Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.11.2023, RV/7102051/2019

Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***23***, ***22***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert und die Haftungsinanspruchnahme auf folgende Abgabenschuldigkeiten im Gesamtbetrag von 945.604,92 Euro eingeschränkt:


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Abgabe
Zeitraum
Betrag in Euro
Umsatzsteuer
2010
194.852,18
Umsatzsteuer
1-11/2010
222.089,52
Kapitalertragsteuer
2010
229.064,38
Kapitalertragsteuer
2011
299.598,85

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Haftungsvorhalt

Mit Datum erging ein Haftungsvorhalt (Heranziehung zur Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO) an die Beschwerdeführerin betreffend Abgabenschuldigkeiten der Firma ***GmbH*** GmbH, Steuernummer ***2***.

Auf dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin würden derzeit folgende Beträge aushaften:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Rückstand in Euro
Laut Bescheid vom
Umsatzsteuer
2010
243.565,22
Umsatzsteuer
2011
321.994,80
Kapitalertragsteuer
1-12/2010
286.506,78
Kapitalertragsteuer
1-12/2011
374.729,16
Summe
1.226.795,96

Die im Rückstand ausgewiesenen Abgabenschuldigkeiten seien nach Abgabenarten und Zeiträumen aufgeschlüsselt. Zu den im Rückstand enthaltenen bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgaben würden der Beschwerdeführerin beiliegend die an die Firma ***GmbH*** GmbH ergangenen Bescheide (Ablichtungen) übermittelt.

Dem Haftungsvorhalt angeschlossen waren die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011, die Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer 2010 und 2011 sowie die angeführte Niederschrift über die Schlussbesprechung vom .

Die Zustellung des Haftungsvorhaltes an die Beschwerdeführerin ist mittels Rückschein aktenkundig.

Die Beschwerdeführerin ließ den ordnungsgemäß zugestellten Haftvorhalt unbeantwortet.

2. Haftungsbescheid

Mit Bescheid vom wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der ***GmbH*** GmbH, FN ***4***, ***5***, ***6***, im Ausmaß von 1.226.795,96 Euro in Anspruch genommen und aufgefordert, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.

Die Haftung wurde hinsichtlich folgender Abgabenschuldigkeiten geltend gemacht:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
2010
243.565,22
Umsatzsteuer
2011
321.994,80
Kapitalertragsteuer
1-12/2011
286.506,78
Kapitalertragsteuer
1-12/2012
374.729,16
Summe
1.226.795,96

3. Beschwerde

Mit Schreiben vom bekämpfte die Beschwerdeführerin den Haftungsbescheid vom .

4. Beschwerdevorentscheidung

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben, die Haftung mit einem Gesamtbetrag von 1.226.190,89 Euro, und zwar wie folgt festgesetzt:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
2010
243.565,22
Umsatzsteuer
2011
321.796,65
Kapitalertragsteuer
1-12/2011
286.330,47
Kapitalertragsteuer
1-12/2012
374.498,56
Summe
1.226.190,89

5. Vorlageantrag

Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht.

6. Vorlagericht

Mit Schreiben vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Streitgegenstand ist die Haftung der Beschwerdeführerin für die nicht beglichenen Abgabenschulden der ***GmbH*** GmbH, Firmenbuchnummer ***4***, Steuernummer ***2*** (Primärschuldnerin).

Vor ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin war die Beschwerdeführerin bereits als Geschäftsführerin der ***7*** (***8***) sowie der ***9*** (***10***) tätig. Die Beschwerdeführerin verfügte somit über Erfahrungen als Geschäftsführerin einer juristischen Person.

Die Beschwerdeführerin war vom ***11*** an bis zum ***12*** Geschäftsführerin der Primärschuldnerin.

[...]

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***13***, GZ ***3***, wurde über die Primärschuldnerin der Konkurs eröffnet und eine Masseverwalterin bestellt.

Am wurde bei der Primärschuldnerin eine Außenprüfung für den Zeitraum 2008 -2009, Nachschauzeitraum 2010, begonnen. Mit Prüfungsauftrag vom wurde die Prüfung auf die Jahre 2008-2011 sowie den Nachschauzeitraum 2012 ausgedehnt.

Mit Bescheiden vom wurde gegenüber der Primärschuldnerin die Umsatzsteuer für das Jahr 2010 und die Umsatzsteuer für das Jahr 2011 festgesetzt. Mit Bescheiden vom wurde die Primärschuldnerin zur Haftung für Kapitalertragsteuer betreffend die Jahre 2010 und 2011 herangezogen. Die haftungsgegenständlichen Bescheide ergingen im Zusammenhang mit der oben angeführten Außenprüfung bei der Primärschuldnerin.

Die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 sowie die Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer für die Jahre 2010 und 2011 wurden von der Primärschuldnerin nicht bekämpft.

