Über eine Beschwerde gegen den Haftungsbescheid (§ 9 BAO) ist vor der vom Haftungspflichtigen gemäß § 248 BAO eingebrachten Beschwerde gegen die Abgaben- und Lohnsteuer-Haftungsbescheide zu entscheiden.
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2024/13/0043.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch R über die Beschwerde des L, Adresse, vertreten durch RA, Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer S, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf.) vertrat die L.GmbH seit Datum als alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer.
Am Datum wurde die Gesellschaft im Firmenbuch gemäß § 40 FBG gelöscht (Firmenbuchauszug FN).
Mit dem Vorhalt vom teilte das Finanzamt dem Bf. mit, dass am Abgabenkonto der L.GmbH Abgaben (Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag für die Zeiträume 01/2015 bis 12/2017) in der Gesamthöhe von 93.580,37 € aushaften. Da der Bf. im gegenständlichen Zeitraum als Geschäftsführer das zur Vertretung der GmbH nach außen berufene Organ gewesen sei, und die Abgabenbeträge nach der Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch als uneinbringlich anzusehen seien, müsse das Finanzamt davon ausgehen, dass der Bf. den abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Vertretenen nicht vorschriftsgemäß nachgekommen sei. Der Bf. werde ersucht, durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger ab dem Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordene Forderungen darzulegen, ob die GmbH ab den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben nicht mehr über ausreichende Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Abgabenverbindlichkeiten verfügt habe, und die auf einzelne Verbindlichkeiten geleisteten Zahlungen sowie alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel bekanntzugeben bzw. gegenüberzustellen.
Der Vorhalt wurde nicht beantwortet.
Mit dem Bescheid vom zog das Finanzamt den Bf. gemäß §§ 9 und 80 ff. BAO für die im Vorhalt und im Bescheid nach Abgabenart und Zeiträumen aufgeschlüsselten Lohnabgaben 01/2015 bis 12/2017 der L.GmbH in der Höhe von insgesamt 93.580,37 € zur Haftung heran.
Begründend führte das Finanzamt aus, der Bf. sei zur anteilsmäßigen Verteilung der liquiden Mittel nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet gewesen. Eine Vorhaltsbeantwortung sei nicht erfolgt, weshalb das Finanzamt davon ausgehe, dass der Gesellschaft Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden und diese Mittel nicht im gleichen Verhältnis zur Schuldentilgung verwendet worden seien. Der Bf. habe daher hinsichtlich Dienstgeberbeiträgen und Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag seine abgabenrechtlichen Pflichten als Vertreter der GmbH verletzt.
Hinsichtlich der Lohnsteuer bestehe eine Ausnahme vom Gleichheitsgrundsatz; bereits die Unterlassung der Abfuhr der Lohnsteuer stelle eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten dar.
Dem Haftungsbescheid angeschlossen wurden der Bericht gem. § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom , Nr., sowie die Haftungsbescheide Lohnsteuer für die Jahre 2015, 2016 und 2017 sowie die Festsetzungsbescheide betreffend Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2015, 2016 und 2017.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom beantragte der Bf. die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides. Die geltend gemachte Haftung für die lohnabhängigen Abgaben bestehe nicht, da die dem Haftungsbescheid beigeschlossenen bzw. zugrundeliegenden und erstmals der steuerlichen Vertretung des Bf. zugestellten Haftungs- und Festsetzungsbescheide für die Jahre 2015, 2016 und 2017 unrichtig seien.
Gegen diese Bescheide erhob der Bf. unter einem als Haftungspflichtiger das Rechtsmittel der Beschwerde.
Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Der Bf. habe nicht dargelegt, dass die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 BAO zu Unrecht erfolgt sei bzw. der Bf. aufgrund eines nicht vorwerfbaren Rechtsirrtums die Entrichtung der Abgaben unterlassen hätte und ihn deshalb kein Verschulden im Sinne des § 9 BAO treffe.
