungsverhältnisse laut Firmenbuch eindeutig widerspiegeln. Die Höhe der gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse für die Jahre 2010 und 2011 sind damit Tatsachenfeststellungen, die vom Gericht getroffen wurden, und sind folglich keiner (steuer)-rechtlichen Beurteilung durch das BFG mehr zugänglich.

Das Bundesfinanzgericht ist bei seiner Entscheidung auf Grund der dargestellten Bindungswirkung folglich verpflichtet, bei seiner steuerlichen Würdigung von den konkreten Tatsachenfeststellungen des betreffenden Urteiles auszugehen (RV/2100337/2012 vom ), unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Entscheidung.

Entsprechend der strafgerichtlichen Feststellungen war daher davon auszugehen, dass die von der Betriebsprüfung festgestellten Mehrgewinne nach Maßgabe der im Firmenbuch ausgewiesenen gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen zuzurechnen sind. Danach sind dem Bf im Jahr 2010 keine und im Jahr 2011 erst ab August Kapitalerträge zugeflossen.

Abschließend wird in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, dass das Abtretungsanbot und der Treuhandvertrag, jeweils vom , dem Finanzamt am und am , somit bereits vor Ergehen des Strafurteiles des Landesgerichtes vom Datum vorgelegen sind. Eine Weiterleitung der Verträge an das Landesgericht durch das Finanzamt erfolgte nicht.

Der Beschwerde war demnach aufgrund der bestehenden Bindungswirkung an das Strafurteil Zahl stattzugeben.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

III. Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur gegenständlichen Rechtsfrage, nämlich inwieweit eine Bindungswirkung der Abgabenbehörden bzw des BFG an gekürzte Urteilsausfertigungen in einem strafgerichtlichen Verfahren besteht, gibt es - soweit ersichtlich - keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Aus diesem Grund ist die Revision zuzulassen.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Salzburg, am

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ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100030.2021

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