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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.12.2023, RV/7105895/2019

Keine Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit b BAO liegen vor

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Andrea Pamperl in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Daigneault Edward William, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens Familienbeihilfe für den Zeitraum 10.2006-12.2010 gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Sozialversicherungsnummer ***SV-Nr*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrem Antrag vom Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab Oktober 2006. Am überreichte die beschwerdeführende Partei folgende Unterlagen an die belangte Behörde: Eine Bestätigung über erteilte Aufenthaltstitel des Amt der Wiener Landesregierung, MA 35 vom , womit folgende erteilte Aufenthaltstitel bestätigt wird für Frau ***1*** ***2***, geb. am ***3***.1992, Staatsangehörigkeit Serbien: Eingangsdatum: , Bewilligungsdauer: bis , Aufenthaltszweck: Daueraufenthalt - EG. Zudem das Jahreszeugnis für das Schuljahr 2005/06 der ***4*** vom , Jahres- und Abschlusszeugnis für das Schuljahr 2007/08 der ***5*** vom und Jahreszeugnis für das Schuljahr 2008/2009 der ***5*** vom .

Mit Abweisungsbescheid vom weist die belangte Behörde den "Antrag vom " auf Familienbeihilfe für das Kind ***2*** ***1*** für den Zeitraum ab Oktober 2006 ab. Begründend wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht hätte und deshalb angenommen werden müsste, dass im oben genannten Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden hätte bzw. bestehe.

In ihrer Beschwerde vom führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie den Abweisungsbescheid (wohl irrtümlich "vom " "mit dem Datum " bezeichnet) erst im Zuge einer persönlichen Vorsprache bei der belangten Behörde am erhalten hätte und sie die angeforderte Scheidungsurkunde hiermit nachreichen wolle.

In Beantwortung eines Vorhaltes vom legte die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom einen Bescheid des Landes Wien, Amt der Wiener Landesregierung, MA 35 vom vor, wonach von Amts wegen festgestellt wird, dass der Aufenthalt von ***1*** ***2*** vom bis zum gemäß § 20 Abs. 2 NAG rechtmäßig war dem Finanzamt vor.

In der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom wurde begründend ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin trotz schriftlichem Ersuchen vom (RSb) die zur Feststellung eines Familienbeihilfenanspruches erbetenen Beweismittel (Nachweis über ihren rechtmäßigen Aufenthalt ab Oktober 2006, Obsorgebeschluss für die Tochter ***2*** ***1***) nicht beigebracht hätte und dadurch ihre Mitwirkungspflicht nach § 115 BAO nicht nachgekommen sei. Daher müsse angenommen werden, dass im angefochtenen Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden hätte. Der Vollständigkeit halber werde festgehalten, dass das schriftliche Ersuchen nachweislich durch Hinterlegung beim Postamt 1160 am zugestellt worden sei.

In der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts vom ***9***, GZ. ***6*** wurde betreffend ein anderes Kind der Beschwerdeführerin festgestellt, dass Familienbeihilfe fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung, somit ab Februar 2008, zu gewähren ist. Hinsichtlich des Zeitraums vor Februar 2008 (begehrt wurde Familienbeihilfe ab Oktober 2006) wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die teilweise Stattgabe der Beschwerde begründete sich darauf, dass sich die Beschwerdeführerin und das in diesem Verfahren relevante Kind rechtmäßig im strittigen Zeitraum in Österreich aufgehalten hatten. Daraufhin wurde mit "Antrag auf weitere Zuerkennung der Familienbeihilfe für ***1*** ***2***" vom durch die steuerliche Vertretung Familienbeihilfe für ***1*** ***2*** ab Oktober 2006 begehrt. Dieser Antrag wurde am abgewiesen. Da die Behörden in diesem Verfahren keine BVE erlassen hatte, stellt das Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom ***10***, ***11*** die Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichts fest. In einem Aktenvermerk der belangten Behörde vom wurde festgehalten, dass die Postsendung zur abweisenden Berufungsvorentscheidung vom zunächst hinterlegt wurde, aber nach einem Bestätigungsschreiben des Post-Kundenservice nicht zugestellt worden sei. Daher sei diese BVE am neuerlich in identischer Form ausgestellt und mit RSb zugestellt worden. Entgegen der diesbezüglichen Anmerkungen zu einem anderen Aktenvermerk können nunmehr festgehalten werden, dass der diesbezügliche Rückschein, der eine persönliche Übernahme der Verf 40 (BVE) am nachweise, nunmehr im Aktenlager aufgefunden worden sei und die rechtswirksame Zustellung somit zweifelsfrei feststehe. Diese BVE sei in der Folge nicht angefochten worden und sei somit in Rechtskraft erwachsen. Im weiteren Verfahren wurde nach Erlassen einer BVE mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom ***8***, GZ. ***7*** die Beschwerde als unzulässig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Auch darin wird ausgeführt, dass der Rückschein der Beschwerdevorentscheidung vom der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Vertreters zur Kenntnis übermittelt wurde.