Im Haftungsvorhalt vom wurden der Beschwerdeführerin der Gegenstand, der Zeitraum und der Umstand der bescheidmäßigen Festsetzung der haftungsgegenständlichen Abgabenschulden zur Kenntnis gebracht.

Die genannten Bescheide (Die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 sowie die Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer für die Jahre 2010 und 2011) wurden der Beschwerdeführerin ebenso wie die Niederschrift der Schlussbesprechung über die Außenprüfung mit dem Haftungsvorhalt vom zugestellt.

Im Haftungsbescheid vom wurden der Beschwerdeführerin nochmals der Gegenstand, der Zeitraum und der Umstand der bescheidmäßigen Festsetzung der haftungsgegenständlichen Abgabenschulden zur Kenntnis gebracht.

Auf ihren in der Beschwerde gestellten Antrag hin wurden der Beschwerdeführerin weiters mit der Beschwerdevorentscheidung vom der Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2010 vom , der Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2011 vom , der Umsatzsteuerbescheid 2010 vom , der Umsatzsteuerbescheid 2011 vom , die Niederschrift vom über die Schlussbesprechung gemäß § 149 Abs 1 BAO sowie der Bericht gemäß § 150 BAO vom über das Ergebnis der Außenprüfung übermittelt.

Mit Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2010 vom wurde gegenüber der Primärschuldnerin die Umsatzsteuer mit einem Betrag von 254.004,47 Euro festgesetzt (bisher vorgeschrieben: 0,00).

Damit ergab sich eine Nachforderung an Umsatzsteuer für das Jahr 2010 von 254.004,47 Euro.

Die Umsatzsteuer 2010 haftet am Abgabenkonto der Primärschuldnerin noch mit einem Betrag von 239.854,63 aus und ergab sich im Wesentlichen aus einer Vorsteuerkürzung in der Höhe von 245.579,69 Euro.

Diese Vorsteuerkürzung betraf im Jahr 2010

[...]

Mit Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2011 vom wurde gegenüber der Primärschuldnerin die Umsatzsteuer mit einem Betrag von 310.638,83 Euro festgesetzt (bisher vorgeschrieben: - 11.356,97 Euro [Gutschrift]). Damit ergab sich eine Nachforderung an Umsatzsteuer für das Jahr 2011 von 321.994,80 Euro.

Dieser Betrag haftet (abzüglich der Konkursquote) nach wie vor am Abgabenkonto der Primärschuldnerin aus und resultierte weitaus überwiegend aus einer Vorsteuerkürzung in der Höhe von 321.199,64 Euro.

Diese Vorsteuerkürzung betraf im Jahr 2011

[...]

Mit Haftungsbescheid vom wurde die Primärschuldnerin für den Zeitraum 2010 zur Haftung für Kapitalertragsteuer in der Höhe von 286.506,78 Euro herangezogen. Empfängerin der Kapitalerträge war ***GmbH*** ***14***, geboren am tt.mm.jjjj.

Mit Haftungsbescheid vom wurde die Primärschuldnerin für den Zeitraum 2011 zur Haftung für Kapitalertragsteuer in der Höhe von 374.729,16 Euro herangezogen.
Empfänger der Kapitalerträge waren ***GmbH*** ***14*** (124.909,72 Euro) sowie ***15***, geboren am (249.819,44 Euro).

[...]

Die Primärschuldnerin war seither vermögenslos. Am ***17*** wurde die Primärschuldnerin im Firmenbuch gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht.

Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin steht somit im Ausmaß von ***18*** % fest.

Die Kapitalertragsteuer aus den verdeckten Ausschüttungen war auch bei ***GmbH*** ***14*** sowie bei ***15*** uneinbringlich.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Geschäftsführerstellung der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den Eintragungen im Firmenbuch sowie aus der Urkundensammlung des Firmenbuches.

Mit Gesellschafterbeschluss vom ***11*** wurde die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin berufen und mit Gesellschafterbeschluss vom ***12*** als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin abberufen.

Der Gegenstand der haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen ergibt sich aus

  1. dem Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2010 vom

  2. dem Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2011 vom

  3. dem Umsatzsteuerbescheid 2010 vom

  4. dem Umsatzsteuerbescheid 2011 vom

  5. der Niederschrift vom über die Schlussbesprechung gemäß § 149 Abs 1 BAO

  6. dem Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom

Anhand dieser Unterlagen hat das Bundesfinanzgericht auch die Ermittlung der Umsatzsteuerschuld betreffend Dezember 2011 (mit Fälligkeit nach Abberufung der Beschwerdeführerin von ihrer Geschäftsführungsfunktion) im Schätzungswege vorgenommen.

Die Grundlagen und Ergebnisse dieser Ermittlung wurden der Beschwerdeführerin unter Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme mit Beschluss vom vorgehalten. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich keine Einwendungen gegenüber dem Bundesfinanzgericht erhoben.

Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin ist dieser auch Gegenstand, Zeitraum und die bescheidmäßige Feststellung der beschwerdegegenständlichen Abgabenschulden rechtzeitig mitgeteilt worden:

Bereits mit dem Haftungsvorhalt von wurde die Beschwerdeführerin im Text auf den Gegenstand der in Haftung gezogenen Abgabenbeträge und den Umstand ihrer bescheidmäßigen Feststellung hingewiesen.

Diesem Haftungsvorhalt angeschlossen waren:

  1. Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2010 vom

  2. Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2011 vom

  3. Umsatzsteuerbescheid 2010 vom

  4. Umsatzsteuerbescheid 2011 vom

  5. Niederschrift vom über die Schlussbesprechung gemäß § 149 Abs 1 BAO

[...]

Entgegen dieser Behauptung ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes erwiesen, dass der Haftungsvorhalt vom der Beschwerdeführerin wirksam zugestellt wurde. Während sich die Beschwerdeführerin diesbezüglich auf unsubstantiierte Behauptungen beschränkt, ist die an sie erfolgte Zustellung des Haftungsvorhaltes mittels eines postalischen Rückscheines aktenkundig. Darin ist die Übernahme der Sendung am durch die Beschwerdeführerin selbst ausgewiesen.

Soweit in der Stellungnahme behauptet wird, die belangte Behörde hätte im Haftungsbescheid auf ein "Schreiben … an die Steuernummer ***2***" verwiesen, dann entspricht dies nicht den vorliegenden Tatsachen. Die Steuernummer "***2***", ist jene der Primärschuldnerin. Diese Steuernummer, nämlich jene der Primärschuldnerin, für deren aushaftende Abgabenschuldigkeiten haftungspflichtige Personen herangezogen werden, dient als Ordnungsbegriff bei entsprechenden Erledigungen. Der Beschwerdeführerin sollte auch nicht entgangen sein, dass sich diese Steuernummer auf allen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Haftungsverfahren an sie gerichteten Erledigungen unter der Rubrik "Abgabenkontonummer: Finanzamtsnummer - Steuernummer" findet.

Wenn die Beschwerdeführerin also meint, die Anführung dieser Steuernummer - und nicht ihrer eigenen Steuernummer - wäre ein Indiz dafür, dass der Haftungsvorhalt nicht an sie gerichtet oder ergangen wäre, dann trifft dies nicht zu. Anzumerken ist, dass es sich jedenfalls auch nicht um die Steuernummer von ***15*** handelt.

Der Haftungsvorhalt vom ist auch nicht "an eine Steuernummer" ergangen, sondern - wie aus der Erledigung selbst ebenso wie aus dem Rückschein ersichtlich ist - an die Beschwerdeführerin selbst.

Bei einem Rückschein handelt es sich um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG in Verbindung mit § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit für sich hat. Diese Vermutung ist widerlegbar, wobei die Behauptung der Unrichtigkeit des Beurkundeten entsprechend zu begründen ist und Beweise dafür anzuführen sind, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (zB ). Eine solche Widerlegung ist der Beschwerdeführerin - wie oben dargestellt - nicht gelungen.

Im Haftungsbescheid vom wurden die Abgaben der Beschwerdeführerin gegenüber nochmals hinsichtlich Zeitraum und Gegenstand aufgeschlüsselt und - zum Vorliegen der bescheidmäßigen Festsetzung - weiters mitgeteilt:
"Die im Rückstand ausgewiesenen Abgabenschuldigkeiten sind nach Abgabenarten und Zeiträumen aufgeschlüsselt. Die Bescheide der im Rückstand angeführten, festgesetzten Abgaben wurden Ihnen bereits im Haftungsvorverfahren (Schreiben vom ) zur Kenntnis gebracht."

Die Zustellung des Haftungsbescheides an die Beschwerdeführerin ist ebenso mittels Rückschein aktenkundig.

In der Beschwerde vom gegen diesen - den beschwerdegegenständlichen - Haftungsbescheid vom führt die Beschwerdeführerin aus: "Die geltend gemachten Abgabenrückstände Umsatzsteuer 2010, 2011 sowie KESt 1-12/2010 und 1-12/2011 wurden mit Bescheiden vom bzw. und somit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgesetzt. Zum Zeitpunkt der Fälligkeit war somit dem Einschreiter, der bereits 2012 als Geschäftsführer ausgeschieden ist, eine Bezahlung nicht mehr möglich. Es trifft ihn daher keine Haftung für diese nach Insolvenzeröffnung festgesetzten Abgaben."

Damit ist bereits klar ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin über Gegenstand, Zeitraum und bescheidmäßige Festsetzung der in Haftung gezogenen Abgabenschulden in Kenntnis war.

In der Beschwerde vom führte die Beschwerdeführerin überdies aus: "Die entsprechenden Bescheide waren weder dem Haftungsbescheid noch der Aufforderung zur Rechtfertigung angeschlossen. Zur Ausführung einer Beschwerde gegen die vorgenannten Bescheide stellt der Einschreiter den Antrag auf Zustellung der Bescheide an seinen ausgewiesenen Vertreter."