Mit dem Schriftsatz vom brachte der Vertreter des Bf. einen Vorlageantrag ein, in dem er die Ausführungen in der Beschwerde wiederholte.
Zudem sei über die Beschwerde gegen die Haftungsbescheide Lohnsteuer und die Festsetzungsbescheide Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2015 bis 2017 noch nicht entschieden worden. Diese Bescheide stellten jedoch die Grundlage des angefochtenen Haftungsbescheides vom dar, weshalb zunächst eine Entscheidung über die Beschwerde gegen diese Grundlagenbescheide vom herbeizuführen sei, bevor über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid entschieden werden könne. Sollten sich die Grundlagenbescheide als zu Unrecht dem Grunde bzw. der Höhe nach erlassen herausstellen, könnten diese nicht als Rechtsgrundlage des Haftungsbescheides herangezogen werden.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Voraussetzung für die Geltendmachung einer Haftung nach § 9 BAO sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (), die Stellung als Vertreter, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ().
Uneinbringlichkeit der Abgaben
Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus ().
Die objektive Uneinbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen Abgaben steht zweifelsfrei fest, da die Primärschuldnerin am Datum gemäß § 40 FBG von Amts wegen im Firmenbuch gelöscht wurde (Auszug aus dem Firmenbuch FN), weshalb eine (auch nur teilweise) Einbringlichmachung der noch aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten bei der nicht mehr existenten Gesellschaft ausgeschlossen ist.
Am Abgabenkonto der Gesellschaft haften die mit Haftungsbescheid vom geltend gemachten Abgabenschuldigkeiten in der Höhe von 93.580,39 € nach wie vor unberichtigt aus (Rückstandsaufgliederung vom , StNr. S).
Vertreterstellung
Nach der Aktenlage war der Bf. vom Datum bis zur amtswegigen Löschung der Gesellschaft und daher im haftungsrelevanten Zeitraum alleiniger Geschäftsführer der L.GmbH (Auszug aus dem Firmenbuch FN).
Zu den Pflichten des Bf. als Geschäftsführer der Gesellschaft gehörten daher nicht nur die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie deren Aufbewahrung, die Erfüllung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten der Gesellschaft, die Abgabenerklärungspflicht, sondern insbesondere auch die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft sowie die Vorsorge, für die Entrichtung der Abgaben der Gesellschaft aus den verwalteten Mitteln zu sorgen (siehe ).
Höhe der verfahrensgegenständlichen Abgaben
Dem Vorhalt und dem Haftungsbescheid lagen der Prüfbericht des Finanzamtes Graz-Stadt vom sowie die Haftungs- und Abgabenbescheide betreffend die Lohnabgaben 2015 bis 2017 vom bei.
Geht einem Haftungsbescheid (nach § 9 BAO) ein Abgabenbescheid - oder betreffend Lohnsteuer ein Haftungsbescheid nach § 82 EStG 1988 - voraus, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid (bzw. den Haftungsbescheid nach § 82 EStG 1988) zu halten. Die Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (, mwN).
Das Finanzamt war somit hinsichtlich der Höhe der Abgabenbeträge im angefochtenen Haftungsbescheid an die in den Haftungs- und Abgabenbescheiden vom festgesetzten Abgaben gebunden.
Die laut Rechtsprechung des VwGH erforderliche monatliche Aufschlüsselung der Haftungsbeträge erfolgte sowohl im Vorhalt als auch im Spruch des Haftungsbescheides vom .
Lohnsteuer
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden die Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt jedoch bei der Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen:
Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (siehe zuletzt , und die dort zitierte Vorjudikatur).
Die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO geht hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (bzw. aller Gläubiger) hinaus (z.B. ).
In Bezug auf die Lohnsteuer bedarf es daher keiner Gleichbehandlungsberechnung.
Die Lohnsteuer entsteht nicht erst im Zeitpunkt der Nachforderung, sondern im Zeitpunkt des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte (§ 4 Abs. 2 lit. a Z 3 BAO).