Mit Eingabe vom beantragte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin die hier gegenständliche Wiederaufnahme des Verfahrens zur Gewährung von Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ***2*** für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010. Die Beschwerdeführerin hätte aus dem Parteiengehör des Kenntnis davon erlangt, dass zu einem weiteren Antrag auf Zuerkennung vom die den Antrag abweisende BVE vom ergangen sei (diese sei zwar an sie zustellverfügt, jedoch am ihrer Tochter ***12*** ausgefolgt worden). Das Finanzamt begründe die BVE mit dem nicht beigebrachten Nachweis über den rechtmäßigen Aufenthalt bzw. dem Obsorgebeschluss. Einen Obsorgebeschluss hätte die Beschwerdeführerin nicht, ein solcher sei auch nicht erforderlich, gemäß § 177 Abs. 2 ABGB sei die Mutter mit der Obsorge betraut. Damit stehe fest, dass ihr die Obsorge zukomme. In Bezug auf den damaligen Aufenthalt verweise die Beschwerdeführerin auf BFG-E ***13***, welches in der Familienbeihilfesache ihrer Tochter ***14*** ergangen sei und feststelle, dass sie all die Jahre mit Aufenthaltstitel "Familienangehörige" (§ 8 Abs. 1 Z 8 NAG) zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei. Es werde nunmehr der Antrag gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt und um Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010 ersucht. Dazu gebe die Beschwerdeführerin noch zu bedenken, dass sie die ganzen Jahre über in Beschäftigung gestanden habe und ihre Kinder und sie selbst deshalb auch an den Sozialleistungen zum Ausgleich der Familienlasten teilhaben sollten.

Nach Urgenzen betreffend dieses Antrags auf Wiederaufnahme am , am 7. und erging am ein Mängelbehebungsauftrag der belangten Behörde, worin ausgeführt wurde, dass die Eingabe vom durch das Fehlen eines Inhaltserfordernisses (Bezeichnung der Umstände auf die der Antrag gestützt wird) Mängel aufweise.

Mit Eingabe vom führte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin in Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages aus, dass die Berufungsvorentscheidung vom der Beschwerdeführerin bislang unbekannt gewesen sei und inhaltlich das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom ***9*** die Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts der Beschwerdeführerin und damit ihren Töchtern bestätigt hätte, sodass materiell Anspruch auf diese Leistung bestanden habe. Neu hervorgekommen sei im Verfahren für das Finanzamt (das heiße nach der Berufungsvorentscheidung), dass der damalige Aufenthalt ihrer Töchter und von ihr selbst in Österreich aufgrund rechtzeitig gestellter Anträge zur Verlängerung der am erteilten Niederlassungsbewilligungen rechtmäßig gewesen sei. Daher sei ihr Antrag zu Unrecht abgewiesen worden. Es werde darauf hingewiesen, dass die Beihilfe für sämtliche Töchter zu Unrecht abgewiesen worden sei. Angesichts dessen, dass das Finanzamt nicht unrechtmäßig handeln dürfe und schon deshalb bemüht sein solle, begangene Fehler zu beheben, werde die Behörde eingeladen von Amts wegen ihr und auch für alle anderen Töchter die vorenthaltene Familienbeihilfe im Wiederaufnahmeverfahren zuzuerkennen.

