Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.01.2024, RV/2100136/2023

Wiederaufnahme gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO: Voraussetzungen für den Neuerungstatbestand nicht erfüllt ("irrtümlich vergessen, Pendlerpauschale zu beantragen"), keine "Nachholung" von mangels Rechtskenntnis verabsäumter Anträge im Rahmen der Wiederaufnahme

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Martin C. WITTMANN in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich jeweils vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 und 2018, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) reichte am die Arbeitnehmerveranlagung (im Folgenden: ANV) für das Jahr 2017 bzw am für das Jahr 2018 in Papierform ein. Am L1 2017 und 2018 wurden weder Pendlerpauschale noch Pendlereuro erklärt. Die Veranlagungen erfolgten antragsgemäß. Der Erstbescheid betreffend 2017 erging am bzw betreffend 2018 am .

Am wurde ein Pendlerrechnerausdruck mit der Bitte um Wiederaufnahme des Verfahrens für die Jahre 2017 und 2018 eingebracht.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme beider Verfahren jeweils mittels Bescheid vom mangels neuer Tatsachen ab.

Mit Schriftsatz vom erhob der Bf per Fax Beschwerde gegen die beiden Abweisungsbescheide und begründete diese damit, dass "irrtümlich vergessen" worden sei, Pendlerpauschale und Pendlereuro zu beantragen.

Die Beschwerdevorentscheidung wurde am abweisend erledigt, da die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gem § 303 Abs 1 Bundesabgabenordnung (im Folgenden: BAO) nicht vorgelegen seien.

Am erhob der Bf per Fax "Beschwerde" gegen die Beschwerdevorentscheidung vom , welche als Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (im Folgenden: BFG) gem § 264 BAO (Vorlageantrag) zu behandeln ist.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vor

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Da der Bf die Voraussetzungen für das Pendlerpauschale und den Pendlereuro erfüllte, wurde dies im Rahmen der ANV im Veranlagungsjahr 2016 sowie 2019 bis einschließlich 2022 berücksichtigt.

Der Bf behauptet nicht, dass ihm die Möglichkeit der Beantragung von Pendlerpauschale und Pendlereuro im Zuge der Veranlagung nicht bekannt waren.

Obwohl sich in den Folgejahren daran nichts geändert hat, nahm der Bf in den Streitjahren 2017 und 2018 von einer Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros Abstand. Der Bf wusste zwar über seinen weiterhin bestehenden Anspruch Bescheid, unterließ es aber, diesen im Rahmen der ANV 2017 und 2018 geltend zu machen, weil er "irrtümlich" vergessen hatte, das Pendlerpauschale und den Pendlereuro zu beantragen.

Erst als ihm mehr als zwei Jahre nach der antragsgemäßen Veranlagung die Nichtberücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros in den Jahren 2017 und 2018 aufgefallen war, beantragte er, die ESt-Verfahren für 2017 und 2018 wiederaufzunehmen und das Pendlerpauschale sowie den Pendlereuro zu berücksichtigen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen und ist auch nicht strittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann gem § 303 Abs 1 BAO auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Der Wiederaufnahmeantrag hat gem § 303 Abs 2 BAO zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens hat den Zweck, ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren, dem besondere Mängel anhaften, aus den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Gründen aus der Welt zu schaffen und die Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen (vgl ).

Wie der Verwaltungsgerichtshof (im Folgenden: VwGH) in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, hat ein Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung des Wiederaufnahmetatbestandes der neu hervorgekommenen Tatsachen - insb die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel für den Steuerpflichtigen "neu hervorgekommen sind". Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs 1 lit b iVm Abs 2 lit b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem derartigen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht der antragstellenden Person zu beurteilen ist (vgl , mwN). Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind also Tatsachen oder Beweismittel, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (; ). Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme - wie von der belangten Behörde zutreffend im Vorlagebericht ausgeführt - aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl ).

Hatte der Abgabepflichtige im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits Kenntnis von diesen Tatsachen oder Beweismitteln, ist ein Antrag auf Wiederaufnahme als unbegründet abzuweisen (; bestätigt durch ; , Ro 2015/13/0011).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (zB mwN; vgl auch Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO, Stoll-Kommentar, 2023, § 303 BAO, Rz 18 mit der dort angeführten höchstgerichtlichen Judikatur).

Auch hat das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (zB , mwN). Ebenso können aber nicht aufgrund mangelnder Rechtskenntnisverabsäumte Anträge im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens "nachgeholt" werden (zB ).

"Vergessene" Werbungskosten begründen somit iSd Judikatur des VwGH ebenso wenig wie eine nach Rechtskraft des Bescheides eingetretene bessere Rechtskenntnis des Bf über steuerlich mögliche Absetzbeträge einen Wiederaufnahmegrund aus dem Titel neuhervorgekommener Tatsachen.

Darüber hinaus eröffnen Umstände, die dem Bf schon immer bekannt gewesen sind (wie hier, dass er das Pendlerpauschale und den Pendlereuro geltend machen kann), deren steuerliche Berücksichtigung er aber unterlassen hat, keinen Antrag auf Wiederaufnahme (vgl ).

Die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag einer Partei gem § 303 Abs 1 lit b BAO ist nur dann zulässig, wenn der Antragsteller Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, aufgrund derer ein Anspruch auf eine Herabsetzung der Einkommensteuer begründet werden kann. Diese Tatsachen und Beweismittel waren dem Bf bereits im Rahmen der ANV 2016 bekannt. Er hatte lediglich - wie er selbst in seiner Beschwerde vom ausführt - "irrtümlich vergessen" Pendlerpauschale und Pendlereuro zu beantragen. Ein derartiger Irrtum stellt aber - wie oben ausführlich dargestellt - keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 303 BAO dar.

Da es somit im vorliegenden Fall an neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs 1 lit b BAO mangelt, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Nur ergänzend wird darauf verwiesen, dass bei Vergessen/Übersehen der Beantragung eines Pendlerpauschales oder Pendlereuros, dies in einem Beschwerdeverfahren oder durch einen Antrag auf Bescheidaufhebung gem § 299 BAO geltend gemacht werden kann, nicht aber durch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Im konkreten Fall waren auch diese Fristen von einem Monat bzw von einem Jahr am , als der Bf den Wiederaufnahmeantrag stellte, bereits seit über einem Jahr abgelaufen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das Erkenntnis der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens folgt, hängt dieses Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ab. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.2100136.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at