Dass die Löhne bzw. Lohnbestandteile, die zu den Nachforderungen an Lohnsteuer führten, nicht ausbezahlt wurden, hat der Bf. im Haftungsverfahren nicht vorgebracht. Die Heranziehung des Bf. zur Haftung der von der Gesellschaft nicht abgeführten Lohnsteuer erweist sich daher als rechtmäßig.
Gleichbehandlungsgrundsatz
Für die übrigen Abgaben (im vorliegenden Fall Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag) erfährt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung des Vertreters nur dann eine Einschränkung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher Abgabenbetrag auch bei gleichmäßiger Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre.
Damit der Geschäftsführer seine qualifizierte Behauptungs- und Konkretisierungslast erfüllt, ist die Darstellung der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft und ihrer Gebarung im fraglichen Zeitpunkt erforderlich. Konsequenterweise haftet der Geschäftsführer ansonsten für die von der Haftung betroffenen Abgabenschulden zur Gänze (, mwN).
Ein Nachweis, ob dem Bf. ausreichende Mittel zur Abgabenentrichtung fehlten bzw. ob sämtliche Gläubiger der Gesellschaft gleich behandelt wurden, wurde vom Bf. trotz Aufforderung im Vorhalt vom und ausführlicher Darlegung der Rechtslage im Haftungsbescheid und in der Beschwerdevorentscheidung nicht erbracht. Auch die Berechnung des Betrages, der - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, wurde nicht vorgelegt.
Zu diesem Punkt wird auf die ausführliche Begründung des Haftungsbescheides und der Beschwerdevorentscheidung verwiesen. Der Bf. ist den Ausführungen des Finanzamtes nicht entgegengetreten.
Schuldhafte Pflichtverletzung
Es ist Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 9 Abs. 1 BAO angenommen werden kann. Als schuldhaft im Sinne dieser Bestimmung gilt jede Form des Verschuldens, somit auch leichte Fahrlässigkeit (; ).
Hat der Geschäftsführer im Haftungsverfahren nicht den ihm obliegenden Entlastungsbeweis in Bezug auf die Abgabenentrichtung erbracht, kann die Behörde schon deshalb eine die Inanspruchnahme zur Haftung rechtfertigende schuldhafte Pflichtverletzung annehmen ().
Dass die Lohnabgaben bei der Auszahlung der Löhne nicht korrekt einbehalten wurden, ergibt sich aus den Feststellungen im Bericht vom . So wurden dem Prüfer keine Unterlagen der steuerfrei belassenen Lohnbestandteile (Überstundenzuschläge, pauschale Überstundenvergütungen, Erschwerniszulagen, Reisekostenvergütungen) vorgelegt (Bericht gem. § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom , Nr.).
Abgabenrechtliche Pflichten bestehen insbesondere in der zeitgerechten Einreichung von Abgabenerklärungen durch den Vertreter (; ) sowie in der Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwaltet (vgl. § 80 Abs. 1 zweiter Satz BAO).
Die Nichtführung entsprechender Aufzeichnungen in Bezug auf steuerfrei ausbezahlte Lohnbestandteile bzw. die Abfuhr zu niedriger Lohnabgaben stellt einen schweren Verstoß gegen die abgabenrechtlichen Verpflichtungen dar.
Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter diese Pflichten getroffen hätten, bestimmt sich danach, wann die Abgaben nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären (z.B. ; ; ). Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären ( 95/15/ 0137; ; ).
Maßgebend ist somit der Zeitpunkt der Fälligkeit der betreffenden Abgaben, unabhängig davon, wann sie bescheidmäßig festgesetzt wurden (z.B. 94/17/ 0229; ).
Da ein Gleichbehandlungsnachweis im Hinblick auf die Dienstgeberbeiträge und die Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag 2015 bis 2017 nicht erfolgt ist, war die Abgabenbehörde nach der oben zitierten Rechtsprechung des VwGH berechtigt, den Bf. auch für diese Abgaben in voller Höhe zur Haftung heranzuziehen.