Im abweisenden Bescheid vom wird im Wesentlichen ausgeführt, dass keine tauglichen Wiederaufnahmegründe aus dem Titel eines eingewandten Neuerungstatbestandes nach Lehre und Rechtsprechung neue Erkenntnisse in Bezug auf die Beurteilung von Sachverhaltselementen, oder aber auch Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden darstellen würden. Insofern könne das eingewandte Erkenntnis des BFG vom ***9*** per se keine dem geäußerten Begehren entsprechende Verfahrenswiederaufnahme begründen. Weiters wird ausgeführt, sofern aus der Zitierung der Wiederaufnahme-Tatbestände in der Eingabe vom ev. abzuleiten sein sollte, dass möglicherweise auch das Vorliegen des Vorfragen-Tatbestandes behauptet werden sollte, festzuhalten sei, dass nach den Vorgaben des § 116 BAO nur solche Tatbestandselemente Vorfragen seien, über die von einer Behörde bzw. Gericht als Hauptfrage zu entscheiden ist. Nach Lehre und Rechtsprechung hätte die Beihilfenbehörde nicht als Vorfrage zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ausstellung der öffentlichen Urkunden nach den aufenthaltsrechtlichen Vorgaben tatsächlich vorgelegen sind, sondern vielmehr an diese öffentlichen Urkunden anzuschließen. Das als Wiederaufnahmegrund eingewandte Erkenntnis des BFG vom ***9*** leite aus einem erstmalig im Kalenderjahr 2013 eingewandten Hinweis auf einen rechtzeitig vor Ablauf der Niederlassungsbewilligung gestellten Verlängerungsantrag, den Bestimmungen des § 24 NAG, den Materialien zur Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket und aus diesbezüglicher Rechtsprechung des UFS einen Beihilfenanspruch für die Töchter der Beschwerdeführerin ***15*** und ***14*** ab Februar 2008 ab. Ob ein rechtzeitiger Verlängerungsantrag gestellt worden sei, bilde keine Vorfrage, über die das BFG als Hauptfrage zu entscheiden gehabt hätte, sondern vielmehr eine (dem als Wiederaufnahmegrund unzweifelhaft eingewandten Neuerungstatbestand grundsätzlich entsprechende) Sachverhaltsfrage, die aber zufolge Antragstellung durch die Wiederaufnahme-Werberin aus ihrer Verfahrenssicht nicht neu hervorgekommen wäre. Der Vollständigkeit halber werde festgehalten, dass für das vom Wiederaufnahmeantrag betroffene Kind ***1*** ***2*** von der zuständigen Behörde bereits mit Bescheid vom festgestellt worden sei, dass der Aufenthalt von Frau ***1*** ***2*** vom bis rechtmäßig gewesen sei. Zur mit Eingabe vom erfolgten Anregung einer amtswegigen Wiederaufnahme werde mitgeteilt, dass auf amtswegige Maßnahmen kein Rechtsanspruch bestehe () und eine derartige Anregung auch keine Entscheidungspflicht auslöse ().

Mit Beschwerde vom führte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin neben bereits Vorgebrachtem aus, dass sich durch die Verlängerungsanträge betreffend Niederlassungsbewilligung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Beschwerdeführerin und ihrer Töchter perpetuiert hätte. Zudem sei der Argumentation der Behörde, es sei bereits im Jahre 2011 die Rechtsmäßigkeit von ***1*** festgestellt worden und deshalb liege kein tauglicher Wiederaufnahmegrund vor, entgegenzuhalten, dass dies bedeute, dass bereits im Jahre 2011 festgestanden habe, dass der Beschwerdeführerin für ihre Kinder Familienbeihilfe seit Oktober 2006 auszuzahlen sei. Die damalige Nichtaufrollung hätte ihr auch einen Zinsverlust gebracht, den sie im Aufforderungswege geltend machen werde.