Zum gestellten "Antrag auf Zustellung der Bescheide an seinen ausgewiesenen Vertreter" übermittelte die belangte Behörde zusammen mit der Beschwerdevorentscheidung vom der Beschwerdeführerin folgende Unterlagen:

  1. Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2010 vom

  2. Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2011 vom

  3. Umsatzsteuerbescheid 2010 vom

  4. Umsatzsteuerbescheid 2011 vom

  5. Niederschrift vom über die Schlussbesprechung gemäß § 149 Abs 1 BAO

  6. Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom

Die belangte Behörde führte dazu ergänzend aus, dass die erwähnten Abgaben- und Haftungsbescheide (zusammen mit der Niederschrift vom ) dem - an die Beschwerdeführerin gerichteten - Vorhalt vom angeschlossen gewesen wären und somit die zur Haftung Herangezogene bereits vor der Geltendmachung der Vertreterhaftung darüber aufgeklärt worden sei, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben gegenüber der Primärschuldnerin bescheidmäßig festgesetzt worden wären.

Die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung vom ist mittels postalischen Rückscheines aktenkundig (Übernahme am ). Auf diesem Rückschein, der die Bezeichnung "***19***" trägt, ist weiters vermerkt: "+ Beilagen vom ", woraus - im Zusammenhalt mit den oben angeführten in der Beschwerdevorentscheidung getroffenen Aussagen - unbedenklich von einer wirksamen Zustellung dieser Unterlagen an die Beschwerdeführerin ausgegangen werden kann.

Abschließend ist anzumerken, dass die bereits mehrfach erwähnten Unterlagen auch vom Bundesfinanzgericht der Beschwerdeführerin - auf ausdrücklichem Wunsch derselben - ein weiteres Mal mit Beschluss vom übermittelt wurden.

Die Uneinbringlichkeit der Kapitalertragsteuer aus den verdeckten Ausschüttungen bei ***GmbH*** ***14*** ergibt sich schon aus dem Umstand, dass sie im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides über keine aufrechte Meldung bzw einen Wohnsitz in Österreich verfügte, und somit nicht greifbar war. Überdies wäre eine Vorschreibung der KESt gegenüber ***GmbH*** ***14*** - ebenso wie gegenüber ***15*** - auch verjährungsbedingt nicht mehr möglich gewesen wäre.

Für das Bundesfinanzgericht ist daher von der Uneinbringlichkeit der Kapitalertragsteuer bei ***GmbH*** ***14*** sowie bei ***15*** auszugehen.

Festzuhalten ist, dass auch die Beschwerdeführerin dies nicht bestritten und auch gar nicht behauptet hat, dass entgegen den genannten Feststellungen der belangten Behörde hinsichtlich der Kapitalertragsteuer, diese bei ***GmbH*** ***14*** sowie bei ***15*** im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides einbringlich gewesen wäre.

Das Vorbringen hinsichtlich eines (gänzlichen) Fehlens von Liquidität bei der Primärschuldnerin ist für das Bundesfinanzgericht nicht nachvollziehbar. Einen Liquiditätsstatus hat die Beschwerdeführerin im Verfahren ebenso wenig wie einen Nachweis der Gleichbehandlung der Gläubiger vorgelegt, sondern es bei der erwähnten pauschalen Behauptung - ohne nähere Ausführungen oder Belege - belassen.

Schon aus den bescheidmäßig festgestellten verdeckten Ausschüttungen ist aber das Vorhandensein von Liquidität in beträchtlicher Höhe ersichtlich und aktenkundig. Bei der Primärschuldnerin ist es zu verdeckten Ausschüttungen gekommen, die das Vorhandensein entsprechender Mittel zwingend voraussetzen.

Gleiches gilt auch für die - ebenso bescheidmäßig festgestellte - ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges, welche den in Haftung gezogenen Umsatzsteuerbeträgen zu Grunde liegt. Dadurch wurden der Primärschuldnerin ja gerade - wenn auch durch rechtswidrige Inanspruchnahme von Vorsteuergutschriften - zusätzliche Mittel (Liquidität) zugeführt.

Weiters ergibt sich auch aus den Bindungswirkung im Haftungsverfahren entfaltenden Bescheiden über die Umsatzsteuer 2010 und 2011 sowie über die Haftung für Kapitalertragsteuer 2010 und 2011 das Liquidität vorhanden war.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Teilweise Stattgabe)

3.1.1. Tatbestandsvoraussetzungen

Voraussetzung für die Inanspruchnahme als Haftender nach § 9 BAO und § 80 BAO ist eine Abgabenforderung, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt, gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ().

Die haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen gegen die Primärschuldnerin bestehen und sind bescheidmäßig festgesetzt.

