Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.01.2024, RV/6100449/2022

Zurückweisung eines Antrages auf Verzinsung verspätet erfolgter Umsatzsteuergutschriften in analoger Anwendung von § 205a BAO - Aufhebung, da inhaltlich abzusprechen ist

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, Bf_Adr, vertreten durch Stb, Stb_Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Zurückweisung eines Antrages 12.2012-12.2016 auf Gewährung von Verzugszinsen iZm Umsatzsteuer 2012 bis 2016, Steuernummer Bf_StNr zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt/Verfahrensgang

1. Am stellte die Beschwerdeführerin (Bf) den Antrag auf Festsetzung von Verzugszinsen für nicht fristgerecht erstattete Umsatzsteuerguthaben in unmittelbarer Anwendung der Art. 183 und 90 MwStSystRL sowie in analoger und unionsrechtskonformer Anwendung des § 205a BAO.

Infolge einer 2012 begonnenen Betriebsprüfung sei es 2014 zu einer Wiederaufnahme und Neufestsetzung der Umsatzsteuer 2008 gekommen. Eine in diesem Jahr von der Bf durchgeführte Vorsteuerberichtigung iHv € €_Betrag sei nach den Feststellungen der Betriebsprüfung allenfalls auf zehn Jahre verteilt vorzunehmen. Das Rechtsmittelverfahren betreffend die Umsatzsteuer 2008 sei 2021 so abgeschlossen worden, dass der Bf eine Vorsteuerberichtigung im Ausmaß eines Zehntels zuerkannt worden sei.

Für die Jahre 2009 bis 2011 habe der Bf nach Abschluss der Betriebsprüfung 2014 nur mehr das Rechtsmittel der Wiederaufnahme zur Verfügung gestanden; für die hier beschwerdegegenständlichen Jahre 2012 bis 2016 sei die Zehntelberichtigung in Stattgebung eines Antrages gem. § 299 BAO ebenfalls 2021 erfolgt.

Aufgrund der verspäteten Erstattung dieser Vorsteuern sei der Bf ein finanzieller Nachteil entstanden.

Unter Verweis auf bezughabende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes wurde die Verzinsung der verspätet erfolgten Umsatzsteuergutschriften iHv insgesamt Betrag_Zins beantragt.

2. Der Antrag wurde mit Bescheid vom als unzulässig zurückgewiesen.

Der EuGH habe seiner Entscheidung vom , C-844/19, technoRent, zwar festgehalten, dass das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen sei, dafür jedoch Grenzen aufgezeigt. So sei die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen auch der Grundsatz der Rechtssicherheit gehöre, begrenzt und dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.

Weiters unterscheide sich der Beschwerdefall wesentlich von den EuGH-Anlassfällen, in denen die Nachforderung entrichtet bzw. in einer Festsetzung ein niedrigerer Betrag an Vorsteuer zuerkannt worden sei, der anschließend im Beschwerdeverfahren erhöht worden sei.

Eine Verzinsung komme weder nach § 205 BAO noch nach § 205a BAO analog in Frage. Ein Analogieschluss setze nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Vorliegen einer echten Gesetzeslücke, also das Bestehen einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ein Abweichen vom Gesetzeswortlaut sei nur dann zulässig, wenn eindeutig feststehe, dass der Gesetzgeber etwas Anderes gewollt habe, als er zum Ausdruck gebracht habe. Im Zweifel sei das Unterbleiben einer bestimmten Regelung im Bereich des öffentlichen Rechts als beabsichtigt anzusehen; der Gesetzgeber habe die Umsatzsteuer bei Einführung der Anspruchsverzinsung dezidiert nicht in die Bestimmung aufgenommen.

Darüber hinaus werde im gegenständlichen Fall die Verzinsung einer Gutschrift begehrt, die von der Abgabepflichtigen nie geltend gemacht worden sei, weshalb eine analoge Anwendung des § 205 BAO nicht in Betracht komme. Mangels eines anhängigen Beschwerdeverfahrens, aus dem eine Gutschrift resultiere, sei auch § 205a BAO nicht analog anwendbar.

Mangels gesetzlicher Grundlage sei der Antrag somit zurückzuweisen gewesen.

3. Die Einbringung der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid erfolgte innerhalb verlängerter Rechtsmittelfrist am .

Begründend wurde ausgeführt, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ro 2017/15/0035, die analoge Anwendung der §§ 205 und 205a BAO iZm der Verzinsung von Umsatzsteuerguthaben ausdrücklich anerkannt habe. Der VwGH folge damit der Rechtsprechung des EuGH, C-844/19, zur Frage der Verzinsung vom Umsatzsteuergutschriften.