In der abweisenden BVE vom wird im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Neu-Hervorkommen von Tatsachen und/oder Beweismitteln aus Verfahrens-Sicht eines/einer Wiederaufnahme-Werbers/-Werberin zu beurteilen sei. Diesem/dieser zum Zeitpunkt des Abschlusses des (später) zur Wiederaufnahme begehrten Verfahrens bereits bekannte (aber nicht - etwa in einem rechtzeitig eingebrachten Rechtsmittel - eingewandte) Umstände seien keine neu hervorgekommenen Sachverhalte. Nach Lehre und Rechtsprechung würden neue Erkenntnisse in Bezug auf die Beurteilung von Sachverhaltselementen, oder aber auch Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden keine (tauglichen) Wiederaufnahmegründe aus dem Titel eines Neuerungstatbetandes darstellen. Gemäß § 304 BAO sei eine Wiederaufnahme eines Verfahrens nach Eintritt der Verjährung nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmeantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht worden sei. Der am eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme des Beihilfenverfahrens für 10.2006 bis 12.2010 wäre gemessen an den bezeichneten Antragszeiträumen nicht nur außerhalb der mit § 10 Abs. 3 festgelegten maximalen Rückwirkungsfrist, sondern auch außerhalb der Verjährungsfrist (bzw. teilweise auch außerhalb der absoluten Verjährungsfrist) eingebracht worden. Insofern sei die begehrte Verfahrens-Wiederaufnahme auch aus diesem Grund nicht mehr zu verfügen. Der Vollständigkeit halber werde auch festgehalten, dass das antragsgebundene Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck hätte, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren.

Im Vorlageantrag vom führt der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin aus:

"Angemerkt wird: Tatsächlich hat das Finanzamt die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts gemäß § 116 Abs. 1 BAO als Vorfrage zu prüfen.

Ich habe im Verfahren vorgebracht, dass den Kindern und mir am Niederlassungsbewilligungen gemäß § 49 Abs 1 FrG 1997 erteilt wurden. Diese wurden gemäß § 1 Abs 2 Abschn A NAG-DV zu ,Aufenthaltstitel - Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 NAG, Verlängerungsanträge wurden am rechtzeitig gestellt, weshalb dieser Titel für die Kinder gar nicht und für mich mit Vorliegen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes ab Oktober 2012 geendet hat. Das ist der Judikatur (,perpetuiert') zu entnehmen.

Da sohin ein rechtmäßiger Aufenthalt gemäß § 8 NAG vorlag bestand Anspruch für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010, sodass mir Familienbeihilfe gewährt hätte werden müssen. Die Nichtgewährung bzw sogar Antragsabweisung ist wohl amtsmissbräuchlich erfolgt, sodass auch § 303 Abs 1 lit a BAO eine Wiederaufnahme rechtfertigen würde."

Nach Ersuchen des Bundesfinanzgerichts wurden von der belangten Behörde weitere Aktenteile aus den Vorverfahren an das Bundesfinanzgericht übermittelt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrem Antrag vom Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab Oktober 2006. Am legte die Beschwerdeführerin unter anderem Unterlagen über die Bestätigung des erteilten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" für das Kind ***1*** ***2*** von bis der belangten Behörde vor (Bestätigung des Amts der Wiener Landesregierung vom ). Zudem wurden Schulzeugnisse der Tochter ***1*** für das Schuljahr 2005/06, 2007/08 und 2008/09 vorgelegt. Mit Abweisungsbescheid vom wurde dieser Antrag abgewiesen. In ihrer Beschwerde vom legte die Beschwerdeführerin die Scheidungsurkunde des Bezirksgerichts ***16*** vom ***17*** 2007 vor.