Die Vorschreibung der Kapitalertragsteuer erfolgte bescheidmäßig gegenüber der Primärschuldnerin. Diese Entscheidung entfaltet für das gegenständliche Verfahren Bindungswirkung. Für die Bekämpfung von der Haftung zu Grunde liegenden Bescheiden wird im Übrigen auch im Wege der Beschwerdemöglichkeit gemäß § 248 BAO Vorsorge getroffen.

Betreffend die in Haftung gezogene Umsatzsteuer und Kapitalertragsteuer 2010 ist festzuhalten, dass deren Fälligkeiten - wie aus den Feststellungen der Betriebsprüfung ersichtlich - allesamt nach dem ***11*** entstanden sind, also erst während der Geschäftsführerschaft der Beschwerdeführerin.

Hinsichtlich der Umsatzsteuer 12/2011 ist anzumerken, dass diese aus dem Haftungsbetrag ausgeschieden wurde, weil der Fälligkeitstermin nach Ende der Vertretereigenschaft der Beschwerdeführerin liegt.

Die Zahlungstermine der beschwerdegegenständlichen Abgabenforderungen gegen die Primärschuldnerin fallen also - mit Ausnahme der Umsatzsteuer 12/2011 - in den Vertretungszeitraum der Beschwerdeführerin.

Damit war die Heranziehung der Beschwerdeführerin für diese Abgaben nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten.

Die Stellung der Beschwerdeführerin als Vertreterin ist jedenfalls gegeben, wie sich aus den vorliegenden Unterlagen klar ergibt.

Die Uneinbringlichkeit der beschwerdegegenständlichen Abgabenforderungen bei der Primärschuldnerin ist ebenfalls gegeben und die ausgeschüttete Insolvenzquote wurde berücksichtigt.

Auch die übrigen Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme, nämlich eine Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin, ein Verschulden der Beschwerdeführerin an dieser Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit derselben für die Uneinbringlichkeit, sind - wie unten näher dargelegt - gegeben.

Liquide Mittel zur Entrichtung der beschwerdegegenständlichen Abgaben standen bei der Primärschuldnerin - wie bereits dargelegt - zur Verfügung.

Ein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung wurde nicht erbracht.

Worauf die Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihren Schreiben vom betreffend Haftungsbescheid abzielen, ist für das Bundesfinanzgericht nicht ersichtlich.
Falls ein Mangel des Haftungsbescheides geltend gemacht werden sollte, so wurde nicht näher ausgeführt, worin dieser nach Ansicht der Beschwerdeführerin begründet liegen und welche Auswirkungen sich daraus ergeben sollen.

Geht einem Haftungsbescheid (nach § 9 BAO) ein Abgabenbescheid - oder betreffend Lohnsteuer ein Haftungsbescheid nach § 82 EStG 1988 voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid (Haftungsbescheid) zu halten. Die Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen ( mwN). Gleiches gilt auch für einen KESt-Haftungsbescheid ().

3.1.2. Schuldhafte und ursächliche Pflichtverletzung

Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehört es, dafür zu sorgen, dass die Abgaben pünktlich entrichtet werden, wobei sich der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter diese Pflicht getroffen hat, danach bestimmt, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre (zB ).

Die Inanspruchnahme der gemäß § 9 BAO bestehenden Haftung setzt voraus, dass die schuldhafte Pflichtverletzung kausal für die Uneinbringlichkeit ist. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde mangels dagegensprechender Umstände davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (zB ; ; ). Eine bestimmte Schuldform ist hiefür nicht erforderlich (zB ). Daher reicht leichte Fahrlässigkeit aus (zB ; ).

Nach stRsp des VwGH ist es Aufgabe des Geschäftsführers, darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge habe tragen können, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (). Hat der Geschäftsführer schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der GmbH zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der angefallenen Abgaben gewesen ist ().

Nicht die Abgabenbehörde hat also das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, daß diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet wurden. Widrigenfalls haftet der Geschäftsführer für die in Haftung gezogene Abgabe zur Gänze. In Bezug auf diese qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers ist durch , 91/13/0038, keine Änderung eingetreten ().

Anzumerken ist, dass im Beschwerdeverfahren der Gleichbehandlungsgrundsatz nur auf die Umsatzsteuer, von vornherein aber nicht auf die Kapitalertragsteuer anwendbar ist. Daher beziehen sich die folgenden Ausführungen bezüglich Quotenberechnung nur auf die in Haftung gezogene Umsatzsteuer.

Auf dem Vertreter lastet die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote und des Betrages, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre ().

Bei der Frage der Gleichbehandlung der Gläubiger kommt es darauf an, ob der Abgabengläubiger im Hinblick auf die vorhandenen liquiden Mittel des Abgabenschuldners dadurch benachteiligt wurde, dass die erfolgten Zahlungen an den Abgabengläubiger geringer ausgefallen sind, als sie bei Verwendung der liquiden Mittel und anteiliger Befriedigung des Abgabengläubigers ausgefallen wären ().

Den Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, hat der Vertreter auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel zu diesen Zeitpunkten andererseits bezogen zu führen ().

