Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.12.2023, RV/7103485/2023

Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/7103485/2023-RS1
wie RV/3100811/2019-RS1
Der Familienbeihilfenanspruch für ein Folgejahr ist im Wege einer ex-ante-Betrachtung auf Basis des bisherigen Studienerfolges zu prüfen (vgl ua ). Bei Vorliegen eines ausreichenden Studienerfolges im Nachweiszeitraum besteht - bei Vorliegen aller anderen Anspruchsvoraussetzungen und dem Fehlen von Ausschlussgründen - ein Anspruch auf Familienbeihilfe im Folgejahr, es sei denn, die Berufsausbildung würde vorzeitig endgültig abgebrochen (oder überhaupt nie begonnen) worden sein.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Dr. Lisa Pucher in der Beschwerdesache ***Bf***, ***BfAdr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Mai 2022 bis April 2023 für das Kind ***R K***, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Der Rückforderungsbetrag für die Monate Oktober 2022 bis April 2023 beträgt:


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Familienbeihilfe
€ 1.194,10
Kinderabsetzbetrag
€ 422,40
Summe
1.616,50

Hinsichtlich der Monate Mai bis September 2022 erfolgt keine Rückforderung.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Das Finanzamt erließ am einen Bescheid mittels dessen von der Beschwerdeführerin (nachfolgend "Bf") Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für das Kind ***R K*** rückgefordert wurde. Familienbeihilfe stehe bei einer ernsthaften und zielstrebigen Ausbildung zu; eine solche sei gegeben, wenn die volle Zeit dafür aufgewendet und in angemessener Zeit zu Prüfungen angetreten wird. Dies habe für ***R*** ab Mai 2022 nicht mehr zugetroffen. Zudem habe ***R*** mit März 2023 Studienwechsel (später als in der Zulassungsfrist des 3. Semesters) vollzogen, wobei nach eigenen Angaben keine Anrechnung aus dem Vorstudium erfolgt sei. In den betreffenden Monaten habe daher kein Familienbeihilfenanspruch bestanden.

Am erhob die Bf Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid. Die Bf brachte vor, dass ihre Tochter vor dem Studienwechsel die Kurse und Vorlesungen an der Uni Wien regelmäßig besucht habe. Eine Ablegung von Prüfungen bzw die positive Absolvierung von Lehrveranstaltungen sei ihr aufgrund ernsthafter gesundheitlicher Probleme nicht möglich gewesen. Anbei übermittelte die Bf diverse Dokumente (Befund des Institutes ADK Diagnostics vom , GYN-Checkliste für eine am durchzuführende Operation der Krankenanstalt Rudolfstiftung vom , gynäkologisch-zytologischer Befund der Pathologie OG, Entlassungsbrief der Klinik Ottakring vom , Patientenbrief der Klinik Ottakring vom über den stationären Aufenthalt von ***R K*** von bis ).

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom (Zustellung durch Hinterlegung am ) als unbegründet abgewiesen. Laut bereits vorgelegtem Studienerfolgsnachweis der Universität Wien vom habe ***R K*** ihre letzte Prüfung im April 2022 abgelegt. Ab Mai 2022 sei kein Nachweis weiterer Prüfungsantritte erfolgt, sodass ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsausbildung ausgegangen werden könne. Wird die Tätigkeit, durch die ein Kind für einen Beruf ausgebildet wird, abgebrochen und nicht mehr wiederaufgenommen, sondern krankheitshalber oder aus welchen Gründen auch immer endgültig beendet, so könne ab der Beendigung nicht mehr von einer Berufsausbildung des Kindes iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG gesprochen werden und es bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe. (Bloße) Unterbrechungen des tatsächlichen Ausbildungsvorganges (zB Erkrankungen, die die Berufsausbildung auf begrenzte Zeit unterbrechen, Urlaube und Schulferien) wären dagegen für einen bereits vorher entstandenen Anspruch auf Familienbeihilfe nicht schädlich. Es könne nicht mehr von einer bloßen (für den Familienbeihilfenanspruch nicht schädlichen) Unterbrechung des tatsächlichen Ausbildungsvorganges gesprochen werden, wenn die Ausbildung nach ihrem Abbruch nicht wiederaufgenommen wird.

Am brachte die Bf ein als Vorlageantrag zu wertendes Schreiben ein.

Am wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Am übermittelte ***R K*** nach Aufforderung durch die belangte Behörde Unterlagen über ihre im Sommersemester 2022 gesetzten Studienaktivitäten (insbesondere Vorlesungsmitschriften).

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

***R K***, geboren am ***GebDatum***, ist die Tochter der Bf. Die Bf hat während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraumes die Unterhaltskosten für ***R*** getragen.

***R*** nahm im Wintersemester 2020 das Bachelorstudium Soziologie an der Universität Wien auf. Die Zulassung zum Soziologie-Studium ist mit erloschen. Mit nahm ***R*** einen Studienwechsel auf das Bachelorstudium Sprachwissenschaft vor.