Mit Vorhaltes vom wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, eine Bestätigung der Magistratsabteilung 35 vorzulegen mit der Angabe, ob sich ***1*** im Zeitraum Oktober 2006 bis März 2010 nach § 8 NAG rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. In Beantwortung dieses Vorhaltes legte die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom einen Bescheid des Landes Wien, Amt der Wiener Landesregierung, MA 35 vom dem Finanzamt vor, wonach von Amts wegen festgestellt wird, dass der Aufenthalt von ***1*** ***2*** vom bis zum gemäß § 20 Abs. 2 NAG rechtmäßig war.

Die gegen den Bescheid vom eingebrachte Beschwerde vom wurde mit BVE vom abgewiesen. Diese BVE wurde am mittels RSb zugestellt. Die Übergabe des Schriftstücks und Unterzeichnung des Rückscheins erfolgte durch eine am Wohnsitz der Beschwerdeführerin wohnende Tochter der Beschwerdeführerin. Dass diese Zustellung rechtswirksam erfolgte wurde bereits mit Beschluss des BFG vom ***8*** zu GZ. ***7*** festgestellt.

Mit Eingabe vom beantragte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO zur Gewährung von Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ***2*** für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010. Begründend wurde ausgeführt, dass ein Obsorgebeschluss nicht erforderlich sei, da sie gemäß § 177 Abs. 2 ABGB als Mutter mit der Obsorge betraut sei. Betreffend den rechtmäßigen Aufenthalt würde auf ***6*** verwiesen, welches betreffend ihre andere Tochter ergangen sei. Dort sei festgestellt worden, dass sie all die Jahre mit Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" (§ 8 Abs. 1 Z 8 NAG) zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei. In Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages vom führte die Beschwerdeführerin detaillierter aus, welche Tatsachen und Beweismittel ihrer Ansicht nach neu hervorgekommen seien. Dies sei einerseits die der Beschwerdeführerin unbekannte Berufungsvorentscheidung vom und inhaltlich andererseits das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom ***13***, welches die Rechtmäßigkeit der Beschwerdeführerin und ihrer Töchter im beantragten Bezugszeitraum bestätigen würde, sodass materiell Anspruch auf diese Leistung bestanden habe. Neu hervorgekommen für das Finanzamt (d.h. nach der Berufungsvorentscheidung) sei, dass der damalige Aufenthalt ihrer Töchter und ihr in Österreich aufgrund rechtzeitig gestellter Anträge zur Verlängerung der am erteilten Niederlassungsbewilligungen rechtmäßig gewesen sei.

Gegen den abweisenden Bescheid vom wurde Beschwerde mit Eingabe vom eingebracht, welche mit BVE vom abgewiesen wurde.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Familienbeihilfen-Akt und den übereinstimmenden Parteienerklärungen.

Die Feststellung, dass die BVE vom am mittels RSb zugestellt wurde, ergibt sich aus den übereinstimmenden Parteienvorbringen und den Unterlagen im Akt. Zudem wurde dies bereits im Verfahren des BFG vom ***8***, GZ. ***7*** festgestellt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 303 Abs. 1 BAO lautet:

§ 303.(1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei. Nur dieser solcherart festgelegte Tatsachenkomplex bildet die "Sache", d.h. den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens. Ein Austausch von Wiederaufnahmegründen im Beschwerdeverfahren ist unzulässig (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, § 303, Anm. 10).

In ihrem Antrag auf Wiederaufnahme vom führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie aus dem Parteiengehör des Kenntnis davon erlangt hätte, dass zu einem Antrag auf Zuerkennung vom die den Antrag abweisende Berufungsvorentscheidung vom ergangen sei. Diese sei an sie zustellverfügt gewesen, jedoch am ihrer Tochter ***12*** ausgefolgt worden. Das Finanzamt hätte die Berufungsvorentscheidung mit dem nicht beigebrachten Nachweis über den rechtmäßigen Aufenthalt bzw dem Obsorgebeschluss begründet. Einen Obsorgebeschluss habe sie nicht, ein solcher sei auch nicht erforderlich, gemäß § 177 Abs 2 ABGB sei die Mutter mit der Obsorge betraut. Damit stehe fest, dass ihr die Obsorge zugekommen sei. Betreffend des rechtmäßigen Aufenthalts werde auf das BFG-Erkenntnis vom ***13***, welches in der Familienbeihilfesache ihrer anderen Tochter ergangen sei, verwiesen. Dort sei festgestellt worden, dass sie all die Jahre mit Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" (§ 8 Abs. 1 Z 8 NAG) zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei.