Die Beschränkung einer allfälligen Haftung des Vertreters auf die Höhe des Quotenschadens setzt den Nachweis voraus, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre ().

Kommt der Geschäftsführer der Aufforderung zu einer Präzisierung und Konkretisierung seines Vorbringens nicht nach und erbringt er nicht den ihm obliegenden Nachweis, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, haftet er dann für die in Rede stehenden Abgabenschulden zur Gänze ().

Das Erfordernis zur Erbringung eines derartigen Nachweises ist der Beschwerdeführerin bereits im Haftungsvorhalt vom von der belangten Behörde umfangreich zur Kenntnis gebracht worden. Im Haftungsbescheid vom und in der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerdeführerin neuerlich von der belangten Behörde darauf hingewiesen. Dennoch hat es die Beschwerdeführerin im weiteren Haftungsverfahren unterlassen, eine derartige Gleichbehandlungsrechnung bezogen auf die einzelnen Fälligkeitstage vorzulegen.

Anzumerken ist seitens des Bundesfinanzgerichts, dass ein pauschaler Hinweis, dass ausreichende Mittel zur Entrichtung der Umsatzsteuer nicht zur Verfügung standen (so die Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom ) den von der VwGH-Rechtsprechung geforderten Nachweis nicht ersetzen kann.

Zur Kapitalertragsteuer ist zB auf zu verweisen: "Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Kapitalertragsteuer kann deren Nichtabführung grundsätzlich nicht damit entschuldigt werden, dass die Geldmittel zu deren Entrichtung nicht ausgereicht hätten, da bei der Kapitalertragsteuer der Schuldner der kapitalertragsteuerpflichtigen Kapitalerträge nur eine vom Empfänger der Kapitalerträge geschuldete Steuer gemäß § 95 Abs. 2 EStG einzubehalten und gemäß § 96 Abs. 1 EStG dem Betriebsfinanzamt abzuführen hat, sodass bei der Kapitalertragsteuer genauso wie auch bei der Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen kommt. Wenn daher der Geschäftsführer die Kapitalertragsteuer trotz Ausschüttung von Gewinnanteilen nicht an das Betriebsfinanzamt entrichtet, liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; , 91/13/0037, 0038) eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO vor. Die schuldhafte Pflichtverletzung des Bf. liegt darin, dass er in seinem zeitlichen Verantwortungsbereich als Geschäftsführer der genannten GmbH diese verdeckte Gewinnausschüttung vorgenommen hat, ohne die darauf entfallende Kapitalertragsteuer einbehalten oder abgeführt zu haben."

Schließlich ist die Verletzung der Verpflichtung zur Abfuhr von Steuern durch den Geschäftsführer einer GmbH unabhängig von - allenfalls - vorhandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft jedenfalls schuldhaft, weil es sich bei den in Rede stehenden Abgaben (Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer) um solche handelt, deren Entrichtung bzw Abfuhr bei korrekter Geschäftsführung durch diese Schwierigkeiten nicht gehindert war (vgl. , zu Umsatzsteuer, Abgabe von alkoholischen Getränken, Lohnsteuer).

Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin wurden im vorliegenden Fall von der belangten Behörde Ermittlungen dahingehend angestellt, ob sie eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen hat und es erfolgten mehrere - wirksam zugestellte - Aufforderungen an die Beschwerdeführerin zu einem diesbezüglichen Vorbringen.

Die Beschwerdeführerin hatte auch keinen "Negativbeweis" zu erbringen, sondern hat auf die erwähnten Aufforderungen der belangten Behörde nicht reagiert. Gründe welche der pflichtgemäßen Abgabenentrichtung im Wege gestanden wären, wurde weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch in jenem vor dem Bundesfinanzgericht vorgebracht. Insbesondere ergab sich gerade aus dem Akteninhalt, nämlich den bescheidmäßigen Festsetzungen der beschwerdegegenständlichen Abgaben sowie dem Bericht bzw der Niederschrift betreffend die bei der Primärschuldnerin durchgeführte Außenprüfung, dass jedenfalls liquide Mittel zur Verfügung standen, die zur Tätigung verdeckter Ausschüttungen verwendet bzw aus einem ungerechtfertigten Vorsteuerabzug lukriert wurden.

Im Ergebnis hat also die Beschwerdeführerin - trotz wiederholter Aufforderungen durch die belangte Behörde - nicht dargetan, weshalb sie als alleinige Geschäftsführerin nicht dafür habe Sorge tragen können, dass die Primärschuldnerin die angefallenen Abgaben entrichtet hat.

Somit durfte aber die belangte Behörde zu Recht von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgehen.

Soweit die Beschwerdeführerin auf einen Freispruch im Finanzstrafverfahren hinweist, ist dazu auszuführen, dass nach , weder ein völliges Unterbleiben eines Strafverfahrens, noch die Einstellung von Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung, noch ein freisprechendes Urteil des Strafgerichtes eine Bindung der Abgabenbehörde bei der Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen nach § 9 BAO bewirken können.