Beschwerde gegen die Abgabenbescheide
Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit einer dem Primärschuldner bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgabe sind nicht im Haftungsverfahren, sondern durch eine - dem Haftenden durch § 248 BAO ermöglichte - Beschwerde gegen den Abgabenbescheid geltend zu machen ().
Wenn ein zur Haftung Herangezogener sowohl gegen die Geltendmachung der Haftung als auch gemäß § 248 BAO gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch beruft, hat die Berufungsbehörde zunächst nur über die Berufung gegen die Geltendmachung der Haftung zu entscheiden, weil sich erst aus dieser Entscheidung ergibt, ob eine Legitimation zur Berufung gegen den Abgabenanspruch überhaupt besteht. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung sind in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (, ).
Im vorliegenden Fall ist daher zunächst vom Bundesfinanzgericht über die Beschwerde des Bf. gegen den Haftungsbescheid (§ 9 BAO) zu entscheiden; erst aus dieser Entscheidung ergibt sich, ob der Bf. zur Beschwerde gegen den Abgabenanspruch legitimiert ist. Würde nämlich der angefochtene Haftungsbescheid (§ 9 BAO) aufgehoben, fehlt dem ursprünglich zur Haftung herangezogenen Bf. die Beschwerdelegitimation gegen die dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgaben- und Haftungsbescheide (Lohnsteuer).
Im Anschluss an dieses Verfahren hat die Abgabenbehörde über die vom Bf. gemäß § 248 BAO eingebrachten Beschwerden gegen die Abgaben- und Haftungsbescheide vom zu entscheiden.
Kausalität
Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung konnte die Abgabenbehörde nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes () auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabe war.
Bei schuldhafter Pflichtverletzung spricht die Vermutung für eine Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall ().
Ermessen
Die im Rahmen des § 224 BAO zutreffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftung folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist ().
Ein im Zuge der Ermessensentscheidung zu Gunsten des Bf. zu berücksichtigender minderer Grad des Verschuldens an der Nichtabfuhr der Lohnabgaben ist aus den Feststellungen im Lohnsteuerbericht nicht ableitbar; die abgabenrechtlichen Pflichten, wie die ordnungsgemäße Führung von Aufzeichnungen oblagen dem Bf. als alleinigen Geschäftsführer der Gesellschaft. Die jahrelange Nichtführung entsprechender Aufzeichnungen in Bezug auf nicht steuerbare und steuerfrei ausbezahlte Lohnbestandteile kann nicht als minderer Grad des Verschuldens angesehen werden.
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Acht lassen darf ().
Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab ().
Im vorliegenden Fall wurde das Haftungsverfahren vom Finanzamt nach der Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch (Datum) - damit stand die Uneinbringlichkeit der erst im Zuge der Lohnsteuerprüfung (August 2020) festgestellten Nichtabfuhr der Lohnabgaben fest - mit dem Vorhaltsverfahren im Jahr 2021 begonnen; die Erlassung des Haftungsbescheides erfolgte im Jänner 2023. Ein langer Zeitabstand zwischen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin und der Erlassung des Haftungsbescheides liegt somit nicht vor.
Da die Nichtabfuhr der Lohnabgaben 2015 bis 2017 der Abgabenbehörde bis zur durchgeführten Lohnsteuerprüfung im Jahr 2019 nicht bekannt war und die Gesellschaft unmittelbar danach im Firmenbuch gelöscht wurde, konnten weder zeitnah noch nach der Abgabenfestsetzung Einbringungsmaßnahmen getroffen werden. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung ist daher den Zweckmäßigkeitsüberlegungen (Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles) Vorrang vor dem Gesichtspunkt des langen Zeitabstandes (6 bis 8 Jahre) zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld und der bescheidmäßigen Haftungsinanspruchnahme zu geben.
Im Haftungsverfahren hat der Bf. selbst keine Einwendungen zum Ermessen vorgebracht. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Dem gegenständlichen Erkenntnis liegt die oben zitierte, ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Grunde. Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG daher nicht erfüllt sind, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102768.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at