Mit Mängelbehebungsauftrag vom wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde aufgefordert, die Umstände zu bezeichnen, auf die der Antrag gestützt wird. In ihrer Beantwortung dieses Mängelauftrages vom führte die Beschwerdeführerin aus: "Ich stellte […] den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und ersuchte um Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010 und begründete dies einerseits mit der mir bislang unbekannten Berufungsvorentscheidung vom und inhaltlich andererseits mit dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom ***13***, welches mir (und damit meinen Töchtern) die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im beantragten Bezugszeitraum bestätigte, sodass materiell Anspruch auf diese Leistung bestand." Weiters wurde nach Wiedergabe des Wortlauts des § 303 Abs 1 BAO ausgeführt: "Nun ist im Verfahren für das Finanzamt neu hervorgekommen (d.h. nach der Berufungsvorentscheidung) dass er damalige Aufenthalt meiner Töchter und von mir in Österreich aufgrund rechtzeitig gestellter Anträge zur Verlängerung der am erteilten Niederlassungsbewilligungen rechtmäßig war. Daher wurde mein Antrag zu Unrecht abgewiesen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Beihilfe für sämtliche Töchter zu Unrecht abgewiesen wurde. Angesichts dessen, dass das Finanzamt nicht unrechtmäßig handeln darf und schon deshalb bemüht sein sollte, begangene Fehler zu beheben, wird die Behörde eingeladen von Amts wegen mir auch für alle anderen Töchter die vorenthaltene Familienbeihilfe im Wiederaufnahmeverfahren zuzuerkennen."

Die Beschwerdeführerin stützt ihr Vorbringen somit einerseits auf ihre Unkenntnis der BVE vom und andererseits auf die Entscheidung des BFG vom ***9***, ***6*** und führt aus, dass für das Finanzamt nach der BVE neu hervorgekommen sei, dass der Aufenthalt ihrer Töchter und von ihr selbst in Österreich rechtmäßig gewesen sei.

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (vgl. z.B. ), somit Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten (vgl. z.B. ). Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmende Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind. Beispiele dafür, was nicht unter den Begriff "Tatsachen" im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO fallen, finden sich in der Aufzählung bei Ritz/Koran, BAO, 2021, § 303, Rz 23 mit Verweis auf die Rechtsprechung des VwGH: Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden, Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, Hervorkommen von Rechtsirrtümern, unterschiedliche Beweiswürdigungen durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch eine Verwaltungsstrafbehörde oder ein Gericht andererseits, höchstgerichtliche Erkenntnisse oder die Änderung von Erlässen.

Im vorliegenden Fall sind keine Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO neu hervorgekommen. Wie oben ausgeführt, sind Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände. Als "Tatsache" führt die Beschwerdeführerin einerseits ihre Unkenntnis betreffend die BVE vom an. Diese BVE wurde wie bereits oben ausgeführt, rechtmäßig zugestellt. Dem Vorbringen, dass diese Beschwerdevorentscheidung der Beschwerdeführerin nicht bekannt war, kann somit nicht gefolgt werden.