Die Voraussetzungen der Haftung im Abgabenverfahren sind eigenständig (auch hinsichtlich des Verschuldens) zu beurteilen, weshalb auch Beurteilungen der Verhaltensweisen des Vertreters im Gerichtsverfahren betreffend Abgabenhinterziehung oder vor einer anderen Verwaltungsbehörde nicht maßgeblich sein können ().

Wenn die Beschwerdeführerin also geltend macht, dass sie zwischenzeitig in einem gegen sie beim Landesgericht Wien anhängigen Finanzstrafverfahren mit Rechtmittelverzicht der Anklägerin freigesprochen worden wäre, dann ergibt sich daraus - in Anbetracht der oben gemachten Ausführungen zum Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung - keine Exkulpierung im Haftungsverfahren.

3.1.3. Ermessen

Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, wobei dieses Ermessen auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung umfasst ().

Der Grad des Verschuldens des Vertreters ist eines der Kriterien, die bei Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden können ().

Die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ().

Ermessensentscheidungen haben sich innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht und sind innerhalb dieser Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen, wobei dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Interesse an der Einbringung der Abgabe" beizumessen ist ().

Zu den nach Ansicht der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde im Rahmen der Ermessenübung - mit Ausnahme des wesentlichen Kriteriums der Vermeidung eines endgültigen Haftungsausfalles - außer Acht gelassenen Kriterien ist folgendes auszuführen:

Inwieweit ein "Mitverschulden der Abgabenbehörde an der Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgabenschuld" im Beschwerdefall vorliegen soll, wird von der Beschwerdeführerin nicht näher dargelegt. Diesbezüglich ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht, dass bei Inanspruchnahme der Haftung eines Geschäftsführers gemäß § 9 BAO iVm § 80 BAO die Frage, ob die Behörde allenfalls bei gehöriger Aufmerksamkeit die Folgen einer Pflichtverletzung eines Geschäftsführers verhindern hätte können, keine Rolle spielt (, mwN).

Zur Berücksichtigung des Grundsatzes der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Zweckmäßigkeit der Vollziehung ist festzustellen, dass der beschwerdegegenständliche Haftungsbetrag ganz unzweifelhaft nicht "nur geringfügig ist" und eine Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin daher jedenfalls zweckmäßig.

Welche Umstände und Überlegungen in Fällen der Haftung für Kapitalertragsteuer ein Unterbleiben der Inanspruchnahme des Geschäftsführers im Rahmen der Haftung nach § 9 BAO begründen sollen bzw warum eine schuldhafte Pflichtverletzung bei dieser Konstellation automatisch zu einer Minderung der Haftung - und somit gleichzeitig einer Erhöhung des endgültigen Abgabenausfalles - führen soll, wird von der Beschwerdeführerin nicht näher erläutert.

Ganz im Gegenteil soll die Heranziehung der Beschwerdeführerin als alleinige Vertreterin für die von ihr verschuldete pflichtwidrige Nichtabfuhr von Kapitalertragsteuer bei der Primärschuldnerin, gerade die aus verdeckten Ausschüttungen resultierenden Abgabenausfälle durch die Anwendung der Haftung nach § 9 BAO (und § 95 EStG) verhindern bzw minimieren. Hier ist daran zu erinnern, dass die Verhinderung eines endgültigen Abgabenausfalles - wie die Beschwerdeführerin selbst anführt - ein ganz wesentliches Ermessenskriterium darstellt. Die Haftungsinanspruchnahme erweist sich somit als zweckmäßig iSd § 20 BAO. Anhaltspunkte dafür, dass die Heranziehung der Beschwerdeführerin unbillig sein könnte sind nicht ersichtlich.

Hinsichtlich der Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin für das gesamte Jahr 2010 ist diesbezüglich daran zu erinnern, dass die betreffend das Jahr 2010 ausgefallenen Steuerbeträge ihre Ursache in Vorgängen haben, die ab sich ab Mai 2010 ereigneten und dass die damit verbundenen Fälligkeiten gänzlich in die Zeit der Alleinvertretung der Primärschuldnerin durch die Beschwerdeführerin fielen.

Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte sich die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin bei Übernahme ihrer Funktion auch darüber zu unterrichten gehabt, ob und in welchem Ausmaß die von ihr nunmehr vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist (), weil die Pflicht der GmbH zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung endet. Die GmbH bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen, und zur Erfüllung dieser Verpflichtung wist der Geschäftsführer der GmbH verhalten (). Gerade im Hinblick auf das Drohen eines endgültigen Abgabenausfalls und das Fehlen von Gründen, warum eine Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin unbillig sein sollte, wäre es nicht nur ermessenskonform, sondern geradezu geboten gewesen, die Beschwerdeführerin zur Haftung heranzuziehen.