Für das von Tochter der Bf betriebene Bachelorstudium Soziologie wurden von der Universität Wien am folgende Studienleistungen bestätigt:

Studienjahr 2020/2021 (= 1. Studienjahr)


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Wintersemester
ECTS
Semesterstunden
Datum
Beurteilung
STEOP : Modulprüfung: G rundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie
6
2
.2020
genügend
STEOP: Modulprüfung F achspezifische Einführung Soziologie
9
5
1 1 .0 1 .2 021
b efriedigend
VO BAK2 Themenbereich Aktuelle gesellschaftliche Themen und sozialwissenschaftliche Fragestellungen
5
2
befriedigend
VO Wissenschaftstheorie und -geschichte
5
2
genügend
Sommersemester
S tatistik für SoziologInnen
3
1 ,50
nicht genügend
V O Grundzüge Soziologische Theorien (Grundzüge)
6
3
b efriedigend
U E Einführung in die empirische Sozialforschung
4
2
.2021
befriedigend
UE Grundlagen Theorie ("Klassiker*innen")
4
2
nicht genügend
Summe der ( p ositiv en) Studienleistungen im 1. Studienjahr in ECTS bzw Semesterwochenstunden
35
16

Studienjahr 2021/2022 (= 2. Studienjahr)


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Sommersemester
ECTS
Semesterstunden
Datum
Beurteilung
Proseminar Einführung in die Soziologie
5
2
3 0.04.2022
n icht genügend
Summe der (positiven) Studienleistungen im 2. Studienjahr in ECTS bzw Semesterwochenstunden
0
0

***R*** hat im Studienjahr 2021/2022 ihr Soziologie-Studium betrieben. Sie hat keine Prüfungen abgelegt bzw Lehrveranstaltungen positiv absolviert. Sie hat aber - neben dem Proseminar Einführung in die Soziologie - die Lehrveranstaltungen VO Theorie und Praxis von Social Media-Kommunikation, VO Visuelle Kommunikation und VO Internetrecht besucht.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ist aktenkundig. Dem entgegenstehende Umstände wurde nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Zu klären war, ob die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Mai 2022 bis April 2023 (= 2. und 3. Studienjahr) für das Kind ***R K*** zu Recht erfolgt ist:

(1) Rechtliche Rahmenbedingungen

§ 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 regelt:

"für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet […] werden […]. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. […] Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird; Gleiches gilt, wenn alle Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase nach § 66 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, erfolgreich absolviert wurden, sofern diese mit mindestens 14 ECTS-Punkten bewertet werden. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß"

Nach § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 muss ein Kind eine in § 3 Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung (zB Universität) besuchen, dh ein Studium muss betrieben werden, um überhaupt von einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG sprechen zu können. Wenn über die Aufnahme als ordentlicher Hörer hinaus keinerlei Aktivitäten in Richtung eines Studiums gesetzt werden, liegt keine derartige Berufsausbildung vor (). Zum Betrieb eines Studiums gehört der (regelmäßige) Besuch von Lehrveranstaltungen (siehe etwa mwN). Es darf keine bloße "Formalinskription" vorliegen. Auch nach einem vorzeitigen endgültigen Abbruch des Studiums (der nicht zwingend zum Ende eines Studienjahres oder Semester erfolgt), wird das abgebrochene Studium nicht (mehr) betrieben (siehe auch , ).

Für studierende Kinder besteht ab dem 2. Studienjahr ein Familienbeihilfenanspruch, wenn für das vorhergehende Studienjahr die Ablegung

  1. einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder

  2. des ersten Rigorosums oder

  3. von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten

nachgewiesen wird.

§ 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 definiert als Nachweiszeitraum das vorhergehende Studienjahr (siehe auch , , , ).

Der Studienerfolgsnachweis ist erbracht, wenn im betriebenen Studium Prüfungen im erforderlichen Ausmaß positiv beurteilt wurden. Der positive Erfolg von Prüfungen, wissenschaftlichen Arbeiten und künstlerischen Master- oder Diplomarbeiten ist mit "Sehr gut" (1), "Gut" (2), "Befriedigend" (3) oder "Genügend" (4), der negative Erfolg ist mit "Nicht genügend" (5) zu beurteilen. Wenn diese Form der Beurteilung unmöglich oder unzweckmäßig ist, hat die positive Beurteilung "mit Erfolg teilgenommen", die negative Beurteilung "ohne Erfolg teilgenommen" zu lauten (siehe § 72 Abs 2 Universitätsgesetz 2002).

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. § 26 FLAG 1967 gilt gemäß § 33 Abs 3 EStG 1988 auch für zu Unrecht bezogene Kinderabsetzbeträge.

(2) Schlussfolgerungen

Ausgehend von den oben zitierten Rechtsnormen sowie der Aktenlage stellt sich die Anspruchsberechtigung der Bf im Rückforderungszeitraum wie folgt dar:

Mai bis September 2022

An der Anspruchsberechtigung im Zeitraum Mai bis September 2022 (= zweites Studienjahr) bestehen keine Zweifel, da ***R*** im ersten Studienjahr (2020/2021) den vom FLAG geforderten pauschalen Studienerfolgsnachweis von mindestens 16 ECTS-Punkten erbracht (bzw sogar überschritten) hat. Nach der Aktenlage ist nicht davon auszugehen, dass ***R*** nur bis Ende April 2022 tatsächlich studiert hat: Sie hat zwar im April 2022 (letztmals) versucht, eine Lehrveranstaltung (Proseminar Einführung in die Soziologie) zu absolvieren. Das Soziologie-Studium ist aber von ***R*** weiter betrieben worden, was durch Vorlage von Vorlesungsmitschriften glaubhaft gemacht wurde.

Oktober 2022 bis April 2023

Die sich nach § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 aus den Prüfungserfolgen des Vorjahres (Nachweiszeitraum = Studienjahr 2021/2022) ergebenden Voraussetzungen liegen ab Oktober 2022 nicht mehr vor. Damit kann von Oktober 2022 bis April 2023 kein Familienbeihilfenanspruch für die Tochter ***R*** mehr bestehen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Angesichts der eindeutigen Rechtslage liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Es war daher gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103485.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at