Weiters beruft sich die Beschwerdeführerin auf das Erkenntnis des BFG vom ***9***, ***6***. Darin wurde ausgesprochen, dass § 24 NAG das Verfahren im Fall von Anträgen auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels regele. Nach Absatz 1 seien derartige Anträge vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages sei der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Im vorliegenden Fall seien rechtzeitig vor Ablauf der Niederlassungsbewilligungen für die Beschwerdeführerin und ihre Tochter ***14*** Anträge auf Verlängerung gestellt worden. Das diesbezügliche Verfahren sei zum Zeitpunkt der Erlassung des beschwerdegegenständlichen Abweisungsbescheides vom ***18***.2013 noch offen. Im Sinne der oben angeführten Regelung sein die Beschwerdeführerin und ihre Tochter ***14*** damit nach den Bestimmungen des NAG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesen und hätten die in § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 normierten Voraussetzungen erfüllt.

Wie bereits oben ausgeführt, sind Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden keine Tataschen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO. Das Erkenntnis des BFG vom ***9***, ***6*** kann der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren betreffend Antrag auf Wiederaufnahme für ihre Tochter ***1*** somit nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst wenn man annimmt, dass der belangten Behörde im hier vorliegenden Verfahren bekannt war, dass am rechtzeitig vor Ablauf der Niederlassungsbewilligungen Anträge bei der zuständigen Niederlassungsbehörde für die Beschwerdeführerin und ihre Kinder gestellt worden sind, und die belangte Behörde daher in rechtsrichtiger Gesetzesanwendung die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im strittigen Zeitraum feststellen hätte müssen, kann für den vorliegenden Antrag auf Wiederaufnahme nichts gewonnen werden. Denn ein Hervorkommen von Rechtsirrtümern oder eine rechtliche Fehlbeurteilung der Behörde sind keine Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO. Dass der belangten Behörde im Verfahren betreffend Antrag auf Familienbeihilfe vom nicht bekannt gewesen wäre, dass für die Beschwerdeführerin rechtzeitig vor Ablauf der Niederlassungsbewilligung ein Antrag bei der zuständigen Niederlassungsbehörde gestellt wurde, wurde von der Beschwerdeführerin weder im Antrag auf Wiederaufnahme noch in einer sonstigen Eingabe im vorliegenden Verfahren vorgebracht. Auch wurden diesbezügliche Unterlagen im vorliegenden Verfahren betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens nicht vorgelegt.

Dass sich die Tochter ***1*** von bis rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat, war dem Finanzamt bereits aufgrund der Eingabe vom , somit vor Erlassung der Beschwerdevorentscheidung vom bekannt.

Da im vorliegenden Fall keine Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO neu hervorgekommen sind, war dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kein Erfolg beschieden.

Die Beschwerdeführerin bringt erstmals in ihrem Vorlageantrag vom vor, dass die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts gemäß § 116 Abs. 1 BAO das Finanzamt als Vorfrage zu prüfen hätte. Weiters wird erstmals im Vorlageantrag vorgebracht: "Da sohin ein rechtmäßiger Aufenthalt gemäß § 8 NAG vorlag bestand Anspruch für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010, sodass mir Familienbeihilfe gewährt hätte werden müssen. Die Nichtgewährung bzw sogar Antragsabweisung ist wohl amtsmissbräuchlich erfolgt, sodass auch § 303 Abs 1 lit a BAO eine Wiederaufnahme rechtfertigen würde."

Wie bereits oben ausgeführt, bestimmt die Frage, welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei. Nur dieser solcherart festgelegte Tatsachenkomplex bildet die "Sache", d.h. den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens. Ein Austausch von Wiederaufnahmegründen im Beschwerdeverfahren ist unzulässig (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, § 303, Anm. 10). Die Beschwerdeführerin führt in ihrem Antrag auf Wiederaufnahme vom explizit aus: "Ich stelle nunmehr den Antrag gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens und ersuche um Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 10/2006 bis 12/2010." Auch in der restlichen Textierung sowie im Schriftsatz vom in Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages findet sich kein Vorbringen hinsichtlich § 303 Abs. 1 lit a und c BAO. Da Wiederaufnahmegründe gemäß § 303 Abs. 1 lit a und c BAO erstmalig in ihrem Vorlageantrag vom vorgebracht wurden, war daher darauf nicht einzugehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da die im gegenständlichen Verfahren entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt sind, liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7105895.2019

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