Abschließend zu diesem Punkt ist nochmals daran zu erinnern, dass die Inanspruchnahme der Primärschuldnerin bescheidmäßig erfolgte und diesbezüglich eine entsprechende Bindung im Haftungsverfahren besteht.

Zur Frage der Beschwerdeführerin, warum ihr gegenüber die Haftung für die beschwerdegegenständlichen Abgaben geltend gemacht wurde, ist festzustellen, dass sie die alleinige Geschäftsführerin der Primärschuldnerin im Zeitraum der Entstehung dieser Abgabenansprüche war. Somit war die Beschwerdeführerin im Fälligkeitszeitpunkt jedenfalls unmittelbar und allein für deren Nichtabfuhr und daraus resultierende Uneinbringlichkeit verantwortlich. Daher ist ihre Inanspruchnahme - auf Grund der größten zeitlichen und sachlichen Nähe zur Verursachung des Abgabenausfalls sowie der damit verbundenen schuldhaften Pflichtverletzung - sowohl zweckmäßig als auch billig. Die Heranziehung der Beschwerdeführerin ist also ermessenkonform durch die belangte Behörde erfolgt.

Welche Umstände bei der Bestimmung der Berücksichtigung des Verschuldensgrades zu Gunsten der Beschwerdeführerin seitens der belangten Behörde im Rahmen der Ermessensübung unberücksichtigt geblieben bzw durch das Bundesfinanzgericht nunmehr zu würdigen wären, wird seitens der Beschwerdeführerin nicht erläutert und ist auch nicht ersichtlich.

Vermögenslosigkeit und/oder Arbeitslosigkeit des Haftenden stehen jedenfalls in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung, denn eine allfällige, derzeitige Uneinbringlichkeit schließt es nämlich nicht aus, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen und künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können ( mHa zB , , und , und 2006/15/0089).

Soweit ein zur Haftung Herangezogener mit seinem Vorbringen eine persönliche Unbilligkeit in der Einhebung der Abgaben aufzeigen will, ist darauf zu verweisen, dass ein solcher Umstand im Rahmen der Ermessensübung zur Geltendmachung der Haftung nicht zu berücksichtigen ist ().

Bei der Bestimmung des Ausmaßes der Haftung war nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin einzugehen. Zu diesen wirtschaftlichen Verhältnissen hat die Beschwerdeführerin im Übrigen auch keine Angaben gemacht, sondern sich lediglich darauf beschränkt, deren fehlende Berücksichtigung zu monieren.

Die Behauptung der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde hätte ihre Ermessensübung nicht begründet, ist im Übrigen unzutreffend. Im Haftungsbescheid wurde die Entscheidung unter anderem mit dem Hinweis auf das wesentliche Ermessenskriterium der Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls und den Umstand, dass die Geltendmachung der Haftung im vorliegenden Fall - weil der haftungsgegenständliche Rückstand bei der Primärschuldnerin nicht mehr eingebracht werden könne - die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches darstellen würde, begründet.

Mit dem Hinweis darauf, dass die Geltendmachung der Haftung die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches darstellt, hat die belangte Behörde zu Recht auf das wesentliche Ermessenskriterium des Zwecks der Haftungsregelung, nämlich endgültige Abgabenausfälle zu vermeiden, Bezug genommen.

Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist. Die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin steht im Beschwerdefall fest.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Ermessensübung ist die Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers im Beschwerdefall daher zu Recht erfolgt, da keine Gründe angeführt wurden, aus welchen sich eine Unbilligkeit der Haftung ableiten ließe.

Allerdings ist einer der von der Beschwerdeführerin angeführten Umstände sehr wohl zu ihren Gunsten im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigen:

Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf, wobei aber ein solcher Umstand jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein kann, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind ().

Im Beschwerdefall wird die Haftung für Abgabenansprüche geltend gemacht, die weitgehend in den Jahren 2010 und 2011 entstanden sind. Die bescheidmäßige Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin erfolgte im Jahr 2018, also sieben bzw acht Jahre später. Die Eröffnung des Konkurses über die Primärschuldnerin fand im Oktober 2015 statt und wurde vom Insolvenzgericht Anfang 2018 abgeschlossen. Allerdings kann im Hinblick auf die minimale an die Gläubiger ausgeschüttete Quote davon ausgegangen werden, dass die Uneinbringlichkeit - zumindest weitgehend - bereits einige Monate nach Konkurseröffnung, jedenfalls Anfang des Jahres 2016, feststand. Insbesondere der lange Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenansprüche einerseits und der Erlassung des Haftungsbescheides andererseits ist daher im Rahmen des Ermessens zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen.

Insbesondere da es sich durchaus um einen namhaften Zeitabstand handelt, ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes eine Minderung der Haftungsbeträge in einem Ausmaß von 20% im Rahmen der Ermessensübung vorzunehmen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit dem vorliegenden Erkenntnis folgt das Bundesfinanzgericht der in der Entscheidung zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, sodass gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102051.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at