Der Grundsatz der Neutralität des Mehrwertsteuersystems verlange, dass die finanziellen Verluste, die dem Gläubiger, wenn ihm der Mehrwertsteuerüberschuss nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet werde, durch die fehlende Verfügbarkeit der fraglichen Geldbeträge entstehe, durch eine Zinszahlung ausgeglichen werde (Rafinaria Steaua Romania, Rn 23; Glencore Agriculture, Rn 22). Eine solche spezifische Verzugszinsenpflicht sehe das österreichische Abgabenrecht im Bereich der Umsatzsteuer nicht vor, jedoch enthalte die BAO für mehrere konkret definierte Tatbestände sehr wohl Zinsfolgen. Genau jene Bestimmungen (§§ 205 und 205a) seien nach Ansicht des VwGH bis zur Umsetzung einer Regelung durch den österreichischen Gesetzgeber für die Verzinsung analog anzuwenden.

Entgegen der Ansicht der Abgabenbehörde liege, wie VwGH und EuGH festgestellt haben, eine Gesetzeslücke vor, und sei aufgrund dessen mit AbgÄG 2022 mit § 205c BAO eine neue Regelung betreffend Umsatzsteuerzinsen eingeführt worden. Da diese Regelung für den gegenständlichen Fall noch nicht zur Anwendung gelange, sei der Antrag in unionsrechtskonformer Auslegung auf § 205a BAO gestützt.

Der Auffassung der Abgabenbehörde, wonach die Gutschriften nie in einer Erklärung geltend gemacht worden seien, sei zu entgegnen, dass die Gutschriften bereits in der Jahreserklärung 2008 und später im Rahmen der Rechtsmittel für 2012 bis 2016 beantragt worden seien.

Die Beschwerde wurde antragsgemäß gem. § 262 Abs. 2 BAO ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.

II. Rechtliche Erwägungen

1. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechtes sind Anbringen zurückzuweisen, wenn zu ihrer Einbringung die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, somit die allgemeinen Prozessvoraussetzungen für ein Tätigwerden der Behörde in der Sache, im Gegenstand, der dem Parteienschritt zugrunde liegt, nicht erfüllt sind (Stoll, BAO-Kommentar, 2677).

Die Abgabenbehörde erachtete im Beschwerdefall das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung von Umsatzsteuerzinsen für den Zeitraum 2012 bis 2016 als fehlende Voraussetzung für ihr Tätigwerden und wies aus diesem Grund den Antrag der Bf zurück.

Die Bf stützte ihren Antrag und im Weiteren die Beschwerde va auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2017/15/0035. Dieses Erkenntnis erging nach Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens, welches im Erkenntnis des , mündete.

Der Verwaltungsgerichtshof äußerte sich in seiner Entscheidung sehr eindeutig:
Es zeigt sich somit, dass die BAO zwar keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden kennt, sehr wohl aber mehrere Zinstatbestände enthält, die dem Verwaltungsgerichtshof - solange der nationale Gesetzgeber keine entsprechende Regelung getroffen hat - in Verfahren beantragter Zinsen von Umsatzsteuer-Ansprüchen eine Rechtsanalogie zur Auflösung des derzeit bestehenden Normenkonflikts zwischen nationalem Recht und (nicht unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht erlaubt. In entsprechender Anwendung des diesen Bestimmungen zu Grunde liegenden Regelungsprinzips besteht der vom Revisionswerber geltend gemachte Zinsenanspruch zu Recht.

Wie die Bf richtig ausführte, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung eine analoge Anwendung der Zinstatbestände der BAO (§§ 205, 205a und 212a) auf verspätet erfolgte Umsatzsteuergutschriften für Zeiträume vor Geltung des § 205c BAO ausdrücklich für zulässig erklärt.

Damit hätte durch die Abgabenbehörde eine inhaltliche Absprache über den Antrag der Bf erfolgen müssen. Die Zurückweisung mangels gesetzlicher Grundlage erfolgte zu Unrecht.

2. Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 10 mwN). Für den Fall der Zurückweisung eines Anbringens ist somit "Sache" und Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur die Frage, ob dem Antragsteller von der Abgabenbehörde zu Recht eine Sachentscheidung verweigert wurde ().

Diese Frage war im Beschwerdefall, wie oben dargelegt, zu verneinen (vgl. auch ); da ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu Unrecht erlassen wurde, war dieser durch das Bundesfinanzgericht aufzuheben. Eine weitergehende inhaltliche Entscheidung musste infolge Begrenzung durch die Sache unterbleiben bzw. hat im Weiteren durch die Abgabenbehörde zu erfolgen (Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 6).

Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da durch , bereits grundsätzlich den Anspruch von Umsatzsteuerzinsen schon vor Einführung des § 205c BAO als unionsrechtlich gegeben erachtet wurde, ist schon auf Grundlage dieses Erkenntnisses die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antragsbegehren geboten. Der Umfang der Abänderungsbefugnis des Gerichts ist durch die zitierte Rechtsprechung geklärt; mangels grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfrage war die Revision sohin nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 205c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
EuGH, C-844/19


ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.6100449.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at